Mi., 24.06.2020
Interviews

Lernen von den Schlauen, Folge 4

Der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman über Glück und Geld – und warum das eine mit dem anderen nur wenig zu tun hat, wie schnell die Lust an Sportwagen und Luxusvillen vergeht und wie man sich wahre Zufriedenheit verschafft.

Interview Philip Wolff

Bereits in den 80ern zeigte der israelisch-amerikanische Psychologe, warum Menschen nie so ökonomisch rationale Entscheidungen
treffen, wie wirtschaftswissenschaftliche Theorien es beschreiben. 2002 erhielt er dafür den Wirtschaftsnobelpreis. Seither erforscht er, warum Menschen mit falschen Erwartungen ihrem eigenen Glück im Weg stehen. Dazu erkundete er, unter anderem mit Hilfe von Tagebüchern und Glücksskalen, wie sie ihre Zeit verbringen und wie glücklich sie dabei sind.

PLAYBOY: Herr Kahneman, wie glücklich sind Sie selbst im Moment auf einer Skala von null bis zehn?

Kahneman: Nicht sehr glücklich, denn ich spreche nicht gern öffentlich über persönliche Dinge.

PLAYBOY: Das ist eine Schattenseite Ihres Erfolgs. Viele wollen Sie kennen lernen.

Kahneman: Wir werden uns jetzt aber bitte nicht weiter über mich unterhalten.

PLAYBOY: Auch gut, denn Ihr Unbehagen bestätigt eine Ihrer zentralen Thesen: dass der Mensch die Schattenseiten des Erfolgs unterschätzt, wenn er Karriere macht und reich oder berühmt werden will. Richtig?

Kahneman: Ja, Menschen übersehen generell die negativen Folgen, wenn sie an die Gestaltung ihrer Zukunft denken, und zwar deshalb, weil sie sich dabei auf positive Veränderungen konzentrieren.

PLAYBOY: Gilt das auch umgekehrt für trübe Aussichten auf eine Zukunft, die dann gar nicht so trüb wird wie erwartet?

Kahneman: Für beides. Menschen unterschätzen die Schattenseiten, wenn sie an den Erfolg denken, und sie überschätzen sie, wenn sie an ein mögliches Unglück denken. Es kommt immer darauf an, worauf man sich gerade konzentriert, wenn man an die Zukunft denkt.

PLAYBOY: Und deshalb kommt es meistens anders, als man denkt?

Kahneman: Genau, denn ist man einmal wirklich krank oder hat tatsächlich Ruhm und Reichtum erlangt, dann hat das nach kurzer Zeit gar nicht mehr die erwartete Bedeutung. Man denkt nicht permanent: Es geht mir ja so schlecht! Oder: Es geht mir ja so prima! Das ist nur kurz nach einer Veränderung im Leben so, aber nicht für lange Zeit.

PLAYBOY: Es tritt also ein Gewöhnungseffekt ein?

Kahneman: Es ist so: Stellen Sie sich einmal vor, Sie verlören ein Bein. Im Moment der Vorstellung ist das entsetzlich, weil Sie sich darauf konzentrieren. Aber wenn Sie tatsächlich ein Bein verlieren, akzeptieren Sie es und hören auf, ständig daran zu denken. So ähnlich ist es auch mit Reichtum. Irgendwann ist das prächtige Haus mit Garten der Normalzustand, und das Glück ist wieder so groß wie vorher, als man noch ärmer war.

PLAYBOY: Und man kann sich das Glück der ersten Momente im Reichtum nicht erhalten?

Kahneman: Nein, denn man müsste sich dauernd darauf konzentrieren. Glück erlebt man in Momenten, in denen man seine Aufmerksamkeit auf etwas Angenehmes richtet. Das gilt ebenso für das Unglück: Viele kleine Missgeschicke pro Woche sorgen dafür, dass man ständig an Missgeschicke denken muss. Man ist unglücklich.

PLAYBOY: Was überschätzen Menschen denn häufiger: künftiges Glück oder künftiges Unglück?

Kahneman: Das Glück, ganz klar. Das liegt daran, dass man für gewöhnlich glaubt, Kontrolle über sein Leben zu haben. Menschen machen sich vor allem in Bezug auf ihr Lebensglück Illusionen.

PLAYBOY: Auch wenn es nur Illusionen sind: Könnte man denn glücklich sein, ohne Zukunftspläne zu schmieden?

Kahneman: Es kommt darauf an, von welchem Glück wir sprechen. Vom Glücksgefühl, das man im Moment erlebt, oder von der Einschätzung, ob man insgesamt mit seinem Leben zufrieden ist. Allgemeine Vorstellungen, das Planen und das Erreichen von Zielen, bestimmen stärker darüber, ob Menschen mit ihrem Leben insgesamt zufrieden sind. Das hat aber nichts damit zu tun, ob jemand tatsächlich viele glückliche Momente erlebt.

PLAYBOY: Ein Beispiel, bitte.

Kahneman: Nehmen wir verheiratete und geschiedene Frauen. Letztere sind häufiger gut gelaunt, denn sie gehen seltener Tätigkeiten nach, die sie unangenehm finden. Demnach haben geschiedene Frauen mehr Glücksmomente. Dennoch bewerten verheiratete Frauen in Umfragen ihre generelle Lebenszufriedenheit höher.

PLAYBOY: Und was sagt das aus?

Kahneman: Es zeigt uns: Die Lebenszufriedenheit erhöht sich, wenn man Pläne hat und sie erfüllt, wenn man Ziele erreicht. Und die sind, wie die Ehe, gesellschaftlich definiert. Aber auch Kinder großzuziehen, beruflicher Erfolg und gesteigerter Lebensstandard sind auf diese Weise definiert. Nur verschaffen einem solche Ziele, das Eheleben, das Kindererziehen, der Erfolg generell, nicht mehr Glücksmomente.

PLAYBOY: Demnach macht Reichtum ein wenig zufriedener, aber nicht glücklicher?

Kahneman: Genau. Es ist die wohl am weitesten verbreitete Illusion zu glauben, man lebte in dauerndem Glück, wenn man reich ist. Zwar beurteilen viele Reiche ihr Leben insgesamt als sehr zufriedenstellend, wenn man sie danach fragt. Aber tatsächlich dominieren Momente schlechter Stimmung ihren Alltag: Sie nehmen mehr Arbeit und weitere Wege in Kauf. Und sie haben weniger Zeit für Dinge, die ihnen persönlich Spaß machen.

PLAYBOY: Inwieweit beeinflussen denn Persönlichkeit und Charakter die Möglichkeit, glücklich und zufrieden zu leben?

Kahneman: Menschen sind in unterschiedlichem Maß genetisch darauf programmiert, mehr oder weniger glücklich zu sein. Nur eines ist allen gleich: Zufrieden mit sich ist der Mensch nur, wenn er mehr erreicht als andere. Die Gründe dafür sind biologisch, sie liegen in unserer Natur. Wir können es schon bei Affen sehen: Wenn ein Affe weniger bekommt als ein anderer, kann er ziemlich sauer werden. Das ist auch ein Grund, warum Reichtum und Wohlstand nicht unbedingt zufriedener machen.

PLAYBOY: Weil es in der Regel immer einen gibt, der mehr besitzt als man selbst?

Kahneman: So ähnlich. Schauen wir einmal nach China: Dort hat sich der Lebensstandard in den vergangenen Jahren rasant erhöht, aber die Zufriedenheit der Menschen, selbst die Zufriedenheit mit materiellen Gütern, hat sich nicht erhöht. Woran das liegt? Wenn alle Menschen um dich herum mehr Besitztum anhäufen, nimmst du den eigenen Fortschritt kaum wahr, du kannst nicht mehr der Beste sein, und deine Zufriedenheit nimmt nicht zu. Nur wer sich neue Werte sucht, etwa in Religionen, kann sich davon befreien und seine emotionalen Reaktionen ändern.

PLAYBOY: Sind religiöse Menschen denn zufriedener?

Kahneman: Religion hilft. Aber wir wissen nicht, auf welche Weise. Wahrscheinlich, weil sie Menschen zusammenbringt, die ähnlich denken und glauben.

PLAYBOY: Das heißt, man kann keinen allgemeinen Ratschlag geben, wie sich Glück und Zufriedenheit steigern lassen?

Kahneman: Doch, das kann man, und soziale Erfahrungen wie das Treffen mit Freunden sind ein gutes Beispiel. Wer sein Glück vergrößern möchte, sollte sich mehr Momente verschaffen, in denen er auf etwas Schönes konzentriert ist. Mit Freunden zusammenzusitzen fordert Konzentration – oder auch seine Enkelkinder zu sehen. Man kann sich nicht daran gewöhnen. Jeder Moment ist neu. Ich kann mir zwar ein tolles neues Auto kaufen, aber ich kann mich nicht über lange Zeit darauf konzentrieren, dass ich mit einem tollen Auto herumfahre, und denke am Steuer an etwas anderes, an meine Arbeit oder an den Haushalt. Wenn man mit den Enkelkindern zusammen ist, kann man nur schwerlich an etwas anderes denken.

PLAYBOY: So wie es umgekehrt unglücklich macht, wenn ständig neue kleine Pannen passieren?

Kahneman: Genau. Für das Glück gilt dasselbe wie für die vielen kleinen Missgeschicke, die einen unglücklicher machen als ein großer Schicksalsschlag. Man sollte sein Geld also nicht für eine große Sache ausgeben, für ein teures Auto, eine Villa, sondern es in viele kleine Dinge investieren, die einen froh machen: Fahr in den Urlaub, verschenk Blumen, feiere Partys! Vielleicht wissen die Leute tatsächlich einfach nicht, wie sie mit ihrem Geld umgehen müssten, um glücklicher zu sein.

PLAYBOY: Gab es ein Erlebnis, das Sie dazu gebracht hat, so genau über das Glück nachzudenken?

Kahneman: Ich habe jahrzehntelang das Entscheidungsverhalten von Menschen studiert und musste immer wieder feststellen, dass ich selbst sehr schlecht darin bin, meine eigenen künftigen Erfahrungen vorherzusagen. Auch ich mache mir da Illusionen. Das hat mir zu denken gegeben – etwa diese Diskussion mit meiner Frau, als sie einmal ganz scheußliche Vorhänge für unsere Fenster kaufen wollte. Ich sagte ihr, dass ich die Dinger hasse, habe dann aber klein beigegeben. Und als wir nach ein paar Jahren umzogen, musste ich mir eingestehen, dass ich die Vorhänge sehr vermisse. In Amerika lässt man die Vorhänge zurück, wenn man aus einem Haus auszieht.

PLAYBOY: Jetzt haben Sie doch noch eine persönliche Frage beantwortet in diesem Gespräch.

Kahneman: Offenbar mag man alles irgendwann, woran man sich gewöhnt hat. Diese Vorhänge habe ich jedenfalls sehr vermisst. Das war seltsam.

Titelbild: Playboy Deutschland