Mi., 28.08.2019
Reportagen

Smokejumpers: Männer, die ins Feuer springen

Sie werfen sich an Fallschirmen ins Inferno und verhindern mit Äxten, Expertise und Muskelkraft Waldbrand-Katastrophen. Wir begleiteten die US-Elite-Einheit der Smokejumper beim Training.

Der Flugplatz ist kaum mehr als eine asphaltierte Piste. Ein dunkler Strich am Rande des 400-Seelen-Nestes Winthrop, Bundesstaat Washington, hoch oben im Nordwesten der USA. In der Ferne sind die felsige Hänge einer Bergkette zu sehen, davor bläht ein warmer Sommerwind die US-Flagge über der kleinen Kommandozentrale der North Cascades Smokejumper Base. Doch für diesen Postkarten-Moment haben Stephen Pofelski und die anderen Männer keinen Blick. In schweren sandfarbenen Overalls, Fallschirme auf den Rücken, Helme in den Händen, stehen sie auf der Startbahn und kontrollieren gegenseitig ihre Ausrüstung. Nochmals. Denn der letzte Check könnte ihr Leben retten.

„Rucksack?“ – „Ready!“ – „Schnallen?“ – „Ready!“ – „Gurt?“ – „Gesichert!“ Ein letztes Klicken der Karabiner, dann klettern Pofelski und die anderen Männer wankend unter der Last ihrer Ausrüstung in eine zweimotorige Turboprop-Maschine. In einer halben Stunde werden sie sich von dort aus in die Leere stürzen.

Credit: Playboy Deutschland

Stephen Pofelski, 32 Jahre alt, feuerroter Vollbart, gehört zu einer Elite-Einheit namens Smokejumper. Er ist einer von etwa 450 Männern und Frauen, die aus den besten Feuerwehrleuten des Landes ausgewählt und in einem harten Trainingsprogramm aus gebildet wurden. Ihr Job: in schwer zugänglichen Gebieten Waldbrände bekämpfen, bevor diese zu Waldbrandkatastrophen werden. Dazu müssen sie so schnell wie möglich an die Brandherde.

 

Deshalb springen sie Richtung Feuer. Aus dem Flugzeug. Per Fallschirm. Im Bauch der rot-weiß gestrichenen Casa 212 nehmen Pofelski und die anderen Männer Platz auf harten Sitzschalen aus Plastik. Die Maschine ist schmal gebaut, mit verkürztem Heck. „Fliegender Schuhkarton“ nennen die Smokejumper sie. Dabei ist sie in Wahrheit eine Art Rettungswagen der Lüfte. Mit konzentrierten Mienen hören sie, wie ihr Flug „Jump 09“ per knarzenden Funk die Starterlaubnis erhält. Kurz darauf hebt sich die Maschine in einen königsblauen Himmel.

 

Pofelski mit Pulaski-Axt

 

Credit: Playboy Deutschland

Der Sprung, den Pofelski und seine Kollegen an diesem Tag absolvieren, ist eine Übung. Bevor sie zu Beginn des Sommers wieder zu ihren ersten Einsätzen rausmüssen, trainieren sie intensiv all die Fähigkeiten, von denen im Einsatz ihr Leben abhängen wird: präzise Sprünge, präzise Landungen, das Abseilen aus Baumkronen. Daran, körperlich in perfekter Verfassung zu sein, arbeiten sie schon länger. Das müssen sie auch. Denn ihr Kampf gegen die Flammen ist pure Handarbeit.

 

Wasser oder Schaum zum Löschen haben Smokejumper nicht dabei, wenn sie von einer der insgesamt neun Basen im Westen der USA starten und über den Bergen Montanas, den Weiten Alaskas oder, wie hier in Washington, über tiefgrünen Wäldern und Berghängen aus dem Flugzeug springen. Auf dem Boden warten nur Bäume, steile Hänge, schroffe Felsen, Wildtiere, Sümpfe oder dichtes Gebüsch und Giftefeu. Und natürlich das Feuer. Manchmal hören sie es schon, bevor sie es sehen, sagt Pofelski. Wie ein Lagerfeuer klinge es, nur tausendmal lauter, bisweilen wie ein vorbeirauschender Frachtzug. „Du hörst das Knacken und Fauchen und spürst die Hitze. Manchmal sehen wir das Feuer vor lauter Grün gar nicht. Aber dahinter warten die Flammen.“

 

Einige Tage vor dem Übungssprung aus dem fliegenden Schuhkarton steht Pofelski vor einem Hangar, aus dem es stinkt wie aus einem schlecht gelüfteten Campingzelt – der Muff der Fallschirmseide –, und hält ein seltsames Werkzeug in der Hand: eine sogenannte Pulaski. Die Kreuzung aus Axt und Querbeil – vertikale Klinge auf der Vorder-, horizontale Klinge auf der Rückseite des Werkzeugkopfs – ist eine der wichtigsten Waffen der Smokejumper, wenn sie draußen im Gelände sind.

 

 

Credit: Playboy Deutschland

Hinzu kommen zum Beispiel die McLeod, eine Hacke mit robuster Harke am anderen Ende, sowie Klappspaten und Motorsäge: Hilfsmittel, die ihnen in Kartons zusammen mit Verpflegung aus dem Flugzeug nachgeworfen werden. Pofelski hat früher als Rettungssanitäter und mehrere Jahre als Feuerwehrmann auf Löschwagen gearbeitet.

 

Nun beginnt seine zweite Saison als Smokejumper. Er ist kein Anfänger, kein Rookie mehr, aber auch noch kein alter Hase mit Hunderten von Sprüngen in den Knochen. 18 Jahre ist das Mindestalter, um sich bei den Smokejumpern zu bewerben. Doch so gut wie alle haben bereits Erfahrung im Feuerwehr- oder Sanitätsdienst – oder als sogenannte Hotshots: Elite-Wald- und Flurbrand-Bekämpfer, die am Boden statt durch die Luft an ihre Einsatzorte gelangen. Wer einmal bei den Springern gelandet ist, bleibt meist jahrelang dabei.

 

„Manche springen noch mit 58 Jahren, entscheidend ist allein die Fitness“, sagt Pofelski, der selbst so durchtrainiert ist, dass die Adern seines Bizeps bleistiftdick unter dem T-Shirt hervortreten. Wie jeder Smokejumper hat auch er sich durch das fünfwöchige Trainingsprogramm für Neulinge gequält. Wer ist topfit, wer handelt strukturiert und entschlossen, wer behält auch in lebensgefährlichen Situationen die Nerven? Das ist es, was die Ausbilder herausfinden wollen.

 

Wer bestimmte Vorgaben nicht schafft oder die Ausbilder nicht überzeugt, ist raus. Der Standard-Fitness-Test zu Beginn des ersten Trainingstags: sieben Klimmzüge, 25 Liegestütze und 45 Sit-ups hintereinander, dann ein 2,4-Kilometer-Lauf in unter elf Minuten und ein 4,8-Kilometer-Marsch mit 55 Kilo Gepäck in weniger als 90 Minuten. Keine zweiten Versuche. Nur wer das durchsteht, darf bleiben – und dann beginnt das Training erst so richtig. Ausdauer, Theorie, Sprungübungen vom Turm, schließlich die ersten Fallschirm sprünge: 20 Stück absolviert jeder Anwärter in der Ausbildung – sie werden gefilmt und präzise analysiert.

 

 

Credit: Playboy Deutschland

Die etwa 30 ausgebildeten Smokejumper in Winthrop bekämpften in den vergangenen Jahren jeweils etwa 20 bis 30 Brände pro Saison. Ihr Haupteinsatzgebiet, der Wenatchee National Forest, besteht aus mehr als 16 000 Quadratkilometer Wald. Eine Fläche, annähernd so groß wie Slowenien. Und so gut wie überall könnte dort der nächste Brand ausbrechen.

 

„Angst habe ich nicht bei den Einsätzen“, sagt Pofelski, „aber großen Respekt, jedes Feuer ist anders.“ Erklingt das Alarmsignal auf der Basis, haben die Smokejumper zwei Minuten Zeit, um in ihre Schutzanzüge zu steigen und ihr Material zu packen. 15 Minuten nachdem der Notruf reinkam, das ist die Zeitvorgabe, sollen sie bereits in der Luft sein und Richtung Brandherd fliegen. Den genauen Einsatzplan entwerfen sie, wenn sie per Fallschirm gelandet sind und die Lage sondieren.

 

 

Credit: Playboy Deutschland

Pofelski spricht von Taktik, einem „Game Plan“ wie bei einem Football-Spiel. Die grundlegende Idee: Sie wollen das Feuer umzingeln und ihm an den Rändern die Nahrung nehmen, sodass es sich nicht weiter ausbreiten kann. Dazu schlagen sie Schneisen um das Feuer, sägen Büsche und Bäume ab, heben flache Gräben aus, um auch brennbares Gras und Blätter zu entfernen.

 

Von der „Ferse“ des Feuers – dem hinteren, am langsamsten brennenden Teil – arbeiten sie sich dabei an den Flanken entlang, bis sie zum „Kopf“ gelangen, wo das Feuer die höchsten Flammen hat und sich am schnellsten ausbreitet. So weit die Theorie.

 

Doch wie ein Feuer sich verhält, ist nur zum Teil berechenbar. Es kann bergauf und bergab brennen, es kann springen, manchmal über Schluchten, und schneller laufen als ein Pferd. Manche Feuer lösen regelrechte Flammentornados aus, in denen es so heiß wird, dass Sand zu Glas schmilzt und alles, was lebt, in Sekundenbruchteilen zu Asche verbrennt. Und dann wäre da noch der unberechenbarste Faktor von allen: der Wind.

 

„Wenn er dreht, können die Flammen plötzlich auf dich zurasen, eine kleine Rauchsäule wird in Sekunden zu einer Feuerwand, und die heiße Luft lässt deine Luftröhre anschwellen, bis du erstickst“, sagt Pofelski.

 

 

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Im Hangar der Basis in Winthrop hängen Fotos der größten und gefährlichsten Feuer, die die Jumper in den vergangenen Jahrzehnten bekämpfen mussten. Daneben eine Gedenktafel für im Einsatz umgekommene Männer. Laut der National Smokejumpers Association ließen landesweit 32 Springer ihr Leben, seit 1940 der erste Smokejumper über einem brennen den Waldstück absprang.

 

Es war eine Katastrophe, die zur Gründung der Einheit führte: Im August 1937 löste ein Blitz unweit des Yellowstone-Nationalparks ein Feuer aus, das sich, unbemerkt von Spähern, die schon damals von Aussichtstürmen Ausschau nach Rauchsäulen hielten, durch das abgelegene Gebiet fraß und immer stärker anwuchs. Als es sechs Tage nach dem Blitzeinschlag gelöscht war, hatte es sieben Quadratkilometer Wald eingeäschert – und 15 Feuerwehrmänner getötet.

 

 

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Die Verantwortlichen fragten sich, wie Hilfe schneller zur Stelle sein könnte, um solche Brände möglichst schon im Keim zu ersticken. Ein Mann namens David Godwin, damals Vizechef der US Forest Service Division of Fire Control schlug vor, Fallschirmspringer einzusetzen. Seine Vorgesetzten fanden die Idee irre. Godwin nicht.

 

In einem Holzfällerkaff namens Winthrop ließ er zuerst Dummies an Fallschirmen aus Flugzeugen werfen. Dann sprangen Freiwillige. Die Smokejumper waren geboren. Heute, fast 80 Jahre später, kämpfen die Männer der Einheit gegen Brände, die manchmal von Spähtürmen aus, meist aber per Satelliten- und Luftüberwachung entdeckt werden.

 

Doch ihr Job ist so anstrengend wie damals und noch immer höchst gefährlich. Entsprechend akribisch trainieren sie dafür. Ein paar Meter hinter dem Hangar befindet sich das Übungsgelände der Smokejumper.

 

 

Credit: Playboy Deutschland
Credit: Playboy Deutschland

Pofelski hat sich seinen Sprunganzug angezogen, einen Fallschirmrucksack auf den Rücken geschnallt und einen vergitterten Helm aufgesetzt, der ihn aussehen lässt wie einen Eishockey-Torwart. Er steht auf der obersten Plattform eines etwa 15 Meter hohen Sprungturms. Vor ihm hängt ein fingerdickes Stahlseil, das in steilem Winkel in die Tiefe führt. Mit Karabinern und Metallschnallen befestigt Pofelski seinen Rucksack daran.

 

Gleich wird er sich von der Plattform aus hinabstürzen, um den Absprung aus einem Flugzeug zu simulieren, und er erinnert sich: Immer auf den Horizont gucken, nie nach unten, und weit nach vorn springen, sonst plumpst du wie ein Stein aus dem Turm und damit aus der Flugzeugluke, und der Fallschirm kann sich verdrehen. „Are you ready?“, fragt ein Trainer. Dann springt Pofelski.

 

Er erlebt einen kurzen Moment freien Falls, dann das plötzliche heftige Reißen an seinem Rucksack, das das Öffnen des Fallschirms simuliert. Schließlich rauscht er in die Tiefe, landet auf einem Sandberg und rollt sich wie ein Judokämpfer ab.

 

Auf Sandbergen kommen Smokejumper im Einsatz eher selten an. Mit ihren weißen FS-14-Rundfallschirmen und einem Falltempo von drei Metern pro Sekunde landen sie meist auf unwegsamem Gelände – und bisweilen in Baumkronen.

 

 

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Deshalb sind ihre Helme vergittert und ihre Sprunganzüge aus so reiß- wie hitzefesten Aramidfasern gefertigt. Darunter tragen sie Knie-, Ellbogen- und Rückenprotektoren sowie feuerfeste Unterwäsche. In den Anzugtaschen befinden sich unter anderem Kompass, GPS, Funkgerät und Seil. Es ist eine Art Ritterrüstung, mit der sie vom Himmel springen – allerdings handgenäht und gewichtsoptimiert. Jedes Gramm ihrer Ausrüstung wurde von Generationen von Smokejumpern auf seine Nützlichkeit geprüft und optimiert. Und jeder Anzug, in dem ein Smokejumper vom Himmel schwebt, wurde von ihm persönlich maßgeschneidert. An der Nähmaschine zu sitzen, um die eigene Ausrüstung anzufertigen und zu reparieren, gehört für Smokejumper zum Alltag.

 

Der Rest besteht aus Einsätzen, Training und Erholung in den Baracken, in denen sie untergebracht sind: zwei Doppelbetten pro Zimmer, wenig Platz, stickige Luft. So leben sie monatelang – und immer länger. Denn die Feuersaison dehnt sich dank des Klimawandels auf immer größere Zeiträume aus.

 

Und auch die Zahl der Waldbrände steigt. In den 90ern waren es laut der Wissenschaftlervereinigung Union of Concerned Scientists im Westen der USA durchschnittlich 160, von 2000 bis 2012 bereits rund 250 pro Jahr. 2018 erlebte Kalifornien die zerstörerischste und tödlichste Waldbrandsaison in der Geschichte des Staates. Und auch in vielen anderen Teilen der Welt – Griechenland, Schweden, auch Deutschland – führte die Rekordhitze im Sommer 2018 zu Waldbränden außergewöhnlichen Ausmaßes.

 

Für Männer wie Pofelski bedeutet diese Entwicklung: noch mehr und noch intensivere Arbeit. Und das bei einem Gehalt von anfänglich gerade mal etwa 16 Dollar pro Stunde plus Gefahrenzulage und Überstunden.

 

Warum sie den Job trotzdem so gerne machen? Pofelski nennt viele Gründe: die flachen Hierarchien, der Kick des Fallschirmspringens, das Ansehen, das Smokejumper genießen – unter US-Feuerwehrleuten gelten sie als die Besten.

 

Und dann ist da noch das Gefühl, wenn er nach einem Einsatz zum vereinbarten Abholort marschiert. Manchmal tagelang, mit schwerer Ausrüstung. Doch er schwärmt davon. Die unberührte Natur, die Freiheit, die Gewissheit, eine gewaltige Herausforderung gemeistert zu haben.

 

 

Credit: Playboy Deutschland

Am Tag des Übungssprungs hat Pofelski diese besten Momente des Jahres noch vor sich. Der fliegende Schuhkarton kreist jetzt über der Lichtung eines Kiefernwalds – und kurz darauf hängt Pofelski an seinem Schirm im Himmel. Von unten betrachtet, scheint er langsam und entspannt hinabzusinken. Mit wie viel Tempo und Anspannung er tatsächlich unterwegs ist, zeigt sich erst, als er bei der Landung schräg gen Boden schießt und eine Staubwolke aufwirbelt.

 

Smokejumper geben sich gern cool und routiniert, aber nun folgen Gejohle und High Fives, während hinter der Stirn das Adrenalin knallt. Für Pofelski und seine Truppe sind die Sprünge auf die Lichtung der Höhepunkt des Trainings und zugleich die Eröffnung der Feuersaison. Bald werden sie wieder hungrig, durstig, übermüdet und mit Brandblasen im Nirgendwo stehen, hinter ihnen eine fauchende Feuerwand, vor ihnen nichts als Geröll, Berge oder anderes undurchdringliches Gelände. Um die Naturgewalt zu bändigen, bevor sie zur Katastrophe anwächst.

 

Titelbild: Playboy Deutschland