Ein Engel in Sin City

Fake-Dollars, Sixpacks, glückliche Frauen: Die „Magic Mike Live“-Show in Las Vegas spielt mit den Klischees, die man aus Männerstrip-Shows kennt. Anton Engel (Mitte) gehört seit Jahren zu ihren größten Stars
Credit: PR / Magic Mike
Fake-Dollars, Sixpacks, glückliche Frauen: Die „Magic Mike Live“-Show in Las Vegas spielt mit den Klischees, die man aus Männerstrip-Shows kennt. Anton Engel (Mitte) gehört seit Jahren zu ihren größten Stars
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Abend für Abend jubeln ihm Hunderte Frauen zu, wenn Anton Engel in der „Magic Mike Live“-Show die Hüllen fallen lässt. Wie wurde ein Junge aus einem Schweizer Dorf zum strippenden Bühnenstar in Las Vegas – und was macht dieses Leben mit ihm?

Von: Christoph Wöhrle
07.06.25
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Als die Show ihren Höhepunkt erreicht, hängt Anton Engel in zehn Meter Höhe kopfunter an einem Seil. Unter ihm sitzen rund 500 Frauen, die Blicke auf ihn gerichtet, im Scheinwerferlicht sehen sie die Konturen seiner Muskeln. Engel spannt den Bizeps an, zieht behutsam seine Tanzpartnerin nach oben, dann drehen sie sich am Seil um die eigene Achse. Langsam, dann schneller. Eine Nummer wie aus dem Cirque du Soleil. Mit dem Unterschied, dass Anton Engel dabei nichts trägt als einen Slip – und das Publikum unter ihm mächtig abgeht. 

Einige Frauen schreien vor Begeisterung, andere klatschen jubelnd Beifall, auf den Sitzen hält es manche schon lange nicht mehr. Seit gut einer Stunde tanzt Engel mit seiner Truppe vor ihnen. Es gab Lapdances direkt am Sitzplatz, bunte Cocktails an den Tischen, es regnete pinke Fake-Dollars von der Decke, es wurde lauter und wilder. 

Kurz vor der Seil-Nummer versuchte eine Zuschauerin sogar, auf die Bühne zu klettern. Etwas unbeholfen wollte sie sich hochziehen, sie wirkte betrunken. Ein Security-Mann ergriff sie an den Schultern und führte sie nach draußen. Mindestens 60 Dollar pro Kopf haben die Zuschauerinnen hier im „Sahara“-Hotel bezahlt, um die „Magic Mike Live“-Show zu erleben. Sie wirken nicht, als würden sie es bereuen. 

Wer in Vegas landet, sieht Anton Engel mit nacktem Oberkörper von „Magic Mike“-Plakaten lächeln 

Las Vegas in Nevada. Stadt des Glamours und der Partys, Stadt der Träume und der Illusionen, Stadt der Spieler und: der Shows. „Magic Mike Live“ ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten unter ihnen. Man könnte sie eine Männerstrip-Show mit Anspruch nennen. Oder eine Männertanz-Show ohne Kleidung. Für die Veranstalter ist sie jedenfalls „the ultimate girl’s night out“ und für Junggesellinnenabschiede ein besonders beliebtes Ziel. Seit acht Jahren läuft sie in der Stadt. Und seit acht Jahren ist Anton Engel aus dem winzigen Schweizer Dorf Ballens einer der größten Stars der Show. 

Wer in Vegas mit dem Flugzeug landet, sieht ihn mit nacktem Adonis-Oberkörper von „Magic Mike“-Plakaten lächeln. Wer ein wenig Englisch kann, lächelt über den Satz, der danebensteht: „And he can dance.“ Und wer wissen möchte, wie ein Junge aus einem 600-Seelen-Dorf am Genfer See zum Bühnenstar in Vegas wurde und was so ein Leben als allabendlich gefeierter Frauenschwarm mit einem macht, muss in den Südwesten von Vegas fahren, wo Anton Engel wohnt.  

In Vegas zuhause: Als er 2016 zum Vortanzen nach Las Vegas kam, schlief Anton Engel in einem billigen Hotel und ging zu Fuß zum Casting. Heute trainiert er seine Handstände im eigenen Haus im Südwesten der Metropole
Credit: Marcel Schwickerath

Ein zweistöckiges Haus in einer ruhigen Seitenstraße mit Gemeinschaftspool, die Sonne knallt vom Himmel, die Luft flirrt. Engel, 32 Jahre alt, schmales Gesicht, zurückgekämmte Haare, ist barfuß und lächelt, als er die Haustür öffnet. 

Es ist unser zweiter Besuch bei ihm. Vor einem Jahr waren wir schon mal da. Ein Kennenlerngespräch. „Soll ich mal was zeigen?“, fragte er damals, als wir im Wohnzimmer seines hellen, karg möblierten Hauses auf einem Handstandständer blickten. Dann ging er vor der Kamera des Fotografen in den Handstand und blieb ein paar Minuten so. Seine Beine vibrierten leicht, man hörte seinen Atem, die Brust bebte, schließlich ließ er wieder ab. 

Engel wirkte nicht, als wollte er uns beeindrucken. Er wollte uns einfach etwas bieten. Engel hat das Gesicht eines Schauspielers, den Körper von Michelangelos David und gleichzeitig das angenehm unaufgeregte Gemüt eines Mannes, der seinen Platz gefunden hat und keinem was beweisen will. 

Akrobat mit Adoniskörper: Davon, einmal professioneller Tänzer zu werden, träumte Anton Engel schon als Jugendlicher
Credit: PR / Magic Mike Live

Anton Engel wächst in den 90er-Jahren im französischsprachigen Teil der Schweiz auf, der Vater Schwede, die Mutter Österreicherin. Von ihr lernt er sein Deutsch. Man hört das heute noch, wenn er zur Begrüßung Sätze sagt wie: „Servus – wie geht’s eich?“ Als Teenager versucht er sich als Breakdancer, tritt mit seiner Crew bei Wettbewerben an. Er ist ein eher schüchterner Junge, keiner, der einfach mal irgendwelche Mädchen anspricht, aber auf der Bühne fühlt er sich wohl. Und als er sich irgendwann fragt, von welchem Job er träumt, lautet die Antwort bald: Tänzer. 

Als 16-Jähriger zieht er mit Unterstützung seiner Eltern ins schwedische Lund, wo er eine Tanz- und Musical-Ausbildung absolviert und die Schule besucht. Drei Jahre später geht es weiter nach London. Er bekommt ein Stipendium an der renommierten Urdang Academy für darstellende Künste und lernt das Tanzen in all seinen Facetten: Ballett, Tango, Steppen, Jazzdance, Hip-Hop, Musical-Tanz. „Ich war ja eigentlich ein Breakdancer“, sagt er, „mochte Ballett nie besonders. Aber ich wusste, dass ich eine Basis brauche, um für andere Dinge infrage zu kommen.“ 

Auf Facebook sieht er einen Post: Tänzer für „besondere“ Show in Vegas gesucht

Trotz der guten Ausbildung: Einen Job als Tänzer zu bekommen, ist schwer. Engel modelt ein wenig, hat einige Auftritte mit Pop-Gruppen, bewirbt sich immer wieder – als Musical-Tänzer, auf Kreuzfahrtschiffen – und muss immer wieder Absagen wegstecken. Dennoch: Er will Tänzer werden, einen anderen Traum hatte er nie. 

Irgendwann klappt es mit einem Engagement bei den Dreamboys, einer britischen Männerstriptease-Combo. Im Tourbus reist er mit ihnen durch Großbritannien, als er 2016 auf Facebook einen interessanten Post sieht: Es werden Tänzer in Las Vegas gesucht – für eine „besondere“ Show, in der es nicht nur ums Ausziehen geht. 

Engel bewirbt sich mit einem Video. Nach mehr als zwei Monaten kommt endlich eine Antwort: Wir würden dich gerne kommendes Wochenende in Vegas kennenlernen. Kommendes Wochenende? Er findet einen Flug für 350 Dollar, denkt sich, ich probiere das jetzt einfach, und fliegt in die USA. Der Name der neuen Show: „Magic Mike Live“.

Es ist Mittag in Las Vegas, Engel steht am Herd. „Richtig essen ist in meinem Job alles“, sagt er, „sonst streikt der Körper.“ Er sprüht magere Hühnchenbrust mit ein paar Tropfen kalorienfreiem Bratöl-Ersatz ein, schwenkt sie in der heißen Pfanne. Dazu gibt es Reis. „Esse ich manchmal zweimal oder sogar dreimal am Tag“, sagt er. Einzige geschmackliche Aufwertung: zuckerfreie Barbecue-Sauce. „Mir schmeckt das.“ Einmal die Woche gönnt er sich einen Burger. Ansonsten bleibt er diszipliniert. Sein Körper ist sein Arbeitsgerät.

Acht- bis zwölfmal die Woche steht er auf der Bühne, erste Show um 19.30 Uhr, zweite um 22 Uhr, Feierabend gegen Mitternacht. Seine Tage: gesundes Frühstück, Morgensport, dann rüber ins Arbeitszimmer, wo er für Unternehmen Videos produziert, das ist sein zweites Standbein. Mittags wieder gesund essen, danach eine längere Trainingseinheit und abends zu den Auftritten ins „Sahara“-Hotel. 

Das Sahara-Hotel am Strip in Las Vegas: Bis zu zwölf Mal pro Woche steht Anton Engel hier in der "Magic Mike Live"-Show auf der Bühne
Credit: PR / Magic Mike Live

Die „Magic Mike Live“-Show ist angelehnt an den gleichnamigen Film mit Channing Tatum in der Hauptrolle. Ein junger Mann namens Mike kommt aus der Provinz in die Großstadt und wird als Stripper entdeckt. Er hat Erfolg, feiert Partys, droht seinen inneren Kompass zu verlieren – und kriegt dann doch noch die Kurve. 

Der Film wird 2012 zu einem großen Erfolg. Ein paar Jahre später beschließt Hauptdarsteller und Produzent Tatum, der früher selbst Stripper war und auf dessen Erlebnissen die Film-Story in Teilen basiert, den Stoff in ein Live-Event umzusetzen. Eine klassische Männerstrip-Show im Stil der Chippendales aber soll es nicht w¥erden. Tatum schwebt mehr vor: eine Show, die sich auf intelligente und zeitgemäße Weise damit auseinandersetzt, was Frauen sich heute von Männern wünschen. 

Bei den Chippendales gehen sie in Zorro-Kostümen und mit Fliegen um den Hals auf die Bühne. Bei Thunder From Down Under legen sie sich die Hände von Zuschauerinnen auf den Schritt. Magic Mike verhält sich zu diesen Shows ein wenig wie Erotik zur Pornografie: Es geht mehr um Andeutung als um Handlung, mehr um Fantasien als Akte, sie ist eher spielerisch als explizit. Und die Tänzer auf der Bühne: sind erstklassig. 

Im Backstage-Bereich des Sahara Hotels erlebt man Anton Engel als disziplinierten Arbeiter: präzise Abläufe, klarer Fokus
Credit: Marcel Schwickerath

Zwei Tage lang dauert das Casting. Als alles vorbei ist, denkt er: Reicht es?

Ob Engel gut genug ist, um einer von ihnen zu werden, entscheidet sich im November 2016. Da steht der Schweizer, damals 23, vor vier Choreografen in Vegas. Jetzt muss alles klappen, denkt er. In wenigen Stunden hat er sich eine vorgegebene Hip-Hop-Choreografie draufgeschafft.  

Er geht in den Ausfallschritt, zieht die Hände hinterher, als schreite er durch Wasser. Richtet sich wieder auf und lässt die Hüfte kurz rotieren. Gleitet im angedeuteten Krebsgang über den Boden. Die Leute von der Jury zeigen keine Gesichtsregung, sitzen da, machen Notizen. Engel übersteht die erste Auswahlstufe, bekommt neue Aufgaben, zeigt weitere Moves. Runde für Runde werden Tänzer aussortiert, er bleibt im Rennen. Zwei Tage lang dauert das Casting. Als alles vorbei ist, denkt er: Reicht es? Es ist nur ein gutes Dutzend Jobs zu vergeben. 

Einen Tag nach Heiligabend, Engel ist in der Schweiz, klingelt sein Handy, der Producer ist dran: You are in! Engel soll sich schnell um das Visum und den Papierkram kümmern.

Ich musste schnell lernen, dass die Begeisterung der Frauen nur bleibt, wenn man selbstbewusst rüberkommt

Anton Engel

Anton Engel

Woran er sich gewöhnen muss: Nach der Show warten Frauen auf ihn

Wenige Monate später fangen die Proben an. Neues Land, neue Stadt, neue Moves. Anfangs ist Engel nach den Tanzeinheiten oft schlecht. Das endlose Rotieren am Seil für seine Solo-Nummer ist zu viel, ihm wird schwindlig, er übergibt sich. 

Aber er zieht es durch. Probelauf um Probelauf. Im April 2017 schließlich findet die Premiere der Show statt. Roter Teppich, Hunderte Zuschauer. „Magic Mike Live“ wird schnell ein Erfolg, Engels Übelkeit nach der Solo-Nummer ist weg und bald auch die Nervosität, was auf der Bühne enorm wichtig ist. „Ich musste schnell lernen, dass die Begeisterung der Frauen nur bleibt, wenn man selbstbewusst rüberkommt.“ 

Woran er sich zu Beginn auch gewöhnen muss: Wenn die Show vorbei ist und er das Theater verlässt, stehen da manchmal Frauen und warten auf ihn. „Eigentlich fühlte ich mich mit Frauen immer unsicher und war mir nie klar, ob sie mich gut finden“, sagt Engel. Das ändert sich in seiner „Magic Mike“-Zeit schnell. Gibst du mir deine Telefonnummer? Wo wohnst du denn? Nimmst du mich mit? Kommst du mit ins Hotelzimmer? „Als ich noch Single war, habe ich vieles mitgenommen“, bekennt Engel.  

Einmal sei da eine reiche Frau gewesen. Sie habe ihn in ihre Villa mitgenommen, habe ihm angeboten, mit ihrem Privatjet mitzufliegen, wohin er wolle. „Such dir was aus“, sagte sie. Für ihn seien solche Treffen aber schnell zu oberflächlich geworden.

Mit seiner amerikanischen Partnerin Mylynda ist Engel seit mehreren Jahren zusammen. Eifersüchtig sei sie nicht, sagt sie – trotz aller Verführungen, denen er so ausgesetzt ist
Credit: Marcel Schwickerath

In seinem Haus in Vegas lebt er heute mit seiner amerikanischen Frau Mylynda, 32 Jahre alt, blond und stets gestylt. Sie betreibt einen eigenen Beauty-Salon und hat eine nassforsche, selbstsichere Art. Kennengelernt haben sie sich in einem Club in Vegas, ein paar Jahre nach Engels „Magic Mike“-Debüt. „Du bist heiß“, sagte Mylynda zum Einstieg ihrer Konversation. Als sie später zusammen zu Engel gingen, versteckte er zu Hause erst mal sein Portemonnaie und seinen Laptop – er war sich nicht ganz sicher, ob ihre Absichten wirklich rein romantischer Natur waren. 

Mittlerweile sind sie seit vier Jahren verheiratet und haben Ende 2024 eine Tochter bekommen. Packt Mylynda manchmal die Eifersucht? Schließlich bieten sich ihrem Mann oft gewisse Möglichkeiten. „Nein“, sagt sie. „Er kommt ja nach jeder Show zu mir zurück.“ Er sei ihr treu, immer.

Engel hat sich daran gewöhnt, mit Avancen und Applaus umzugehen, er kann das alles einordnen. Ohnehin sagt er: „Wer sein Ego nicht im Griff hat, ist bei ,Magic Mike‘ schnell wieder draußen.“ Zwischen den Kollegen gebe es keine Hahnenkämpfe, sagt Engel. Kollegial müsse man hier sein. Und bescheiden. Auf der Bühne dann aber strahlen.

Eingespieltes Team: Anton Engel mit seinen "Magic-Mike-Live"-Kollegen
Credit: PR / Magic Mike

Sie sind oft halb nackt, aber sie erfreuen die Zuschauerinnen auch mit roten Rosen, Witz und Lapdances

Das „Sahara“-Hotel liegt nördlich am Strip, der Prachtstraße von Las Vegas. Palmen und golden beleuchtete Säulen erwarten die Besucher am Eingang. Backstage, wo Engel vor der Show immer ein paar Push-ups und Dehnübungen zum Warmwerden macht, hat jeder Tänzer seinen eigenen Tisch mit Spiegeln und einen Schrank. Alles hat seinen Platz: Kämme, Haargel und Rasierer liegen akkurat aufgereiht da. Manche im „Magic Mike“-Ensemble sind schon mit Justin Bieber oder Jason Derulo aufgetreten. Von langhaarig bis bärtig-kurzgeschoren ist jeder Typ Mann vertreten. Auf Kleiderstangen hängen Kostüme für sie: Pilot, Bauarbeiter, Feuerwehrmann und so weiter. 

Am Anfang der Show spielen die Tänzer mit diesen Klischee-Rollen, die man aus Männerstrip-Shows kennt: Ein Feuerwehrmann kommt auf die Bühne, ein Bauarbeiter, ein Pilot, sie tanzen übertrieben lasziv. Dann der Bruch: Eine Frau taucht als Show-Host auf der Bühne auf, amüsiert sich über dümmliche Klischees wie Feuerwehrmänner in Stripshows und macht die Bühne wieder frei für eine Show, die „USA Today“ als „a romance novel come to life“ bezeichnet hat und der „Guardian“ als „a self-aware commentary on female desire“. 

Rund 90 Minuten performen die „Magic Mike“-Tänzer eine Show, bei der sie oft halb nackt sind und sehr oft eindeutige Posen einnehmen. Aber sie erfreuen die Zuschauerinnen auch mit roten Rosen, Fußmassagen, selbstironischem Witz und Lapdances, bei denen die Frauen Komplimente zu hören bekommen – und jederzeit alles abbrechen können, indem sie das Safeword „unicorn“, also Einhorn, sagen.

Engel tanzt im Laufe der Show immer wieder über die Bühne, mal anmutig, mal aufreizend. Er kreist mit den Hüften, dreht Pirouetten, schwingt in raubkatzenhaften Bewegungen langsam mit dem Oberkörper hin und her – und zieht sich schließlich, vom Scheinwerfer angestrahlt, aus bis auf den Slip. Stück für Stück und mit Szenenapplaus bedacht. Dieses Ausziehen ist ein Ritual für ihn, der Ablauf immer genau gleich. Je nackter er wird, desto selbstsicherer wirkt Engel.

Sein Herz pumpe in diesem Moment schneller, erzählt er später, aber echte Aufregung verspüre er nicht mehr. Er mache einfach seine Arbeit – wie ein Maurer, der Stahlsprieße durch die Baugrube trage. Er kennt jeden Handgriff, weiß, was er auslöst, hat jede noch so kleine Bewegung perfektioniert. 

Was er in seinen sieben Jahren „Magic Mike“ über seine Zuschauerinnen gelernt hat: Manche kreischen, wenn Anton oder einer seiner Kollegen besonders sexy tanzt, manche falten dabei stumm und mit geweiteten Augen die Hände, andere geben sich völlig cool. Aber alle wollen, davon ist Engel überzeugt, was sie sonst im Rollenverhältnis umgekehrt kennen: einmal den Mann zum Lustobjekt machen. „Wir sind sozusagen Dienstleister“, sagt Engel. Es sei aber nie der nackte Oberkörper allein, der die Frauen zum Ausflippen bringe, es seien vielmehr die Fantasien von Macht und sexueller Hingabe. Das Wir-Gefühl in der Frauenhorde steigert dieses Machtverhältnis noch. Das Amazonen-Kollektiv feiert sich in seiner Stärke bei jeder „Magic Mike“-Show.

Moderne Frauen wollen Softies, die wie Machos wirken können

Anton Engel

Anton Engel

Frauen wollen Gentlemen, die wissen, wann in den Mantel zu helfen passt – und wann nicht

Hat Engel auch etwas über die Frauen an sich gelernt? Ja, auf der Bühne mögen sie ihn zum Objekt machen. Aber im echten Leben wollen sie kein Sexsymbol an ihrer Seite. 

Sie wollen einen Mann, der verschiedene Rollen bedient und sie auch zeigt: „Moderne Frauen wollen Softies, die wie Machos wirken können.“ Gentlemen, die wissen, wann in den Mantel zu helfen passt – und wann nicht. Die im Restaurant die Rechnung bezahlen, niemals gönnerhaft, und dennoch schätzen, dass eine Frau beruflich erfolgreich ist und ihr Geld verdient. Einen hier und da verwegenen Typen, der auch gefühlvoll kann und als Teammate für sie da ist. Einen Mann zwischen Handkuss und Ghettofaust.

„Ich glaube, dieses weite Bild von einem Mann macht vielen Typen Angst. Du weißt nicht, was du sein sollst.“ Aber wenn man wisse, dass man als Mann alles sein dürfe, könne das auch Spaß machen. 

Big in Vegas: Anton Engel ist in der Stadt auf großen Werbeflächen zu sehen
Credit: Marcel Schwickerath

Engel selbst, so scheint es, hat wie Magic Mike im Hollywood-Film eine Art Metamorphose durchlebt: Aus dem eher schüchternen Anton aus der Provinz ist ein selbstsicherer Typ in der Welthauptstadt des Entertainments geworden. Einer, der sich auf den Bühnen des Lebens sicher fühlt. Und dem ein „Das schaffst du eh nicht“ nichts anhaben kann.

Wie lange der 32-Jährige den Job bei „Magic Mike“ noch machen wird? Der derzeit älteste Tänzer der Truppe ist 40. „Aber klar, ewig halb nackt tanzen geht auch nicht“, sagt Engel. Er hat vorgesorgt. „Magic Mike“-Tänzer verdienen gut. Das Haus in Vegas hat er schon vor ein paar Jahren für 850.000 Dollar gekauft, zudem hantiert er ein wenig mit Aktien und Krypto, und die Videoproduktionsfirma, die er nebenher aufgezogen hat, entwickelt sich gut. Ob er in zehn Jahren noch tanzt? „Mir wer’n sehen.“  

Nachts, wenn fiebrige Dunkelheit über dem Las Vegas Boulevard liegt, steigt Engel nach der Show oft auf seine Harley und fährt durch die Stadt nach Hause. Auf dem Weg sieht man auf einem Videoscreen am Straßenrand vor einer Einkaufsmeile Engels Muskeltorso in einer Werbeanzeige für „Magic Mike“. Engel sagt, es sei für ihn anfangs ungewohnt gewesen, wenn er daran vorbeiratterte. Heute sieht er den Screen und denkt einfach: Das bin ich.