Di., 14.08.2018
Interviews

„In den heutigen Zeiten eine erotische Szene zu drehen ist wahnsinnig schwer“

„DIE WELT HAT MOMENTAN WIRKLICH EINEN VOLLSCHADEN“ – So was kann keiner treffender in Worte fassen als Nebenbei-Philosoph und Regie-Großmeister DETLEV BUCK. Zwei Jahrzehnte nach „Männerpension“ hat er sich nun wieder mit Kerlen im Gehege beschäftigt. Ein Gespräch über Großstadt-Gorillas, Schuldeingeständnisse und die neue Herausforderung von Sex-Szenen

 

Herr Buck, wann ist ein Mann ein Gorilla?

Wenn er versucht, durch große Gebärden Eindruck zu hinterlassen. Diese Muckibuden-Männer, die in Shisha-Bars kommen, Frauen am kleinen Finger

hinter sich herziehen und dann so breit und präpotent dasitzen – das hat etwas Gorillahaftes.

Ist das ein Gangster-Ding, oder kann jeder Mann ein Gorilla sein?

Jeder Mann, der darauf Wert legt,so wahrgenommen zu werden. Gorillas werden ja auch geliebt, das ist kein negativer Begriff. Wiesie sich verhalten, gilt als attraktiv, es wirkt archaisch.

Wie sind Sie zur Vorbereitung in dieses Milieu der Berliner Clans eingetaucht?

Ich setze mich da hin und beschäftige mich damit. Man muss das ja auch irgendwie inhalieren, sonst ist es Quatsch. Ich finde das spannend, in so eine Welt zu schauen, in der sie in zwei Reihen auf der Straße parken, zwei Lambos mit

900 PS nebeneinander. Und die Polizei fährt einfach vorbei.

Hatten Sie Bedenken, diese Welt mit Ihrem Film zu glorifizieren?

Nee, das mache ich nicht. Dafür sorgt schon gleich zu Beginn die Frau, die sich in das Gorillagehege wagt. Die kommt in die Bar und fragt die Typen: „Sagt mal Freunde, hört ihr den Schuss? Was ist denn mit euch los? Gebt ihr

Frauen nicht die Hand?“ Da zerfällt das ganze Mackertum. Das ist eine entscheidende Szene. Sie will mit ihnen über Sex sprechen, das ist ein No-Go. Aber sie sagt: „Ihr wisst doch, wie es geht, da können wir doch mal ganz normal drüber

reden.“ Wenn eine Frau denen den Spiegel vorhält, ist das fast eine Demaskierung.

Starke Frauen tauchen immer wieder in Ihren Filmen auf. Warum ist das so?

Weil ich mich gerne mit starken Frauen umgebe und gerne mit ihnen arbeite. Eine starke Frau finde ich interessanter als einen starken Mann. Vielleicht, weil ich selbst ein Mann bin und das kenne. Männer haben eine andere Attitüde.

Wenn man sich diese CEOs anguckt, die vorgeben, lässig zu sein – da sind Frauen viel energetischer unterwegs. Ich finde starke Frauen einfach spannender als nur schöne. Ganz simpel.

„Asphaltgorillas“ basiert auf einer Kurzgeschichte des Autors Ferdinand von Schirach, der sich immer wieder damit auseinandersetzt, wie Menschen schuldig werden. Hat diese Frage Sie auch beschäftigt?

Ich hatte neulich so einen Geistesblitz zum Thema Schuld und was mich daran stört: Heute schiebt man die Schuld gerne auf andere, das ist modern. Du wirst zum Schuldigen, weil andere dich dazu machen. Aber dass einer sagt, das

ist meine Schuld, meine Verantwortung, das macht kaum einer.

Können Sie selbst es denn?

Ich finde es wichtig, keine Angst davor zu haben, zu sagen: Okay, das habe ich zu verantworten. Erfolg hat immer viele Väter, aber Schuld schieben alle weg. Keiner sagt, das habe ich verbockt. Weil es einen beflecken könnte, dem

Außenbild schaden.

Sie sind mit von Schirach befreundet, richtig?

Ja, kann man sagen. Wir haben einen Frühstücksclub, er wohnt um die Ecke.

Was passiert da? Sprechen Sie über Ihre Arbeit?

Nee, über Ideen und über die Welt.

Nur Sie beide?

Es sind auch andere dabei, eine lose Runde. Seitdem er nicht mehr als Anwalt arbeitet, hat er ein Lotterleben. Aber sehr diszipliniert organisiert. Er geht spät frühstücken, und dann geht er schreiben. Fast wie Goethe, in ein sehr puristisch

eingerichtetes Büro. Aber man kann ja auch nicht mehr als drei Stunden schreiben. Dann hat er Feierabend.

Was hat von Schirach zum Film gesagt? Hat er ihn schon gesehen?

Er hat ein Test-Screening gesehen, um zu wissen, wo diese ganzen losen Enden hinführen. Das sind ja inzwischen viel mehr als in seiner Kurzgeschichte, und wir haben einiges ausgetauscht. Im Original geht es um Drogen, bei uns um

Falschgeld. Wenn jemand in einem Film kokst und damit eine gewisse Wildheit ausgedrückt werden soll, schlafe ich ein. Er war überrascht, und das hat ihm sehr gefallen.

Diese Phase kurz vor dem Start eines Films, in der man noch nicht weiß, wie er beim Publikum und bei den Kritikern ankommen wird, macht Sie die nervös?

Nee. Aber das Kino an sich hat es im Moment sehr, sehr schwer. Die Staubsaugerfilme nehmen 80, 90 Prozent der Zuschauer weg, und die Vielfalt verschwindet. Viele Verantwortliche gehen nur nach Daten, dadurch verliert das ganze Kino eine gewisse Art von Divergenz.

Was hat sich eigentlich an Ihrer Arbeit seit der MeToo-Debatte geändert?

Ich finde gut, dass das jetzt auf dem Tisch ist. Aber als die Debatte gerade am höchsten war, musste ich eine Sex-Szene drehen und habe mir überlegt: Wie macht man das jetzt? Muss man da Anwälte dabei haben? Ich habe mir tausend Gedanken gemacht. In

den heutigen Zeiten eine erotische Szene zu drehen ist wahnsinnig schwer. Ich habe von einem Set in England gehört, an dem man sich nicht länger als 15 Sekunden still angucken darf, denn dann ist es „offending“ (engl.: beleidigend).

Sie sind ja nicht nur Regisseur, sondern auch Landwirt. Wenn man sich auf Ihrem Instagram- Profil umsieht, sind da viel mehr Bilder von Ihren Kühen und von Ihrem Acker als vom roten Teppich. Woran liegt das?

Ich finde Rote-Teppich-Fotos irrsinnig langweilig, da ist überall so eine Gleichheit. Dann zeige ich lieber die Ankunft eines Bullen auf der Weide, der dort die Kühe trächtig machen soll. Das ist eine konkrete Situation. Ich würde da noch viel mehr Zeug machen, aber

ich will ja kein Influencer werden. Das wäre mir zu anstrengend.

Ist der Hof eher Ihr Hobby oder ein zweiter Beruf?

Den Hof zu Hause mache ich weiter, weil das Strukturerhalt ist. Das sind die Kühe von meinem Vater, die jetzt ihre eigenen Kälber großziehen. Keine Milchkühe mehr, sondern Mutterkühe. Ich habe es damals nicht geschafft, sie alle gleich zum Schlachter zu schicken.

Sie haben es nicht übers Herz gebracht?

Nee. Jetzt laufen die da rum. Aber nicht, bis sie tot umfallen, das ist ja kein Altersheim.

Vor vielen Jahren sollten Sie in einem Fragebogen verraten, was Sie antreibt. Ihre Antwort: dass mein Vater endlich mal sagt, du warst gut. Hat er das inzwischen getan?

Nee. Ich mache immer noch alles falsch. Aber das ist egal, es bleibt auch so.

Und trotzdem hat Sie dieser Wunsch nach Anerkennung umgetrieben?

Das war eher ein Witz. Natürlich möchte jeder von seinen Eltern geliebt werden, das ist ein Urinstinkt. Und mein Vater hat mich schon geliebt, aber der konnte das eben nicht zeigen. Das gehört zu dieser Generation. Ich glaube, es gibt nur ein Bild, auf dem er mich

auf dem Arm hält. Ich kann mich nicht an irgendeine Art von Zärtlichkeit erinnern. Da lief man so mit. Wenn der Junge nicht da ist, dann wird er schon noch kommen. Und wenn ich zu spät war, gab es eine Tracht Prügel, fertig. Aber das ist nicht mit heute vergleichbar.

Haben Sie es bei Ihren eigenen Kindern anders gemacht? Wissen die, dass Sie gut finden, was sie tun?

Doch, doch. Aber ich habe dieses Nicht-loben-Können leider auch ein bisschen in mir, so wurde ich sozialisiert. Ich muss immer dran arbeiten, dass ich es nicht komplett so mache wie mein Vater, weil das doof ist.

Heißt das, Sie sind auch am Film- Set keiner, der mit Komplimenten um sich schmeißt?

Ich sage den Schauspielern immer: Das Lob ist, dass wir das jetzt zusammen machen dürfen. Es gibt natürlich auch Leute, die so eine Warmherzigkeit haben und einen anfassen und sagen: „Du, das ist ganz toll.“ Ich finde das auch legitim, wenn sie das können, aber mir würde man das

gar nicht glauben. Obwohl, vielleicht muss ich damit einfach anfangen. Das gefällt mir übrigens sehr gut hier, unser Gespräch.

Vielen Dank!

Ha! Sehen Sie. Ich hatte noch nie so einen schönen Frageverlauf . . . Obwohl ich eigentlich privat nie was reden mag, das ist mir zu blöde, anderen zu erklären, wie man lebt. Weil man das nicht auf andere übertragen kann, das ist zu eigen. Und ich bilde mir auch nichts drauf ein, ich will nicht sagen, so muss man’s machen. Ich habe da kein Sendungsbewusstsein, und es interessiert mich einen Scheiß, das anderen darzustellen. Aber jetzt rede ich trotzdem darüber.

Machen wir also weiter: Hatten Sie eigentlich schon mal eine Midlife-Crisis?

Ja.

Und wie ist die wieder weggegangen?

Weiß ich auch nicht. Man vergisst es dann wieder, es relativiert sich. Richtig depressiv war ich nicht, aber die Welt guckt eben immer auf das nächste junge Talent. Und ich bin am Set mittlerweile einer der Ältesten. In Amerika ist das besonders schlimm. Auch wenn einer schon zehn Filme gemacht hat, verkaufen sie es lieber als

sein „first movie“, weil das besser ankommt. Die Welt hat momentan wirklich einen Vollschaden. The new hot shit, darauf sind sie alle gierig, und das bin ich nicht mehr. Das macht mich manchmal traurig. Aber eigentlich scheiße ich drauf und sage, ich mache das so, wie ich denke. Dann hat das auch eine gewisse Frische.

 

Titelbild: Getty