Do., 27.04.2017
Reportagen

Ich, König der Miss-Wahl

Auf der Suche nach dem sexuellen Abenteuer lässt sich unser Autor in die Jury der "MISS TUNING"-Wahl aufnehmen. Werden die Schönen versuchen, ihn auf die gewünschte Weise zu bestechen? Oder ist das alles nur ein großes Miss-Verständnis?

So supergeil wie sie ist noch nicht mal eine Packung Edeka-Milch. Sie hat bernsteinfarbenes Haar bis zu den Schenkeln und Schenkel bis zum Scheitel. Der Sieg beim Schönheitswettbewerb ist ihr sicher. Vorausgesetzt, sie bläst mir einen. Doch ich greife vor. Kurze Rückblende: Ich hatte vor einigen Wochen eine Einladung von der Tuning World Bodensee erhalten. Ob ich den Kandidatinnen der "Miss Tuning"-Wahl ein bisschen Mediencoaching geben könne? Ich dürfe die Schönheiten vier Tage bei ihren Wettkampf-Vorbereitungen begleiten und am Sonntag in der Jury meinen Daumen über ihren hübschen Köpfen heben oder senken. Klingt gut, oder?

"Gut? Ein aufgeplatzter Furunkel ist gut", sagte mein Kumpel Kiran und schwenkte sein Bierglas so euphorisch, dass das meiste daraus auf den Tresen schwappte. "Das hier ist verdammt noch mal genial! Es ist das Paradies!" Kiran trank einen Schluck. Dann fuhr er fort: "Du hast bloß ein Problem..." - "Dass ich von Mediencoaching keinen Schimmer habe?" - "Quatsch. Du musst aufpassen, dass dir die Vorhaut nicht reißt bei dem vielen Sex, den du haben wirst." Nach dem vierten Pils legten wir daher noch die "DEV Penis Pflegecreme" für 13,12 Euro in meinen Amazon-Einkaufswagen. Ohne Konservierungsstoffe, dafür mit drei von fünf Bewertungssternen. Man will ja nicht unvorbereitet ins Paradies kommen.

Mein Garten Eden hat einen grauen Teppich und sieht ein bisschen aus wie ein Seminarraum für Motivationskurse, wo man sich auf die Brust schlägt und ruft: "Tschakka, ich hab mich lieb." Auf dem Boden ist mit weißem Klebeband eine Bühne markiert, über die 20 feuchte Männerträume wandeln. Seit drei Stunden wandeln die jetzt schon hier durch den Proberaum des Messegeländes, während ich einsam auf einem Stuhl am Rand sitze. Selbst Autisten würden sich vernachlässigt fühlen. Ich glaube, ich brauche eine Zigarette.

"Schlaf einfach mit mir, und ich wähle dich!" Bei der Wahl der "Miss Tuning" hatte unser Autor mehr Qual als erwartet
Credit: ILLUSTRATION: MART KLEIN UND MIRIAM MIGLIAZZI

Unten im Erdgeschoss streunen strähnchenblonde Prollkarrenfahrer und potenzielle "Berlin - Tag & Nacht"-Statisten durch die etwa 15 Hallen, in denen 210 Aussteller und 154 Tuning-Clubs ihre 1000 Schlitten vorführen und..."Sorry, hast du mal Feuer?" Eine der Kandidatinnen steht draußen im Hof plötzlich neben mir. Anfang 20, enge Jeans, große Brüste, kommt aus Dittenheim oder irgend so einem Dorf. Zwei volle Lippen umarmen eine glückliche Zigarette. "Schon nervös wegen der Wahl?", frage ich. "Hmm, ein bisschen."

"Ach Quatsch, schlaf einfach mit mir, und ich wähle dich." - "Haha, du bist lustig", sagt sie lächelnd und stakst von dannen. Ich verstehe nicht, was daran jetzt lustig gewesen sein soll. Bald darauf ist Feierabend, und kaum im Hotel angekommen, verschwinden die Mädels jeweils zu zweit in ihren Zimmern. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass die eine oder andere später noch zur Einzelbewerbung an meine Tür klopfen wird. Und ich frage mich, ob man die "DEV Penis Pflegecreme" wohl erst danach aufträgt oder davor, also so wie Sonnencreme? Über eine Stunde sitze ich mit eingeölter Eichel auf meinem Bett und warte. Dann schlafe ich ein.

Freitag. Draußen scheint die Sonne, und im Frühstücksraum strahlen mich ein Dutzend C&A-Reklame-Models an wie Gesichtswurst. Dagegen beginnt sogar der Morgen vom Melitta-Mann kacke. Aber leider soll heute der Medienunterricht stattfinden. Und ganz unter uns: Genauso gut könnte ich den Kurs "Lachyoga für Fortgeschrittene" leiten. Ich habe nämlich wirklich überhaupt keine Ahnung, wie man Interviews gibt. Trotzdem sitzen die Mädels nun vor mir und starren wie die Lemuren. Die Katastrophe im Live-Ticker:

1. Minute: Ich erkläre, dass man Ähs durch die richtige Satzbetonung vermeidet.

2. Minute: Dittenheims Schönste: "Du hast selber gerade viermal äh gesagt."

3. Minute: Ich erkläre, dass man am besten um das Kernthema herumredet, wenn man keine Ahnung hat.

7. Minute: "Darf man Fotos in Arbeitsuniform posten?"

7. Minute: Ich rede um das Kernthema "Fotos posten" herum.

11. Minute: Eine bambusranke Brünette spricht kein Deutsch und befürchtet, die Fragen des Moderators beim Wettkampf morgen nicht zu verstehen. "Mach dir deswegen keine Sorgen. Es reicht, wenn du mit mir schläfst, damit ich dich wähle", sage ich zu ihr auf Englisch. Sie: "Haha, you are funny." Ich check's echt nicht.

Samstag. Tag der Vorentscheidung auf der Bühne in der Showhalle. In zwei Durchläufen (Kleidchen und Bikini) qualifizieren sich zwölf der Mädels für die morgige Finalrunde. Deswegen sind jetzt auch alle ganz aufgeregt im Proberaum und - ähm - pudern sich die Oberschenkel. Stundenlang. Ich weiß wirklich nicht, warum. Es hat sich bestimmt noch kein Pubertierender im Badezimmer auf geil gebräunte Oberschenkel einen runtergeholt. Sonst wären ja Prospekte für Thrombose-Strümpfe heiß begehrt unter Jugendlichen. Ich habe jedenfalls für die Damen mit dem geilsten Arsch gestimmt. Schnurz, ob gepudert oder nicht. So oberflächlich bin ich nicht.

Nach der Vorstellung stöckeln die Mädchen von der Halle zurück in den Proberaum, um sich umzuziehen. Eine Verliererin mit Brüsten, groß genug, um die Trapp-Familie zu stillen, schlendert allein den Flur entlang. Schon für männliche Neandertaler waren Mochusochsen und traurige Frauen die einfachste Beute. "Heeeeey", sage ich einfühlsam wie Pfarrer Fliege auf Östrogenkur. "Na, traurig?" - "Nö, gar nicht. Hat Spaß gemacht", sagt sie vergnügt und ganz ohne suizidale Anzeichen. Oh Mann, ey. Auf die Party am Abend hat sie trotzdem keine Lust. Und für die anderen geht's auch schon um 20 Uhr ins Bett. Morgen ist ja der große Tag.

Sonntag. Finale, oho. Die Jury aus Fotografen, Sponsoren, Tuning-Profis, anderen und mir wird in einen Besprechungsraum geführt, wo wir wie Schulkinder an Tischen nebeneinandersitzen und dem Briefing des Veranstalters lauschen: Drei Durchgänge gibt es (Kleidchen, Bikini und Abendgarderobe) und Punkte von eins bis zwölf, die wir schon während der Show zügig auf Zettel notieren sollen, damit der Moderator das Ergebnis gleich im Anschluss verkünden kann. Das war's. Kein geheimes Geklüngel, wie man sich das immer so vorstellt. Schade eigentlich. Dann ist es so weit.

Wie Boxer auf dem Weg in den Ring laufen wir auf einer Spur durch die vielleicht 900 Zuschauer in der Halle. Getöse. Die Mädels wandeln mal wieder die Bühne entlang, und 15 Minuten später steht fest: Die Schönheit mit dem Bernsteinhaar ist die neue "Miss Tuning". Applaus, Applaus. Blumensträuße werden überreicht, Wangenküsschen ausgetauscht, und schon ein paar Minuten später sind die meisten anderen Mädchen abgereist. Nicht mal tschüss haben sie gesagt.

Verlassen stehe ich mit einer Blondine im Proberaum, die noch ihre Tasche packt. "Da ist die Strategie von gewissen Damen wohl nicht aufgegangen, was?", sagt sie mit breitem Grinsen. Ich verstehe aber nicht, was sie meint. "Sag bloß, du hast nicht gemerkt, wie manche nur über deine Witze gelacht haben, damit du sie wählst?"

Was? Ich bin geschockt. Tz, tz ... Frauen tun doch echt alles für den Erfolg. Widerlich.

"Oh, du Armer", sagt sie lachend und legt ihre Visitenkarte mit Privatnummer vor mich auf einen Tisch. Dann geht sie. Aber ich glaube, das war erst der Anfang . . .

Titelbild: ILLUSTRATION: MART KLEIN UND MIRIAM MIGLIAZZI