Fr., 16.03.2018
Interviews

Greg Campbell: "Die Angst ist ein Kompromiss"

Der US-amerikanische Fotojournalist und Kriegsberichterstatter Chris Hondros verbrachte fast zwei Jahrzehnte damit, an den vordersten Frontlinien der gefährlichsten Kriegsgebiete zu arbeiten. Im Jahr 2011 kam Hondros bei einem Mörserangriff in Libyen ums Leben. Nun erscheint eine Dokumentation über das Leben und die Arbeit des Fotografen. Wir haben mit Greg Campbell, dem Macher der Dokumentation ein Interview führen können: Über die Gefahren der Kriegsberichterstattung und warum Hondros´Arbeit und sein Vermächtnis im Zeitalter von Trump wichtiger denn je sind.

Playboy: Wie entstand der Dokumentarfilm „Hondros“?

Cambell: Nachdem Chris getötet wurde, meldeten sich viele Leute bei mir und erzählten Geschichten, wie er ihr Leben beeinflusst hatte. Einer dieser Menschen war Joseph Duo, ein Kommandeur in Liberia, von dem Chris ein ikonisches Foto gemacht hatte. Joseph drückte seine eigene Trauer über den Tod von Chris aus, und es kam mir so vor, als hätten die beiden zueinander eine ganz spezielle Beziehung gehabt. Also beschlossen wir, uns zu treffen, uns über Chris auszutauschen und voneinander zu lernen. So fing es an.

Was waren einige der unmittelbaren Herausforderungen, denen Sie als Filmemacher gegenüberstanden?

Nun, wir haben es mit absolut keinem Budget angefangen. Getty Images waren von der Idee eines Films begeistert. Doch sie waren auch vorsichtig, weil ich noch nie zuvor einen Film gemacht hatte. Dennoch hatten sie die Hoffnung, dass ich von Leuten umgeben sein würde, die wussten, was sie taten. So fanden wir einige versierte Dokumentarfilmer, die ziemlich schnell an Bord kamen und uns in die richtige Richtung wiesen.

Chris Hondros bei der Arbeit.
Credit: Getty Images

Es heißt, Chris sei ein Draufgänger gewesen. War es mit der Dokumentation auch Ihr Ziel, dieses Gerücht zu entkräften?

Natürlich. Wissen Sie, Chris und ich haben immer viel über solche Vorwürfe gelacht. Doch es frustrierte ihn schlichtweg, dass die Leute so über ihn dachten – und über seine Arbeit. Als wir in Libyen zusammenarbeiteten, war er sehr vorsichtig. Doch natürlich muss man nah dran sein, wenn man gewisse Emotionen, einen gewissen menschlichen Aspekt auf den Fotos zeigen will - das müssen Fotografen einfach tun. Es gibt also einen Kompromiss. Man muss vorsichtig sein, aber man muss auch seinen Job machen. Dabei lernt man sehr gut mit seinen Ängsten umzugehen. Chris war ein Profi darin. Er hatte eine höhere Risikobereitschaft als andere – aber er war mit Sicherheit kein Draufgänger. Mir war es ein Anliegen, das zu zeigen.

Also war Angst ein Teil dieses Kompromisses?

Ja, und sie war notwendig. Es war oft ein Gefühl, das ihm sagte, dass er sofort ein Gebiet verlassen musste oder dass er an diesem Tag vielleich eine Straße nehmen "Es ist zu still hier, lass uns besser gehen", sagte er dann. Er musste wirklich gut darauf eingestellt sein, mit solchen Situationen umzugehen. Doch er musste auch darauf achten, dass diese mulmigen Gefühle ihn nicht zu sehr vereinnahmen. Chris hatte diese Fähigkeit. Wenn Sie jemand sind, der den Adrenalinrausch liebt, dann werden Sie nicht lange durchhalten.

"Chris kannte die Risiken besser als jeder andere"

Wenn man sich vor Augen führt, wie oft Chris in Bürgerkriegsländer fuhr, kann man da von einer gewissen Sucht sprechen?

Ich denke nicht. Für manche Leute klingt das vielleicht merkwürdig, aber Chris war ein wahrer Idealist was den Fotojournalismus betraf. Er wusste, welchen Rolle seine Fotos auf internationaler Ebene spielen könnten. Er kannte die Risiken besser als jeder andere. Und er wusste auch, was es zu bedeuten hatte, wenn wir uns an Orten wie Libyen aufhalten und dabei offen für die Beseitigung von Gadaffi eintreten würden. Chris suchte die besondere Geschichte. Er wollte dokumentieren, was es für die Menschen vor Ort bedeutet, wenn eine Flugverbotszone von der NATO durchgesetzt wird und ein Land im Chaos versinkt. Das sind die Geschichten, die er suchte, um die Aufmerksamkeit eines mediengesättigten Verbrauchermarktes auf sich zu ziehen.

Wenn Trump die Presse in Frage stellt, denken Sie, dass dieser Dokumentarfilm die wichtige Bedeutung der Arbeit von Journalisten dienlich sein könnte? Quasi als eine Art Gegengewicht?

Absolut. Er (Trump) greift eine ganze Industrie an für die mein Freund sein Leben verloren hat. Zu sagen, dass wir Fake-News verbreiten und die Arbeit von Leuten wie Chris Hondros in Frage stellt, der sein Leben aufs Spiel setzt um über die Geschehnisse der Welt zu berichten, dann kränkt mich das sehr. Doch im Generellen kränkt mich alles was aus dem Büro des Präsidenten nach Außen dringt, besonders bezogen auf den Beruf den ich ausübe und der meinem Freund Chris das Leben gekostet hat.

Credit: Getty Images

Dann ist dieser Film also mehr ein Tribut auf Chris?

Chris investierte unglaublich viel Energie und Zeit in seine Arbeit. Er konzentrierte sich stets auf die Menschen, die unmittelbar von politischen Entscheidungen, die auf höheren Ebenen getroffen wurden, betroffen waren. Zivilisten, Soldaten. Wir wollten diese ethische Arbeitsweise von Chris so gut wie möglich portraitieren. Er war immer daran interessiert, wie die Geschichte weitergeht –in welche Richtung sie sich entwickelte und entfaltete, weil auch er ein Teil dieser Geschichte war.

Was unterscheidet Chris Hondros von anderen Kriegsfotografen?

Wenn man sich für diese Karriere entscheidet, dann gibt es einen Moment an dem man sich entscheiden muss, sich eine harte Schale zuzulegen und alles von sich Abprallen zu lassen, oder es zuzulassen und sich dem Umfeld in dem man gerade ist, öffnet. Das, was Kriegsfotografen erleben beeinflusst dich psychisch und emotional. Es ist verdammt schwer eine klare Grenze zwischen „Arbeit“ und „Freizeit“ zu ziehen. Chris konnte das sehr gut. Doch es war nicht nur Empathie. Er versuchte eine menschliche Verbindung zu schaffen, die der Betrachter seiner Fotos verstehen kann.

Ein Beispiel: Wenn man sich das Joseph Duo-Foto ansieht, dann wirft das viele paradoxe Fragen auf. Mimik und Gestik erwecken den Eindruck, als hätte er gerade ein Tor beim Fußball geschossen. In Wirklichkeit hat er aber wohl gerade Menschen umgebracht. Einerseits fühlt der Betrachter des Bildes dieses Glücksgefühl, andererseits merkt man aber auch die Schrecken des Krieges darin. Die Essenz von Chris Fotos war es, genau jenen Punkt zu treffen, an dem das Foto für sich steht und keinen Untertitel mehr benötigt, ums sich selbst ein Bild davon zu machen.

Credit: Getty Images / Chris Hondros

Soldaten leiden oft nach ihrer Heimkehr an PTB. Teilen Kriegsfotografen ein ähnliches Schicksal wie Soldaten, die aus einem Krieg heimkehren?

Bestimmt. Aber Chris konnte wirklich gut damit umgehen- fast zu gut. Ich wünschte, ich hätte mit ihm mehr über diese Dinge gesprochen, die er sah und erlebte. Ich habe es auf jeden Fall versucht, aber er wechselte oft das Thema. Ich glaube, Chris wollte sich selbst nicht damit konfrontieren, damit er weitermachen konnte. Wenn du zu lange darüber nachdenkst, macht es dich fertig.

"Als Journalist bist du heute nur noch ein Ärgernis"

Credit: Chris Hondros / Getty Images

Ist es problematisch, über derartige Fotos im Hinblick auf ihre ästhetischen Vorzüge zu sprechen, wenn man die Natur dessen berücksichtigt, was sie darstellen?

Jeder kann ein Foto machen. Wenn in diesem Moment etwas passieren würde, was es wert wäre zu fotografieren, dann hätte jeder von uns ein anderes Foto. Aber wenn Sie einen Fotojournalisten dabei haben, dann würde diese Person wissen, wie man für den erzählenden Aspekt das Foto komponiert. Das hat Chris gemacht. Er hat es auf ein Niveau gebracht, dass das Foto ein bisschen jenseits der natürlichen Erzählweise lag. Seine Fotos waren wirklich faszinierend.

In Ihrem Film berichten Sie über die Veränderungen im Nahen Osten, in denen Journalisten plötzlich selbst zu Zielen wurden. Wie hat sich diese Veränderung auf Sie und Ihre Kollegen ausgewirkt?

Der Effekt ist schnell erklärt: Es ist nun für uns noch gefährlicher, unsere Arbeit zu tun. Sehen Sie sich James Foley. Er und seine Kollegen wurden gefangen genommen und brutal hingerichtet. Als ich anfing - mein erster Krieg war der in Bosnien und im Kosovo - konntest du mit einem ungepanzerten Wagen zu einem stark befestigten Kontrollpunkt fahren, wo alle Gewehre auf dich zeigten. Man konnte dann mit den Soldaten sprechen und ihnen klar machen, dass ihre Stimmen (und der Grund warum und wofür sie kämpften) nur durch deine Arbeit als Journalist publik werden würden. Als Journalist warst du ihr Sprachrohr. Selbst wenn sie kein Interesse daran hatten, haben sie dich nicht gleich erschossen. Heute haben diese Typen aber ihre eigenen Informationskanäle und betreiben ihre Propaganda selbst. Als Journalist der die Wahrheit berichten will, bist du für sie nur ein Ärgernis.

Wie sieht die Beziehung zwischen einem Soldaten und einem Journalisten aus?

Soldaten wissen nicht, aus welchem ​​Winkel der Erde du kommst. Es gibt kein Misstrauen, aber du bist nicht in der Einheit, und somit nicht Teil der Gruppe von Brüdern, die zusammen trainiert haben. Du bist eine zusätzliche Verantwortung. Es braucht viel, um ein Vertrauensverhältnis zu Soldaten aufzubauen. Oft klappt es auch nicht. Ich war bei Militäreinheiten, wo man von Anfang an weiß, dass es nicht funktioniert. Aber dann kommst du zu einer anderen Einheit, und es ist, als ob du dein ganzes Leben bei ihnen gewesen wärst.

Es spricht für Chris, dass er, obwohl er gerade den schlimmsten Tag eines Soldaten, nämlich dem, an dem er versehentlich zwei Zivilisten vor ihren fliehenden Familien erschossen hatte, fotografisch festhielt, trotzdem noch von ihm für seine Professionalität und Empathie gelobt wurde.

Was ist Chris Vermächtnis?

Seine Verlobte und Getty-Images stellen gerade ihm zu Ehren eine Stiftung auf die Beine, den „Chris Hondros Fund“. Die Stiftung sammelt Geldspenden für aufstrebende Fotojournalisten. Dabei geht es darum, Menschen zu finden, die mit einer Ähnlichen Attitüde und einem Idealismus wie Chris bei der Sache sind. Ich glaube auch, dass es ein Teil seines Vermächtnisses ist, die Wichtigkeit der Arbeit von Fotojournalisten nach Außen kommuniziert und deren Rolle in der Gesellschaft stärkt.

Titelbild: Getty Images