Di., 19.12.2017
Berater

Die Kunst, ein guter Gastgeber zu sein

Wer zu sich nach Hause einlädt, hat die ideale Bühne, um Frauen zu beeindrucken. Oder eine bestimmte Frau. Nur als Angeber darf er nicht rüberkommen. Also: Bitte kein Getue um Weinsorten und Starkoch-Gerichte!

In der kühleren Jahreszeit stehen manche Gäste fremd im Flur herum und wollen die Mäntel loswerden. Es ist die Aufgabe des Gastgebers, sie von dem Ballast zu befreien. Man kann die Mäntel auf einen Kleiderbügel hängen und sorgfältig in einer Garderobe verschwinden lassen. Ich rate davon ab.

Mag sein, dass solche Fürsorge bei Frauen ankommt, die schlechte Erfahrungen mit schlampigen Männern gemacht haben. Man wirkt dabei aber leicht wie ein Bekleidungsverkäufer. Lieber salopp, ohne lange zu fackeln, die Mäntel ins Nebenzimmer auf ein Sofa legen. Besser chaotisch rüberkommen als pedantisch.

Welchem Zweck dient die Einladung?

Ehe wir uns aber in Feinheiten verlieren, müssen die Grundfragen geklärt werden: Ist man als Gastgeber beweibt oder solo? Und: Wer ist überhaupt eingeladen, und welchem Zweck dient die Einladung? Enge Freunde lassen wir mal weg, da wird jedes Benehmen akzeptiert, deswegen ist man ja befreundet, die wissen selbst, wo sie die Mäntel hinwerfen können und wo der Wein steht.

Von lästigen Pflichteinladungen soll auch nicht die Rede sein, Chef plus Gattin oder Arbeitskollegen – mag wichtig sein, aber das prickelt zu wenig. Es muss schon eine Frau erwartet werden, die einem sehr gut gefällt, egal, ob sie eine arme Kirchenmaus ist, die mal satt werden will, oder ob sie einen irren Job hat, beruflich dauernd essen gehen muss und froh ist, nicht schon wieder in einem edlen Restaurant sitzen zu müssen.

Ist man solo, sollte man eine Frau nicht allein einladen

An der eigenen angenehmen Angespanntheit, die man schon länger nicht mehr verspürt hat, kann man das übers Normale hinausgehende Interesse für diese verdammt gut aussehende Person erkennen, die hoffentlich in wenigen Minuten klingeln wird. Ihre Zusage kam überraschend und ist ein erster Triumph. Nun will man sich im besten Licht zeigen.

Ist man solo, sollte man die Frau, für die man diese Empfindungen hegt, besser nicht allein einladen, egal, ob man friedlich geschieden ist oder Überzeugungssingle oder dramatisch verlassen oder ob die Ehefrau nur mal eben verreist ist und in dem Fall natürlich unbekannterweise grüßen lassen sollte.

Hat man dennoch leichtsinnig eine Einzeleinladung riskiert, darf die begehrte Person nicht das Gefühl beschleichen, in eine Falle gelockt worden zu sein. Also um Himmels willen kein trauter Kerzenkitsch, sondern im Gegenteil: alle Lichter hell an. Das heißt: Ich führe nichts im Schilde, und außerdem ist von mir kein abtörnendes Öko-Unken über Energievergeudung und Umweltbelastung zu erwarten.

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Man sollte zudem mit der richtigen Mischung aus Selbstironie und Glaubwürdigkeit versichern, dass man aus Anstandswauwau-Gründen zwei andere Gäste eingeladen habe, die aber abgesagt hätten. In jedem Fall gilt zum Glück wie auch vor Gericht die Unschuldsvermutung, das ist ja das Tolle. Die Einladung mag noch so verdächtig sein, Verführungsabsichten können nicht von vornherein unterstellt werden.

Jack Lemmon in Billy Wilders "Das Apartment" ist ein vorbildlicher Gastgeber und erobert mit seiner souveränen Nervosität am Rand der Tollpatschigkeit treffsicher das Herz von Shirley McLaine. Falls man es auch mit Spaghetti versuchen will, sollte man aber nicht das Nudelwasser durch die Saiten des Tennisschlägers abgießen. Ist zwar eine klasse Nummer, aber man will doch nicht als Kopie rüberkommen, sondern als Original.

Gleich zu Tisch und zur Sache

Seitdem sich im Fernsehen die Kochsendungen epidemisch ausgebreitet haben und die Kochbücher, obwohl sie immer riesiger und unhandlicher werden, trotzdem zu den Büchern gehören, die am meisten gekauft und gelesen werden, ist das stundenlange Studieren und tagelange Nachkochen von möglichst ausgefallenen Rezepten zu einer Volkskrankheit geworden.

Die Infizierten kommen sich bei der verbissenen Ausübung des neuen Massenhobbys kreativ, sinnlich und experimentierfreudig vor. Gäste haben heute daher allen Grund, einer Essenseinladung mit Angst und Schrecken entgegenzusehen.

Es besteht auch bei vernünftig wirkenden Gastgebern die Gefahr, dass Dinge auf den Tisch kommen, die sich ein perverser Erfolgskoch ausgedacht hat, der sich von den Wachstumsgesetzen zwingen lässt, ein weiteres Kochbuch zu schreiben, von dem neue Originalitäten erwartet werden, die wegen ihrer absurden Geschmackszusammenstellungen auch im gelungenen Zustand nicht munden können, von den höflichen Gästen aber brav gelobt werden.

Der pseudokulinarische Teufelskreis wird noch eine Weile bestehen bleiben.

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Bei diesem unsinnigen Sichüberbieten im Zubereiten möglichst raffinierter Gerichte sollte man keinesfalls mitmachen. Daher ist auch das ebenso üblich gewordene Anstoßen mit Prosecco zu vermeiden, von dem man später nur Kopfweh bekommt.

Überhaupt kein Rumgetue mit irgendwelchen Aperitifs, sondern gleich zu Tisch und zur Sache. Man ist gut beraten, süffigen offenen Wein in Karaffen hinzustellen und die Gäste aufzufordern, sich selbst nach Bedarf die Gläser zu füllen. Damit entfällt das kennerhafte Begaffen der Etiketten und das Schlauschwätzen über Traubensorten und Abgänge, das selbst als Satire nicht mehr erträglich ist.

Vernünftige Gäste werden diese Mode- und Wettbewerbsverweigerung zu schätzen wissen. Sollte ein Gast ein langes Gesicht machen, weil es keine verschnörkelten Vorspeisen gibt, denen man die dreistündige Entstehungszeit ansieht, hält man als guter Gastgeber einen kleinen geistreichen soziologischen Vortrag über den Unsinn des Mitmachens von Kochmoden und die Freuden der Wettbewerbsverweigerung. Das Gegen-den-Mainstream-Schwimmen wird kurzerhand zum sinnvollsten Sport erklärt.

Huldigungen sind charmant zu ersticken

Ist man solo, sollte man sich nicht von einer gut aussehenden Ex-Frau und irre gut aussehenden Töchtern aus ersten Ehen helfen lassen, mit denen manche Gastgeber demonstrieren wollen, was für Lebenskünstler sie sind und was für ein Pfundskerl, weil ihnen selbst die Verflossenen und die entrückten Kinder noch zur Hand gehen. Auf den intelligenten Gast wirkt das unglaubwürdig und übertrieben.

Lebt man allein, muss man eine Einladung auch allein durchziehen. Wenn man sich dabei nicht affig verkünstelt und überfordert, ist das ohne Assistenz machbar. Keinesfalls darf man sich loben lassen, auch wenn alles noch so gut schmeckt und klappt. Huldigungen sind charmant zu ersticken mit dem Hinweis, dass Männer ja schon bewundert werden, wenn sie ein Ei kochen und in einem Becher auf den Tisch stellen können und dass man schon von daher jeglichen Schmeicheleien misstraue.

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Das gilt natürlich auch für die klassische Einladung, die man als bürgerliches Paar bestreitet. Bloß nicht mustergültig Geschirr abräumen und damit ein Gespräch darüber auslösen, was für ein vorbildlicher Partner oder Ehemann man ist. Vor der tollen und scharf beobachtenden Person, die man eingeladen hat und der man natürlich imponieren will, kann man mit so viel Strebertum nicht punkten.

Noch schlimmer: die Männer, die zeigen wollen, dass sie nicht nur Geld verdienen und eine tolle zweite Ehe führen und mit ihren geschiedenen Frauen befreundet sein können. Die lassen dann beiläufig noch wohlgeratene und hilfreiche Kinder auftauchen, um zu demonstrieren, dass sie obendrein auch erziehen können. Und damit nicht genug – sie sind eben auch noch Kochmeister und haben heute glatte vier der fünf Gänge gezaubert.

Seien Sie kein peinlicher Streber – nur vor den Gästen einzuschlafen, ist noch unverzeihlicher

Und zwar angeblich nicht mit tagelanger Vorbereitung, sondern in den zwei Stunden nach Büroschluss. Tusch! Nur das etwas missratene Dessert stammt von der Gattin, die natürlich lauthals um ihren Supermann beneidet wird, der allerdings einen leichten Dachschaden hat, wenn er sich so in Szene setzt.

Die Frau, die er so toll findet und von der er toll gefunden werden will, lächelt ihn zwar an, aber in seiner eitlen Einfalt merkt er nicht, was dieses Lächeln heißt: Du nervst mich, peinlicher Streber! Nur vor seinen Gästen einzuschlafen ist unverzeihlicher.

Ist der Abend gelungen, zieht er sich bis tief in die Nacht oder in den Morgen, und allen ist es egal, dass sie bald wieder aufstehen und arbeiten müssen. Genau diese Unbekümmertheit ist der Beweis, dass es gut lief.

Es wurde eine Menge getrunken, bei eingeladenen Paaren beginnt das übliche Gefeilsche, wer noch fahrtüchtig ist. Die letzten U-Bahnen sind längst weg. Nicht alle sind scharf auf eine teure Taxifahrt. Hier kann man noch einmal zeigen, was man als Gastgeber draufhat, wenn man die Frau, mit der man sich am meisten unterhalten wollte und am wenigsten unterhalten hat, souverän vor ihre Haustür fährt.

 

Unser Autor Joseph von Westphalen, 66, ist Schriftsteller, Journalist und Jazz-Experte. Er lebt und arbeitet in München und gilt als Gegner jeder Form von Zeitgeisterscheinung. Bekannt wurde er unter anderem mit seiner Harry-von-Duckwitz-Romantrilogie.

Titelbild: Playboy Deutschland