Di., 22.12.2020
Motor & Mobility

Der Querlenker aus England

Ein Caterham ist unbequem, kaum alltagstauglich, nicht ganz billig und hat nur wenige PS. Trotzdem ist der neue SUPER SEVEN 1600 für Kenner das spaßigste Vehikel auf Erden. Wir suchten am Steuer nach Erklärungen.

Es soll ja Männer geben, die auf ihre Bandscheiben pfeifen. Die glauben, schmerzfrei Auto zu fahren sei etwas für Weicheier. Denen es egal ist, dass das Einsteigen in einen Sportwagen aufgrund ihres Hüftleidens wenig elegant aussieht. Und die viel Geld ausgeben, um möglichst wenig zu bekommen – während normale Menschen darüber nur den Kopf schütteln. Aber ein Caterham ist eben nicht für normale Menschen gemacht. Die Käufer dieser Fahrmaschinen, die aus nichts weiter bestehen als aus zigarrenförmigen Karosserien, frei stehenden Rädern und lärmenden Motoren, müssen extrovertiert und masochistisch veranlagt sein. Also, was ist dran an einem Caterham?

Nichts und alles. Oder anders ausgedrückt: Jeder Caterham punktet mit dem schlimmsten Purismus, den man bei einem Neuwagen zurzeit findet. Und aufgrund seiner (aus dem Purismus resultierenden) Leichtigkeit mit dem größten Spaß, den man heute mit einem Fahrzeug erleben kann, das vier Räder hat und von einem Verbrennermotor angetrieben wird. Das gilt für den neuen Super Seven 1600 erst recht. Denn der ist zusätzlich ein neues altes Auto, das ganz neu auf alt getrimmt worden ist.

Von den Türen über das Dach bis zur Motorhaube lassen sich viele Teile eines Caterham mit ein oder zwei Handgriffen leicht entfernen. Das spart Gewicht auf der Rennstrecke, wird aber auf öffentlichen Straßen von TÜV und Polizei nicht gern gesehen
Credit: Wout Taffun
Hardliner - Nichts für zarte Gemüter: So sehr unserem Autor auch das Driften im Caterham gefallen hat, zumindest für seinen Rücken hätte er sich etwas mehr Polsterung gewünscht
Credit: Wout Taffun

Sie verstehen kein Wort? Sorry, wir sind eine Erklärung schuldig. Und die beginnt 1957, weil es ja Leser geben könnte, die Caterham höchstens für einen Vorort von London halten. Damals stellte ein junger Ingenieur namens Colin Chapman seine siebte Konstruktion auf die Räder: den Super Seven. Die Firma hieß Lotus, und Chapman, der hoffnungslos dem Thema Leichtbau verfallen war, ließ beim Seven alles weg, was nicht zum reinen Fahren nötig war. Zwar machte Chapman gutes Geld mit dem minimalistischen Wagen aus Gitterrohrrahmen und Dünnblech, aber 1973 brauchte er die Firmenkapazitäten für andere Produkte. Graham Nearn, sein Londoner Händler aus dem Vorort Caterham, allerdings erkannte in dem Projekt noch weiteres Potenzial und kaufte Chapman die Produktionslinien sowie die Rechte an dem Auto ab. Seitdem heißt der Lotus Seven „Caterham Seven“. Und seitdem wirft die kleine Firma mit 130 Mitarbeitern ein Caterham-Modell nach dem anderen auf den Mark, bei Stückzahlen von maximal 550 Fahrzeugen im Jahr. Schon 2016 und 2017 schaffte es Caterham, mit dem heute eigentlich hoffnungslos veralteten Auto dank nostalgischer Elemente neue Fans zu finden. Diese ersten auf Geschichte getrimmten Modelle waren der Sprint und der Super Sprint – von diesen zwei Wagen wurden nur je 60 Stück gebaut, mit einem 95 PS starkem Dreizylinderchen vor dem Armaturenbrett. Diese Luftikusse waren so schnell verkauft (zugegebenermaßen hauptsächlich im Brexit-Land), dass man bei Caterham nachlegen wollte. Diesmal mit dem nicht limitierten Super Seven 1600.

Von außen fallen neben den chromblitzenden Auspuffrohren an der Seite vor allem die langen, geschwungenen Kotflügel auf, sogenannte Flared Wings – eine Hommage an den Lotus Seven S2 von 1960. Weitere Verbeugungen vor der glorreichen Vergangenheit sind beim SS 1600 die 14-Zoll-Mini-Lite-Felgen in Gold, Silber oder in Wagenfarbe sowie das Ersatzrad am Heck mit Abdeckung und Farben aus den Swinging Sixties. Seltsamerweise sind gegen einen Aufpreis von 930 Euro sogar LED-Lichter zu haben, auch wenn das natürlich dem Nostalgiegedanken komplett widerspricht.

NEWTIMER - Auch wenn er gerade erst vom Band gelaufen ist, halten viele Passanten einen Caterham fälschlicherweise für einen Oldtimer. Mit seiner offenen Bauweise, den übergroßen, frei stehen- den Kotflügeln und dem Holzlenkrad wirkt der ungewöhnliche Eng
Credit: Wout Taffun
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Bevor wir uns in die jüngste Ausprägung dieses automobilen Nichts zwängen, machen wir die Seifenkiste erst einmal startklar. Denn es gilt: Einen Caterham fährt man offen. Das Verdeck ist nur ein besserer Regenschirm und bleibt am besten im Heckkasten. Die Türen ziehen wir aus den winzigen Scharnierchen nach oben, dann falten wir Türblatt und Plexiglasfenster zusammen und legen es ebenfalls im Heck ab. Anschließend steigt man über die verbliebene Seitenwand und lässt sich von oben in den viel zu engen Sitz rutschen in der Hoffnung, dass die Speckröllchen nirgendwo hängen bleiben. Bei manchen Modellen lässt sich sogar wie in der Formel 1 das Lenkrad abnehmen, was das Einsteigen deutlich erleichtert. Mehr Komfort gibt es aber nicht, denn das einzige Luxuriöse an einem Caterham ist der Preis. Man kann zwar versuchen, sich mehr Platz zu erkaufen, indem man für zusätzliche 2450 Euro statt der Standardkarosse S3 die SV-Variante ordert. Innenraum, Tank und Kofferraum sind dann ein bisschen breiter und länger. Im Fußbereich, insbesondere bei den Pedalen, bleibt es aber trotzdem sehr eng. Man sollte sich daher angewöhnen, mit dem großen Zeh des rechten Fußes zu bremsen, während man mit dem Rest des rechten Fußes das Gaspedal nach unten drückt.

Schon auf den ersten Metern im Super Seven 1600 fällt auf: Die Lenkung reagiert äußerst direkt, die Schaltwege des winzigen Schalthebels sind extrem kurz, und das Heck bricht leichter aus als Corona in der Sauna, denn außer dem Hintern des Piloten – und eventuell dem eines bemitleidenswerten Beifahrers – sorgt dort so gut wie nichts für Gewicht. Das alles erzeugt jedoch den größten Fahrspaß, der denkbar ist. Zumindest solange man nicht direkt von A nach B will. Jede Kurve kann im Drift genommen werden. Im ersten Gang um ein paar Pylone im Kreis zu driften lernt selbst der ungeübte Fahrer in einer Stunde. Und weil so ein Caterham nur 565 Kilo wiegt, braucht man dafür weder viele Zylinder noch viele Pferdestärken. Schnell fahren geht zwar auch, allerdings zieht es einem ab etwa 80 km/h unangenehm die Luft aus der Nase. Kein Witz. Dabei macht der turbolose 1,4-Liter-Ford-Sigma-4-Zylinder Töne wie ein Großer. Die Technik sorgt zusätzlich für 70er-Jahre-Rallye-Sound: ein Knurren, ein Brummen, ein Brazzeln – alles ohne Auspuffklappen und elektroni- sche Sound-Generierung. Wer sich über eine solche Geräuschkulisse ärgert, hat einen Caterham nicht verstanden. Wer es gut findet, denkt britisch.

Credit: Wout Taffun

DRIFT-SHOP

Mit keinem anderen Auto ist Driften so einfach wie mit einem Caterham. Das liegt daran, dass auf der angetriebenen Hinterachse fast kein Gewicht liegt. Wer es ausprobieren will, kann sich bei der Caterham Drift Academy anmelden. Beim Training auf dem schmalen 1,6-Liter-Übungs-Caterham – hier kommen 495 Kilo auf 125 PS – werden Pylonengassen und Kreise im Drift durchfahren, und zwar im ersten Gang. Kreis- verquer sozusagen. Preis der Eintagesveranstaltung: 298 Euro. Infos unter www.caterham.de

Übrigens: Die Annahme, dass 136 lächerliche PS ein Anachronismus wären, können wir beim Super Seven 1600 locker ins Reich der Mythen schicken. Denn damit kann das Leichtgewicht in weniger als fünf Sekunden auf 100 km/h sprinten. Und ganz ehrlich: Von einer Fahrt mit knapp 200 km/h im offenen Roadster erzählt man noch seinen Enkeln. Vorausgesetzt, dass es einem dabei nicht den Kopf abgerissen hat, der trotz Windschutzscheibe stets im Wind zu hängen scheint. Und dass man es trotz der vielen Tief- und Nackenschläge, Nasen- und Nierentreffer, die einem der Caterham regelmäßig verpasst, ins entsprechende Opa-Alter schafft. Mit einer gewissen Freude nicht nur am Fahren, sondern auch am Schmerz.

 

CATERHAM SUPER SEVEN 1600
Geschwindigkeit
196 KM/H

Leistung
136 PS

Drehmoment
165 NM
0-100 km/h
4,9 SEKUNDEN

Hubraum
1600 CCM

Gewicht
565 KILO

Preis
44.024 EURO

Titelbild: Wout Taffun