Mi., 08.02.2017
Porträts

Gut so, Bad Boys! Die Welt braucht böse Buben

Nicht nur Filme und Romane sind ohne skrupellose Schurken undenkbar. Dass sie auch in der Realität tragende Rollen spielen, macht das Leben besser, sagt unser Autor

"Die Psychopathen sind unter uns“: Der britische Autor und Journalist Jon Ronson kommt im Zuge seiner grandios unseriösen Reise durch die Wahnsinnsindustrie unter anderem zu dem Schluss, dass Soziopathen die erfolgreicheren Führungskräfte sind, weil sie skrupelloser alle feuern, die nicht zur Gewinnmaximierung beitragen. Soziopathen, oder auch Psychopathen wie Hannibal Lecter aus „Das Schweigen der Lämmer“, sind Menschen, denen das Wohl anderer vollkommen gleichgültig ist, weil sie gar nicht in der Lage sind, mit ihnen mitzufühlen.

Also stellt der Autor, und mit ihm mancher Leser, einige der Kriterien fürs kalte Soziopathentum auch bei sich selbst fest: „Das ist es! Ich bin notorisch gefühllos“, ruft er aus. „Das beantwortet einige Ungereimtheiten meines Lebens. Ich bin, organisch bedingt und unfreiwillig, ein Arschloch. Es ist besorgniserregend, aber auch irgendwie geil.“ Und dann trifft sich Jon Ronson mit einer Psychologin. Die kennt sich auf dem Gebiet aus und lässt uns ausrichten: „Wenn Sie befürchten, Sie könnten ein Psychopath sein, dann heißt schon allein das, dass Sie keiner sind.“ Und an dieser Stelle werden viele (männliche) Leser das Buch so erleichtert wie enttäuscht zugeklappt haben.

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Das Böse fasziniert uns, keine Frage. Wenn wir Filme sehen oder Romane lesen, finden wir die Antagonisten fast immer am spannendsten, wünschen ihnen manchmal sogar den Sieg über die tranigen Hauptfiguren: je wertfreier und unangepasster, desto prickelnder. In meinem Lexikon „Das Buch der Schurken. Die 100 genialsten Bösewichte der Weltliteratur“ habe ich von Moriarty bis Dr. Moreau, von Captain Hook bis Fräulein Knüppelkuh genau einhundert fiktive Exemplare auf ihren Fun-Faktor hin analysiert. Sie sind fiktiv, das beruhigt, das macht die ganze Böswilligkeit zum Cashgame, aus dem man jederzeit aussteigen kann.

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Aber es gibt sie auch in der realen Welt, die reulosen, treulosen Bösen. Und auch das ist gut so. Kommen Sie mir nur jetzt nicht mit Donald Trump. Kaum ein vernünftiger Mensch würde sagen, Donald Trump sei gut so. Und doch: Was passiert jetzt, wo dieser Brachialunternehmer und Twitter-Scharfschütze als US-Präsident den Code zum Atomkoffer kennt? Wir reißen uns auf einmal zusammen, erheben uns aus unserem bequemen Dasein und lugen zumindest mit einem wachen Auge aus unserem Bau hervor. Schauen links und rechts. Entschuldigen uns, wenn wir auf der Straße irrtümlich jemanden anrempeln. Der Böse macht uns zu besseren, zu achtsameren Menschen. Was übrigens nichts daran ändert, dass wir ihn ein bisschen beneiden. Es kann ihn zwar keiner leiden, aber er hat diese Wahl gewonnen, und jetzt darf er noch mehr, als er vorher schon durfte. Und, wie mein Wiener Vater nicht müde wird zu betonen, er hat immerhin die feschere Frau. „Es ist geil, ein Arschloch zu sein“, hat irgendein Reality-TV-Show-Teilnehmer im vergangenen Jahrzehnt mal gesungen.

Das Böse ist die Würze manch schalen Witzes

Es ist zum Beispiel sicher geil, Dan Bilzerian zu sein. Der „König von Instagram“ protzt vor seinen Millionen von Followern mit Bildern, die ihn in seinem Dagobert-Duck-Reichtum schwimmend neben Sexbomben, Waffen oder Privatjets zeigen. Er will Präsident werden, und als ihn deshalb alle auslachen, unterstützt er Donald Trump. Hahaha! Er kauft sich Nebenrollen in Kino-Blockbustern und wirft ein
Pornosternchen von seinem Hausdach. Dass es dabei nicht im, sondern neben dem Swimmingpool aufkommt, ist bestimmt keine Absicht, aber was soll man machen: dumm gefallen, gefällt vielen. Das Böse ist die Würze manch schalen Witzes.
Oder: Kim Jong-un, nordkoreanischer Diktator, droht mit Atomtests und lässt sein Volk am Hungertuch nagen, während er zu seinem Privatvergnügen Disney-Maskottchen und slowenische Satirebands mit Nazi-Ästhetik um sich schart. Unliebsame Verwandte verschwinden spurlos, dann und wann sogar die eigene Ehefrau.

Ein anderer Kim, einst ein Herr Schmitz aus Kiel, lebt jetzt in Neuseeland und nennt sich selbst „Dotcom“. Er will eine Neuauflage seiner Film- und Musiktauschbörse Megaupload im Internet (starten), nachdem die alte Version vom FBI dichtgemacht wurde und wegen Urheberrechtsverletzung in Milliardenhöhe gegen ihn ermittelt wird. Zu seinem gerichtlichen Auslieferungsverfahren – in den USA drohen ihm rund 20 Jahre Haft – ließ sich der grotesk übergewichtige Mann in einem eigens angeschafften ergonomischen Stuhl nieder: einem veritablen Bond-Schurkenthron. Nur noch das kleine Miezekätzchen im Schoß fehlte.

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Oder Martin Shkreli. Treibt erst als Hedgefonds-Gründer und -Manager die Preise lebenswichtiger Medikamente in die Höhe. Erntet dann von der Finanz-Website CNNMoney das Prädikat „most hated man in America“ – und reagiert auf Kritik mit dem Hinweis, er habe nun einmal die Spielregeln des Kapitalismus durchschaut. Als die New Yorker HipHop-Gruppe Wu-Tang Clan 2015 das einzige physische Exemplar ihres neuen Albums versteigert, bekommt er für zwei Millionen Dollar den Zuschlag. Shkreli darf jetzt mit dem Album machen, was er will, außer Geld. Der Clan findet die Idee mit der Versteigerung anschließend doch nicht mehr so super, spendet einen Gutteil des Gewinns und erwägt, bei Shkreli einzubrechen, um sich sein Werk ganz badass wieder zurückzuholen.

Die vier Genannten unter den vielen anderen da draußen: Sie haben ihren Reichtum entweder geerbt, erspielt, ihn offenbar gut verwaltet oder ihn sich auf
anrüchige Weise selbst erarbeitet. Und sie haben ihren Spaß im Leben, weil sie wissen, dass sie – in gewisser Hinsicht – anderen voraus sind. Solange man sie nicht belangen kann, frönen sie exzessivem Luxus. Und zeigen ebenso schamlos ihre Defizite: Die beiden kugelrunden Kims zumindest entsprechen nicht mal annähernd dem, was Frauen unter einem sexy Bad Boy verstehen.

Auch wenn wir den einen oder anderen manchmal in den Knast wünschen: Wir brauchen diese Real-Life-Schurken und ihre Biografien dringend. Nicht nur als Ventile für (in Dosen) heilsame Entrüstungsanfälle. Sondern auch zur Realitätsüberprüfung. In einer grundlegend von Egoismus geprägten Gesellschaft geben die Bösewichte den Takt vor, ob wir wollen oder nicht. Sie haben Ecken und Kanten, und wer sie mit Samthandschuhen anfasst, ist selbst schuld. Wollen wir ihnen Einhalt gebieten, zwingen sie uns, Gesetze zu schleifen, unsere Hirne zu schärfen, unsere Demokratien zu verbessern. Das Leben ist kein Ponyhof.

Und so hasst man sie. Mindestens ein bisschen. Und sie lieben es – offenbar sehr. Legten sie Wert darauf, geliebt zu werden, würden sie sich anders verhalten. Ihre Freiwilligkeit, vielleicht gar auf Basis der „Unfreiwilligkeit“ medizinisch attestierten Soziopathentums, hat etwas Befreiendes. Für die Schurken selbst. Und für uns, die Konsumenten, die Baddie-Following betreiben, beherzt den Kopf schütteln und unseren Lebensstil an ihnen überprüfen können, unsere Moralvorstellungen, und uns von ihnen bestätigen lassen. Wobei uns das echte Leben so viel Spaß bereiten kann wie ein Buch mit Hannibal Lecter oder Dr. No.

 

Titelbild: Michael Pleesz für Playboy