Mo., 03.12.2018
Musik

Gary Barlow über die erfolgreichsten Zeiten von Take That: "Auf Dauer war das nicht gesund"

Dacapo nach Jahrzehnten: TAKE THAT bringen zu dritt ihre alten Hits noch einmal neu zu Gehör. Und erinnern sich, wie das war damals – ohne eigene Kinder. Ohne Verantwortung. Dafür mit VW-Bus, Robbie Williams und lauter sexwilligen Fans

Gary Barlow ist mit seinem Leben heute zufriedener als zur Zeit der größten Erfolge seiner Musikgruppe in den 90er-Jahren. „Wir haben Familien, Kinder. Heute sagen wir den 60.000 Leuten im Wembley-Stadion gute Nacht und fahren nach Hause, sehen unsere wundervollen Kinder“, sagte der 47-Jährige im Playboy-Interview, das er mit seinen Bandkollegen Howard Donald (50) und Mark Owen (46) gab, die ebenfalls heute Familienväter sind.

"Auf dem Höhepunkt von Take That war ich extrem einsam"

Nacheinander trudeln sie in der Interview-Suite des Londoner Hotels „The Langham“ ein. Die Kameras, vor denen sie sich mittlerweile gern adrett präsentieren, sind ausgeschaltet. Mark Owen, 46, zottelhaarig, graubärtig, legt sich, in eine Decke gewickelt, aufs Sofa. Howard Donald, 50, trägt Trainingsanzug, der grau melierte Gary Barlow, 47, ebenfalls. Sie nehmen Platz wie zum „Sportschau“-Gucken.
Warum auch vor Interviews unlocker werden, wenn man sie schon als adoleszenter Boy-Group-Star gegeben hat? 30 Jahre ist es bald her, dass sie erstmals zusammen als Take That auftraten. Und ausweislich ihres neuen Best-of-Album-Titels liegt eine „Odyssey“ hinter ihnen. Gemessen daran, sehen sie an diesem Tag Mitte November 2018 ganz passabel aus.

Warum tragen Sie Sportklamotten?

Donald: In unserem Alter hat man es gern ein bisschen bequem. Schließlich sitzen wir hier den ganzen Tag herum und reden über uns selbst.

Und? Macht das Spaß?

Barlow: Ob du es glaubst oder nicht: voll! Wir haben richtig Lust, von früher zu erzählen. Die Reise war echt lang. Wir erinnern uns ständig an neue Anekdoten, neue Kleinigkeiten von damals. Eigentlich ist es ein bisschen wie ein Klassentreffen, bloß, dass wir uns zurzeit jeden Tag sehen.

Prinz Charles hat heute Geburtstag. Gary, Sie organisierten 2012 das musikalische Programm zum 60. Dienstjubiläum der Queen. Sind Sie heute nicht eingeladen?

Barlow: Mann, Mann, Mann. Ich hatte gesagt, wir können nicht, weil wir heute Interviews geben. Bedauerlicherweise wollte Prinz Charles die Feier nicht verschieben. (Gelächter) Wir wünschen ihm trotzdem nur das Beste.

Was sind denn die schönsten Erinnerungen an die Anfangsjahre von Take That, in denen Sie heute schwelgen?

Donald: Komischerweise denke ich immer an unseren alten Bulli, mit dem wir zu den ersten Konzerten fuhren. Der Wagen war gemietet, Gary hatte die Lautsprecher und Mikrofone besorgt, wir stopften das Zeug hinten in den Bus und quetschten uns fünf irgendwie mit rein. So fuhren wir das Land hoch und runter. Wenn wir zum Beispiel in Essex spielten, was nicht weit von zu Hause in London war, tuckerten wir anschließend wieder heim. Und ich weiß, wie wir immer einschliefen. Irgendwie war dieser Kleinbus schrecklich gemütlich.

Owen: Robbie (Williams, d. Red.) und ich saßen hinten, wir durften nicht fahren, wir waren noch zu jung.

Barlow: Und Jason, Howard und ich teilten uns die Fahrerei. Ich fand das auch klasse, alles war so unkompliziert, so unschuldig.

Donald: Wir waren auf diesen Fahrten oft high, aber nicht von irgendwelchen Substanzen, sondern von der Euphorie der Konzerte. Wir kicherten die ganze Zeit: fünf Jungs, die nicht wussten, was passieren würde, auf großer Abenteuerfahrt.

Barlow: Wir haben uns damals sehr viel über das Leben unterhalten. Wir waren uns da wirklich sehr nahe, es gab noch keine Egos, keine Komplikationen.

Owen: Und dann kamen die Drogen ins Spiel. (Gelächter)

Barlow: Zu der Zeit träumten wir nur von dem, was vielleicht passieren könnte. Aber wir waren noch keine Stars oder so was.

Durften im Bulli auch Mädchen mitfahren?

Barlow: Ich hatte eine Freundin damals.

Donald: Ich auch.

Barlow: Wir waren ein strikter Jungsclub. Mit einer Ausnahme: Die Assistentin unseres Managers musste unser Gelaber über Jungs-themen und unser ganzes Jungssein ertragen, die Arme. Fußball, Bier . . .

Owen: . . . und unseren strengen Geruch.

Credit: Getty Images
v.l.n.r. Mark Owen, Howard Donald und Gary Barlow

Für Ihre Freundinnen war es wahrscheinlich schwierig mitzuerleben, wie Sie zu Popstars wurden.

Barlow: Ja, das hat auch nicht mehr lange gehalten. Aber in dem Alter, 18, 19 – also ich denke, das wäre sowieso nicht mehr ewig gelaufen. Wenn dein Leben dann natürlich abhebt und du um die Welt reist und überall Geschrei auslöst, dann wird es hart, richtig hart.

Donald: Wir wussten ja selbst nicht, was uns erwarten würde. Und die Freundinnen erst recht nicht. Du wirst unversehens in ein Leben gespült, von dem du keine Ahnung hast. Das ist der Unterschied zu heute: Als ich Katie, meine Frau, kennenlernte, wusste sie genau, auf was für ein Leben sie sich da mit mir einlässt.

Owen: Es ist aber bis heute nicht einfach für unsere Frauen. Wir sind oft unterwegs, gestresst, angespannt. Es gibt sicher Unkomplizierteres, als mit einem Popmusiker verheiratet zu sein. Wir versuchen, präsent zu sein, wenn wir daheim sind, aber ich denke, ich spreche für uns drei, wenn ich sage: „Danke, liebe Frauen, dass ihr es mit uns aushaltet!“

Habt ihr, was Mädels anging, in jungen Jahren mitgenommen, was möglich war?

Owen: Ach, das war nicht so krass, wie sich einige das vielleicht vorstellen. Wir hatten gar keine Zeit. Wir sind staunend durch die Welt gereist, standen plötzlich am Times Square in New York und dachten: „Wie sind wir Dorfjungs hier bloß hingeraten?“ Oder die MTV Awards am Brandenburger Tor 1994 – wir saßen neben Prince und George Michael. Ich war wahnsinnig aufgeregt an dem Abend und weiß noch, wie heiß ich darauf war, ein gemeinsames Foto mit Jon Bon Jovi zu bekommen.

Haben Sie das Foto noch?

Owen: Selbstverständlich!

Wenn fünf Jungs aus der englischen Provinz weltweite Popstars und Sexsymbole werden – was macht das mit denen?

Barlow: Es war eine riesige Veränderung. Wir traten jeden Abend vor Tausenden Menschen auf, von denen manche alles dafür getan hätten, um uns nahe oder mit uns ins Bett zu kommen. Für deinen Kopf ist das nicht einfach.

Ist man in so einer Situation überhaupt an einer festen Beziehung interessiert?

Barlow: Ich weiß noch, wie ich 1995 meine Frau traf und merkte, dass ich sie mag. Dawn war Tänzerin bei uns, ich war 24, Take That waren auf dem absoluten Gipfel, aber weißt du was: Ich war einsam, extrem einsam! Das war einer der Gründe, warum ich nicht lange fackelte, etwas mit ihr anzufangen – bevor ich mich dann kolossal in sie verliebte.

Hattet Ihr euch nicht gegenseitig?

Barlow: Ja, wir hatten uns, und trotzdem hat einen dieses Gefühl der Einsamkeit richtig fertiggemacht. Wir waren nicht mehr die fünf Teenager im alten Van, wir waren die Weltstars im Jet, in den Luxushotels, in den großen Arenen. Schon rein räumlich wird der Abstand größer, man hockt nicht mehr so eng beisammen, jeder lebt in seiner eigenen Blase, schottet sich irgendwie ab, das Leben wird unnatürlich. Plötzlich hast du keinerlei Alltag mehr, nichts, was dich irgendwie am Boden hält. Alles, was du tust, ist nun grandios und bedeutsam, keiner schlägt dir mehr irgendeinen Wunsch aus, du schwebst einen Meter über der Wirklichkeit. Auf Dauer war das nicht gesund.

Was ist heute besser?

Barlow: Wir haben Familien, Kinder. Heute sagen wir den 60.000 Leuten im Wembley-Stadion gute Nacht und fahren nach Hause, sehen unsere wundervollen Kinder. Bedeutsame Dinge sind der Schlüssel. In den Neunzigern gab es nichts Bedeutsames, sondern fast nur Oberflächliches.

Gibt es Dinge, die Sie ändern würden, wenn Sie noch mal in die Neunziger reisen könnten?

Donald: Nö. War schon cool, so sollte es sein. Du hattest Höhe-punkte, hattest richtige Tritte in die Eier, aber alles war an seinem Platz.

Was würden Sie gern noch mal erleben?

Owen: Alles (lacht). Deshalb sind wir ja hier und erinnern uns.

Donald: Ich vermisse es, jung zu sein.

Barlow: Es ist ein Klischee. Aber leider wahr: Die Jugend wird an junge Leute verschwendet. Als ich 20 war, dachte ich nicht: „Geil, du bist jung.“ Da war das selbstverständlich. Wenn du jung bist, bist du halt jung.

Howard, Sie sind dieses Jahr 50 geworden. Kommen Sie damit zurecht?

Donald: Passt schon. Ich bin der Älteste, aber ich habe von uns dreien mit Abstand die jüngsten Kinder – zweieinhalb und ein Jahr alt. Die beiden geben mir das Gefühl, 60 zu sein, weil es beim Krabbeln echt schon zwickt, aber im Herzen und im Kopf bin ich ein junger Kerl.

Barlow: Du hast deshalb kein Problem, weil du nicht aussiehst wie ein 50-Jähriger. Kein Mensch glaubt dir, dass du schon so alt bist.

Sie sehen alle jünger aus, als Sie sind. Muss man das, wenn man in der Öffentlichkeit steht?

Barlow: Wir gucken alle, dass es uns gut geht. Man muss schon auf sich achten. Seit unserer Rückkehr 2006, nach zehnjähriger Pause, sind wir nicht mehr die Jungs, denen der Körper alles verzeiht. Wir versuchen, gesünder zu leben und anständig zu essen. Als ältere Herren mit einer anstrengenden Bühnenshow müssen wir konditionell einiges draufhaben und zwei Stunden durchhalten. Also sehen wir zu, dass die Körper in Schuss bleiben.

Howard, Sie haben vier Kinder von drei Frauen, Mark und Gary, Sie haben jeweils drei Kinder von einer Frau. Insgesamt sind das zehn ...

Donald: Irgendwo beneide ich Mark und Gary ein kleines bisschen, dass sie keine Kleinkinder mehr zu Hause haben, mein Gott, was für ein Stress! Meine zweitjüngste Tochter ist 13. Und obwohl es eine großartige Sache ist, das alles noch mal zu erleben, ist es verdammt hart. Manchmal vermisse ich die Freiheit, die du hast, wenn deine Kinder älter werden.

Mark, Gary, was fangen Sie mit dieser Freiheit an?

Barlow: Wir haben unsere Ehe zurück. Dawn und ich sind wieder wie Teenager.

Ihre Kinder sind 18, 16 und 9 Jahre alt. Verstehen sich die Teenager-Eltern mit ihren Teenager-Kindern?

Barlow: In der Hinsicht haben wir echt Glück. Die machen total gern Sachen mit uns.

Sind Sie Ihren Kindern auch mal peinlich?

Barlow: Das ist mir egal. Und wenn schon. Meine Frau und ich, wir waren immer ziemlich schmusebedürftig vor den Kindern. Wir halten sogar im Restaurant Händchen, bis heute. Ganz im Gegensatz zu meinen Eltern, die haben sich nie vor uns Kindern angefasst.

Owen: Ich lese gerade das Buch „The 5 Love Languages“, hochinteressant. Eine der Thesen ist, dass jedes Paar, das lange zusammen ist, eine gemeinsame Sprache entwickelt.

Sie drei harmonieren auch ganz gut. Haben Sie auch eine gemeinsame Sprache?

Owen: Wir sind tatsächlich auch ziemlich touchy untereinander. Und Worte des Zuspruchs mögen wir ebenfalls. Wir sind drei Männer, die sich sehr über Komplimente freuen.

Ihr neues Best-of-Album heißt „Odyssey“, das war ursprünglich die Heimfahrt des griechischen Königs Odysseus aus dem Trojanischen Krieg – eine lange und abenteuerliche Irrfahrt. Trifft das auf Ihre gemeinsame Musikkarriere auch zu?

Owen: Absolut, mit allem inklusive der einäugigen Zyklopen. Ansonsten: Triumphe, Dramen, Hochs und Tiefs. Ab und zu drohte mal jemand abzusaufen, dann mussten wir den wieder aus dem Wasser holen und wiederbeleben. Zu anderen Zeiten segelte das Schiff von ganz allein, während wir entspannt in der Hängematte lagen.

Barlow: Mir tut jeder Mensch leid, der ein Leben ohne Höhe- und Tiefpunkte lebt. Denn Glücksmomente und Schicksalsschläge machen ein Leben letztlich aus. Ohne all das wäre es auf Dauer viel zu langweilig.

Von 1996 an lag Ihr Schiff im Hafen, Take That machten fast zehn Jahre Pause. Oder was haben Sie da gemacht?

Owen: Wir haben den Kutter angestrichen und repariert, ein paar der alten Holzplanken drohten zu verrotten, und irgendwann hatten wir den Kahn so weit, dass wir wieder loswollten.

Was ist mit den übrigen beiden Crewmitgliedern Robbie Williams und Jason Orange? Robbie Williams scheint ja bei Ihnen ein- und auszusteigen, wie er lustig ist.

Owen: Rob hat sein kleines schnelles Beiboot, in dem er manchmal durch die Gicht spritzt. Hin und wieder kommt er zurück, und wenn ihm auf seinem Boot das Essen ausgeht, dann füttern wir ihn. Jay ist wahrscheinlich irgendwo jenseits des Atlantiks und beobachtet auf seinem Boot gemütlich ein paar Wale (lacht).

Er ist glücklich mit seinem Leben abseits des Rampenlichts?

Donald: Ja. Jason sendet von dort, wo er ist, keine Signale, wieder bei uns mitmachen zu wollen. Ab und zu schickt er eine Postkarte, meist mit Pinguinen drauf.

Sie treten gelegentlich zusammen mit Robbie Williams auf, er ist eine Art assoziiertes Mitglied. Gab es nicht die Überlegung, dass er die Greatest-Hits-Tour mitspielt?

Barlow: Nein, wir haben vor ein paar Jahren darüber gesprochen, unsere Planungen für die nächsten Jahre verglichen und festgestellt, dass Rob erst wieder 2022 Zeit hat, etwas mit Take That zu machen. Und Jason hat unsere E-Mails gar nicht beantwortet. Und da wir mit den Vorbereitungen von „Odyssey“ und der Greatest-
Hits-Tour die vergangenen 18 Monate vollbeschäftigt waren, stand für uns außer Frage, dass wir dieses Kapitel zu dritt angehen wollten.

Robbie Williams wird im März eine eigene Show in Las Vegas spielen. Sind Sie eifersüchtig?

Owen: Nein, wir freuen uns. Das ist toll für ihn. Vegas ist für Rob gemacht.

Gerade ist die Sehnsucht nach Pop-Bands aus den Neunzigern wieder groß. Die Spice Girls haben ihr Comeback angekündigt, ebenso die Backstreet Boys . . .

Owen: Bei den Spice Girls hat man wirklich das Gefühl, dass sie diesmal wissen, was sie tun. Die haben lange überlegt, ob sie es wagen sollen, und wir freuen uns für sie. Die Backstreet Boys haben wir neulich erst in Las Vegas besucht, die haben auch wieder richtig Bock. Die Neunziger sind wieder da, mein Freund!

Gary, Sie sind Fan des FC Liverpool. Was sagen Sie zur Saison?

Barlow: Ich bin begeistert. Jürgen (Trainer Jürgen Klopp, d. Red.) ist wirklich ein Großer.

Owen: Die Reds werden Meister! Und dann kommen wir. Anfang Juni spielen wir in Anfield.

 

Das neue Best-of-Album von Take That, „Odyssey“, ist am 23. November bei Polydor erschienen. 2019 geht die Band zu ihrem 30. Jubiläum auf Tournee – unter anderem mit Konzerten in Deutschland.