Mi., 15.02.2017
Film

Der freie Radikale

„Trainspotting“-Star Ewan McGregor mag keine Kompromisse. Wie kein Zweiter tut dieser Mann ausschließlich, wonach ihm der Sinn steht. Jetzt ist es endlich: die Film-Fortsetzung „T2“

Ewan McGregor sitzt auf der wohl dreckigsten Toilette Schottlands und scheißt sich die Seele aus dem Leib. Die zwei Opiumzäpfchen, die er sich schon in den Hintern gesteckt hatte, flutschen dabei natürlich ins Klo hinunter. Süchtig, wie er ist, will er sie sofort mit der Hand herausfischen. Fehlanzeige. Also taucht er immer tiefer in die Kloschüssel ein. Zuerst mit dem Kopf, dann mit dem Oberkörper. Schließlich verschwindet er ganz darin. Schnitt. Jetzt schwimmt er im blauen Meerwasser. Bis auf den Grund.

Findet die Opiumzäpfchen, taucht wieder zurück in diese Welt. Spuckt Wasser – und ist happy. „Es war schon ziemlich mutig, den Film so radikal und kompromisslos zu machen“, sagt Ewan McGregor 20 Jahre später beim Interview in einem Züricher Hotel. „Aber Danny Boyle (der Regisseur, d. Red.) war von Irvine Welshs Roman derart begeistert, dass er uns alle mit seinem fiebrigen Enthusiasmus mitgerissen hat. ‚Trainspotting‘ war damals ein echter Schocker.“ Aber, darauf legt der 45-Jährige Wert: „Der Film hat nicht, wie viele Moralapostel uns damals unterstellten, den Heroinkonsum glorifiziert. Sondern er ist eine Hymne auf die ‚Lust for Life‘, wie Iggy Pop schon im Intro singt. Wenn ‚Trainspotting‘ irgendetwas verherrlicht, dann das junge, rebellische Leben.“

Trailer - "T2: Trainspotting"

Seine Unerschrockenheit wird ein wiederkehrendes Motiv in McGregors Leben

Rebellisch und mutig: Das sind seit McGregors Teenager-Zeit auch die Stichwörter für sein eigenes Leben. „Ich fand die Schule furchtbar langweilig und nervtötend. Das Einzige, was mich wirklich interessierte, waren Musik und Schauspiel. Mit 15 hatte ich die Nase dann gestrichen voll. Zu der Zeit war ich ziemlich ätzend. Als ich meinen Eltern schließlich sagte, ich hätte keinen Bock mehr auf Schule, erwiderten sie trocken: ‚Du kannst jederzeit abgehen, wenn du willst.‘“ Genau das macht er dann auch. Mit 16 wagt Ewan McGregor den ersten radikalen Schnitt. In einem Alter, in dem andere sich höchstens Sorgen um neue Sneakers, ums Ausgehen mit den Kumpels oder um den ersten Sex mit Mädchen machen, schmeißt er von einem Tag auf den anderen die Schule und fängt eine Woche später in einem Theater als Handlanger hinter der Bühne an. Bald darf er auch kleinere Rollen spielen. Und seine Unerschrockenheit, der Sprung ins kalte Wasser, wird ein wiederkehrendes Motiv in McGregors Leben. Die radikale Toilettenszene: Keiner hätte da besser hineingepasst. „Meine Eltern haben mich und meinen Bruder Colin immer darin bestärkt, unsere Träume nicht nur zu träumen, sondern auch zu leben“, erklärt er rückblickend. So wurde aus dem einen McGregor- Spross ein Tornado-GR4-Pilot bei der Royal Air Force, aus dem anderen einer der coolsten Schauspieler seiner Generation.

Mitte der Neunziger stürzt sich McGregor in das „Trainspotting“-Wagnis, lässt sich für die Junkie-Rolle eine Glatze scheren, nimmt fast 15 Kilo ab und spielt sogar mit dem Gedanken, sich wirklich Heroin zu spritzen. Was er dann aber doch nicht tut. Braucht er auch gar nicht. Denn der 25-Jährige ist schon allein vom Rollenspiel total angefixt, und der Film trifft den Zeitgeist auf die Zwölf. Er wird der Kultfilm der No-Future-

Generation. Ewan McGregor und Regisseur Danny Boyle sind plötzlich die neuen Glimmer-Twins der Brit-Pop-Movie-Szene. Ihre Freundschaft bekommt jedoch schon kurze Zeit später einen herben Dämpfer. Für die Verfilmung des Kultbuchs „The Beach“ hatte Boyle McGregor die Hauptrolle versprochen. Doch dann ging der Zuschlag an Leonardo DiCaprio. „Ich war stinksauer auf Danny. Er war ja nicht nur mein Freund, sondern auch mein Mentor. Ich dachte wirklich, wir wären unzertrennlich. Da bekam er seinen ersten
großen Hollywood-Film – und plötzlich war ich weg vom Fenster. Das hat mich sehr verletzt.“

Es folgen: ein kompromissloser Cut und eine lange Eiszeit. Jahre, in denen McGregor allerdings nicht minder erfolgreich sein Ding durchzieht: mutige Rollenwahl, extreme Wandlungsfähigkeit. In Peter Greenaways Film „Die Bettlektüre“ lässt er seinen nackten Körper, inklusive Penis, mit japanischen Schriftzeichen bemalen. Geht als Iggy Pop mit Christian Bale als David Bowie ins Bett, spielt zwischendurch James Joyce, schmachtet in „Moulin Rouge“ Nicole Kidman an, spielt an der Seite von Tom Hanks in „Illuminati“, starrt mit George Clooney auf Ziegen und dreht mit Regisseuren wie Woody Allen, Tim Burton, Roman Polanski und Ridley Scott. George Lucas beruft ihn schließlich für seine neu aufgelegten „Star Wars“-Episoden in die Rolle des Obi-Wan Kenobi. „Das gab mir endlich die lang ersehnte Unabhängigkeit“, sagt McGregor heute. „Danach konnte ich mir meine Projekte aussuchen und nur das tun, was ich wirklich wollte.“

Ausschließlich machen, wonach einem der Sinn steht – das aber zu 100 Prozent

Ausschließlich machen, wonach einem der Sinn steht – das aber zu 100 Prozent: Nach dieser Maxime lebt der Schotte privat ohnehin schon lange. In den 90er- Jahren betreibt er gemeinsam mit seinen Freunden Jude Law und Jonny Lee Miller eine eigene Filmfirma, gehört zur In-Crowd der Londoner Club-Szene und hat
eine sturmfreie Bude in Primrose Hill, in der Frauen und Drinks niemals knapp werden. „Aber dann habe ich mich in meine Frau verliebt“, erzählt McGregor. „Wham! Schmetterlinge im Bauch. Große Liebe!“ Volle Kehrtwende, aber mit ungebrochener Leidenschaft: Für Eve Mavrakis, mit der er seit 1995 verheiratet ist, schwört er dem Alkohol ab, gibt sogar das Rauchen auf. Er macht keinen Hehl daraus, dass seine Frau sowie die beiden leiblichen und die beiden adoptierten Töchter für ihn das Wichtigste auf der Welt sind. Wehe,

jemand respektiert nicht seinen Wunsch nach Privatsphäre. Da wird er eiskalt, oder – kommt man ihm blöd – sarkastisch. Von einem Journalisten danach gefragt, ob seine Hautkrebs-Erkrankung vor einigen Jahren eine erschreckende Erfahrung für ihn gewesen sei, antwortet er: „Hautkrebs zu haben hat Spaß gemacht, das war wirklich großartig. Ich habe es sehr genossen.“

Seinen Freiheitsdrang und seine Abenteuerlust lebt McGregor beim Motorradfahren aus. D tourt er zum Beispiel mit einem Freund mal kurz von Schottland nach Südafrika. Oder er fährt allein quer durch die Mongolei und durch halb Australien. In Kasachstan verhandelt er mit der Russen-Mafia über einen Platz zum Schlafen, in Kanada fährt er Grizzlybären davon, und in Ruanda sind selbst reißende Flüsse kein Hindernis.
„Ich genieße diese Reisen mit jeder Faser meines Körpers“, sagt er. Ein Mann, der mit sich im Reinen ist. So sehr, dass er sogar mit festsitzenden Ressentiments aufräumen kann: Für die Trainspotting-Fortsetzung „T2“ versöhnte er sich mit Regisseur Danny Boyle. Ein wahrlich überraschender McGregor-Move – hatte er es doch jedes Mal, wenn Boyle in den letzten Jahren laut über einen zweiten Teil des Kultfilms nachdachte, eine „dumme Idee“ genannt. Dass sie sich nach ihrem „emotionalen Fallout“ jahrelang aus dem Weg gegangen sind, bedauert McGregor heute. „Doch als dann eines Tages das Drehbuch zu ,T2‘ im Briefkasten lag, war ich schon sehr neugierig darauf, wie die Geschichte wohl weitergehen würde. Und was soll ich sagen: Das Drehbuch war absolut toll! Daraufhin habe ich mich ein paarmal mit Danny getroffen, und wir haben einfach da weitergemacht, wo wir aufgehört hatten.“

Auch weitere Schlüsselfiguren des alten Ensembles sind bei „T2“ wieder mit von der Partie. Der Psychopath Begbie zum Beispiel, den Robert Carlyle damals in seiner ganzen Brutalo-Alkoholiker-Grandezza auf die Leinwand haute. Natürlich auch Spud (Ewen Bremner), der sich mit dem Denken etwas plagte – und nicht zu vergessen Sick Boy (Jonny Lee Miller). Der Film spielt diesmal weniger im Drogenmilieu, sondern im Dunstkreis des Porno-Geschäfts. Und die Zeit hat Spuren hinterlassen: Einige der Jungs von damals haben inzwischen selbst Kinder, einige der Eltern sind gestorben, Begbie sitzt im Knast, Sick Boy ist stolzer Besitzer eines Pubs.

„Hallo Mark, was hast du denn die letzten 20 Jahre so gemacht?“, begrüßt Sick Boy in „T2“ McGregor alias Mark, als der den Pub betritt. Und schon dreht es sich wieder, das Teufelsrad aus Lügen, Hass, Rache, Angst und Selbstzerstörung...

Titelbild: Larry Busacca