Di., 17.01.2017
Kommentar

Lassen Sie es im neuen Jahr krachen!

2021 wird also alles anders? Das klingt nicht nur wie eine Drohung. Mehr Verzicht, gesünder leben: Unser Autor nennt das Terror.

Das kommt jetzt vielleicht ein bisschen überraschend: Es ist höchste Zeit, etwas gegen diesen verdammten Terror zu unternehmen! Wir dürfen nicht länger untätig bleiben! Denn sie sind unter uns: Schläfer, die ihre Uhren schon gestellt haben (nämlich auf den 1.1.) - und wenn sie losschlagen, wird es fürchterlich. Mal wieder.

Gewiss, unsere Gesellschaft neigt dazu, mildernde Umstände geltend zu machen: Sie haben die schwere Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr hinter sich, die armen Terrortrottel, ihre Religion verlangt von ihnen, viel Alkohol und fettes Essen zu sich zu nehmen und dabei tage- und wochenlang in traditionell überheizten Wohnstuben herumzusitzen, sodass sie unter Bewegungsmangel leiden und unter ihren Großfamilien, die ebenfalls traditionell viel zu lange zu Besuch bleiben, und dann ist es auch noch die ganze Zeit dunkel draußen!

Den Zigarettenkonsum ausmerzen, sich den Alkohol verbieten und dann womöglich auch noch Sport treiben! Ich aber sage: Nix da

Ist doch klar, dass man da auf dumme Gedanken kommt, dass man radikal wird und am liebsten mit einem Schlag alles verändern möchte: den Zigarettenkonsum ausmerzen, sich den Alkohol verbieten und dann womöglich auch noch Sport treiben! Ich aber sage: Nix da. Diese schweren Weihnachtszeiten haben wir alle hinter uns. Nötigen wir uns deshalb zum Kalorienverzicht, begehen wir Anschläge auf unsere körpereigenen Fettreserven? Nein. Jeder aufrechte, an westlichen Leberwerten orientierte Bürger nimmt sein Schicksal an - Konsum ist nicht nur eine Option, Konsum bringt auch eine Verpflichtung mit sich. Der Griff zur Sportskanone aber muss geächtet bleiben. Ja, auch schon die bloße Drohung.

Menschen gleich zu Terroristen zu stempeln, weil sie zu Silvester gute Vorsätze fassen, das geht aber zu weit, höre ich es murren? Dabei liefert doch schon der Begriff der guten Vorsätze das erste Indiz, womit wir es hier in Wirklichkeit zu tun haben. Denn was bleibt, wenn man das heuchlerische „gut“ weglässt? Der Vorsatz. Und in welchem Kontext finden wir das Wort Vorsatz in allererster Linie? Natürlich: im juristischen. Dort heißt etwas vorsätzlich tun, es wissentlich und willentlich zu tun, und das wird zu Recht härter bestraft, als wenn man etwas fahrlässig tut. Sollten Sie also nach Neujahr aus reiner Fahrlässigkeit gesünder leben, weil Sie zum Beispiel vergessen, nach dem Einschlafen noch eine Zigarette zu rauchen, oder Sie übersehen in der morgendlichen Dunkelheit den Frühstücksspeck am Büfett und ernähren sich versehentlich von (fettarmem) Frühlingsquark und Vollkornbrot: Schwamm drüber, das würde Ihnen wirklich niemand vorhalten.

Gleiches gilt, wenn Sie im Affekt handeln, etwa weil Sie vom anderen Geschlecht einer seelischen Belastung ausgesetzt werden („Nimm endlich ab, du fette Sau!“). Die kann man als mit ursächlich ansehen für Ihren Wahnsinnsentschluss zu Terrorakten gegen sich selbst und Ihre Umwelt. Sollten Sie in einer solchen Situation Ihre Amoklaufschuhe schnüren und dazu ansetzen, Ihren Hüftpölsterchen den Garaus zu machen - auch in diesem Fall gingen Sie unseretwegen straffrei aus.

"Nimm endlich ab, du fette Sau!

Das war’s dann aber auch schon mit der Nachsicht. Alle anderen, die sich selbst wissentlich und willentlich etwas vorenthalten, unterschlagen oder entziehen, weg- oder gar gewaltsam abnehmen: Die machen sich schuldig. Diese Lassprediger terrorisieren sich und ihre ganze Umgebung: Lass doch die Zichten, lass das Saufen, lass die Finger vom Fett, so ist ihre implizite Forderung, und tut es mir gleich!

Ihre Körper und die sehnervenzerfetzenden bunten Stoffe, in die sie gehüllt sind, und wie sie keuchend durch Stadtparks jagen, wo man Angst haben muss, dass ihre roten Köpfe gleich explodieren, all das ist ein einziger Vorwurf an alle, die nicht der gleichen Gesinnung sind: Seht her, ich bin auf dem Weg zu Gott bzw. zu McFit oder wie der Fitnessanbetungstempel auch immer heißt, ich bin auf dem rechten Weg, und ihr Ungläubigen, ihr Kaloriensünder, ihr Jünger des Dämons Alkohol, ihr Sklaven eurer Begierden, ihr nicht! Ihr seid auf dem falschen Weg! Dem Weg zu Hamburgern, Pizza, Bier und Rotwein und der Zigarettenschachtel danach! Dem Weg zu Kurzatmigkeit, Herzschmerzen und Notaufnahme! Wehe euch!!

Denn das ist die wahre Absicht dieser Terroristen - über kurz oder lang einen Gottesstaat zu errichten, in dem Achim Achilles der Prophet ist, und wo dreimal am Tag aus dem ersten Buche Trimmy vorgebetet wird: Am Anfang war der Sport, und der Sport war bei Gott, und Gott war der Sport. Das ist der Traum der Gläubigen, und er ist das Gegenteil von einem schmutzigen Traum, er ist ein ganz und gar sauberer Traum, einer ohne Nikotinflecken und Rotweinränder.

Klar, tiefer Glaube erschafft Großes, wer wüsste es besser als die Katholiken (und da insbesondere die in Limburg), manchmal auch Dickes (Wadeln, Bizeps), und die Kathedralen des Glaubens ans gesunde Leben und den lieben Sport schießen ja längst überall ins Kraut. In bislang völlig unbescholtenen Stadtvierteln eröffnen, nicht mehr heimlich im Hinterhof, sondern ganz offen und mit großer Ladenfront, vegane Restaurants, Biomärkte und Sportstudios.

Ihre schiere Zahl und die Zahl ihrer gläubigen Besucher nötigen sogar uns Skeptikern, auch das liegt offenbar im Wesen des Glaubens, einen gewissen Respekt ab. Es soll auch Ungläubige unter uns geben, die hin und wieder selbst solche Tempel besuchen, wo sie sich allerlei gesunde Nahrungsmittel verschaffen oder ihre Körper ertüchtigen - auch ganz ohne deshalb gleich religiös zu werden oder gar zu Predigern, die Ungläubige bekehren wollen. Da aber fehlt er, der Vorsatz, und das macht den Unterschied.

Umgekehrt jedoch gehören die meisten Vorsatzterroristen ja zu den verachtenswertesten Kreaturen: zu denen, die zwar mit großem Bohei in Sprengstoff- bzw. Joggerwesten schlüpfen - sich dann aber nicht trauen. Bzw. schon nach den ersten Metern auf dem Weg in eine bessere Welt schlappmachen, umfallen, implodieren und dabei niemanden mitreißen außer gute Laune und Geduld ihrer Umwelt. Diese Montagsjogger aber, die schon am Mittwoch mit nur noch leise schlechtem Gewissen das erste Bier aufmachen und am Freitag ihre Laufschuhe am liebsten verbrennen würden, um sich über dem Feuer ein paar Würstchen zu braten: Die sind keine gute Gesellschaft. Um das Mindeste zu sagen.

Das deutsche Strafrecht ist da übrigens ganz auf unserer Seite, denn es besagt: Vorsatz allein ist nicht strafbar - außer bei Terrorismus. Also bitte: Finger weg von guten Vorsätzen.

Titelbild: Playboy Germany