Di., 07.05.2019
Lifestyle

"Es fährt ein Zug nach irgendwo" – Plädoyer zur Abwehr von Idioten

Unser Kolumnist hat nichts gegen die Deutsche Bahn. Nur gegen die Deutschen, die darin verbal entgleisen. Ein Plädoyer zur Abwehr von Idioten.

Ich fuhr neulich mit dem ICE. Halt, nein, noch nicht lachen! Das ist noch nicht die Pointe! Mein Wagon war wie Mel Gibson an guten Tagen, also nur zu einem Drittel voll, aber mit latent aggressiver Stimmung. Gleich am ersten Bahnhof stieg ein Mann ein und sagte zu mir: "Sie sitzen auf meinem Platz!"

Der Mann war noch weit vor Seniorenkarte und sah auch nicht so aus, als würde er zum ersten Mal seit langer Zeit aus seinem Dorf rauskommen. Er war weder alt noch überfordert. Er hatte in dem gähnend leeren Wagen halt einfach nur reserviert. Bruce Willis hätte ihm jetzt mit der aktuellen "Mobil", dem Kundenmagazin der Deutschen Bahn, die Milz perforiert, Paul Newman hätte ihn so lange angestarrt, bis er freiwillig den Rest der Reise in der verstopften Zugtoilette verbracht hätte, aber ich, als gutes deutsches Weichei, zog natürlich den Schwanz ein.

Re-ser-viert!

Der Mann hatte schließlich reserviert! Nein, er hatte re-ser-viert! Eine Reservierung ist in Deutschland so was wie der Antigravitationsgürtel von Buck Rogers. Sie verleiht dir Superkräfte beziehungsweise Superrechte. Ich murmelte zwar noch halbherzig: "Na, da haben Sie ja Glück, dass Sie sich jetzt nicht zwischen den anderen 390 freien Plätzen entscheiden müssen."

Aber ich räumte den Platz. Seinen Platz. Meine billige Rache war, mich unmittelbar vor ihn zu setzen, den Sitz so weit wie möglich nach hinten zu schieben und ausgiebig mit einer Brötchentüte zu rascheln. Ja, Leute, legt euch nicht mit mir an, denn ich habe eine leere Brötchentüte, mit der ich tödlich rascheln kann!

"Ey Plunze, sei dankbar, dass du nicht zu Fuß latschen musst!"

Kurz darauf wollte eine Frau zwei Reihen weiter vom Schaffner wissen, welchen Wein das Bordrestaurant führt. Der Schaffner antwortete wahrheitsgemäß mit "weißen und roten", und sie verstand die Welt nicht mehr. Sie erwartete offenbar für ihr Geld, dass die Bahn nicht nur mit 230 km/h durch die Gegend fährt, sondern selbstverständlich auch einen Sommelier beschäftigt, der im Weinkeller unter dem Kinderabteil etliche Jahrgänge Spätburgunder hortet.

Sie ließ den kompletten ICE an ihrer allumfassenden Verständnislosigkeit teilhaben, denn wer leise spricht, hat keine Argumente, und warum soll es Lautsprecher nur für Radios geben? Alle waren genervt, keiner sagte das, was gesagt werden musste, nämlich: "Ey, Plunze, sei dankbar, dass du nicht zu Fuß latschen musst! Das ist ein Zug, kein rollender Feinkostladen. Da draußen gibt es Milliarden Menschen mit echten Problemen. Also shut the fuck up!"

Ja, so was geht einfach besser auf Englisch. Sich raushalten geht auch prima auf Deutsch. Auch der Mann eine Reihe vor ihr, der hinter einem Roman versank, sagte nichts. Das Buch war von Sebastian Fitzek, und bei dem heißt es auf jeder Seite, "dann rammte ich dem Killer ein Knie in die Körpermitte und verhakte meinen Zeigefinger in seiner Augenhöhle". Aber hier: nichts. Keine Reaktion.

Das ist vermutlich der eigentliche Grund, warum bei uns jeden Tag im Fernsehen 90 Krimis laufen, jährlich 13 Tonnen Thriller gedruckt werden und auf Facebook jeder die Sau rauslässt: Im wahren Leben lassen wir uns stumpf alles gefallen. Alle sind völlig verweichlicht. Wir sind quasi wie die Yorkshire-Terrier, die insgeheim noch wissen, dass sie eigentlich vom Wolf abstammen, aber heute froh sind, wenn keiner auf sie drauftritt.

Irgendwann kommt sonst Björn Höcke mit einer Reservierung für Deutschland

Dies ist kein Aufruf zur Gewalt. Ich fürchte nur, wenn wir nicht mal bei pillepalle Gelegenheiten etwas Rückgrat zeigen und den Idioten Contra geben, dann kommt eines Tages einer wie Björn Höcke, zeigt uns eine Reservierung für Deutschland, während Frauke Petry lautstark reinen deutschen Wein will, und das ganze Land raschelt nur kollektiv mit der Brötchentüte. Ich will dann nicht hören, dass uns keiner gewarnt hat.