Mo., 01.07.2013
Interviews

Ryan Gosling: "Ich träume schon lange davon, Banken auszurauben"

Was sich an Ryan Gosling seit unserem letzten Interview 2013 verändert hat? Mit "Aufbruch zum Mond" und seinen zwei Kindern mit Schauspielkollegin Eva Mendes gelangen ihm Meisterwerke, für die wir ihn 2018 noch mehr bewundern. Heute feiert der Schauspieler seinen 39. Geburtstag – und wir lassen seine Antworten zu Gesichtstätowierungen und Rachegedanken und die Beichte seines Traums, einmal eine Bank zu überfallen Revue passieren. Film ab!

Es ist das Jahr 2013 – die Branche bombardiert Ryan Gosling mit Angeboten, Medien und Publikum reagieren auf den Kanadier mit hysterischer Begeisterung. Das mag an kultträchtigen Rollen wie in „Drive“ oder in „The Place Beyond the Pines“ liegen. Aber vielleicht auch an seinem Markenzeichen, diesem unnachahmlichen Blick: Er changiert zwischen leiser Melancholie, gelegentlicher Ironie, dann wieder verliert er sich im Unbestimmten - wie bei einem Menschen, der sich längst nicht mehr für Irdisches interessiert. Ryan Gosling hat sich etwas bewahrt, das einen wahren Filmstar ausmacht und das im Multimedia-Zeitalter beinahe ausgestorben scheint: Geheimnisse.

Playboy: Mr Gosling, sind Sie sich bewusst, dass Sie in der absoluten Champions League Hollywoods gelandet sind?

Gosling: Bin ich das? Solange keine Menschen auf den Straßen demonstrieren, dass ich einen Oscar kriegen soll, ist das nicht erwiesen. Ich gebe zu, ich bekomme mehr Chancen als früher. Es hat sich eine Tür aufgetan. Aber ich weiß nicht, in welcher Klasse von Schauspielern ich da sein soll. Mein Job jedenfalls hat sich überhaupt nicht verändert. Vielleicht ist der Rummel größer geworden, aber der ist mir egal.

Playboy: Das sagen doch alle Stars. Ist das nicht einfach so ein Lippenbekenntnis?

Gosling: Ich weiß genau, wovon ich spreche. Am Anfang meiner Karriere trat ich im „Mickey Mouse Club“ auf – und ich war viel schlechter als die anderen Kids. Später spielte ich in der Serie „Der junge Hercules“. Wegen dieser Vergangenheit ließ man mich für keine ernsthaften Rollen vorsprechen. Als mich Regisseur Henry Bean trotzdem für „Inside a Skinhead“ besetzte, wo ich einen Juden spielte, der Neonazi wird, war das das reinste Geschenkpaket. Ohne diese Rolle hätte ich keine Karriere gemacht, erst danach nahm man mich ernst. Aber ich bin wirklich froh, dass ich jetzt solche Rollen spielen kann – sie reflektieren mich so, wie ich im Alter von 32 Jahren denke und fühle.

Playboy: Sie scheinen Ihren Status richtig zu zelebrieren. Ihr neuer Film „The Place Beyond the Pines“ beginnt mit einer Einstellung Ihres muskelbepackten Oberkörpers.

Gosling: Als Schauspieler muss ich mich eben verändern können. Wie ich aussehe, hängt nur von der Rolle ab. Ich habe auch schon Filme gedreht, für die ich ordentlich draufspecken musste.

Playboy: Wie ist es mit den Tätowierungen, die Sie im Film tragen? Für die haben Sie auch im normalen Leben eine Schwäche ...

Gosling: Ich mag sie einfach, ohne sie würde mir etwas fehlen. Im Film trage ich alle Tätowierungen, die ich mir im Lauf meines Lebens zulegen wollte. Ich habe sie mir für den Tag aufgespart, an dem ich kein Schauspieler mehr bin, und in dieser Rolle habe ich testen können, wie das so aussieht. Ich habe zum Beispiel gemerkt, wie blödsinnig eine Gesichtstätowierung ist. Aber gleichzeitig hat mir das auch geholfen, meine Figur genauer zu verstehen.

Playboy: Wie gut können Sie sich in einen Mann hineinversetzen, der entdeckt, dass er einen unehelichen Sohn hat, und anfängt, für dessen Unterhalt Banken auszurauben?

Gosling: Ich habe keine Ahnung, wie ich auf Ersteres reagieren würde, irgendwann werde ich wohl Kinder haben, mehr Gedanken habe ich momentan nicht zu dem Thema. Was das Zweite angeht – das mit dem Bankenausrauben könnte ich mir gut vorstellen. Davon träume ich schon lange.

Ich habe gemerkt, wie blödsinnig eine Gesichtstätowierung ist."" Ryan Gosling
Credit: StudioCanal Deutschland

Playboy: Warum tun Sie’s dann nicht?

Gosling: Weil ich mich vor dem Gefängnis fürchte. Wenn die Gefahr nicht bestünde, würde ich es sofort tun. Ich habe mir auch schon ausgemalt, wie ich das machen würde: Ich würde als Fluchtfahrzeug ein Motorrad nehmen, denn nach dem Überfall könnte ich damit in einen Lieferwagen fahren, und weil alle nach einem Motorrad suchen, würde ich davonkommen. Ich habe mittlerweile auch herausgefunden, dass ein Israeli das so gemacht hat. 50 Überfälle hat er auf diese Weise durchgezogen.

Playboy: Genauso machen Sie’s ja auch in „The Place Beyond the Pines“ ...

Gosling: Das Verrückte war – ich habe Regisseur Derek Cianfrance von meiner Fantasie erzählt, und er meinte: „Genau dazu habe ich ein Drehbuch geschrieben.“ Ich wollte sofort mitmachen – ohne zu ahnen, dass ich in der Geschichte schon bald über die Klinge springen muss.

Playboy: Wie hat es sich angefühlt, eine Bank auszurauben?

Gosling: Es war anstrengend. Wir nahmen die echten Angestellten als Statisten, aber die lächelten mich die ganze Zeit an, während ich das Ganze so real und ehrlich wie möglich machen wollte. Also durfte ich die Einstellung über 20-mal wiederholen und sie anbrüllen, damit sie ein bisschen Angst bekamen. Vorher musste ich in einer einzigen Einstellung durch den Verkehr fahren und 36 Autos ausweichen; praktisch jedes Mal bin ich haarscharf einem Zusammenstoß entgangen.

Playboy: Ist das Ihre schauspielerische Methode: das eigene Leben riskieren?

Gosling: Die wirklich coolen Stunts durfte ich gar nicht machen. Wenn du mit dem Motorrad in einer Eisenkugel fahren willst, wie in der Szene auf dem Jahrmarkt, dann musst du erst mal zweieinhalb Jahre trainieren. Abgesehen davon hätte die Versicherung was dagegen gehabt. Aber es geht darum, den Film so zu erleben wie die Charaktere. Das liebe ich an der Arbeit mit Derek Cianfrance: Bei ihm spielst du nicht einfach, du steckst mittendrin, als wäre es das wahre Leben. In der Szene, als mein Sohn getauft wird, war ich völlig überwältigt. Ich musste die ganze Zeit darüber nachdenken, wie du dein Leben verschwenden kannst und deine falschen Entscheidungen sich auf dieses unschuldige, reine Wesen übertragen und seine Existenz beflecken.

Playboy: Haben Sie solche wilden Gedankengänge auch bei Ihren normalen Hollywood-Filmen wie „Gangster Squad“ oder „Crazy, Stupid, Love“?
Gosling: Nein, normalerweise läuft die Arbeit ziemlich standardmäßig ab. Da hast du eine feste Struktur: Du probst, du triffst deine Markierungen; erst drehst du eine Totale, dann immer nähere Einstellungen bis zur Nahaufnahme, und wenn es allen gefällt, gehst du wieder und wartest bis zur nächsten Szene. Davon als Schauspieler abzuweichen ist praktisch unmöglich.

Playboy: Wollen Sie jetzt nur noch möglichst seriöse Filme drehen?

Gosling: Ich weiß es nicht. Die übliche Hollywood-Schmonzette ist immer greifbar nahe!

Playboy: Zumindest scheinen Sie eine Affinität zu Projekten zu haben, bei denen Sie hinter dem Steuer sitzen. In „Drive“ waren Sie ein Stuntfahrer, in „The Place Beyond the Pines“ sind Sie Motorrad-Artist.

Gosling: Die beiden Filme lassen sich schwer miteinander vergleichen – der eine ist wie ein Pop-Song, der andere wie von Bruce Springsteen. Aber ich gebe zu, ich liebe es zu fahren. Zum Beispiel den 73er-Chevy Malibu, den ich von „Drive“ behalten habe. Wobei ich mich mit Autos überhaupt nicht auskenne. Mir geht es ums Fahren an sich. Wenn ich irgendwo in den USA drehe, dann nehme ich nicht das Flugzeug, sondern das Auto oder das Motorrad. Einmal bin ich mit einem Freund von Los Angeles nach New Orleans hin- und zurückgefahren, jeweils über 3000 Kilometer. Auf dem Hinweg nahm ich das Auto, er das Motorrad – und dann haben wir gewechselt. Ich liebe es auch, einfach so in Los Angeles herumzukurven. Ich lasse das Fenster runter, höre Musik, rieche den Jasminduft. Vor allem nachts ist das was ganz Besonderes. Ich bin da wie unter einem Zauberbann, manchmal weiß ich gar nicht, welche Strecke ich überhaupt gefahren bin, auf einmal bin ich wieder zu Hause – das ist bisschen Furcht einflößend.

Playboy: Und wer sitzt bei solchen Fahrten auf dem Beifahrersitz? Ihre Freundin Eva Mendes?
Gosling: Nein, nur mein Hund. Der ist das Wesen, das mich überallhin begleitet.

Playboy: Wollen Sie bei Ihren Trips keine Frauen bei sich haben?
Gosling: Ich habe ständig Frauen um mich. Ich wuchs mit meiner Mutter und meiner Schwester auf, ich habe eine Agentin, eine Managerin und eine PR-Betreuerin. Ich brauche sie. Sie sind die Besten überhaupt.

Playboy: Haben Sie als Fahr-Fan schon die deutschen Autobahnen ohne Geschwindigkeitslimit getestet?
Gosling: Nein, ich war bei euch nur auf dem Fahrrad unterwegs. Aber ich muss das unbedingt nachholen.

Playboy: Welcher Ihrer Trips hat Sie denn am meisten beeindruckt?

Gosling: Das war in Afrika – aber ohne Auto. Ich unterstütze das „Enough Project“, das im Sudan und im Kongo Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekämpft. Damit war ich insgesamt dreimal vor Ort – im Kongo in Flüchtlingscamps und an der Grenze zwischen dem Tschad und Darfur. In Uganda besuchte ich ein Rehabilitationszentrum für Kindersoldaten. Das waren Erfahrungen, die mich regelrecht süchtig gemacht haben.

Playboy: Von so viel Tragödie wird man süchtig?
Gosling: Von der Energie der Menschen. Es gibt dort zwar unglaubliche Dramen, aber die Leute sind von einer großen Energie erfüllt. Und so voller Güte – ihre Herzen müssen sich regelrecht ausgedehnt haben. Du bist enttäuscht, weil du findest, sie sollten sich für die ganze Gewalt, die ihnen angetan wurden, rächen. Aber sie haben genug von Brutalität. Sie wissen, dass sie alle nur das Opfer übermächtiger Umstände sind. Ich habe Jungen getroffen, die sich ein Stockbett teilten – der eine hat die Mutter des anderen getötet, und trotzdem waren sie Freunde. Wir im Westen dagegen werden so vom Gedanken an Rache getrieben, dass sich eine solche Einstellung fast außerirdisch anfühlt. Ich wäre nicht dazu im Stande. Aber wenn du wieder nach Hause fährst, bist du von so etwas richtig inspiriert.

Titelbild: Carlos Alvarez