Luis Rubiales drückt Spielerin Jennifer Hermoso einen Kuss auf
Di., 22.08.2023
Kommentar

Küssen verboten?

Der spanische Fußballfunktionär sorgte mit seinem aufgezwungenen Kuss bei der Siegesfeier der Fußball-WM der Frauen für einen Skandal. Doch nicht jeder scheint sich an der Übergriffigkeit zu stören. Das sagt vieles über den aktuellen Stand der Geschlechterdebatten und Machtgefälle, nicht nur im Frauenfußball, aus.

Der wohl größte Aufreger des Wochenendes kommt einmal mehr aus dem Fußball. Nein, nicht dass die Bayern mit Kane erfolgreich in die neue Bundesliga-Saison gestartet sind und der neue Stürmer des Rekordmeisters wenige Tage später auch Vater eines Sohnes wurde, sorgte für Schlagzeilen.

Stattdessen gehen seit Tagen die Bilder eines Kusses vor laufender Kamera um die Welt: Luis Rubiales, der Chef des Spanischen Fußballverbands, küsste im Weltmeistersiegestaumel – die Spanierinnen hatten beim Turnier in Australien und Neuseeland eben zum ersten Mal den WM-Titel geholt – Offensivspielerin Jennifer Hermoso nach einer Umarmung und einem Kuss auf die Wange schließlich auch auf den Mund. Besser gesagt: Er drückt ihr den Kuss förmlich auf. 

Kuss-Skandal bei Frauen-WM: Spaniens Ministerpräsident spricht von „inakzeptable Geste“ seitens Luis Rubiales

Als Hermoso anschließend in einem Insta-Live in der Kabine auf die Situation angesprochen wurde, sagte sie: „Es hat mir nicht gefallen. Was hätte ich tun sollen?“

Sofort hagelte es Kritik gegenüber Rubiales in Presse und sozialen Medien, einige Politiker forderten gar seinen Rücktritt. Der spanische Verbandschef bezeichnete seine Kritiker kurz darauf als „Idioten“: „Es sind nur zwei Freunde, die etwas feiern. […] Wenn es Dummköpfe gibt, sollen sie mit ihrem Unsinn weitermachen. Hören wir lieber auf diejenigen, die keine Dummköpfe sind", so der angegriffene Fußballverbandschef. Auch die betroffene Spielerin äußerte sich anschließend in einer Pressemitteilung vom spanischen Verband und wird folgendermaßen zitiert: „Es war eine völlig spontane gegenseitige Geste aufgrund der großen Freude über den Gewinn einer Weltmeisterschaft. Der Präsident und ich haben eine großartige Beziehung, sein Verhalten gegenüber uns allen war ausgezeichnet, und es war eine natürliche Geste der Liebe und Dankbarkeit.“

Doch die Kritik an der übergriffigen Aktion riss nicht ab, und Rubiales ruderte schließlich zurück. In einem Video sagt er rückblickend: „Es gibt eine Sache, die ich bedauere, und zwar das, was zwischen mir und einer Spielerin passiert ist, zu der ich eine großartige Beziehung unterhalte.“ Er habe „wahrscheinlich einen Fehler gemacht“.

Inzwischen gibt es auch Zweifel daran, ob Jennifer Hermoso das Zitat, in dem Sie den Kuss herunterspielte, tatsächlich (freiwillig) gegeben habe. Sollten sich diese Gerüchte bewahrheiten und das Zitat unter Druck entstanden sein oder in Wahrheit gar nicht von Jennifer Hermoso stammen, dürfte sich der Skandal noch ausweiten.

So oder so reißt die Kritik an Rubiales nicht ab: Beim Empfang der frisch gebackenen Weltmeisterinnen nannte Spaniens Ministerpräsident die Handlungen eine „inakzeptable Geste“.

Kuss-Skandal bei Frauen-WM: Rummenigge nimmt Rubiales in Schutz 

Rubiales in Schutz nahm indes ein anderer Funktionär. Karl-Heinz Rummenigge, Aufsichtsratsmitglied des FC Bayern, positionierte sich deutlich. „Ich glaube, man soll da nicht übertreiben“, sagte Rummenigge am Montagabend, als er im Rahmen des „Sport Bild“-Awards in Hamburg darauf angesprochen wurde. „Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay“, führte der 67-Jährige fort. „Ich kann mich erinnern: Als wir letztes Mal die Champions League gewonnen haben, habe ich Männer geküsst – nicht auf den Mund zwar, aber aus Freude.“

Pikantes Detail am Rande: Beim FC Bayern scheint man mit dem Thema in Zukunft achtsamer umgehen zu wollen und weitaus modernere Ansichten zum Awareness-Thema zu haben. Heute kündigte der deutsche Rekordmeister das Awareness-Konzept „Obacht.“ für die Heimspiele in der Allianz Arena an. „Während der gesamten Öffnungszeit des Stadions rund um die Spiele stehen Besucher*innen ab sofort zwei psychologisch geschulte Fachkräfte des KIT-München vom Arbeiter-Samariter-Bund München/Oberbayern e. V. zur Verfügung, sollten Sie Hilfe benötigen. Über QR-Codes, die in der gesamten Arena gut sichtbar sind, kann man bei Bedarf die Unterstützung verständigen. Ziel des Konzepts von „Obacht. Unsere Haltung – unser Ansatz“ ist, die Menschen zu sensibilisieren, hinzuschauen und zu unterstützen, wenn es nötig ist“, heißt es in der Pressemitteilung zum neuen Programm.

Wie passen die Aussagen von Rummenigge mit den modernen, notwendigen Ansätzen des FC Bayern zusammen? Gar nicht, möchte man meinen. Auch der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des FC Bayern, Michael Diederich, wird in der Pressemitteilung zu „Obacht.“ zitiert: „In der FC Bayern-Familie geht es um Zusammenhalt: Jeder Mensch soll sich willkommen, wohl und sicher fühlen. Grenzüberschreitendes, übergriffiges und diskriminierendes Verhalten wird bei uns nicht toleriert.“

Vielleicht sollte auch Karl-Heinz Rummenigge seine Aussagen in der Rubiales-Sache überdenken. Denn fest steht: Ob der Kuss in Ordnung war oder nicht, kann einzig und allein Jennifer Hermoso entscheiden. Und ihre Antwort aus der kennen wir.

Dabei legt das Denken und Handeln von Luis Rubiales noch etwas anderes offen: Dass sich das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern noch immer in Machtdemonstrationen äußert. Oder wie würden Sie es nennen, wenn jemand gegen seinen Willen vor einem Millionenpublikum und im bisher größten Moment der Karriere auf den Mund geküsst wird, ohne das zu wollen?

Kuss-Skandal bei Frauen-WM: Szene weckt Erinnerungen an Pokal-Übergabe an Messi bei der WM in Katar

Apropos Höhepunkt der Karriere: Die Bilder der Siegerehrung der Frauen-WM wecken Erinnerungen daran, wie Lionel Messi – dem wohl besten Fußballer der letzten Jahrzehnte – hier ebenfalls ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde.

Sie erinnern sich: Noch bevor Messi die WM-Trophäe als Kapitän der argentinischen Nationalmannschaft stellvertretend in Empfang nehmen sollte, legte ihm der Emir von Katar ungefragt einen sogenannten Bischt um. Das tradtionelle Gewand wird in Katar von wichtigen Personen am Nationalfeiertag getragen. Natürlich hat es unterschiedliches Gewicht, ob ein Mann in Machtposition jemandem vor laufender Kamera einen Kuss aufzwingt, oder einem der bekanntesten Sportler des Planeten ein scheinbar harmloser Umhang um die Schultern gelegt wird.

Vielleicht aber macht es das Messi-Beispiel für viele Menschen (be-)greifbarer, was da am Sonntag passiert ist. Und natürlich könnte man – ähnlich wie bei einem Kuss – theoretisch von einer Geste der Respektsbekundung sprechen. Doch war es in beiden Fällen der Spieler, respektive die Spielerin, die von einem Außenstehenden überrumpelt wurde. Geht man von der Unschuldsvermutung aus, so wollte Rubiales Hermoso sicher nicht den Tag, beziehungsweise den Titelgewinn verderben. Doch macht sein Handeln eben deutlich, wie falsch und unterschiedlich das Selbstverständis mancher Männer in Machtpositionen eben sein kann.

Eines steht dabei aber fest: Ikonische Momente wie die der Pokalübergabe sollten vor allem denen gehören, die sie erkämpft und erstritten haben. Übergriffigkeit hingegen sollte weder im Fußball, noch sonst irgendwo einen Platz bekommen. 
 

Titelbild: IMAGO / Sports Press Photo