Do., 25.07.2019
Film

Opfer-Fest: Zum 60. von Kevin Spacey

Kaum ein Künstler flog so hoch und stürzte so tief. Heute feiert der Schauspiel-Star Kevin Spacey seinen Geburtstag fern des Rampenlichts. Weil er ein Fiesling ist? Nein, weil es davon so viele gibt.

Grapscher, Lüstling, Sextäter: Als der Schauspieler Anthony Rapp im Oktober 2017 Kevin Spacey sexuelle Übergriffe vorwarf, wurde der zweifache Oscar-Preisträger – wir erinnern uns: einer der größten Bühnen- wie Filmkünstler der Gegenwart – in kürzester Zeit zur Persona non grata erklärt. Und zur ganz kleinen Nummer degradiert. Nach Rapp meldeten sich zahlreiche weitere Männer mit ähnlichen Anschuldigungen gegen Spacey, und der Angegriffene versuchte noch, mit bizarr anmutenden Video-Botschaften seinen Ruf zu retten. Es half nichts.

In der moralisch aufgeheizten Ära digitaler Hexenjagden lasten solche Vorwürfe dermaßen schwer, dass mit dem Mann gleich seine gesamte künstlerische Existenz und Bedeutung zerstört werden mussten, um den globalen Mob der Wohlmeinenden sittlich zu befriedigen. Spaceys Agentur trennte sich von ihm, Netflix kündigte die Zusammenarbeit, und Regisseur Ridley Scott ließ sämtliche Szenen mit Spacey aus dem Film „Alles Geld der Welt“ herausschneiden und mit Christopher Plummer nachdrehen. Die Welt hatte Spacey verstoßen. Hollywood wollte seine globale Kundschaft nicht vergraulen.

Was jetzt wirklich geschah? Vergangene Woche, also kurz vor Kevin Spaceys heutigem 60. Geburtstag, wurde in Massachusetts das einzige laufende Strafverfahren gegen den Filmstar eingestellt. Jawohl, richtig gelesen. Konkret war ihm darin vorgeworfen worden, 2016 einen damals 18-jährigen Aushilfskellner erst betrunken gemacht und ihm später in den Schritt gegriffen zu haben. Nachdem das Mobiltelefon des vermeintlichen Opfers, ein wichtiges Beweisstück in dem Fall, nun angeblich nicht mehr auffindbar ist, löste sich das Verfahren in Luft auf. Auch eine Zivilklage, die parallel lief, wurde vom Kläger ohne Angabe von Gründen zurückgezogen.

Wir dürfen nicht vorverurteilen!

Glückwunsch also, Mr. Spacey? Rehabilitation in Sicht? Mitnichten! Denn vor dem einzigen rechtsprechenden Gericht hatte längst eine mediale Weltöffentlichkeit ihr vernichtendes Laien-Urteil über Spacey gefällt – in Millionen aufgebrachter Beiträge. Es ist tatsächlich und unbestreitbar ein hehres Ziel einer demokratisch aufgeklärten, frei meinenden medialen Menschheit, die Gesellschaft vor Typen zu schützen, die mittels Machtpositionen andere Leute demütigen oder missbrauchen. Nur darf sich dieser Kampf um menschliche Grundwerte nicht selbst über menschliche Grundwerte stellen. Freunde, denkt daran: Wir dürfen nicht vorverurteilen!

In exakt diesem Punkt ist die freie Meinungswelt bei Spacey an ihrem eigenen Anspruch gescheitert. Und leider hat sie damit zugleich die Kundschaft Hollywoods um den Genuss großer Darstellungskunst gebracht. Für den Mann Kevin Spacey ist das, gelinde gesagt, tragisch. Für den Rest der Menschheit: einfach nur traurig. Was wiegt mehr?

Umringt von der Presse: Spacey vor seiner Anhörung Anfang im März diesen Jahres.
Umringt von der Presse: Spacey vor seiner Anhörung Anfang im März diesen Jahres.

Zurück zu den Anfängen: Ja, vielleicht ist Spacey mitschuldig an diesem neuerlichen Indiz dafür, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung im Universum ist. Und vermutlich hat er sich jungen Männern bisweilen sexuell aufgedrängt. Das macht man bekanntlich nicht. Nicht mit Frauen, nicht mit Männern, nicht mit Diversen, das ist spätestens seit der Grundschule klar. Aber aus welcher seltsamen Hirnwindung beziehen wir kleinen Meinungs-Multiplikations-Malocher eigentlich immer wieder dieses widerliche Ergötzen, uns zu Oberlehrern aufzuschwingen? Und Ikonen vom Sockel zu stoßen, auf dass wir ihnen endlich mal auf Augenhöhe – oder gar von oben herab – die Leviten lesen können? Und ist dieses Vergnügen wirklich größer als jenes, eine Folge „House of Cards“ anzuschauen? Die richtige Antwort lautet: nur für den, der das gigantische Kartenhaus zum Einsturz zu bringen hilft. Und so die Bedeutung seines ansonsten nichtigen kulturellen Beitrags vermillionenfacht.

Zum Glück wurde lange vor der digitalen Ära bekannt, dass Pablo Picasso nicht ausschließlich nett zu seinen Freundinnen war. Oder Heinrich von Kleist: Was, wenn er seine Franzosen-Hetze („Dämmt den Rhein mit ihren Leichen“) seinerzeit bereits auf Facebook hätte veröffentlichen können? Und: Dürfen wir eigentlich noch Opern des Antisemiten Richard Wagner hören? Oder GPS statt Straßenkarten nutzen? Schließlich soll sich dem Vernehmen nach Albert Einstein, auf dessen Erkenntnissen die Erfindung des GPS gründet, daheim im Kreis der Familie auch nicht immer ganz astrein verhalten haben.

Happy Birthday, Kevin Spacey!

Der Fall Kevin Spacey zeigt vieles. Dass auch Bad Boys gut sein können, sogar sehr, zumindest fachlich. Dass Moral nie ausschließlich etwas Positives und ein Vorurteil meistens blödsinniger ist als eine Beweisaufnahme. Dass Millionen Ameisen einen Löwen reißen können. Und dass die Menschheit noch nicht reif ist für die Geschwindigkeit ihrer neuesten Medien. Sie braucht ein paar Monate, manchmal Jahre, um Person und Werk gerechterweise getrennt voneinander zu betrachten. Bei den Scientologen Tom Cruise und John Travolta hatte sie noch genug Zeit. Bei Michael Jackson kamen die Boykott-Forderungen glücklicherweise recht spät. Und so besteht die Möglichkeit für alle, die Absurdität des Anspruchs zu erkennen, gute Kunst könne nur von guten Menschen gemacht sein. Oder die Einsicht zu haben, dass Stars auch nur Menschen sind und privat nicht unbedingt die besseren.

Happy Birthday, Kevin Spacey! Wir sortieren heute an Ihrem Ehrentag unsere DVD-Sammlung, schauen noch einmal lachend und weinend „American Beauty“ – und gucken, welche Ihrer Werke noch im Regal fehlen. Bestellung folgt. Hoffentlich haben Sie was davon!