Do., 30.06.2022
Interviews

„Ich würde keine Millionen verdienen wollen“

Gestern, am Sonntag, den 31. Juli, traf unsere Nationalelf im EM-Finale gegen England – und verlor in der Verlängerung 2:1 knapp gegen die Gastgeberinnen. Warum England in Sachen Frauenfußball die Nase vorn hat, erzählte uns die 24-jährige Stürmerin Laura Freigang, die als Profi-Fußballerin bei Eintracht Frankfurt spielt, schon vor der EM im Interview …

Frau Freigang, welche Ziele hat Ihre und unsere deutsche Elf sich gesetzt?

Ich glaube, dass die EM ein sehr spannendes Turnier wird. Es gibt mittlerweile viele gute Mannschaften – was für den Sport total schön ist, aber die klare Favoritenrolle, die Deutschland viele Jahre lang innehatte, kann nicht mehr so einfach eingelöst werden. Wir müssen ein gutes Turnier spielen, dann ist auch alles drin.

Was haben Sie persönlich sich vorgenommen?

Ich habe meine Rolle im Team. Immer wenn ich reinkomme, versuche ich, Dampf zu machen. Ich bin als Stürmerin torgefährlich, und wenn ich meine Zeit kriege, versuche ich, genau das auf den Platz zu bringen. Und natürlich auch abseits vom Feld zu unterstützen, wo ich kann.

Inwieweit beeinflussen Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine oder die Corona-Pandemie Ihre Sicht auf das Turnier?

Man reflektiert viel mehr, auch über Situationen und Dinge, die früher selbstverständlich waren. Auch den Sport rücken solche Ereignisse in eine andere Perspektive. Am Ende des Tages ist mir bewusst, dass es „nur“ Sport ist.

Wie wichtig sind Turniere wie die EM eigentlich, um den Frauenfußball zu pushen?

Wir haben nicht immer die große Bühne wie der Männerfußball. Solche Turniere sind aber eine riesige Chance, uns zu zeigen. Ich denke, dass das eine coole Erfahrung wird. Gerade in England, wo die Entwicklungen im Frauenfußball ja generell sehr interessant sind.

In England wird der Frauenfußball immer populärer. Warum hat es der Frauenfußball in Deutschland so schwer?

Um gesehen zu werden, braucht man, wie gesagt, eine Bühne. Und ich habe das Gefühl, dass gerade in England medial sehr, sehr viel gemacht und auch kräftig geworben wird. Das zeigt auch die 
TV-Vermarktung über Sky und BBC. Klar, es ist eine Investition – wir sind nicht unbedingt in der Situation, dass wir unsere Kosten selbst decken können oder Geld generieren. Aber wenn man uns die Chance gibt, und das sieht man ja am Beispiel von England, macht sich das bezahlt.

„Wo soll das Geld herkommen? Wir können kein Geld ausbezahlt bekommen, was wir nicht einbringen.“

Sie sind Spielerin von Eintracht Frankfurt, einem Traditionsverein, der im Herrenbereich jetzt die Europa League gewonnen hat und vor ausverkauftem Stadion spielt. Wie groß ist die Sehnsucht, so etwas zu erleben?

Sehr groß! Natürlich wünscht man sich das als Spielerin. Ich bin jetzt vier Jahre in Frankfurt und durfte die Fan-Kultur schon etwas kennenlernen. Und ich glaube, dass auch für uns Frauen eine riesige Chance besteht. Bei unserem letzten Saisonspiel gegen Werder Bremen, es ging um die Champions-League-Qualifikation, waren 4520 Leute im Stadion – das war Rekord in der Frauen-Bundesliga in diesem Jahr.

Ein Punkt, der immer wieder kritisiert wird, ist die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen im Fußball. Wie stehen Sie dazu?

Die Equal-Pay-Diskussion kommt ja eigentlich aus den USA und ist auf die Nationalmannschaft zurückzuführen. Dort ist die Situation jedoch eine ganz andere. In Deutschland ist die Diskussion für mich irrelevant. Wo soll das Geld herkommen? Wir können kein Geld ausbezahlt bekommen, was wir nicht einbringen. Ich hoffe einfach, dass wir eine Chance bekommen und professionelle Strukturen entstehen. Und das sind Dinge, die nicht in Form von hohen Gehältern erfolgen müssen. Ich würde keine Millionen verdienen wollen, um ehrlich zu sein. Das ist nicht das, was wir uns primär wünschen.

Sondern was genau?

Dass die Grundsteine dafür gelegt werden, dass wir den Sport auf einer professionellen Ebene ausführen können. Man kann „unseren“ Fußball nicht mit dem der Männer vergleichen, weil nicht dieselben Bedingungen herrschen. Man kann wirklich in ganz vielen Ecken, zum Beispiel bei den Trainingsbedingungen, ansetzen. In England sind die Vereine der Ersten Liga zum Beispiel dazu verpflichtet, eine Frauenmannschaft zu haben. Wenn man dann die Ablösesummen der Männer anschaut und guckt, wie viel Geld es bräuchte, um eine Frauenmannschaft zu finanzieren, sind das wirklich Peanuts. Klar, es geht um Geld, aber ich finde, man sollte sich fragen: Leben wir ausschließlich kapitalistisch und fördern nur das, was maximalen finanziellen Erfolg bringt, oder geht es uns auch um die Gesellschaft? 

„Der Frauenfußball ist ein bisschen unschuldiger, bei uns fühlt sich alles noch sehr echt, nahbarer an“

Über welchen Unterschied zum Männerfußball sind Sie froh? 

Ich habe sehr lange unbeschwert Fußball spielen können, bevor es ernst wurde. Im Männerfußball setzt man sich viel früher einer enormen Belastung aus. Auch  weil da so viel Geld drinsteckt. Fußball ist ja mittlerweile auch politisch geworden. Der Frauenfußball ist ein bisschen unschuldiger, bei uns fühlt sich alles noch sehr echt, nahbarer an. 

Was genau meinen Sie damit?

Klar, mittlerweile gibt es viele Fußballerinnen, die vom Sport leben können, aber bei uns fängt keine an, um berühmt zu werden. Bei uns spürt man ganz grundsätzlich, dass wir alle Bock drauf haben. Es gibt eine gewisse Ehrlichkeit in dem, was wir tun.

Wo wir gerade bei Politik waren: Die russischen Fußballerinnen wurden von der EM in England ausgeschlossen. Wie politisch darf Fußball sein?

Ich finde es ganz schwierig, Politik und Sport zu trennen. Denn aus meiner Perspektive ist der Sport Teil der Gesellschaft. Ich finde, für Werte einzustehen, die man als Gesellschaft lebt, ist total wichtig, und dafür sollte man seine Position in der Öffentlichkeit auch nutzen.

Also finden Sie es richtig, dass 
die russische Nationalmannschaft ausgeschlossen wurde?

Es tut mir leid für die Einzelpersonen, aber es geht hier einfach um mehr als um den Sport. Es ist wichtig, Konsequenzen zu ziehen, und deshalb war die Entscheidung meiner Ansicht nach völlig richtig.

Wie stehen Sie denn zur WM in Katar?

Das ist wieder so ein Beispiel für die finanzielle Macht im Sport. Es fallen viele Werte hinten runter, und das geht nicht. Man hört zwar viele kritische Stimmen, aber so richtig Einfluss auf den Verband nehmen sie leider nicht.

Sie selbst setzten sich sehr für Diversität und Inklusion im deutschen Fußball ein. Warum liegt Ihnen das Thema so am Herzen?

Für mich war es immer selbstverständlich, dass jeder so sein darf, wie er möchte – bis ich gemerkt habe, dass es gar nicht so selbstverständlich ist. Gerade im Männerfußball. Der Frauenfußball lebt schon seit Langem viel offener. 

Woran liegt das?

Auch wir hatten lange mit Stigmata zu kämpfen, haben wir auch immer noch – „Lesbensport“, „Mannweiber“, heißt es oft. Aber alle Frauen, die angefangen haben, Fußball zu spielen, sogar noch in den vergangenen Jahren, haben sich nicht darum geschert, was der Rest über sie denkt. Man versucht nicht zu gefallen, sondern macht das, was einem am Herzen liegt. Ich glaube, dass durch diese Entwicklung einfach auch Raum geschaffen wurde für die Möglichkeit, man selbst zu sein. 

Welchen Satz über Frauenfußball können Sie eigentlich nicht mehr hören?

Ein Satz, den ich oft höre, ist: „Mit meiner Kreisligamannschaft würde ich safe gegen euch gewinnen.“ Das ist eine Aussage, die erstens total irrelevant ist, und zweitens nerven mich die Vergleiche. Es geht ja um den Sport an sich – man lässt ja auch nicht Usain Bolt gegen eine Sprinterin antreten. Wenn ich einen Appell nach draußen schreien dürfte, wäre das: „Gib dem Frauenfußball eine Chance, und komm einfach mal vorbei!“

Titelbild: Alexander Scheuber - UEFA/UEFA via Getty Images