Mo., 09.01.2017
Interviews

„Es gibt keinen Grund, auszuflippen"

Er ist wohl der einzige Weltstar des Fußballs, der mit dem Fahrrad zum Training fährt. Manuel Neuer über seinen Hang zur Bodenhaftung, Heimatgefühle beim Wurstessen und das gute Gefühl, man selbst zu sein

Playboy: Herr Neuer, Sie sind Weltmeister, Champions-League-Sieger, Kapitän der Nationalelf und mit 30 Jahren auf dem Gipfel Ihrer Karriere. Wie schafft man es da, trotzdem so am Boden zu bleiben wie Sie?
Neuer: Erst mal ist es wichtig, nicht so eine Selbstzufriedenheit an den Tag zu legen und zu denken, man hätte schon alles erreicht. Jede Saison steht für sich, und du musst immer aufs Neue alles geben. Ich bin jemand, der sich über jedes Gegentor ärgert, über jedes verlorene Trainingsspiel. Dieser Hunger, jeden Tag aufzustehen und für seinen Sport zu leben, das ist das Wichtigste.

Playboy: Wie behält man diesen Hunger?
Neuer: Der ist einfach da. Das ist irgendwie in mir. Ich habe Spaß am Fußball, ich liebe diesen Sport.

Playboy: Ihr Beruf bringt dazu ja auch einen gewissen Star-Status. Aber während mancher Profi seinen Lamborghini quer über zwei Behindertenparkplätze stellt und sich feiert, fallen Sie damit auf, dass Sie unauffällig mit der U-Bahn zum Oktoberfest fahren. Wie macht man das, nicht auch mal auszuflippen?
Neuer: Es gibt ja keinen Grund auszuflippen. Natürlich habe ich eine erfolgreiche Zeit hinter mir. Aber ich bin keiner, der die große Bühne sucht. Klar liebe ich es, im Champions-League-Finale zu stehen. Auf der sportlichen Ebene gefällt mir das. Aber im Privatleben? Da kann ich auch mal mit dem Fahrrad zum Training kommen.

Playboy: Sie fahren mit dem Fahrrad zur Säbener Straße?
Neuer: Habe ich schon öfter gemacht. Oder mit der Vespa. Ich finde das an einem schönen Tag einfach entspannt. Die Autos von uns Bayern-Profis fallen in der Stadt halt auf. Die Leute kennen die Marke, die Nummernschilder. Wenn ich mit dem Fahrrad fahre und ein Käppi aufhabe oder mit Vespa und Helm unterwegs bin, dann bin ich ein wenig unerkannter, freier, kann mein eigenes Ding machen.

Playboy: Haben Sie schon mal geleugnet, Manuel Neuer zu sein, wenn Sie erkannt wurden?
Neuer: Wieso sollte ich? Ich gehe offen damit um, dass ich Manuel Neuer bin (lacht)!

Playboy: Worin unterscheidet sich der Manuel Neuer von heute vom 15-jährigen Manuel Neuer?

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Neuer: Als Jugendlicher bist du natürlich ein bisschen frecher und freier. Heute ist mir immer bewusst, dass ich Vorbild bin, egal, ob ich privat unterwegs bin oder bei einer öffentlichen Veranstaltung. Entsprechend verhalte ich mich. Grundsätzlich denke ich, dass ich die menschlichen Eigenschaften, die ich damals als Jugendlicher hatte, auch heute noch habe.

Playboy: Sind Sie im Herzen auch noch immer Ultra in Gelsenkirchen-Buer?
Neuer: Es war damals ein Hobby von mir, zu den Schalke-Spielen zu fahren. Ich bin dort aufgewachsen und hatte schon immer diese Leidenschaft für den Fußball. Sowohl als Fan als auch, wenn ich selbst gespielt habe. Ich glaube, was vor allem geblieben ist, ist die Leidenschaft, Spiele gewinnen zu wollen.

Playboy: Als Sie 2011 von Schalke nach München gewechselt sind: Hatten Sie da mit einer Identitätskrise zu kämpfen?
Neuer: Überhaupt nicht. Schalke war mein Ausbildungsverein, und ich hatte dort sehr viele gute Trainer, von denen ich viel gelernt habe. Aber dann hatte ich mit 24 Jahren diese Riesenmöglichkeit, zu einem besseren Verein zu gehen, auf die ganz große Bühne zu kommen und mich sportlich weiterzuentwickeln. Also habe ich mich aus beruflichen Gründen und weil der FC Bayern einfach ein toller Verein ist, entschieden, das durchzuziehen. Ich habe diesen Schritt nie bereut.

Playboy: Was schmeckt heute mehr nach Heimat: Curry- oder Weißwurst?
Neuer: Es schmeckt beides nach Heimat. Ich kann mich mit beidem sehr gut identifizieren.

Playboy: Beim Blick auf Ihre Karriere fällt auf, dass Sie nie ein offensichtliches Tief hatten. Aus der Innensicht: Was war die schwierigste Phase?
Neuer: Wenn du jung bist und einen Fehler machst, ist das natürlich manchmal nicht so einfach. Ein Torwartfehler bedeutet meist ein Gegentor, dadurch ist der Druck besonders hoch. Aber ich habe immer versucht, einfach weiterhin das Beste für das Team zu geben, mein Spiel weiter durchzuziehen und meinen Spielstil nicht zu verändern, weil ich immer daran geglaubt habe, dass sich diese Art des Torwartspiels durchsetzen wird.

Playboy: Bei negativen, belastenden Gedanken: Sind Sie eher der Typ Verdränger oder der Typ Verarbeiter?
Neuer: Wenn ich eine schlechte Phase habe oder das Gefühl, es läuft nicht so, dann will ich immer trainieren. Auf den Platz gehen, gut trainieren, besser werden. Denn so wie du trainierst, so spielst du auch. Davon bin ich überzeugt.

Playboy: Wenn man der beste Torwart der Welt ist, von wem kann man sich dann noch etwas für die eigene Arbeit abschauen?
Neuer: Ich schaue mir täglich etwas ab. Bei den anderen Torleuten, mit denen ich trainiere. Bei Szenen, die ich im Fernsehen verfolge. Ich habe früher immer die Sendung „Eurogoals“ geschaut und auf die Torhüter geachtet: Wie hättest du reagiert? Wie hat sich der Torwart verhalten? Die Schrittfolgen, das Timing, solche Sachen. Man kann auch von anderen Sportarten etwas lernen. Beim Handball zum Beispiel oder sogar beim Tennis, wenn man beispielsweise beim Doppel auf das Stellungsspiel achtet. Das ist alles sehr wertvoll.

Playboy: Welchen Torwart wählen Sie beim Fußball auf der PlayStation?
Neuer: Ich spiele nicht auf der PlayStation.

Playboy: Gibt es einen Torhüter, den Sie für seine Fähigkeiten bewundern?
Neuer: Es gibt viele Torwarte, die überragende Fähigkeiten haben. Und natürlich hatte ich als Kind und Jugendlicher meine Vorbilder.

Playboy: Jens Lehmann vor allem, oder?
Neuer: Nicht nur. Lehmann, das kam eher aus der Schalker Zeit, weil er zu den Euro-Fightern gehört hat, die 1997 den Uefa-Cup gewannen. Aber international war eher Edwin van der Sar mein Vorbild. Weil er sehr früh sehr modern gespielt hat. Die Ajax-Torwartschule hat mir schon immer sehr gut gefallen, ich habe mir damals

auch die Videos dazu angeschaut. Ich fand auch die Motivation von Oliver Kahn sehr gut und die Reflexe, die er hatte.

Playboy: Oliver Kahn hat uns mal gesagt: „Wie willst du Spaß empfinden in einem Job, der so wenig hergibt für spaßige Momente?“ Können Sie das nachvollziehen?
Neuer: Ich habe auf jeden Fall Spaß. Aber Spaß hängt oft eben auch mit dem Erfolg zusammen. Wenn ich ein Trainingsspiel verliere, habe ich keinen Spaß. Wenn beim Torschuss-training jeder Ball drin ist, auch nicht. Ich bin schon sehr ehrgeizig und perfektionistisch. Dass ich so richtig zufrieden bin nach dem Training, geschieht sehr selten.

Playboy: Wie findet man die Balance zwischen Ehrgeiz und Gelassenheit?
Neuer: Verbissenheit ist ein schlechter Ratgeber. Wenn man sich zu hohe Ziele steckt, geht der Schuss nach hinten los. Eine gewisse Leichtigkeit und Lockerheit muss man bewahren. Das ist ein schmaler Grat.

Playboy: Haben Sie schon mal während eines Spiels leise vor sich hingesummt, weil Ihnen so langweilig war im Bayern-Tor?
Neuer: Noch nie passiert.

Playboy: Ihr Torwartspiel gilt ja als durchaus riskant. Wir wüssten gern, wie risikofreudig Sie abseits des Platzes sind, und haben ein paar Entweder-oder-Fragen. Die erste: Frauen ansprechen – oder warten, bis man angesprochen wird?
Neuer: Immer warten. Ich war schon immer schüchtern. Als Kind habe ich mich schon nicht getraut zu fragen, ob ich beim Fußball mitspielen darf. Ich stand immer eine halbe Stunde am Rand und sah zu, bis meine Mutter dann kam und für mich gefragt hat.

Playboy: Im Restaurant: Wiener Schnitzel oder Kugelfisch-Sashimi?
Neuer: Wiener Schnitzel. Kugelfisch-Sashimi hört sich gefährlich an.

Playboy: Konto in Panama oder bei der Sparkasse Tegernsee?
Neuer: Das ist zwar das falsche Kreditinstitut, aber das Konto ist schon in Deutschland.

Playboy: Tanzen oder am Rand stehen?
Neuer: Am Rand stehen und tanzen.

Playboy: Am Rand beim FC Bayern steht seit dem vergangenen Sommer Carlo Ancelotti. Ein neuer Trainer bereitet sich immer auf seine neue Mannschaft vor. Bereitet man sich als Spieler auch auf einen neuen Trainer vor?
Neuer: Ich hatte damals in der elften Klasse ein Jahr Italienisch. Von da her habe ich mich schon sehr frühzeitig darauf vorbereitet.

Playboy: Und die ernsthafte Antwort?
Neuer: Man weiß natürlich, wo er einst gespielt und wo er als Trainer gearbeitet hat. Ich habe jetzt nicht sein Buch „Quiet Leadership“ gelesen. Aber während der Zeit beim Nationalteam habe ich natürlich mal mit Toni Kroos, der ihn ja von Real Madrid kennt, über ihn und seinen Mitarbeiterstab gesprochen.

Playboy: Was hat Toni Kroos gesagt?
Neuer: Dass er ein beeindruckender Mensch und ein guter Trainer ist. Aber grundsätzlich bin ich ein Freund davon, sich immer einen eigenen Eindruck zu machen und Personen danach einzuschätzen.

Playboy: Ancelotti zieht in seinem Buch Parallelen zwischen sich und Vito Corleone aus dem Film „Der Pate“. Sehen Sie Ähnlichkeiten?
Neuer: Ich kenne den Film nicht. Aber Ancelotti ist schon einer, der sich alles anschaut, der alles mitbekommt. Er pflegt einen engen Austausch mit den Spielern, möchte wissen, wie es einem geht, ob man fit ist, irgendwelche Probleme hat, und er stuft das dann alles nach und nach ein.

Playboy: Würde „Quiet Leadership“ auch Ihren Führungsstil gut beschreiben?
Neuer: Nein.

Playboy: Wie sieht Ihrer aus?
Neuer: Offen über alles sprechen. Mit den Teamkollegen zusammen. Also nicht „quiet“.

Playboy: Wann sind Sie zuletzt richtig laut geworden?
Neuer: Heute.

Playboy: Was war passiert?
Neuer: Wir haben trainiert. Auf dem Platz gehört das dazu.

Playboy: Sie haben drei Jahre Pep Guardiola als Trainer erlebt. Was überwiegt: Ihr Neid auf die von ihm heute betreuten Spieler von Manchester City oder Ihr Mitleid mit ihnen?
Neuer: Weder noch. Ich glaube, dass jeder Spieler froh ist, unter ihm trainieren zu dürfen. Dass Pep Guardiola jeden einzelnen Spieler bei Bayern besser gemacht hat, steht, glaube ich, außer Frage.

Playboy: Fühlt sich der FC Bayern eigentlich anders an, seit Uli Hoeneß wieder zurück ist?

Neuer: Für mich war er nie weg. Vom Gefühl her hat es für mich nie einen FC Bayern ohne Uli Hoeneß gegeben.

Playboy: Haben Sie schon einmal einen Gedanken daran verschwendet, wie Ihre eigene Zukunft nach der Fußball-Karriere aussehen könnte?

Neuer: Klar mache ich mir mal Gedanken darüber und schaue auch, welchen Weg Spieler gehen, die ihre Karriere schon beendet haben. Aber ich denke, dass ich es erst einmal genießen muss, aktiver Sportler zu sein. Sich jetzt zu intensiv mit der Karriere danach zu beschäftigen wäre der falsche Weg.

Playboy: Ordnen Sie die folgenden Jobs bitte nach der von Ihnen persönlich empfundenen Attraktivität: Trainer, Manager, TV-Experte, Geschäftsmann, Hausmann.
Neuer: Hausmann ist man ja immer, egal, welchen Beruf man später macht. Und wenn du eine erfolgreiche Karriere haben möchtest, bist du auch immer Geschäftsmann. Ich glaube nicht, dass ich mal Trainer werde. Und auch nicht TV-Experte. Punktuell kann man das vielleicht machen, aber ich setze mir jetzt nicht das Ziel, TV-Experte zu werden. Und Manager? Also grundsätzlich dem Sport verbunden zu bleiben, das ist schon mein Ziel.

Playboy: Usain Bolt will ja Schauspieler werden. Sie hatten vor ein paar Jahren einen sehr lustigen Auftritt als Büroangestellter Manuel Neuer in einem Werbespot. Sie haben wirklich das Talent zum Schauspieler. Wäre das was für Sie?
Neuer: Ich habe schon Komplimente bekommen von dem einen oder anderen Regisseur. Allerdings ist es bislang bei Werbespots geblieben. Aber Sie merken: Ich bin breit aufgestellt – und es kann noch viel passieren (lacht)!

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Gepflegter Auftritt: Manuel Neuer ist Markenbotschafter für Head & Shoulders
Titelbild: nadinerupp