„Was normal ist, sollte uns beim Sex egal sein“


Frau Langer, gibt es im Jahr 2025 so etwas wie sexuelle Normalität?
Vieles, was früher nischig war, ist heute im Mainstream angekommen: Polyamorie, Kink, BDSM – diese Begriffe haben viele schon mal gehört. Was gelebt wird, steht jedoch auf einer anderen Karte. Tabu bleiben Vorlieben, die als eher unmännlich gelten, wie etwa Crossdressing. Und grundsätzlich scheint es für viele Menschen weiterhin schwierig zu sein, in Partnerschaften offen über sexuelle Bedürfnisse zu sprechen. Vor allem die, die subjektiv als Tabu erlebt werden, auch wenn sie gesellschaftlich vielleicht keines mehr sein mögen.
Ein Trendbegriff ist der der „Sexpositivität“ – was versteht man darunter?
Ein bejahender, selbstbestimmter Blick auf Sexualität. Es geht nicht darum, besonders viel, besonders wilden oder besonders diversen Sex zu haben, sondern bewusst zu entscheiden: Was passt für mich – und was nicht? Es soll nicht darum gehen, dass jetzt plötzlich alle poly oder kinky sein müssen. Vielmehr geht es um Selbstbestimmung und Konsens. Ob etwas „normal“ ist, sollte egal sein.
Sie sind nicht nur Kommunikationsverantwortliche bei Joyclub, sondern auch studierte Sexologin. Was macht eine Sexologin genau?
Sexologinnen und Sexologen beschäftigen sich mit Sexualität, oft mit individuellem Fokus: auf sexuelle Gesundheit, Pädagogik oder Beratung und Therapie. Oft schließen wir Lücken, da Sexualität in der klassischen Psychotherapie noch immer unterrepräsentiert ist.
Gab es in Ihrem Leben einen Punkt, an dem Sie wussten: Das ist mein Thema?
Es war kein einzelner Moment, sondern ein Prozess, in dem ich gemerkt – und im Joyclub gesehen – habe, wie sehr Sexualität mit dem Wohlbefinden verknüpft ist. Das hat mich nie losgelassen. Irgendwann habe ich mich entschieden, es auch wissenschaftlich zu vertiefen – und das Studium der Sexologie begonnen.
Wie unterschiedlich gehen Männer und Frauen mit ihrer Sexualität um?
Unsere Daten zeigen ein klares Bild: Männer sind deutlich aktiver darin, Kontakte zu initiieren – sie machen den ersten Schritt, liken, kommentieren und konsumieren viele Bilder und Videos. Frauen reagieren eher, sind aber stärker im öffentlichen Austausch in Foren und Gruppen präsent.
Gibt es auch bei den Praktiken Unterschiede?
Ein gutes Beispiel ist der Dreier einer Frau mit zwei Männern. Mehr Frauen zeigen Interesse, Männer hingegen lehnen ihn öfter ab. Umgekehrt ist es anders: Männer sind häufiger offen für einen Dreier mit zwei Frauen.

Lässt sich aus dem Verhalten im Joyclub etwas über unsere Gesellschaft ableiten?
Es lassen sich Tendenzen erkennen. Joyclub ist sicherlich ein eigener Kosmos, aber ja – so manches, was in der Community diskutiert und gelebt wird, sickert später auch in den Mainstream. Sicherlich im Wechselspiel damit, dass Menschen offener über ihre Sexualität sprechen, dass Medien zunehmend berichten.
Hat sich der Blick auf die weibliche Lust durch digitale Plattformen verändert?
Absolut. Gerade im Bereich Pornografie wird die Frau immer mehr als handelndes Subjekt gezeigt und weniger als passives Objekt. Auch Audioporn richtet sich zunehmend explizit an Frauen. Außerdem spannend: Einige Frauen berichten, dass das Posten eigener erotischer Bilder ihr Körpergefühl und Selbstbewusstsein stärkt. Das Sichtbarmachen von Lust wird als selbstbestimmter Akt erlebt.
Auch bei den Beziehungsformen tut sich etwas. Welche Form liegt – neben der klassischen Monogamie – im Trend?
Konsensuelle, nicht monogame Modelle nehmen zu – der Anteil offener Beziehungen hat sich fast verdoppelt bei Menschen, die zwei Jahrzehnte im Joyclub sind. Gleichzeitig verlieren geheime Affären an Zuspruch. Es geht immer mehr darum, sich bewusst zu machen: Wie möchte ich leben? Und das dann offen, nicht heimlich zu tun.
Gibt es länderspezifische Unterschiede?
Deutschland hat eine sehr aktive Event-Szene und organisiert sich gern. In den Niederlanden gibt es extremere Praktiken, die auf Veranstaltungen öffentlich ausgelebt werden. Italien dagegen hinkt in Sachen sexueller Offenheit im Vergleich etwa zehn Jahre hinterher. Spanien zeigt sich feministischer, Großbritannien ist offener für BDSM. Aber natürlich ist das immer nur ein Ausschnitt, den wir im Joyclub sehen.
Welche Themen werden besonders viel diskutiert?
Deutlich zugenommen hat der Austausch über „Consent“ im Kontext von BDSM, aber auch allgemein – also über das bewusste Aushandeln von Grenzen. Auch Körperbehaarung ist wieder ein Thema: Früher war völlige Haarlosigkeit der Standard, heute wird offener über Vielfalt gesprochen. Außerdem rücken Alter und Sexualität stärker in den Fokus: Wechseljahre, Altersunterschiede, aber auch sexuelle Aktivität jenseits der 60.
Gibt es Zahlen und Fakten, die Sie besonders überrascht haben?
Bei einer Umfrage unter Analsexfans gaben 56,1 Prozent an, diesen auch beim One-Night-Stand zu praktizieren – das hat mich wirklich überrascht. Man meint ja, dass das eine Praktik wäre, für die es Zeit und Vertrauen braucht. Und: Füße sind stets das Schlusslicht der Beliebtheitsskala, obwohl sie uns durchs Leben tragen. Eigentlich schade! (Lacht) Außerdem überraschten mich Frauen über 55. Sie gehen im Schnitt häufiger – und das alleine – auf erotische Partys als Männer oder Paare derselben Altersgruppe.
Hat man als Sexologin eigentlich automatisch besseren Sex?
(Lacht) Nein, denn Wissen allein macht noch keinen guten Sex. Eine meiner Ausbilderinnen hat einmal gesagt: „Wenn es um unsere eigene Sexualität geht, sind wir alle Amateure.“
Was braucht es dafür?
Vor allem ehrliche Kommunikation und die Offenheit, sich auszuprobieren. Sex darf auch mal schiefgehen. Man darf sich dabei nicht zu ernst nehmen. Wichtig sind die Neugier, das Spielerische, der Forschergeist. Ich vergleiche das gerne mit dem Essen: Wer immer nur dasselbe bestellt, verpasst vielleicht das Beste auf der Karte.