Mo., 07.11.2016
Interviews

Philipp Lahm: "Ich wusste schon immer, worauf es ankommt"

Im Kopf stets einen Schritt voraus - auf dem Platz und im Leben: Weltmeister und Bayern-Kapitän Philipp Lahm über die Kunst zu bekommen, was man will, Moonwalks mit Meisterschale, seinen Schlag bei reifen Frauen und seine Freundschaft mit Uli Hoeneß.

Philipp Lahm ist eine knappe Stunde zu spät dran, als er plötzlich in Jeans und Pullover in der Tür des kleinen Besprechungsraumes auf dem Trainingsgelände des FC Bayern steht. Aber wenn man jemandem abnimmt, dass er sein Bedauern ernst meint, dann ihm. Er hat diese wohlerzogene und aufrichtige Art, die fast aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Einen Espresso holt er sich noch, dann setzt er sich zu uns an den Tisch. Ernster Blick. Beginnen wir mit einem Spiel.

Playboy: Herr Lahm, nach Ihrem Rücktritt aus der Nationalelf erschienen überall Nachrufe auf Ihre Zeit als DFB-Kapitän, in denen Sie zum Beispiel als „Symbol der Ära Löw“ oder „Trainer-Flüsterer“ bezeichnet wurden. Wir haben ein paar weitere solcher Titulierungen herausgesucht und möchten Sie bitten, mit Schulnoten zu bewerten, für wie treffend Sie sie halten - von eins: sehr, bis sechs: gar nicht.
Lahm: Probieren wir’s.

Playboy: Nummer eins: Kopfmensch.
Lahm: Mmmh - zwei.

Playboy: Musterschüler des deutschen Fußballs.
Lahm: (prustet los) Vier.

Playboy: Mann der Entscheidungen.
Lahm: Wenn gemeint ist, dass ich gern selbst klare Entscheidungen fälle, dann ja, eins.

Playboy: Merkel des deutschen Fußballs.
Lahm: (ungläubiges Lachen) Sechs.

Playboy: Francis Underwood der Bayern.
Lahm: Der Typ aus „House of Cards“?

Playboy: Genau, der gewiefteste, skrupelloseste Machtmensch, den das Weiße Haus je gesehen hat. Gespielt von Kevin Spacey.
Lahm: Also, er spielt es überragend, Weltklasse! Aber ob es auf mich zutrifft? Note fünf, nein sechs.
 

Playboy: Wie würden Sie Ihren Führungsstil denn charakterisieren?
Lahm: Offen. Ich lege großen Wert auf Gespräche und finde es wichtig, sich verschiedene Meinungen anzuhören und alle Themen anzusprechen. Ich vertrete dabei aber immer klare Ideen. Ich mag klare Worte.

Playboy: Wann haben Sie zuletzt jemanden angeschrien?
Lahm: Schon ewig her! Ich finde, dass es selten notwendig ist, dass man schreit. Manchmal vielleicht befreiend, aber eigentlich nie zielführend.

Playboy: Lesen Sie auch mal ein Manager-Handbuch, um sich Tipps zu holen?
Lahm: Ich habe mal eins gelesen, aber das ist schon Jahre her. „Leadership“ hieß das.

Playboy: War es nützlich?
Lahm: Es war interessant, und man kann aus so etwas immer ein paar Erkenntnisse für sich rausziehen. Aber ich finde, man darf sich dabei nicht verlieren, sondern sollte schon seinen eigenen Weg finden.

Playboy: Sie waren sehr erfolgreich damit, Ihren eigenen Weg zu gehen. Können Sie noch mal erklären, wie ein schüchterner kleiner Junge vom Münchner Vorstadtverein FT Gern Karriere beim Alphatier-Club FC Bayern machen konnte?

Lahm: Ich kam mit zwölf Jahren zu den Bayern, damals war ich tatsächlich klein und eher schüchtern. Aber das Selbstvertrauen kam dann schon mit der Zeit. Auch über den Sport natürlich. Du merkst ja: Ich setze mich immer wieder durch. Ich kam gut durch die Nachwuchsmannschaften, war vielleicht nicht immer der Beste in meiner Altersstufe, aber ich wusste schon immer, wann es drauf ankommt oder besser gesagt: worauf es ankommt. Ich glaube, das war eine große Stärke von mir. Und das haben dann eben gewisse Leute gesehen.

Playboy: Halten Sie uns bitte nicht für unverschämt, Herr Lahm, aber kennen Sie die Theorie vom Napoleonkomplex? Danach streben kleine Männer besonders nach Anerkennung und Erfolg, um ihre Körpergröße zu kompensieren. Man denke an Nicolas Sarkozy oder Bernie Ecclestone . . .
Lahm: Da glaube ich nicht dran. Es gibt ja auch genügend Gegenbeispiele.

Playboy: Ihre Körpergröße spielt also keine Rolle in Ihrer Karriere?

Lahm: Es spielt keine Rolle, wie groß man ist, wichtig ist, dass man mit seiner Körpergröße umgehen kann. In der Jugend beim FC Bayern haben wir oft gegen ein, zwei Jahre ältere Gegner gespielt. Gegen die war ich im Zweikampf chancenlos. Also musste ich versuchen, mein Spiel entsprechend anzupassen, meine Schnelligkeit und Wendigkeit auszuspielen und Situationen vorherzusehen. Ich musste früh lernen, mit dem Kopf gut zu sein.

Playboy: Dieses Vorausdenkende kennzeichnet Ihre gesamte Karriere. Die frühe Festlegung, langfristig beim FC Bayern bleiben zu wollen, der kontinuierliche Aufstieg zur Führungsfigur, jetzt der Rücktritt aus der Nationalelf auf dem Höhepunkt Ihrer Laufbahn. Haben Sie irgendwann eine Art Masterplan für Ihre Karriere erstellt?

Lahm: Nein, man kann ja nur das planen, was man in der Hand hat. Das ist zum Beispiel das Ende in der Nationalelf, und das wird das Ende beim FC Bayern sein. So etwas kann man planen, aber nicht, dass man Champions-League-Sieger oder Weltmeister wird. Du kannst immer wieder nah dran sein und am Ende doch mit leeren Händen dastehen. Weil der Fußball eben auch abhängt von Spontaneität, Glück, von der Leistung zum richtigen Zeitpunkt und anderen Faktoren, die nicht planbar sind. Aber ich kann den Rahmen stecken für meine Karriere. Und ich wollte zum Beispiel immer mein Ende bei der Nationalelf selbst bestimmen und nicht nach und nach feststellen, dass ich dort keine Rolle mehr spiele.

Playboy: Was ja vielen passiert.
Lahm: Ich weiß. Aber so bin ich nicht. Und ich bin auch keiner, der die Zitrone bis zum Ende ausquetscht.

Playboy: Weil Ihnen auch wichtig ist, wie Sie in Erinnerung behalten werden?

Lahm: Nein, weil mir wichtig ist, wie ich selbst das Ganze in Erinnerung behalte. Und mit welchem Gefühl ich abtrete. Auch wenn wir nicht Weltmeister geworden wären, wäre mein Gefühl gewesen: Ich hatte super Jahre bei der Nationalelf. Ich habe drei Weltmeisterschaften und drei Europameisterschaften spielen dürfen und jedes Spiel bei allen Turnieren von Anfang an gemacht. Eine fantastische Bilanz. Und so will ich das auch in Erinnerung behalten.

Playboy: Wenn Ihr Trophäen-Schrank in Flammen aufginge und Sie nur ein Teil retten könnten, welches würden Sie wählen?

Lahm: Muss ich überlegen. Ich habe da natürlich einiges drin . . . Ich wüsste es wirklich nicht. Ich muss einfach hoffen, dass das nie passiert.

Playboy: Sehen Sie sich die Sachen tatsächlich noch an?

Lahm: Nein. Also selten. Aber es ist ein gutes Gefühl, sie zu haben.

Playboy: Haben Sie überhaupt einen Trophäen-Schrank, oder stehen die alle irgendwo in der Küche verteilt?

Lahm: Nein, nein, nein! Die stehen schon alle in einem Raum.

Playboy: Nach welchem Triumph war die Party die wildeste?

Lahm: Das nimmt sich nicht viel: Nach dem Champions-League-Sieg ging es bis in den Morgen, genauso nach dem WM-Sieg.

Playboy: Stimmt es eigentlich, dass Sie den Moonwalk draufhaben?

Lahm: Nee! Ich probiere ihn gern mal auf dem Rathausbalkon mit der Meisterschale in der Hand, ob ich ihn beherrsche, sei aber mal dahingestellt.

Playboy: Täuscht der Eindruck, dass man mit Jogi Löw auch mal privat ein Bier trinken und den ganzen Abend lang nicht über Fußball sprechen kann, während das mit Pep Guardiola unmöglich ist?

Lahm: Pep redet natürlich auch über andere Sachen, das kommt schon vor. Aber ob man einen ganzen Abend mit ihm verbringen könnte, ohne ein einziges Mal über Fußball zu reden, das wage ich tatsächlich zu bezweifeln.

Playboy: Das geht mit Jogi Löw besser?

Lahm: Ich glaube, das schafft Jogi auch nicht.

Playboy: Schaffen Sie es?

Lahm: Ich befürchte, nein. Unser ganzes Leben ist ja Fußball.

Playboy: Guardiola hat über Sie gesagt: „Philipp ist der intelligenteste Spieler, den ich in meiner Karriere je trainiert habe.“ Wer ist der intelligenteste Trainer, unter dem Sie in Ihrer Karriere je trainiert haben?

Lahm: Das ist schwer zu beantworten. Ich würde sagen, dass Pep schon der ist, der im taktischen Bereich mit Sicherheit mein bester Trainer ist. Aber man darf die anderen nicht niedriger einschätzen, weil jeder Trainer irgendwo eine ganz besondere Stärke hat. Und bei Pep ist das einfach, dass er taktisch so gut ist wie kein anderer.

Playboy: Sie verstehen sich als Kapitän ja nicht nur als Ansprechpartner für die Spieler und den Trainer, sondern auch für den Vorstand. Werden Sie auch mal einbezogen, wenn es um Spieler-Transfers geht?

Lahm: Kommt auch vor. Ich habe ja mit einigen Spielern zusammengespielt oder stand gegen sie auf dem Platz, deswegen ist auch bei dem Thema ab und zu meine Meinung gefragt. Aber die Entscheidungen fällen natürlich die Verantwortlichen.

Playboy: Sie haben angekündigt, Ihre Karriere 2018 beenden zu wollen. Werfen wir einen Blick auf die Zeit nach dem Fußball. Ordnen Sie doch bitte mal folgende Jobs nach von Ihnen empfundener Attraktivität: Bayern-Trainer, Bundestrainer, Bayern-Manager, Jugendtrainer bei der FT Gern?

Lahm: Also, eine genaue Reihenfolge kann ich nicht festlegen, ich kann Ihnen aber sagen, dass ich mir im Moment nicht vorstellen kann, dass ich überhaupt irgendwann mal Trainer werde.

Playboy: Das überrascht. Sie sind ja ein Spieler, der sehr analytisch denkt, bei der WM haben Sie eigene Videoanalysen der Spiele erstellt und sie mit Löw diskutiert.

Lahm: Ja, aber Trainer zu werden hieße, noch mehr von dem zu machen, was ich jetzt schon mache, nur noch intensiver. Also weiterhin täglich auf dem Trainingsplatz zu stehen, dazu Analyse, Vorbereitung und so weiter. Also wenn ich jetzt unseren Trainer anschaue, der von morgens bis abends nur analysiert und sich mit uns, Fußball und der Liga beschäftigt... Das kann ich mir momentan einfach nicht vorstellen.

Playboy: Nicht wenige sehen Sie auf lange Sicht ja als möglichen Nachfolger von Uli Hoeneß, zu dem Sie ein Verhältnis pflegen, das Sie als Freundschaft beschreiben. Was zeichnet eine Freundschaft für Sie aus?

Lahm: Man muss einander vertrauen, das ist sehr wichtig. Dann gehört sicher dazu, dass man gemeinsame Erfahrungen gemacht hat, viel miteinander erlebt hat. Und man muss sich einfach gut verstehen. Ich bin seit 1995 im Verein, ein paar Jahre später habe ich Uli Hoeneß persönlich kennen gelernt, und ich habe ihn schon immer sehr als Gesprächspartner mit fachlicher Kompetenz und klarem Blick geschätzt.

Playboy: In Ihrer Autobiografie bezeichnen Sie ihn als Vorbild. Taugt er dazu noch nach der Steuer-Affäre?

Lahm: In vielen Bereichen auf jeden Fall. Ich durfte kürzlich eine Laudatio auf ihn halten, es ging um sein soziales Engagement, und da habe ich noch einmal gesagt, dass er in dieser Hinsicht mein Vorbild ist und das auch so bleiben wird. Denn bei allem, was passiert ist, darf man nicht vergessen, wie viel er auch abseits des Fußballs für viele Menschen getan hat.

Playboy: Sie selbst engagieren sich mit der Philipp-Lahm-Stiftung ja ebenfalls sozial, viele andere Profis tun das heute auch. Gleichzeitig fällt aber auf: Bei politischen Themen schweigen Fußballer eisern. Dabei prallten Sport und Politik zuletzt oft aufeinander: Denken Sie an die Vergabe der WM-Turniere nach Russland und Katar oder an die Proteste vor der WM in Brasilien.

Lahm: Na, erst mal gibt’s andere Leute, die sich besser auskennen in der Politik. Und zum anderen: Ich weiß nicht, ob das ein Grund ist, aber wissen Sie, beim Fußball kennt sich scheinbar jeder aus, jeder darf was sagen, ob positiv oder negativ, ob es stimmt oder nicht, ob er Ahnung hat oder nicht, jeder äußert sich. Und vielleicht wollen die Spieler dasselbe nicht beim Thema Politik machen. Wir kennen uns da einfach nicht so gut aus wie diejenigen, deren Job das ist. Wieso sollten wir uns da äußern?

Playboy: Man muss ja kein Polit-Experte sein, um eine Meinung zu haben. Mehmet Scholl zum Beispiel ist in München bei einer Anti-Pegida-Demo mitgegangen. Warum sieht man bei solchen Aktionen beispielsweise nie Fußballprofis?

Lahm: Das kann ich nicht für die Allgemeinheit der Profis beantworten und denke auch nicht, dass das pauschal zutrifft. Mir persönlich ist es wichtig, hinter Aktionen und Projekten zu 100 Prozent zu stehen. Das bedeutet, ich brauche Zeit, um mich damit auseinanderzusetzen. Ich habe für mich durch die Gründung meiner Stiftung für Sport und Bildung andere Schwerpunkte gesetzt und konzentriere mich auf diese Engagements und Themen. Ich denke, das ist wirkungsvoller, als überall mit meinem Namen dabei zu sein und das dann nur halbherzig oder halb informiert. Jede gute Aktion wirklich zu unterstützen ist einfach nicht möglich.

Playboy: Themenwechsel: Wie würden Sie eigentlich Ihre Wirkung auf Frauen beschreiben?

Lahm: Woher soll ich das denn wissen?

Playboy: Sie sehen doch die Reaktionen.

Lahm: Ich erzähle Ihnen eine Geschichte. Ist schon ein paar Jahre her. Meisterfeier, ich glaube 2010, wir fahren im Konvoi zum Marienplatz, und ich sitze im Cabrio mit Thomas Müller und Hans-Jörg Butt. Wir fahren an all diesen Menschen vorbei, und irgendwann stellen wir Folgendes fest: Thomas Müller ist der Liebling der Jungen, von den Teenagern bis zu den etwa 40-Jährigen, die rufen ihm

zu, klatschen ab. Auf Hans-Jörg Butt reagieren vor allem die Männer: „Butt, Butt, Butt!“ Und auf mich? Die älteren Damen. Ich habe noch vor Augen, wie mir in Untergiesing eine Dame, weit jenseits der 70, aus dem Fenster zuwinkte: „Ah, der Lahm, servus!“ Ich bin eher der Liebling der Älteren und der Münchner - und der kleinen Kinder.

Playboy: Wofür bekommen Sie von Frauen die meisten Komplimente?

Lahm: Wann soll ich denn von Frauen Komplimente bekommen? Ich gehe nicht wirklich aus, und vor allem nicht allein. Und wenn ich mit meiner Frau ausgehe, werden kaum andere Frauen am Tisch auftauchen und mir Komplimente machen.

Playboy: Was war das erste Kompliment, das Ihnen Ihre jetzige Frau gemacht hat?

Lahm: Das ist schon lange her. Ich glaube, was sie an mir schätzt, ist, dass ich liebevoll bin, ehrlich und dass man mit mir viel Spaß haben kann. Ich glaube, das würde meine Frau unterschreiben.

Playboy: Innerhalb kürzester Zeit nach der WM haben sich Mesut Özil, Bastian Schweinsteiger und Manuel Neuer von ihren Freundinnen getrennt. Zufall?

Lahm: Davon gehe ich aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeinen Zusammenhang...

Playboy: Sie haben im Campo Bahia nicht irgendwie... ?

Lahm: Nein! (lacht) Nein. Wir haben gefeiert, aber... nein.

Titelbild: Getty Images