Fr., 21.10.2016
Motor & Mobility

Warum ich keinen Tesla mehr haben will

Im März habe ich mich eine Stunde lang vor dem Münchner Tesla-Store in eine Schlange eingereiht, um ein „Model 3“ vorzubestellen. Heute habe ich es wieder abbestellt. Denn ich möchte mich von Tesla-Chef Elon Musk nicht als Killer bezeichnen lassen.

– Ein Kommentar –

Als Journalist ist es nicht eben leicht, ein Tesla-Fan zu sein. Nehmen wir nur die Pressearbeit in Deutschland. Sie spottet jeder Beschreibung, sie ist praktisch nicht vorhanden. Anfragen werden meist gar nicht beantwortet, der Umweg über die Tesla-Büros in Los Angeles und Palo Alto ist mühsam, langwierig – und meist ebenso erfolglos. Wie gesagt: Als Journalist ist es nicht leicht, ein Tesla-Fan zu sein. Ich war es trotzdem.

Denn die Fahrzeuge übten auf mich einen ungeheuren Reiz aus. Wie aus dem Nichts hat es Elon Musk mit dem Model S geschafft, ein ernstzunehmender Automobilhersteller zu werden. Das ist umso erstaunlicher, als der frühe Roadster wirklich noch eine übel zusammengezimmerte Versuchsanordnung auf Rädern war.

Die Technik dahinter ist abenteuerlich"": Erster Tesla-Roadster im Playboy-Test, Februar 2009
Credit: Playboy Germany

Mit dem Model S aber wurde über Nacht alles anders. Tesla spielte ganz oben mit. Power wie ein Sportwagen, Reichweite wie ein Benziner – das weckte die Automobilbranche auf.

So musste ich nicht lange überlegen, als am 31. März 2016 die Bestellannahme für das neue Model 3 begann. Dabei hatte zu diesem Zeitpunkt noch niemand das Auto gesehen. Es soll erst Ende 2017 ausgeliefert werden. Zunächst in den USA, Europa dürfte wohl erst 2018 an der Reihe sein. Um auf der Warteliste möglichst weit oben zu stehen, musste man persönlich in eine Tesla-Niederlassung gehen und 1000 Euro anzahlen. Die Schlangen vor den Läden erinnerten an Apple, wenn ein neues iPhone auf dem Markt ist. Teilweise übernachteten die Fans vor den Eingängen, um morgens der Erste in der Schlange zu sein. So weit ging die Liebe bei mir nicht. Aber eine Stunde Wartezeit nahm ich gern in Kauf.

Der „Autopilot“ aber klang von Beginn an einfach zu schön, um wahr zu sein. Dass sie ihr Assistenz-System überhaupt so nannten, bereitete mir Bauchschmerzen. Gerade in den klagefreudigen USA, wo Menschen schon Millionen an Schmerzensgeld erstritten haben, nur weil auf einem Kaffeebecher kein warnendes „Vorsicht, heiß“ stand, ausgerechnet hier sollte Tesla mit dem Begriff „Autopilot“ durchkommen?

Der „Autopilot“ ist kein Autopilot

Es kam, wie es kommen musste: Bald tauchten Youtube-Videos auf, in denen sich Leute von Ihren Teslas über den Highway chauffieren ließen, während sie selbst auf dem Rücksitz (!) saßen:

Es folgten Dashcam-Videos von Unfällen, bei denen auf erschreckende Weise deutlich wurde: Der „Autopilot“ übersieht bisweilen einfachste und deutlich erkennbare Hindernisse. Mit fatalen Folgen. Den Unfall im folgenden Video hat der junge Chinese nicht überlebt. Sein Vater verklagt den Autobauer.

Der Amerikaner Joshua D. Brown kam ums Leben, als sein Tesla im Autopilot-Modus einen weißen LKW vor hellem Himmel übersah. Der glühende Tesla-Fan Brown hatte monatelang Videos seiner „Tessy“ (so nannte er sein Auto) bei Youtube hochgeladen und von der hohen Sicherheit des Autopilot-Systems geschwärmt. Am 7. Mai 2016 schaute er gerade „Harry Potter“, als sein Model S ungebremst mit hoher Geschwindigkeit unter den LKW raste. Er wurde geköpft.

Tesla-Chef Elon Musk hat immer bemerkenswert überheblich – bisweilen sogar aggressiv – auf Fragen reagiert, ob sein System womöglich nicht ganz ausgereift sei. Doch klare Antworten blieb er schuldig. Den ersten Unfall hatte das Unternehmen sogar zwei Monate lang komplett zu vertuschen versucht. Als sich die Unfälle häuften, verstieg sich Musk zu der Aussage, das System sei ja Beta, also irgendwie unfertig, aber irgendwie auch fertig.

Jedenfalls müsse der Fahrer immer seine Hände am Steuer lassen. Für mich stellte sich einmal mehr die Frage: Wieso nennen Sie es dann bitte Autopilot?

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat erhebliche Zweifel an der Technologie. Und das kalifornische Department of Motor Vehicles (DMV) will die Werbung für den angeblichen „Autopiloten“ verbieten.

Tesla-Werbung für das ""Autopilot""-System
Credit: Playboy Germany

Nach unzähligen Unfällen, viele davon nicht endgültig geklärt, machte Musk nun am 20. Oktober 2016 die nächste vollmundige Ankündigung. Ab sofort seien alle Teslas dank acht Kameras und Ultraschallsensoren technisch komplett ausgerüstet für vollautonomes Fahren. Der Computer sei künftig 40mal so schnell wie bisher und das ganze System arbeite wie ein selbstlernendes, neuronales Netzwerk. Es werde also ständig schlauer. Die Software dazu werde schrittweise freigeschaltet. Ende 2017 werde man von Los Angeles nach New York – also einmal quer durch die USA – fahren können, ohne auch nur einmal selbst Hand anlegen zu müssen. Womöglich wird bis dahin also auch das Nachladen automatisiert. Dazu gab’s diesen eindrucksvollen Film:

Vollautonomes Fahren also schon Ende nächsten Jahres!

Das wirft Fragen auf. Technische Fragen nach der Reife des Systems, aber auch moralische. Wie soll etwa ein Autopilot entscheiden, wenn er in einer Notsituation das Leben des Fahrers riskiert, indem er gegen eine Wand fährt, stattdessen aber auch das Leben eines unbekannten Menschen auf der Straße opfern kann? Die zweite Frage schließt sich gleich an: Wer haftet? Der Fahrer, der den Autopiloten aktiviert hat? Tesla als Hersteller?

Elon Musk wischt solch essentielle Fragen wie gewohnt weg: Das sei ja wohl ganz klar ein Fall für die Versicherung jedes Einzelnen. Nur wenn das „Design“ mangelhaft sei, übernehme Tesla die Verantwortung. Aber wie, bitteschön, wird denn das Ganze designt? Nach welchen Maßstäben wird der Algorithmus programmiert? Fahrer oder Kind? Kind oder Greis? Paar mit Hund oder Frau mit Kinderwagen? Entscheidet tatsächlich der Computer, welches Leben wichtiger, wertvoller, erhaltenswerter ist? Elon Musks Antwort darauf: keine...

Musk nahm Kritik schon immer gern persönlich. Doch was jetzt folgte, mit welcher absurden Überheblichkeit er nun versuchte, den Spieß umzudrehen, das hat es noch nicht gegeben. Und damit war der Punkt erreicht, an dem ich endgültig ausgestiegen bin. An dem meine Sympathie für die Firma Tesla endet.

Elon Musk sagt den Journalisten allen Ernstes:

„Wenn Sie, indem Sie einen negativen Artikel schreiben, Menschen davon abbringen, ein autonom fahrendes Auto zu benutzen, dann töten Sie Menschen.“

 

Das Zitat im Wortlaut:

Because — and you need to think carefully about this — because if, in writing some article that’s negative, you effectively dissuade people from using an autonomous vehicle, you’re killing people.

 

Wie bitte, ich bin ein Mörder?

Das hat mir noch niemand vorgeworfen.

Es ist die Aufgabe eines Journalisten, Dinge zu hinterfragen. Auch Tesla – oder gerade Tesla als ständig mit neuen Ideen vorpreschende Firma – muss sich kritischen Fragen stellen. Fragen nach der Moral und Fragen nach der technischen Umsetzbarkeit all ihrer Versprechungen.

Man mag der etablierten Autoindustrie vieles vorhalten: Dass sie bei alternativen Antrieben zu wenig Gas geben, dass Assistenz-Systeme wie die Kolonnenfahrfunktionen (Spurhalteassistent, Abstandskontrolle, automatische Bremse etc.) vielleicht zu vorsichtig und restriktiv eingesetzt werden. Dass all diese Systeme doch eigentlich viel mehr können. Warum schaltet sich ein Spurhalteassistent selbsttätig ab, wenn ich nicht alle 15 Sekunden am Lenkrad drehe, um zu zeigen, dass ich als Fahrer noch da und wach bin bin?

Doch die Antwort verbirgt sich bereits im vorherigen Absatz: Es ist das Wort „vorsichtig“. Die etablierte Autoindustrie ist einfach vorsichtig, weil sie ein bisschen mehr nachdenkt als der entrückte Nachwuchs-Autobauer aus dem Silicon Valley. Auf kritische Fragen reagiert sie professionell. Und sie stellt sich selbst kritische Fragen. Weil sie sich der Tragweite Ihres Handelns bewusst ist. Und das war mir noch nie so sympathisch wie heute.

"Mein" Model 3 wird also jemand anders kaufen müssen. Die Order habe ich heute storniert. Wer mich pauschal als Mörder verunglimpft, dem werde ich nicht auf unbestimmte Zeit ein zinsloses Darlehen gewähren. Wie intensiv sich Tesla München am Telefon bemühte, mir diesen Entschluss auszureden, welche Salven an Baukasten-Argumenten sie mir in die Muschel feuerten, zeigt mir, dass sie grad im Training sind. Die Warteliste scheint zu bröckeln. Das liegt natürlich nicht zuletzt daran, dass Konkurrenten wie Opel überraschend aufschließen und mittlerweile ganz ähnliche Reichweiten versprechen wie Tesla.

Was die künftigen Teslas können und was nicht, das werden wir sehen.

Ich mache meine Arbeit, Mister Musk. Machen Sie Ihre!

 

Was nach dieser Story geschah

Titelbild: Playboy Germany