Die Netflix-Serie "Dahmer - Monster" schießt innerhalb drei Wochen auf Platz 2 der beliebtesten englischsprachigen Serien aller Zeiten
Mo., 17.10.2022
TV & Serien

True Crime und true love: Dieses Phänomen sorgt dafür, dass sich Frauen zu Serienmördern wie Jeffrey Dahmer hingezogen fühlen

Durch die Netflix-Adaption der so unbegreiflichen wie grausamen Verbrechen des Serienmörders Jeffrey Dahmer erleben True-Crime-Geschichten einen neuen Hype. Während die Verbrechen in der Miniserie „Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“ die Grenzen des Fassbaren überschreiten, ist auch ein weiteres Phänomen kaum zu glauben: Von einer Anhängerschaft bekommt der Schwerverbrecher Fanpost und Liebesbriefe. Doch warum? Eine Erklärung liegt im Bonnie-und-Clyde-Syndrom.

Seit am 21. September die erste Folge auf der Streaming-Plattform Netflix erschien, kommt keiner mehr an der Serien-Verfilmung „Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer vorbei: Innerhalb von drei Wochen schaffte es die Netflix-Serie mit über 700 Millionen gestreamten Stunden auf Platz zwei der beliebtesten englischsprachigen Serien aller Zeiten – und beweist damit einmal mehr, in welchen Bann True-Crime-Geschichten Menschen ziehen können. Und doch ist es für manche nicht die True-Crime-Story, die ihrer Faszination zugrunde liegt. 

Netflix-Hype: Darum geht's in der Serie „Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“

Die Serie über Jeffrey Dahmer, einen der brutalsten Serienmörder unserer Zeit, spielt überwiegend in den 1980er-Jahren. In zehn so düsteren wie blutigen und expliziten Folgen werden hier Dahmers Leben und seine Verbrechen filmisch aufbereitet – angefangen bei seiner dramatischen Kindheit mit seiner psychisch labilen Mutter, über seine sexuellen Mordfantasien und das Sezieren von Menschen und Tieren bis hin zu seiner Verurteilung im Jahr 1992 und seinem Tod 1994. Zwischen 1971 und 1991 tötete Dahmer 17 Männer und Jugendliche, meistens nachdem er sie unter einem Vorwand in seine Wohnung lockte, betäubte und sexuell missbrauchte.

In der Netflix-Serie wird Jeffrey Dahmer von „American Horror Story“-Schauspieler und Marvel-Star Evan Peters verkörpert. Und auch wenn er für düstere Rollen bekannt ist, gab er gegenüber Netflix erst kürzlich zu, dass Dahmer zu spielen eines der „schwersten Dinge, die er in seinem Leben tun musste“, war. Seine Fans honorieren die Leistungen und mehrere Fanpages in den sozialen Medien verdeutlichen, dass sich im Laufe der Karriere eine große Anhängerschaft um seine Person gesammelt hat. So weit, so normal – dass Hollywood-Stars eine Fanbase hinter sich haben, ist nicht weiter verwunderlich. Dass Peters Serien-Alter-Ego Jeffrey Dahmer eine ähnliche Faszination auf die Menschheit ausübt, hingegen schon: In einer Folge der Serie erhält der Serienmörder Fanpost von Frauen und Männern, die ihn für seine Verbrechen und sein Auftreten bewundern. Briefe wie diese bekam Dahmer auch in der Realität.

Netflix-Hype „Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“: Von Schwärmereien, Liebesbriefen und Hochzeiten

Jeffrey Dahmer ist damit keineswegs ein Einzelfall: Auch andere Serienmörder wie Ted Bundy, Luka Magnotta oder John Wayne Gacy finden dieselbe Anerkennung. Zu deren Lebzeiten erhielten die Killer nicht nur Liebesbriefe, sondern scharten eine ganze Fangemeinde um sich, die sich bei den Prozessen der Serienmörder aufhielten, um hautnah dabei zu sein. John Wayne Gacy erhielt angeblich einen Heiratsantrag und Ted Bundy heiratete tatsächlich eine Frau im Gerichtssaal.

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Auch wenn viele der genannten Serienkiller nicht mehr am Leben sind, gibt es bis heute Fans, die ihre Schwärmereien in den sozialen Netzwerken und Foren kundtun oder sogar Videoclips vom oberkörperfreien Evan Peters als Dahmer mit lasziver Hintergrundmusik versehen. Doch woher kommt diese Faszination für Männer, die absolut abschreckend, brutal und auf ihre Weise weltfremd sind? 

Netflix-Hype „Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“: Was finden Frauen an Serienkillern wie Jeffrey Dahmer oder Ted Bundy?

Hinter dieser Faszination steckt die sogenannte Hybristophilie, auch unter dem Bonnie-und-Clyde-Syndrom bekannt. Dieses meint die sexuelle Anziehung zu Kriminellen, insbesondere zu denen, die schwere Tatverbrechen wie Sexual-, Gewalt- und Tötungsdelikte begangen haben. Dabei kann sich die Anziehung in zwei verschiedenen Varianten äußern: in der passiven Variante, in der die Frau die Geschehnisse aus der Ferne bewundert, und der aktiven Variante, in der die Frau eine tragende Rolle spielt. Entweder zeigt sie keinerlei Hemmungen und schreibt ihrem Verehrten einen Liebesbrief oder ist gar an den Straftaten beteiligt, wie man es am namensgebenden Fall von Bonnie und Clyde sehen kann.

Die Gründe, weshalb sich Frauen sexuell zu Verbrechern hingezogen fühlen, sind vielseitig – haben jedoch alle eines gemeinsam: Sie gründen auf einem Trugschluss, auf einem verzerrten Bild eines Mannes und eines Menschen, der häufig nicht stark und bewundernswert ist, sondern dessen Leben völlig ohne Selbstkontrolle verläuft. 

1. Es wird bewundert, wenn Männer – ohne Rücksicht auf Verluste – ihr eigenes Ding durchziehen und entgegen jeglicher Norm das machen, was sie in dem Moment antreibt. Dies demonstriert aus der Sicht von Evolutionsbiologen Macht und Dominanz gegenüber anderen: Je extremer ein Mann handelt, desto bewundernswerter wirkt das auf entsprechende Frauen. 

2. Wie Christine M. Sarteschi in ihrem Buch „Mass and Serial Murder in America“ erklärt, erhalten Serienkiller durch mediale Aufmerksamkeit oft einen großen Bekanntheitsgrad und werden dadurch oft zu einer Figur der Popkultur, was sie automatisch attraktiver macht.

3. Menschen wollen begreifen, warum andere Menschen zu sowas wie Mord fähig sind. Wie auch schon Kriminalpsychologin Lydia Benecke im Gespräch mit Playboy erklärte, wollen Menschen begreifen, „wie jemand, der einen brutalen Mord begangen hat, zwei Stunden später ganz ruhig bei seiner Familie am Esstisch sitzen kann. Sie fragen sich, was das für Menschen sind, wie sie so werden – und vielleicht noch, wie sie diese erkennen könnten.“

Netflix-Hype „Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“: An Männern wie Jeffrey Dahmer ist nichts Bewundernswertes

Auch wenn es zu den Ursachen, weshalb Frauen diese Anziehung gegenüber Verbrechern spüren, wenig empirische Forschung gibt, gibt es laut Lydia Benecke „Indizien dafür, dass diese Menschen psychische Probleme haben.“ Aber nicht nur die betroffenen Frauen leiden unter solchen Krankheiten. Auch über die Täter sagt Benecke: „Ich arbeite seit 2008 mit Gewalt- und Sexualstraftätern und kann sagen: Sie sind einfach nicht bewundernswert und auch keine Antihelden, die irgendwie stark sind und ihr Ding durchziehen. Die Realität ist, dass die Täter wesentliche Aspekte ihres Lebens nicht im Griff haben und nicht mit ihrem Leben klarkommen. Eine schwere Straftat wird eigentlich immer ausgelöst durch soziale, emotionale oder persönliche Defizite.“ Hinter der Fassade der dominanten Männer würden oft Wesen stecken, die sich in einer verzweifelnden Lebenslage befänden und von psychischen Erkrankungen betroffen seien.

Inzwischen liegt „Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“ auf Platz zwei der Top-10-Serien auf Netflix in Deutschland – und liefert damit einmal mehr den Beweis, dass Serienmörder und ihre Geschichte auch auf geistig gesunde Menschen eine gewisse Anziehung und Faszination zu haben scheinen. Schließlich erfreut sich das Genre nicht erst seit der Miniserie um Jeffrey Dahmer einer immer größer werdenden Beliebtheit. Seit Jahren steigt die Anzahl der True-Crime-Formate in Serien- oder Podcast-Form. Und so wird der Fall um Jeffrey Dahmer sicherlich nicht der letzte Kriminalfall sein, der auf Netflix seine eigene Serien-Adaption erhält.

Titelbild: Netflix