Vinyl ist sexy: Warum die Schalltplatte nicht totzukriegen ist
Vinyl ist sexy: Warum die Schalltplatte nicht totzukriegen ist
Fr., 03.05.2024
Musik

Playboy-Musik-News: Warum Schallplatten im Trend sind und Vinyl so sexy ist wie nie zuvor

Die „Sportis“ tun es gerade, Jan Delay ebenso und auch junge Künstlerinnen wie Billie Eilish oder die Band The Last Dinner Party machen mit. Sie alle veröffentlichen ihre Musik auf Schallplatten. Doch warum liegt die Uralt-Technik seit Jahren im Trend, wo wir dank Streaming doch Millionen Songs jederzeit und von überall abrufen können?

Zum 20. Geburtstag ihres Erfolgsalbums „Burli“ bringen die bayerischen Indie-Rocker Sportfreunde Stiller das Album in einer limitierten Edition auf Vinyl heraus. Nur 1111 Stück wurden gepresst. Wer Hits wie „Ich, Roque“ oder „Siehst du das genauso?“ analog besitzen möchte, greift also zur Vinylscheibe in frühlingshaftem Hellblau. Es ist überhaupt das erste Mal, dass das Album als Schallplatte erscheint.

Wo wir auch schon beim Thema sind. Denn als „Burli“ im März 2004 das Licht der Welt erblickte, war Vinyl quasi tot. Es regierte die CD und neueste Musikvideos liefen bei MTV und Viva. YouTube wurde erst 2005 gegründet und der Siegeszug der digitalen Musik kündigte sich dank (illegalen) Filestreaming-Plattformen gerade langsam an. Doch dann begann unerwartetes: Die Schallplatte begann ihr zweites Leben.

„Burli“ is back: Die Sportfreunde veröffentlichen ihr Hit-Album zum 20. Geburtstag erstmals auf Vinyl
„Burli“ is back: Die Sportfreunde veröffentlichen ihr Hit-Album zum 20. Geburtstag erstmals auf Vinyl
Credit: PR

Als die CD Mitte der 80er ihren Siegeszug antrat, schien die Zeit der unpraktischeren, störungsanfällige LP vorbei zu sein. Ihren Tiefpunkt fand die Langspielplatte aus Polyvinylchlorid 1994. Gerade einmal 700.000 Schallplatten standen mehr als 165 Millionen CDs gegenüber. Damals konnte man nicht ahnen, dass schon rund 15 Jahre später die Rolle rückwärts beginnen könnte. Denn seit dem Jahr 2010 steigen die Absatzzahlen von Schallplatten wieder, das Tal der Tränen ist durchschritten – und die CD auf dem Rückzug. Gingen 2010 noch knapp unter 100 Millionen CDs über den Ladentisch, waren es im Jahr 2023 gerade noch 16 Millionen. Dem gegenüber stehen ganze 4,6 Millionen Vinyl-LPs. 

Playboy-Musik-News: Was hat die Platte wieder so sexy gemacht?

Auch Jan Delay feiert gerade Jubiläum und bringt aus diesem Anlass ein großes Vinyl-Paket seines Best-Ofs „Forever Jan“ für Fans und Sammler auf den Markt – auf Wunsch mit signiertem Shirt, Begleit-Buch und mit insgesamt fünf Vinyl-Scheiben. Zum stolzen Preis von 200 Euro.

Es scheint sich also zu lohnen, als Künstler auf Schallplatten zu setzen. Doch woher kommt die Nachfrage? Warum steigen die Absatzzahlen von Vinyl jährlich? Was hat die Platte wieder so sexy gemacht?

Auch Jan Delay feiert sein Jubiläum mit einem Best-of auf buntem Vinyl
Auch Jan Delay feiert sein Jubiläum mit einem Best-of auf buntem Vinyl
Credit: PR

1. Grund für den Vinyl-Boom: Das Hören als Ritual und bewusste Auszeit

Als Steve Jobs im Jahr 2001 den iPod präsentierte, erklärte er stolz, dass man damit 1000 Songs in der Hosentasche mit sich tragen könne. Heute sind es Millionen, wenn nicht gar Milliarden Lieder, die wir – rein theoretisch – von überall abrufen können, wo wir Handyempfang haben. All das ist mit der Schallplatte und ihren rund 30 Zentimetern Durchmesser nicht möglich. Und genau das macht sie heute so beliebt. Denn wer eine Schallplatte auflegt, ist nicht auf dem Sprung oder in der U-Bahn. Er nimmt sich Zeit.

Eine Platte aufzulegen ist eine bewusste Wahl, eine Auszeit vom Immer-und-überall-erreichbar-sein. Die Plattennadel als Mittelfinger an die Informationsgesellschaft. Nach einer halben Stunde will die Platte dann gewendet, idealerweise auch von Staub befreit werden.

Die Vinyl-Session als musikalische Teezeremonie. Sie verlangt volle Aufmerksamkeit. Musik von Schallplatten laufen selten als Hintergrundmusik, denn das kann die digitale Playlist viel besser. Angeblich soll der analoge Sound auch wärmer klingen als digitale Audiodateien – diese Diskussion möchten wir hier aber gerne umschiffen.

2. Grund für den Vinyl-Boom: Ein Kunstwerk, das in der Hand gehalten werden will

Plattencover waren mal eine eigene Kunstform und hängen noch heute in unzähligen Wohnzimmern und Küchen von Studenten-WGs. Diesen Status hätten sie allerdings nie erreicht, würden sie schon immer dieses traurige briefmarken-große Zwergendasein fristen, das wir heute von unseren Smartphones kennen. Vinyl-Fans erfreuen sich daran, „etwas in der Hand zu halten“. Die Hülle eines Albums ist 35 mal 35 Zentimeter groß. Da ist Platz für Kunst, Liedtexte, allerlei Infos und dem ein oder anderen versteckten Gag.

Die Beastie Boys schmückten das Cover ihres Debütalbums mit dem Flugzeugkennzeichen „3ATM3“. Bei Betrachtung im Spiegel lässt sich das Zeichen als „EAT ME“ bedeutet. Rapper Eminem huldigte dem „Licensed to Ill“-Cover später mit seinem 2018 erschienenen Album Kamikaze, das die Botschaften „FU-2“ („Fuck you, too“) und „TIKCU5“ (oder „SUCK IT“) enthält.

Musik mit Message: Auf dem Cover des Beastie-Boy-Albums verbirgt sich eine geheime Nachricht
Musik mit Message: Auf dem Cover des Beastie-Boy-Albums verbirgt sich eine geheime Nachricht
Credit: PR

3. Grund für den Vinyl-Boom: Von Jägern und Sammlern

All diese Gründe machen Musik-Enthusiasten zu begeisterten Sammlern. Doch auch das Sammeln an sich ist Hobby und Leidenschaft. In einer Zeit, in der quasi jedem jedes Album und jeder Song zur Verfügung steht, wecken Schallplatten eine ganz neue Begehrlichkeit. Gerade limitierte Editionen oder rare Sammlerstücke gelten als wahre Schätze. Und eine stolze Plattensammlung kann man viel besser herzeigen, als die digitale Bibliothek.

Aber auch aus rein musikalischer Sicht ist es spannend, sich auf Flohmärkten oder Plattenläden durch altes Vinyl zu wühlen. So mancher unbekannte Schatz und musikalische Skurrilität kann hier gefunden werden.

Seltene Versionen von Aufnahmen beliebter Künstler werden immer wieder für hundertausende Dollar versteigert. Etwa wurde 2015 das persönliche Exemplar Ringo Starrs des Albums „The Beatles“ mit der Seriennummer 0000001 für 790.000 US-Dollar verkauft. Aber auch weniger prestigeträchtige Platten wechseln schon mal für ein paar hundert Euro den Besitzer. Und auch abseits von vielen Euro und Dollar hat jede Plattensammlung, die über Jahre erweitert, gepflegt und oftmals auch über Generationen vererbt wird, einen besonderen sentimentalen Wert, der mit keinem Geld der Welt aufgewogen werden kann.

Digitalisierung hin oder her – die Schallplatte ist gekommen, um zu bleiben.

Außerdem auf playboy.de: Playboy-Musik-News: Warum Musik immer simpler wird – und was die Antilopen Gang dagegen tut - Die Playboy-Musik-News der vergangenen Woche


Die Playboy-Musikempfehlungen als Spotify-Playlist:

Titelbild: Sasha Eisenman