Do., 13.10.2022
Porträts

„Wir sind überzeugte Positivisten“: Ein Treffen mit Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys

Ihr Album „Mille Grazie“ war eine kleine Sensation, als es im April die Platte der Red Hot Chili Peppers vom Chart-Thron verdrängte: Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys geben sich als Italo-Schlagerstars der 80er aus – und feiern damit unglaubliche Erfolge. Wie das funktioniert? Eine Spurensuche.

Sie begeistern Mittzwanziger für italienisch angehauchtes Schlagerpathos und füllen die Konzerthallen der Republik. Bei ihren Shows singen sie von Amore und Spumante. Und sie sind verdammt erfolgreich. Die deutsche Italo-Schlager-Band Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys landete mit ihrem Album „Mille Grazie“ im Frühling 2022 auf Platz eins der Album-Charts und stieß damit die Red Hot Chili Peppers vom Thron. Im Sommer spielte die Band über 20 Konzerte – nahezu ausverkauft. Wie passt das alles zusammen? 

Wenn man das Phänomen Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys erklären will, fängt man am besten bei den Namen an. Da wäre der Sänger und Texter Roy Bianco mit seinen langen blonden Haaren und seiner bewusst übertriebenen Schlagergestik. Dazu sein kongenialer Partner, Texter und Gitarrist, der sich „Die Abbrunzati Boys“ nennt. Ja, damit ist nur eine Person gemeint. So weit, so verwirrend. Und ähnlich skurril ist auch die fiktive Geschichte der Band, die sich laut offizieller Biografie bereits 1982 gegründet und 1997 aufgelöst hat. Erst nach einer langjährigen Pause habe man 2016 das „Comeback“ gefeiert. Dass sich die Mitglieder – genau wie die vierköpfige Showband im Hintergrund – im Alter um die 30 befinden und der Ursprung in den 80ern schon rein rechnerisch unmöglich ist: geschenkt. Denn hinter dem Gesamtkunstwerk der Band steckt ein strammes satirisches Konzept, gemünzt auf die Schlagerwelt und die deutsche Sehnsucht nach dem Urlaubsland Italien. 

Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys: Ihre Vorbilder sind Peter Alexander bis Eros Ramazotti

Beim Interview vor der Kamera bleiben Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys auch bei spontanen Fragen fest in ihren Rollen. Auf die Frage nach den musikalischen Idolen antwortet Roy Bianco: „Wir haben unsere großen Vorbilder in der Musik der 50er- und 60er-Jahre, dem Italo-Schlager dieser Zeit: Caterina Valente, Peter Alexander. Die Architektinnen des Italienbildes, das die Deutschen haben“, woraufhin Die Abbrunzati Boys in Person des Gitarristen ergänzen: „Wir bedienen uns auch gerne an Italo-Pop-Melodien der 90er wie etwa denen eines Nek oder Eros Ramazotti, mit dem wir mittlerweile wieder unseren Frieden schließen durften.“ Zwar müssen auch die zwei beim Aussprechen solch bewusster Albernheiten grinsen, doch man kann das Internet stundenlang durchsuchen, man wird kein Interview und kein YouTube-Video finden, in dem die Musiker aus ihren Rollen fallen. Diese eiserne Disziplin ist einer der Erfolgsfaktoren der selbst ernannten Schlagerlegenden. 

Ihr überzeichnetes Erscheinungsbild – egal, ob auf den Albencovers, auf der Bühne oder in den Musik­videos – ist vor allem eines: wahnsinnig unterhaltsam. Ein weiterer Baustein ihres Erfolgs: die größtenteils noch sehr junge Fan-Gemeinde, die das aberwitzige Rollenspiel zu 100 Prozent mitspielt. Das zeigt auch der Blick in die Kommentarspalten der sozialen Medien. Dort schwärmen 19-jährige Fans von Urlaubserinnerungen an den Sommer 1986, als sie die Musik von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys angeblich für sich entdeckten. Und dann wären da noch die deutsche Seele und das kollektive Faible für ein Italien, das es so nie gab: ewiger Sommer, endlose Strände, Weißwein ohne Kater danach – ein Urlaubsideal. Vermutlich sind nicht wenige Anhänger, die die Band liebevoll ihre „Tifosi“ nennt, als Kinder schon mal am Strand von Rimini oder am  Gardasee gewesen und haben ein romantisiertes Italienbild im Kopf. Dazu passt dann die Musik von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys: eingängige Italo-Schlager-Melodien mit einem Hauch von Indierock und Texten wie: „Auf der Brenner­autobahn seh’ ich uns nach Süden fahren. Halte Deine Hand und weiß, jetzt ist es gut.“ 

Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys: Die eiserne Disziplin ist einer der Erfolgsfaktoren der selbst ernannten Schlagerlegenden

Erst wenn man in den Weiten des Internets tief gräbt oder die Kameras nicht mehr laufen, lässt sich etwas über die Personen hinter der Satire-Combo erfahren. Doch als sie 2018 – zunächst unter dem Namen „Roberto Bianco & Die Abbrunzati Boys“ – ihre ersten Songs heutiger Machart veröffentlichten, trafen sie einen Nerv, wurden zum YouTube-Phänomen und gingen schließlich voll in ihrer erdachten Rolle auf. Es folgte das Debütalbum mit dem Titel „Greatest Hits“, und aus den fiktiven Stars wurden allmählich echte. Das zeigen nicht nur die Erfolge auf Streaming-Portalen und in den Album-Charts, auch beim Besuch eines Konzerts von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys wird deutlich, dass die Band mehr ist als ein musikalischer Gag. Die Shows sind aberwitzige Happenings, bei denen die Bandmitglieder wahlweise zu Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“, der Eurovisions-Hymne oder „Conquest Of Paradise“ von Vangelis die Bühne betreten. Stets mit übergroßen Sonnenbrillen, Goldketten und 80er-Jahre-Outfits in Pastelltönen.

Und dann geht es los: 20-Jährige tanzen vor der Bühne Discofox, Schlagerveteranen jenseits der 60 decken sich am Merchandising-Stand mit Fan-Utensilien ein. Und Band und Publikum zelebrieren den gemeinsamen „Schlager-Strudel“: Sie tanzen im Kreis, bis sich am Ende Jung und Alt singend in den Armen liegen. Zu solchen Erfolgen wäre es beinahe nicht gekommen, denn gerade als es mit der Band bergauf ging, kam die Pandemie. Doch die Begeisterung blieb. Mehr als 40 Konzerte spielen Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys dieses Jahr, die meisten sind ausverkauft. Wie erklären sie sich das? Auf diese Frage fällt schließlich doch noch ein Satz, der bei aller Ironie wahr zu sein scheint: „Wir sind überzeugte Positivisten“, sagt Roy Bianco. 

Schlager-Stars: Ihr zweites Album, „Mille Grazie“, war eine kleine Sen­sation, als es im April die Platte der Red Hot Chili Peppers vom Chart-Thron verdrängte.
Sänger Roy Bianco sagte uns dazu: „Das tut mir persönlich leid, das ist ein harter Wettbewerb
Credit: Florian Egon Kraus

 

Titelbild: PR