Di., 23.07.2019
Sex & Lust

Eine kleine Kulturgeschichte des Vibrators

Er ähnelte einem Folterinstrument - damals, vor 150 Jahren. Galt in den 50er Jahren als Motor der sexuellen Selbstbestimmung der Frau und ist heute der beste Freund der Klitoris. Die Rede ist vom Vibrator. Zum 150. Jubiläum haben wir hier eine kleine Kulturgeschichte des vibrierenden Glücksbringers.

Nein, er war wirklich nicht sympathisch, der sexuelle Stellvertreter des Mannes – damals, vor 150 Jahren. Der erste Vibrator glich eher einem Folterinstrument. Aber wie sollte es auch anders sein? Dr. Mann an sich war ja ebenfalls nicht besonders nett: Typ Stammbaumhalter, Versorger, häuslicher Alleinherrscher. Sex war kein lustvolles Bedürfnis, sondern die eheliche Pflicht seiner Frau – und die Ehe oftmals eine Zwangsgemeinschaft, die sie zu erdulden hatte.

Wie schmerzhaft das war, zeigen ihre Krankheitsakten: Als „Hysterie“ wurden die emotionalen, bisweilen ekstatischen Ausbrüche der Unterdrückten abgetan – die „Krankheit des Gegenwillens“, wie Sigmund Freud sie nannte. Brachte sie die Patientinnen nicht in die Nervenheilanstalt, dann zum Hausarzt, der die einzige Therapiemöglichkeit in ambulanten Intimmassagen sah.

Ja, richtig gelesen: Intimmassagen. Denn dass die „Hysterie“ mit unterdrückter Sexualität zu tun hatte, verriet schon ihr Name. Hystéra ist Altgriechisch und heißt Gebärmutter. Die Anatomie der weiblichen Lust war damals, man merkt es, ein noch recht unbestelltes Forschungsfeld. Was man auch dem ersten Vibrator ansah, dem „Manipulator“ – jenem dampfbetriebenen Bumskolben, den der amerikanische Arzt George Taylor 1869 patentieren ließ, damit sich seine Kollegen keine Tennisarme mehr massieren mussten.

Dass mit dem Gerät eine Erfolgsidee geboren wurde, deren Geschichte mehr über das Verhältnis zwischen Mann und Frau erzählt als jedes soziologische Lehrbuch, mutet seltsam an. Doch wir dürfen hier schon mal versprechen: Die Geschichte hat ein Happy End.

Granvilles Hammer weckt die Freuden der Jugend

Auch wenn es zu Beginn der Vibrator- Evolution nicht danach aussah. Und schon gar nicht danach klang: „Granvilles Hammer“ hieß die nächste Entwicklungsstufe, eine phallische Innovation des britischen Arztes Joseph Mortimer Granville von 1883, die optisch an einen Bohrer mit einer Kugel an der Spitze erinnerte, daneben jedoch entscheidende Vorteile gegenüber dem „Manipulator“ hatte: Sie war strombetrieben, handlich, mobil und brachte so erst die Arztpraxen und dann einen ganz neuen Markt zum Brummen.

Um 1900 zeigten Hersteller auf der Pariser Weltausstellung bereits mehr als ein gutes Dutzend neuer handlicher Vibratoren, teils elektrisch, teils mit Kurbelbetrieb, die sich auch für die nicht ärztliche Anwendung im Haugebrauch empfahlen und bald mit Slogans wie „All die Freuden der Jugend werden in Ihnen pochen“ beworben wurden. Die weibliche Sexualität war entdeckt – ein lange unter den Tabus des 19. Jahrhunderts vergrabener Schatz. Doch freuen wir uns nicht zu früh . . .

Nur Sex mit Mann und Penis ist der wahre Jakob

1918 brachte der Hersteller Sears, Roebuck & Co. einen Vibrator auf den Markt, der über den Stellenwert weiblicher Selbstbefriedigung damals so einiges verriet: Das Ding ließ sich an ein Universalküchengerät anschließen. Zum Set gehörte unter anderem ein Mixer. Die Hausfrau durfte, wenn sie zwischendurch mal abschalten wollte, umstöpseln. War das wirklich Sexualität oder eher ein schräges Wohlfühlspiel zum Arbeitsausgleich?

Sigmund Freud lieferte auch hierzu bald die passende Theorie: Die Selbstbefriedigung der Frau tat er als unreifes Gerubbel ab, eine „phallische Betätigung“ an der Klitoris. „Die Entwicklung der weiblichen Sexualität“ sah er hingegen darin, „die ursprünglich leitende genitale Zone, die Klitoris, gegen eine neue, die Vagina, aufzugeben“. Mit anderen Worten: Masturbation galt als irgendwie gestörter Präpubertätskram und nur vaginaler Sex mit Mann und Penis als der wahre Jakob.

Dieser „Forschungsstand“ bedeutete einen gewaltigen Imageschaden für die Vibrator-Industrie – und einen fortgesetzten Lustverlust für mehrere Generationen. Orgasmen erlebten die Frauen nun weiterhin meist ohne ihre rein-raus-fxierten Männer. Nur durften, konnten, wollten sie nicht mehr über alternative Sex-Praktiken sprechen. Wie auch? Selbst die Vibrator- Hersteller versteckten ihre Geräte in den Folgejahrzehnten, indem sie ihnen ein möglichst unverdächtiges Haushaltsgeräte-Design verpassten.

Phallisch, prall und silberglänzend

Erst in den sexuell so grandios verlogenen 50er-Jahren fiel endlich echten Wissenschaftlern wie Alfred Kinsey sowie dem Ehepaar William Masters und Virginia Johnson die Menge an Widersprüchen auf, die zwischen heimlich gelebter und gesellschaftlich akzeptierter Sexualität bestanden. Von Playboy unterstützt, machten sie sich an die empirische Erforschung der menschlichen Schlafzimmeraktivitäten und bereiteten der sexuellen Revolution der 60er-Jahre den Boden. Bereits 1966 präsentierte Hugh Hefner öffentlichkeitswirksam dem Fotografen Art Shay in seiner Chicagoer Mansion eine Vibrator-Innovation. Eindeutig phallisch, prall, silberglänzend. Die weibliche Selbstbefriedigung – würde sie zum Motor der sexuellen Selbstbestimmung der Frauen werden und deren Lust von falschen Zuschreibungen befreien?

Es war Betty Dodson, die weibliche US-Version des deutschen Aufklärungs-Gurus Oswalt Kolle, die diese Mission bald darauf in die Hand nahm, und zwar in Form des „Magic Wand“: In ihrer New Yorker Wohnung gab sie Selbstbefriedigungskurse für Frauen und lehrte dabei auch den Umgang mit dem stabförmigen Massagegerät des japanischen Konzerns Hitachi. Das Ding mit dem vibrierenden Kopf kam 1968 auf den Markt und war angeblich zur Massage verspannter Rückenmuskeln gedacht, wurde dank Dodson aber im Laufe der 70er-Jahre für seine Dienste an der Klitoris berühmt, dem Machtzentrum der weiblichen Lust. Damit markierte der „Magic Wand“ einen Quantensprung im Wissen um gute Vibrationen.

Die Geburt des playboyesken Verführers

Die Hersteller lernten, und die nachfolgenden Modelle mit den größten Markterfolgen waren doppelt so schlau wie vorher: Sie verfügten über zwei Köpfe, einen für die Vagina und einen für die klitorale Stimulation. Das wäre im Herstellerland Japan, wo die kalifornische Sextoy-Firma Vibratex produzieren ließ, allerdings zu viel der delikaten Details gewesen, weshalb der Klitoris-Kopf der legendärsten Neuerscheinung von 1983 die Gestalt eines Hasen annehmen musste.

In der Praxis erwies sich der harmlos aussehende „Rabbit“ jedoch als dermaßen playboyesker Verführer, dass ihn noch die Hauptfiguren der Kult-Frauenserie „Sex and the City“ im Jahr 1998 als Nonplusultra ihres Liebeslebens priesen: ein Meilenstein im Weltmarktwachstum des Liebesspielzeugs, dem sich in den 90er-Jahren weitere Tiere beigesellten. Etwa der „Dolly Dolphin“ des Herstellers Fun Factory 1996 – der erste Vibrator, der nicht mehr aus Plastik, Metall, Glas oder Holz, sondern aus angenehmem Silikon bestand.

So wurde der Vibrator zum besten Freund der Klitoris

– was beim allerbesten Willen kein Mann von seinem weltbesten Stück behaupten kann. Weshalb wir unseren summenden Gummi-Wingman bis heute höchstens als zweit-besten Freund akzeptieren. Und ihn als „Toy“ (Spielzeug) belächeln. Vielleicht verdanken wir diese Gattungsbezeichnung aber auch dem Taktgefühl unserer Frauen, die zum Glück mittlerweile sehr genau wissen, was ihnen wie, wann, wo und warum gefällt.

Und uns nicht allzu deutlich kundtun wollten, was die Sängerin Janet Jackson laut Sonntags-FAZ im Jahr 2002 bemerkt haben soll: „Männer wären völlig überflüssig, wenn Vibratoren Rasen mähen könnten.“ Vielleicht – nein: höchstwahrscheinlich – hatte zum Beispiel die geniale Firmengründerin Lea-Sophia Cramer 2012 auch die Gefühle der Männer im Blick, als sie mit Amorelie den ersten Online-Shop für Sexgeräte gründete, der stilsicher feilbietet, worum es eigentlich geht. Ohne unsympathische Kolben-Ästhetik, ohne verharmlosen- des Fummeltierchen-Design: die schöne Bereicherung unseres Sexlebens, zu dem mehr als zwei Geschlechter gehören dürfen. Nämlich auch hilfreiche Gerätschaften. Und in dessen Portfolio perfekt die bisherige Krone der Vibratoren-Schöpfung passt: der „Womanizer“ des deutschen Erfnders Michael Lenke.

Noch Fragen?

Man muss dieses Ding, das 2014 auf den Markt kam, ehrlicherweise als gerechte Rache für jene Jahrhunderte bezeichnen, in denen der Orgasmus des Mannes alles war und jener der Frau nichts als ein krankhafter Anfall. Der „Womanizer“ sieht – als moderner Auflegevibrator – nicht einmal entfernt so phallisch aus wie seine Vorfahren. Denn er ist ganz für die Klitoris da, an welcher er in so schnellen Intervallen saugt, dass kein lebender Oralsex-Künstler der Welt es ihm gleichtun könnte.

Er gibt Frauen eine Orgasmus-Garantie. Er hat sich mehr als 1,5 Millionen Mal verkauft – in 60 Ländern. Er ist das Happy End der bisherigen Vibrator-Entwicklung und einer der wichtigsten Treiber des weltweiten Online-Marktes für Sextoys, der nach Prognosen von Experten zwischen 2018 und 2022 um mehr als sieben Prozent pro Jahr wächst und wachsen wird. Noch Fragen?

Ja, wo bleiben wir Männer eigentlich, wenn die Geschichte so weitergeht? Wir können es Ihnen sagen: Auch für uns gibt es mittlerweile geniale Sex-Toys. Und auch die werden immer raffinierter. Aber keines wird unser Leben jemals so bereichern können wie eine echte Geliebte. Weshalb uns auch in Zukunft nur ein Weg zum Glück offen steht: selbst immer sympathischer und besser werden.