Di., 11.04.2017
Interviews

"Der Speck musste weg, den Spirit behalte ich"

Für sein neues Filmabenteuer „Gold“ lässt sich Hollywood-Schönling Matthew McConaughey eine Wampe überm Waschbrett wachsen. Und wird ein neuer Mann. Einer, den man zu Recht ein bisschen beneiden darf

Matthew McConaughey hat in mehr als 50 Filmen mitgespielt. Besonders aber nach seinem letzten, „Gold“ (Kinostart: 13. April), scheint ihn nichts mehr aus der Ruhe zu bringen. Warum? Das wird er gleich erzählen, nachdem er in einer Lounge in Hollywood so wunderbar unprätentiös zum Interview empfängt: ein Bier vor sich, die Beine auf dem Sofa ausgestreckt. Wir stoßen an. Lässiger geht es in der auf Image-Politur bedachten Filmbranche kaum. Eine Erklärung könnte lauten: Klar, der 47-Jährige ist Texaner. Doch es gibt weitere Gründe. Cheers erst mal!


Playboy: In „Gold“ spielen Sie einen betrügerischen Goldsucher mittleren Alters mit Bierbauch und schütteremHaar. Eine Botschaft an die Kritiker, die Ihnen vor allem während Ihrer Romantik-Komödien-Phase in den Nullerjahren vorwarfen, sich zu sehr auf Ihr gutes Aussehen zu verlassen?
McConaughey: Ich finde nicht, dass Kenny in irgendeiner Weise überzeichnet ist. Der Bauch ist echt. Der Kerl ist ein Genießer. Ein echter Lebemann – wie mein Dad. Der aß und trank für sein Leben gern und war ein fantastischer Gastgeber. Auch dieser Kenny nimmt alles mit. Bevor wir anfingen zu drehen, ließ ich es ein paar Monate lang richtig krachen. Wann immer ich Appetit oder Durst auf etwas hatte, langte ich zu. Noch heute schwärmen meine Kinder von der Zeit, weil es da nicht nur am Freitagabend Pizza gab, sondern jeden Abend.

Playboy: Wie hat es sich nach all den Jahren des Golfens, Joggens und Surfens angefühlt, sich vollzustopfen?
McConaughey: Mir ging es bestens. Mein Rücken, meine Knie – alles hat sich viel besser angefühlt. Ich stand morgens auf und dachte: „Jetzt hau ich mir erst mal ein Bier und einen Cheeseburger rein!“ Sich die Kilos raufzuschaffen hat also mehr Spaß gemacht, als sie wieder loszuwerden.


Playboy: Wurden Sie auch verspottet?
McConaughey: Manche Leute fanden, ich sähe viel gesünder aus. Doch kurz vor der 90-Kilo-Marke sagte meine Mom: „Okay, Fettsack, jetzt reicht’s! Du sieht aus, als würden in deiner Hose zwei Schweine kämpfen.“ Nur mein Bruder Rooster war begeistert: „Du bist das Ebenbild von Dad!“ Ich versprach ihm: „Ein paar Kilo Speck müssen runter, aber den Spirit behalte ich.“

Playboy: Wann nach Filmen wie „Der Womanizer – Die Nacht der Ex-Freundinnen“ haben Sie beschlossen, dass Sie von romantischen Komödien die Nase voll haben?
McConaughey: Ich weiß noch, wie ich beim Lesen des x-ten Romantic-Comedy-Drehbuchs lachen musste: „Scheiße, das reiß ich an einem einzigen Tag runter. Leichtes Geld, ich muss nur zugreifen.“ Nicht, dass mich das groß gestört hätte, trotzdem kam ich ins Grübeln und beschloss, mich künftig um Arbeit zu bemühen, die es mit meinen damaligen Gefühlen aufnehmen konnte: Lebensfreude, Begeisterung, Spaß, Liebe, Schmerz, Hoffnung, Schuld. Mein Sohn Livingston war gerade zur Welt gekommen. Meine Frau und ich hatten im selben Jahr geheiratet, und auch das gab mir jeden Tag das Gefühl von Bedeutsamkeit, von einer Aufgabe. Ich machte mich rar, erschien weder auf der Leinwand noch mit nacktem Oberkörper in den Zeitschriften. Die Auffassung „McConaughey ist ein Sonnyboy, der am Beach abhängt, surfen geht und eine heiße Frau hat“ ging Hand in Hand mit „Der Kerl macht nur seichte Filmchen“.

Playboy: Nach Filmen wie „Gold“, „Dallas Buyers Club“ oder der Serie „True Detective“ ist das heute nur noch schwer vorstellbar.
McConaughey: Ich höre oft: „Die ernsthaften Filme, die Sie heute drehen, sind sicher schwieriger zu spielen.“ Aber das stimmt nicht. In einer romantischen Komödie darf man nicht zu laut lachen, sonst denken die Zuschauer, man sei verrückt. Bei Liebesszenen sollte man leidenschaftlich sein, aber bitte nicht zu viel Zunge zeigen. Man darf wütend werden, aber nicht zu sehr, sonst verdirbt man es sich und ist raus, wenn sich das Paar im dritten Akt wieder versöhnt.

Playboy: Sie sind mit zwei älteren Brüdern bei Ihren Eltern in Longview/Texas aufgewachsen. An welche Momente denken Sie gern zurück, und welche würden Sie lieber vergessen?
McConaughey: Meine Mom und mein Dad haben sich zweimal scheiden lassen und dreimal geheiratet. Sie waren ein wildes Gespann, da sind die Fetzen geflogen, Mann! Moms Mittelfinger ist viermal gebrochen, weil sie meinem Vater damit so lange auf die Stirn getippt hat, bis ihm der Geduldsfaden reißen musste. Dad war ein Bär, aber er hatte magische Hände. Meine Mom litt an Migräne. Das Einzige, was dagegen wirklich half, war Dads Massage. Ich hatte ständig Ohrenentzündung, und egal, was ich dagegen nahm: Erst wenn Dad mir die Ohren massierte, wurde es besser. Während der zweiten Scheidung meiner Eltern lebte ich mit ihm in einer Wohnwagensiedlung. Wir hatten damals einen Nymphensittich. Einmal kamen wir heim und fanden ihn kreiselnd auf dem Boden der Kloschüssel. Ich weiß noch, wie Dad auf die Knie fiel, mit Tränen im Gesicht, den Kopf des Vogels behutsam in den Mund nahm und ihm Luft in die Lungen blies. Und verdammt, der Vogel flatterte zurück ins Leben! Mein Dad hatte ihn danach noch fünf Jahre.

Playboy: Welche Erinnerungen an Ihren Vater haben Sie in „Gold“ verwertet?
McConaughey: Meine Figur basiert auf meinem Vater und einem Kerl namens Chida cago John. Die Geschichte geht so: Ich bin 19 oder 20, wir sind in Houston, es ist ein Tag vor Weihnachten, und mein Vater sagt: „Komm, wir besorgen ein paar Geschenke.“ Wir fahren auf das Gelände hinter einem Einkaufszentrum, wo Abfallcontainer und Stromkästen stehen – und ein weißer Lieferwagen. Mein Dad sagt: „Bleib im Auto, Kumpel. Das ist Chicago John“, und steigt aus. Durchs Fenster der Beifahrertür sehe ich einen Typen aus dem Lieferwagen klettern – etwa 1,65 groß, schwarze Lederjacke, Glatze. Er geht um den Lieferwagen herum und öffnet die Türen. Ich sehe eine Waschmaschine, Mikrowellen, Nippes. Irgendwas geht da vor sich, was nicht ganz sauber ist. Mein Dad und Chicago John stehen mit dem Rücken zu mir, und die Schultern meines Dads bewegen sich auf und ab. Ich denke: „Wow, was ist das denn?“ Da sehe ich, dass mein Vater Geldscheine abzählt. Er steigt ein, lässt den Motor an, reicht mir ein Paket und sagt: „Hier, leg das ins Handschuhfach.“ Wir fahren zurück auf die Route 59, schweigen, bis mein Dad sagt: „Hey, Kumpel, schau mal nach, ob sie noch da ist.“ Ich öffne das Handschuhfach, wickle das Paket aus und halte eine große silberne Uhr in der Hand. Mein Dad sagt: „Verdammt, Mann, das ist eine 17.000-Dollar- Rolex aus Titan, und ich hab sie gerade für drei Riesen erstanden. Pack sie wieder ein.“ Schon was anderes, als bei Walmart shoppen zu gehen, oder? Mein Dad stand auf dubiose Deals. Nach ihm habe ich meinen Part in „Gold“ angelegt.

Playboy: Und die Uhr?
McConaughey: Ach, das war gar keine Titan-Rolex.Er hat sich übers Ohr hauen lassen, aber Mann, ich hab ihn dafür geliebt, wie er das Geld abgezählt hat. Und für sein „Schau mal nach, ob sie noch da ist“ – nicht um mich aufzuziehen, sondern um mir zu sagen, dass wir es geschafft hatten.

Playboy: Was hat Ihr Vater Ihnen zum Thema
McConaughey: Frauen geraten? Ich weiß noch, wie er sagte: „Irgendwann kommt die Zeit, da bist du mit einem Mädchen zusammen, und deine Hände fangen hier oben an und wandern dann nach unten. Wenn du auf dem Weg nach unten auch nur den leisesten Widerstand spürst, die geringste Anspannung, geh nicht weiter. Dann wird wahrscheinlich das Mädchen wollen, dass du weitermachst. Tu’s nicht! Wenn ihr das nächste Mal zusammen seid und du keinen Widerstand spürst, kannst du dich etwas weiter vorwagen.“ Das erste Mal, als ich bei einem Mädchen zugange war, hat der Weg von hier oben bis hier unten ungefähr eine Stunde gedauert.
 

Playboy: Weil Sie auf Widerstand stießen?
McConaughey: Nein, weil alles, was ich bisher kannte, Fotos von Frauen aus einem Playboy-Heft waren, das ich bei den Nachbarn in der Scheune versteckt hatte. Da waren nie Schamlippen abgebildet, sodass ich dachte, die Vagina verliefe von Ost nach West. Ich kam also unten an und fragte mich: „Wo ist sie?“ Drei Stunden später merkte ich, dass sie doch von Nord nach Süd verläuft. Ich war aufwunderbare und unschuldige Weise unwissend gewesen.

Playboy: Und wann sind Sie dann noch weiter vorgedrungen?
McConaughey: Wann ich meine Unschuld verloren habe? Das muss mit 15, 16 gewesen sein. Eine tolle Geschichte, die ich aber für mich behalte. Ich hatte einen Job, zwei tolle Freundinnen, kaufte mir ein Auto. Ich kümmerte mich um die Schule und um Mom und Dad. Außerdem legte ich etwas Geld zur Seite und spielte mit dem Gedanken, Anwalt zu werden.

Playboy: Nicht Schauspieler?
McConaughey: Nein. 1988 ging ich als Austauschschüler nach Australien. Ich kam am Flughafen in Sydney an und stieg zu meiner Gastfamilie ins Auto. Wir fuhren zwei Stunden zu einem 200-Seelen-Kaff. Ich wurde ein ziemlich kränklicher Vegetarier. Ich fing an, jeden Tag zehn Kilometer zu joggen, nahm stark ab, lebte enthaltsam und machte mir Gedanken über Rassismus und religiöse Intoleranz. Ich redete mir sogar ein, ich müsste Mönch werden.

Playboy: Was ging damals in Ihnen vor?
McConaughey: In unserer Familie war es so, als dürfte es keinen Winter geben. Es herrschte immer Sommer. Wenn etwas passierte, das einem die Laune verderben könnte, blätterte man einfach um und machte weiter. In Australien erlebte ich meinen ersten Winter. Ich hatte Zeit, mich mit dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen.

Playboy: Wie haben Freunde und Familienmitglieder reagiert, als Sie zurückkamen? Sie gingen ja nach Austin, um Kommunikationswissenschaft zu studieren.
McConaughey: Ich konnte keine belanglosen Gespräche mehr führen. Alles musst sehr, sehr tiefgründig sein. Meine Freunde sagten: „Mann, bist du anstrengend. Wo ist bloß der McConaughey, mit dem wir um die Häuser gezogen sind und Spaß hatten?“

Playboy: Haben Sie sich das mit Ihrer Enthaltsamkeit noch mal überlegt?
McConaughey: Ich habe die Sache noch etwa ein Jahr durchgezogen. Zum Teil hatte es auch religiöse Gründe. Und wie Ralph Waldo Emerson (US-amerikanischer Philosoph, d. Red.) sagt, wollte ich nicht im Außen nach Anerkennung suchen.

Playboy: Trotzdem haben Sie sich einen Agenten genommen und an Castings teilgenommen. Sie drehten einen Fernsehspot für Ihr Sportteam, die Texas Longhorns. Nicht lange danach entdeckte Sie der Produzent Don Phillips und schlug Sie Richard Linklater für „Confusion – Sommer der Ausgeflippten“ vor. Sie hatten nicht gerade viel Schauspielerfahrung.
McConaughey: Und ich dachte, bei einem Vorsprechen ginge es zu wie bei jedem anderen Vorstellungsgespräch auch. Also rasierte ich mich, kämmtemir die Haare, zog ein gebügeltes Hemd an, ging rein und sagte: „Guten Tag, Mr Linklater. Wie geht es Ihnen?“ Er dachte: „Dieser Typ spricht für Wooderson vor?“ Ich setzte mich, sprach meine Rolle vor und ging wieder. Ricks Kommentar war nur: „Du bist nicht Wooderson.“ Ich antwortete: „Nein, aber ich weiß, wer er ist.“

Playboy: Sie bekamen die Rolle. Und während der Dreharbeiten starb Ihr Vater, stimmt das?
McConaughey: Am sechsten Tag. Ich bin wirklich dankbar, dass er noch den Anfang von dem mitbekam, was meine Filmkarriere werden sollte.

Playboy: Danach kamen „Texas Chainsaw Massacre: The Next Generation“, „Kaffee, Milch und Zucker“ und „Lone Star“, bevor Sie in „Die Jury“ an der Seite von Sandra Bullock zum nächsten Paul Newman ausgerufen wurden. Zwischen Ihnen beiden hat es ziemlich geknistert.
McConaughey: Nach „Die Jury“ waren wir eine Weile liiert und sind immer noch gute Freunde. Sie und ich würden gern eine andere Version unserer Beziehung auf die Leinwand bringen, und wir halten nach einem gemeinsamen Projekt Ausschau. Sie ist kein kleines Mädchen, sie ist eine Frau. Sie könnte ein Land regieren.

Playboy: Bevor Sie 2006 die gebürtige Brasilianerin Camila Alves kennenlernten und sechs Jahre später heirateten, führten Sie in Hollywood ein bewegtes Junggesellenleben. War es bei Ihrem Erfolg schwierig, eine Beziehung zu führen?
McConaughey: Es gab eine Zeit, in der ich mich gern treiben ließ – gesunde Single-Jahre. Ich hatte einen ziemlich guten siebten

Sinn und kam aus der Sache raus, ohne mit irgendwelchen Biestern zu schlafen, bei denen ich befürchten musste, dass sie in meiner Brieftasche herumschnüffeln, während ich unter der Dusche stehe. Als ich meine Frau das erste Mal sah, war ich in einem Club und mixte an meinem Tisch mit Freunden Margaritas. Sie kam herein in ihrem meerblauen Kleid, und ich dachte nur: „Wow, was ist das?“ Nicht: „Wer ist das?“ Anmut, Persönlichkeit, Ausstrahlung, Schönheit – woher kommt das? Was ist das? So eine Frau läuft einem nicht jeden Tag über den Weg. Ich war meiner Frau immer treu, aus purem Egoismus. Ich lasse mich gern von ihr verzaubern und habe nicht die Absicht, diesen Zauber zu zerstören.

Playboy: Wie fühlt es sich heute an, Matthew McConaughey zu sein?
McConaughey: Gute Frage. Ich begegne jedem Projekt – jedem Film, jedem Meeting – mit hohen Ansprüchen in der Frage, was ich wirklich will. In vielen Fällen werde ich meinem Anspruch nicht gerecht, aber oft kann ich auch sagen: „Okay, das war gar nicht schlecht.“ Es gibt immer noch Luft nach oben. Grenzen sind was von Menschen Gemachtes.

Titelbild: Getty Images