Di., 02.03.2021
Kommentar

„Thank You, Gorbi!“ - Leslie Mandoki gratuliert Michail Gorbatschow

Heute wird Michail Gorbatschow 90 Jahre alt. Der ehemalige Staatspräsident der Sowjetunion und Friedensnobelpreisträger leitete in den 80er Jahre das Ende des Eisernen Vorhangs ein und gilt als Wegbereiter der Deutschen Wiedervereinigung. Zu seinem Ehrentag veröffentlichen wir ein persönliches Dankschreiben seines Freundes Leslie Mandoki. Der Musiker und Produzent gratuliert dem Politiker außerdem auch musikalisch per Video und erinnert an das Lebenswerk Gorbatschows.

Heute zu seinem 90. Geburtstag verneige ich mich vor Michail Sergejewitsch Gorbatschow, der wohl wichtigsten Persönlichkeit der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ich empfinde große Dankbarkeit und Bewunderung für sein Lebenswerk, ohne das die Welt nicht so wäre, wie sie heute ist. Durch Mut und eine große Vision hat er die Welt zum Besseren verändert und hunderten Millionen von Menschen ermöglicht, ihr Leben eigenverantwortlich, selbstbestimmt und mit ihren Familien in Freiheit zu leben.

Michail Gorbatschow hatte maßgeblichen Anteil am Ende des kalten Krieges, dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer und schließlich an der Deutsche Wiedervereinigung. Seine große Vision waren Reformen und Freiheit. Seine Politik von Glasnost sollte durch Meinungs- und Pressefreiheit mehr politische Transparenz und Freiheit für die Bevölkerung bringen. Durch die Perestroika sollte die kommunistische Diktatur und Relikte des Stalinismus in einen demokratischen Rechtsstaat mit freien Wahlen und Gewaltenteilung transformiert werden. Diese Reformen sollten den Menschen in Russland und den Ländern in Mittel- und Osteuropa Freiheit, Prosperität und damit Stabilität bringen.

So erzählte er mir vor wenigen Jahren bei einem Besuch in Moskau im Kontext meines Buches „Sehnsucht nach Freiheit“ und unserer Konzertreihe „Wings of Freedom“: „Allen diesen Völkern möchte ich Erfolg wünschen auf diesem beschwerlichen Weg, gutes Gelingen für die weitere Entwicklung, vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten und Demokratie. Ich bin sicher, dass wir in dieser globalen Welt in der Lage sein werden, eine Gemeinschaft von Staaten aufzubauen, die getragen ist von einer ehrlichen, guten Nachbarschaft, dem Wunsch nach Frieden, Demokratie und von gegenseitigem Respekt vor der Freiheit des Anderen.“

Credit: Photo by White House Photos/Getty Images

Sein Ziel war ein gemeinsames Europäisches Haus, in dem auch Russland „eine Wohnung beziehen“ würde. Es war ein historischer Neubeginn, eine Befreiung und ein Signal, das in Europa Entwicklungen in Gang setzte, die unumkehrbar waren. Die Sehnsucht der Menschen in Mittel- und Osteuropa nach Freiheit war immens und durch die Zurückhaltung des großen Bruders und seiner Roten Armee wurden sie weiter ermutigt.

Als gebürtiger Budapester bin ich natürlich stolz, dass es die Ungarn waren, die 1989 den schrecklichen Eisernen Vorhang zerrissen und damit den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen haben. Eine Bewährungsprobe für Glasnost und Perestroika war sicherlich auch das Konzert, das unser Soulmate Udo Lindenberg für „seine wahren Fans“ 1988 in Budapest gab. Gemeint waren selbstverständlich die vielen DDR-Bürger, die nach Ungarn reisen durften. Viele von ihnen wollten damals vom Balaton nicht mehr zurück in die DDR.

Als Ungarn 1989 die Grenzen öffnete und Zehntausende DDR-Flüchtlinge, die in Budapester Parks und auf dem Botschaftsgelände campierten, in die Freiheit entließen, gab es kein Halten mehr. Als Deutscher bin ich sehr dankbar für den wunderbaren historischen Moment, als 1989 die Berliner Mauer auf friedliche Art fiel und all das wieder zusammenwuchs, was auch zusammengehörte.

Niemand in seiner Generation hat die Welt so verändert wie Mihail Sergejewitsch Gorbatschow und niemandem haben gerade wir Deutschen so oft „Danke!“ zu sagen.

Und wenn wir an seinem 90. Geburtstag an Gorbatschow denken, erinnern wir uns auch an seine großartige Frau Raissa Maximovna, die stets hinter ihm stand und ihn in all seinem Wirken bestärkt hat. Denn ohne sie hätte es diesen Wandel auch nicht gegeben.

Ich bin dem Schicksal dankbar, dass ich Michail Gorbatschow durch meine musikalische Arbeit kennenlernen durfte und er mich nach vielen Jahren mit zahllosen Gesprächen und gegenseitigen Besuchen heute als einen Freund bezeichnet.

So trafen wir uns beispielsweise im Umfeld der TV-Show „50 Jahre Rock“ backstage gemeinsam mit meinen Soulmates und Gorbatschow erzählte wie gefährlich gerade wir, die intellektuellen, progressiven Jazzrockmusiker, für das kommunistische System waren. Westfernsehen und Radio wurden durch Störsender weitgehend ausgeschaltet. Somit ging die größte Gefahrenquelle von der »progressiven Rockmusik« aus, wie man sie im kommunistischen Jargon bezeichnete. Rock und Jazz waren die Sprache der Studenten – der Soundtrack der Freiheit.

Rockmusik hat erst dann seine wirkliche Berechtigung, wenn sie eine gesellschaftspolitische Botschaft hat und wenn sie für eine bessere, aus unserer Sicht auf alle Fälle eine tolerantere Welt eintritt. Durch Michail Gorbatschow als großes Vorbild spüre ich nach wie vor die Inspiration und den Ansporn, auch weiterhin für Andere einzutreten, für Zusammenhalt und gegen Spaltung, und dort Brücken zu bauen, wo immer Risse entstanden sind und nach wie vor entstehen.

Michail Gorbatschows Vision vom gemeinsamen Europäischen Haus trage ich für immer im Herzen und ich wünschte, alle Menschen hätten sich seine weisen Gedanken zu eigen gemacht.

Aber was ist heute aus dieser Idee des Europäischen Hauses für alle geworden? Wir dürfen sein Lebenswerk nicht zerstören. Gerade jetzt zu seinem 90. Geburtstag müssen wir diese Idee wieder beleben, neu definieren und neu denken. Meine Generation hat es vermasselt! Wir haben versäumt, Kraft der Euphorie der friedlichen Revolution, des Mauerfalls und der Wiedervereinigung die Weichen richtig zu stellen, um eine achtsame und nachhaltige, lebbare Zukunft für unsere Enkelkinder und nachfolgende Generationen aufzubauen.

Credit: Photo by Sandra Steins/Bundesregierung via Getty Images

Wir als Künstler wollen wachrütteln und Stachel im Fleisch der Gesellschaft sein. Mit unseren Soulmates reflektieren wir auf unserem Album „Living In The Gap“ die Herausforderungen und Missstände unserer sich im rasanten Paradigmenwechsel schnell drehenden Welt.

Die Zerstörung unserer Umwelt und Vernichtung unserer Ressourcen scheint unaufhaltbar, die Schere zwischen arm und reich nimmt immer groteskere Züge an. Gier, Hass und Egoismus spalten unsere Gesellschaft in Deutschland, in Europa und in der Welt.

Gerade in diesen Zeiten sind wir als Künstler besonders gefordert, für den Zusammenhalt und gegen die Spaltung in unserer Gesellschaft einzutreten und Ideen für eine bessere Welt zu formulieren.

Wir haben jetzt die Möglichkeit eine konstruktive Korrektur unseres gesellschaftspolitischen Leitbildes vorzunehmen, damit wieder die Menschen im Mittelpunkt, die Achtsamkeit über der Gleichgültigkeit und die Menschlichkeit über der Gier stehen.

Dafür wollen wir mit unserem aktuellen Online Konzert mit all unseren Soulmates über den Erdball verteilt auf einer „digitalen Bühne“ eintreten. Denn: “Music is the greatest unifier! Bridging the gap around the world!”

Lasst uns die Spaltungen überwinden, Brücken bauen und alles tun für den Zusammenhalt unserer Gemeinschaft zwischen Nord und Süd, Ost und West. Wir sind alle Europäer, Afrikaner, Amerikaner, Asiaten und Australier!

Credit: Photo by Ralf Juergens/Getty Images

Oder wie es Michail Sergejewitsch Gorbatschow selbst 2017 in seinem Appell „Kommt endlich zur Vernunft – Nie wieder Krieg!“ sagte: „Bei allem Respekt und aller Wertschätzung, die ich den nationalen Interessen, nationalen Besonderheiten und nationalen Kulturen zolle, wäre ich glücklich, wenn uns allen und jedem Einzelnen von uns in der heutigen Welt, die immer globalisierter wird, eins bewusst würde: Wir leben alle auf EINEM Planeten! Wir sind EINE Menschheit.“

So verneigen wir uns heute in Dankbarkeit und Bewunderung und gratulieren diesem einzigartigen Jubilar zum 90. Geburtstag. Auch im Namen unserer Enkelkinder und nachfolgenden Generationen sagen wir „Thank You, Gorbi!“