Di., 10.10.2017
Interviews

„Wenn ich Angst hätte, könnte ich aufhören“

Der vierfache Weltmeister Sebastian Vettel über sein Leben am Limit, den Irrweg der Rennserie und Momente, in denen er einfach nur eine Bratwurst essen möchte. Unser Interview fand im November 2017 statt.

Playboy: Herr Vettel, Sie sind dieses Jahr 30 Jahre alt geworden. Ein guter Zeitpunkt für eine Zwischenbilanz. Auf einer Skala von eins bis zehn, wie zufrieden sind Sie mit dem, was Sie in Ihrer Karriere bislang erreicht haben?

Sebastian Vettel: Zwischen acht und neun, weil man ja immer Hunger nach mehr hat. Aber wenn ich ehrlich bin, kann ich mich nicht beschweren. Ich bin gesund, hatte wunderschöne Momente bis jetzt, aber man hofft natürlich, dass der schönste Moment noch kommt.

Was fehlt zu den zehn Punkten?

Ich möchte auf jeden Fall noch den Titel mit Ferrari holen.

In Ihrem dritten Jahr bei der Scuderia haben Sie nun zum ersten Mal echt WM-Chancen. Was sind die wichtigsten Gründe dafür?

Wir haben uns bereits im letzten Jahr schon relativ früh auf die diesjährige Saison festgelegt, und im Laufe des vergangenen Winters hat das Team wahnsinnig hart gearbeitet. Unser Auto war vom ersten Rennen an extrem konkurrenzfähig.

Sie haben kürzlich Ihren Vertrag mit Ferrari um drei Jahre verlängert. Wiegt ein Weltmeistertitel für die Scuderia schwerer als für ein anderes Team?

Ich glaube jeder, der mal im Ferrari gesessen hat, spürt, dass es etwas Besonderes ist. Ferrari steht für Leidenschaft und Perfektion. Und ob ein WM-Titel mehr wiegt im Ferrari, weiß ich nicht. Ich bin mit Ferrari noch nicht Weltmeister geworden. Aber fragen Sie gerne noch mal nach, sollten wir es in den nächsten Jahren schaffen.

Privat gelten Sie als ruhig und bodenständig. Im Rennen aber werden Sie immer wieder emotional. Sie fluchen, schimpfen oder rammen auch mal einen Kontrahenten wie zuletzt Lewis Hamilton. Was passiert da mit Ihnen, sobald Sie den Rennhelm aufsetzen?

Der Sportler, dem egal ist, was um ihn herum passiert, ob im Auto, auf dem Platz oder auf dem Wasser, den müssen Sie mir erst noch zeigen. Es ist der Sinn und Zweck des Wettkampfs, dass jeder probiert, das Beste aus sich rauszuholen und zu gewinnen. Dass man mal schimpft oder flucht, ist, glaube ich, ganz normal. Und dass man Fehler macht, die man manchmal bereut, gehört auch zum Leben dazu. Den Menschen, der noch nie einen Fehler gemacht hat, den er nicht bereut, müssen Sie mir erst noch zeigen.

Tragen wir zur Deeskalation bei: Welche lobenden Worte finden Sie für Lewis Hamilton?
Lewis ist ein super Rennfahrer, der bis jetzt sehr viel erreicht hat in seiner Karriere und das aus einem guten Grund: Er ist unheimlich schnell und einer der Besten.

Nach dem Rempler gegen ihn stehen Sie unter besonderer Beobachtung der FIA. Wie viel Vorsicht kann sich ein Formel-1-Pilot leisten?

Ich fahre nicht anders als vorher auch. Ich fahre deswegen keine Kurve langsamer als vorher und gehe deswegen auch keinem Zweikampf aus dem Weg. Du denkst im Rennauto nicht an solche Sachen. Wie gesagt, macht man auch manchmal Fehler, aber aus denen lernt man dann und macht sie nicht mehr.

Sie sitzen seit mittlerweile zehn Jahren in einem Formel-1-Cockpit. Täuscht der Eindruck, dass Sie sich vom Lausbub der Anfangsjahre zum kompromisslosen Haudegen entwickelt haben?

Nein, man wird natürlich erfahrener mit der Zeit, aber sein Wesen verändert man nicht. Jeder muss sich sein eigenes Bild machen. Ich bin, wer ich bin, und liebe, was ich mache. Dass man erfahrener und weiser wird, ist normal. Das kommt mit dem Alter. Aber die Leidenschaft ist nach wie vor da.

Bis zu welchem Alter kann ein Rennfahrer ganz oben mitfahren?

Das ist keine Altersfrage. Man muss selbst entscheiden, inwieweit man noch fähig ist, ganz vorn mitzufahren.

Nach einer Dekade an der Spitze einer der extremsten Sportarten der Welt: Schenken Sie uns bitte ein Stück Lebensweisheit.

Ich glaube, man kann nur das Beste aus sich herausholen, wenn man Spaß hat an dem, was man macht.

Credit: Playboy Deutschland

Gibt es heute noch Momente, in denen Sie Angst spüren?

Ängste gehören dazu. Angst im Auto habe ich aber nicht. Ich fühle mich sehr sicher, wenn ich im Auto sitze, das Lenkrad selbst in der Hand habe und entscheiden kann, was ich mache. Dass man Respekt hat, ist ganz normal. Man spürt ja auch die hohen Geschwindigkeiten im Auto. Ich male mir aber nicht aus, was ich vielleicht riskiere oder was passieren könnte, wenn es einen Unfall gibt. Und der kann immer passieren, weil man sich ja ständig am Limit bewegt. Angst davor habe ich aber nicht. Sonst könnte ich aufhören.

Sie sind mittlerweile Vater. Hat das Ihre Einstellung zum Thema Risikobereitschaft verändert?

Meine Einstellung zum Rennfahren hat sich nicht geändert.

Welche Entwicklung des Sports in den vergangenen zehn Jahren freut Sie besonders?

Die beste Entscheidung war, dass die Autos für dieses Jahr wieder schneller geworden sind. Als Fahrer will man immer das Gefühl haben, dass man die schnellsten Autos fährt, die es jemals gab. Und das sind sie dieses Jahr.

Welche bedauern Sie?

Vom Acht- auf den Sechszylinder zu gehen. Die Autos sind nicht mehr so laut, und die Motoren brüllen nicht mehr so sehr wie in der Vergangenheit. Ich glaube, das fehlt nicht nur den Zuschauern, sondern auch uns. Das Downsizing ist der Weg, den die Welt eingeschlagen hat, aber wir sollten uns auf das Sportliche und die Show konzentrieren und wären besser beraten, entgegen dem Trend zu gehen.

Dies ist die erste Formel-1-Saison seit Jahrzehnten ohne Bernie Ecclestone. Was fehlt im Fahrerlager, seit er weg ist?

Er ist ja nach wie vor noch da, und ich versteh mich auch nach wie vor gut mit ihm. Er ist die Figur, die die Formel 1 mehr geprägt hat, als irgendjemand anderes es wahrscheinlich je schaffen wird. Die Formel 1 ist in dieser Hinsicht sein Baby, aber nach einem halben Jahr kann man noch nicht so viel sagen. Die neuen Eigentümer sind be- müht und interessiert, aber es wird sich erst nach ein paar Jahren zeigen, was sich wirklich ändert.

Sie sind ausgesprochener Social-Media-Verweigerer, wieso eigentlich?
Ich bin kein Verweigerer, ich bin einfach kein Befürworter. Jeder kann ja frei für sich entscheiden, ob er sich mitteilen will oder nicht. Ich habe dieses Mitteilungsbedürfnis nicht.

Sie sind Ehrenmitglied bei Eintracht Frankfurt, meiden bei Stadionbesuchen aber den VIP-Bereich. Wie reagieren die Fans, wenn Sie plötzlich neben ihnen in der Kurve sitzen?

Jeder in der Kurve konzentriert sich auf das Spiel. Und ich bin da ein Fan wie jeder andere auch. Klar kriege ich mal zu hören: „Schön, dass du da bist “ – und man macht auch mal ein Foto. Aber ich sage dann den Leuten auch, dass ich mich lieber aufs Spiel konzentrieren und meine Bratwurst essen und mein Bier trinken möchte.

Geblitzt werden ist in der Schweiz ganz schön teuer. Sicher, dass Sie sich das richtige Land für Ihren Wohnsitz ausgesucht haben?

Ich darf mich ja auf der Rennstrecke alle zwei Wochen austoben. Und Höhe der Strafe hin oder her: Jeder, der Auto fährt, fährt ja gern und behält auch lieber seinen Führerschein, als ihn abzugeben.

Der perfekte Song nachts allein auf der leeren Autobahn?

„Fortunate Son“ von Creedence Clearwater Revival.

Was haben Sie zuletzt an Ihrem Privatauto selbst repariert?

Heutzutage sind die Autos ja extrem zuverlässig, außer mal Scheibenwischerwasser nachfüllen oder den Öl-Stab rausziehen muss man ja nichts mehr machen. Aber bei meinem Motorrad habe ich letztens den Vergaser gereinigt und eine neue Kerze reingeschraubt, damit es wieder rundlief.

Sollten Sie mit Ferrari den Titel holen, müssen wir dann einen Abgang à la Nico Rosberg befürchten?

Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich schaue eigentlich von Rennen zu Rennen. Das ist schon eine extrem große Entscheidung, die man nicht ein- fach so spontan trifft.

Beneiden Sie ihn manchmal um das entspannte Leben, das er heute führt?

Nein, so entspannt ist das ja nicht. Er rennt doch von einem Termin zum anderen.

Wie entschleunigt ein Profi-Rennfahrer wie Sie?

So wie jeder andere normale Mensch auch. Ich bin froh, wenn ich auch mal ein Wochenende zu Hause bin, nichts zu tun ist und ich nicht reisen muss. Dann liege ich sonntags mal ganz entspannt auf dem Sofa und schaue mir einen „Tatort“ an.

Wann sind Sie zuletzt mit Kimi Räikkönen durch die Nacht getorkelt?


Keine Ahnung, vielleicht schon zehn Jahre her, aber getorkelt sind wir nicht.

Wenn wir Ihnen nachträglich ein Auto zum Geburtstag schenken könnten und ein Ferrari gerade weit und breit nicht verfügbar ist, über welches Modell würden Sie sich besonders freuen?

Über den neuen Fiat 500.

 

Titelbild: Playboy Deutschland