Mo., 22.06.2020
Interviews

Lernen von den Schlauen, Folge 1

US-Ökonom und Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugmann über die anhaltende Flaute im Weltwirtschaftsklima. 10 Thesen zu den Ursachen und dem Hergang der derzeitigen Krise. Wer hat Schuld? Und was passieren muss, um da wieder herauszukommen...

IntervIew-Protokoll Jonathan Tasini

..die gegenwärtige Weltwirtschaftssituation

Berücksichtigt man Indikatoren wie industrielle Produktion oder das gestiegene Bruttosozialprodukt, dann gilt die Rezession seit Juni 2009 als offiziell überwunden. Auch wenn sich das nicht in den Beschäftigungszahlen niederschlug. Meiner Meinung nach sind wir aber immer noch in einer wirtschaftlichen Talsohle, ich spreche deshalb gern von einer lesser depression. Wir haben nun schon im vierten Jahr hintereinander eine extrem hohe Arbeitslosigkeit, gekoppelt mit richtig miesen wirtschaftlichen Aussichten. Wer seinen Job verloren hat, der bekommt so schnell keinen wieder. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat ein Niveau erreicht, wie man es seit der Great Depression in den 30er-Jahren nicht mehr gesehen hat. Damals, da sind sich heute eigentlich alle einig, waren die Politiker viel zu selbstgefällig. Sie hätten viel mehr für die Konjunkturbelebung tun müssen. Genau wie jetzt auch.

... die USA als Bananenrepublik

In gewisser Weise sind wir eine. Wir haben immer mit dem Finger nach Mittelamerika gezeigt. Auf Staaten, in denen effektive Wirtschaftspolitik stets an mangelndem politischem Konsens scheiterte. Wo großes Einkommensgefälle herrscht. Inzwischen sieht es doch bei uns nicht anders aus.

... die Gründe der Immobilienkrise

Viele handelten einfach in dem Glauben, dass der Wert ihrer Immobilien immer weiter steigen würde. Und diejenigen, die ihnen das Geld liehen, bestärkten sie in diesem Glauben. Daran ist zunächst nichts Verwerfliches, wer nimmt schon eine Hypothek auf, wenn er nicht entsprechend optimistisch nach vorn schaut? Leider enden solche Debatten stets mit einem Verweis auf diese angeblich so verantwortungslosen Leute, deren Handeln gleich das ganze finanzielle System zum Einsturz bringt. Quatsch. Es war einfach eine Blase, die platzte. Allerdings eine riesengroße.

... die Rolle von Wall Street

Das billige Geld, mit dem sich so viele Menschen plötzlich ein Haus leisten konnten, irgendwo musste es ja herkommen. Da steckte eine ganze Maschine dahinter, eine, die es verstand, glaubhaft zu versichern, dass selbst riskante Kredite bombensicher sind. Nackte Gier trieb die Maschine an. Man hat den Leuten Hypotheken aufgeschwatzt, von denen es hieß, sie können sie sich leisten. Das Kleingedruckte dazu hat man ihnen nicht erklärt. Dazu kamen dann noch all das Verschleiern der echten Zusammenhänge und die Kunst, Ramschkredite aussehen zu lassen wie Anlagen mit höchster Bonität. Auf beiden Seiten des Atlantiks gab es leider niemanden aus der Politik, der regulierend eingriff. Im Gegenteil, in den USA war die Bereitschaft eher noch größer, alles einfach seinen Lauf nehmen zu lassen, anstatt mal den Mund aufzumachen und zu sagen: „Halt, stopp, Moment mal, das macht doch alles überhaupt keinen Sinn.“ Ich würde sogar unterstellen, dass es in der Politik kaum jemanden gab, der sich der ganzen Trag- weite bewusst war. Das wiederum wussten diejenigen auszunutzen, die volles Risiko gingen und es gleichzeitig herunterspielten.

... Occupy Wall Street

Ich denke, dass die OWS einen guten Dienst geleistet hat. Es braucht nicht immer glasklar formulierte Forderungen. In diesem Fall hat es schon gereicht zu zeigen, wie es um die Leichtgläubigkeit der Menschen bestellt ist und wie schnell man auf einen Schwindel hereinfällt. OWS ist es gelungen, diese Diskussion neu zu entfachen. Wer heutzutage mit dem Finger auf „die Reichen“ zeigt, der bekommt sofort klassenkämpferische Motive unterstellt. Statt- dessen sind wir aufgerufen, von ihnen als job creators zu sprechen. Furchtbar. Besonders in dem Zusammenhang, dass die meisten dieser hohen Einkommen alle an der Wall Street gemacht wurden. Und was noch furchtbarer ist, diese Herren glauben auch noch, dass sie es sind, die für unseren wirtschaftlichen Erfolg insgesamt stehen.

... ex-US-Notenbank-chef Alan Greenspan

Ganz ehrlich, kann man öfter danebengelegen haben als er? Er versuchte, uns da- von zu überzeugen, dass eine vollständige Deregulierung das Finanzsystem insgesamt stärken würde. Je offensichtlicher die Krise wurde, desto unverständlicher geriet das, was er dazu als Erklärung abgab. Da halte ich es lieber mit seinem Vorgänger Paul Volcker, der, als er Greenspan das Feld überließ, sich komplett aus allem herausgehalten hat. Greenspan tut genau das Gegenteil und versucht, damit auch noch Kasse zu machen. Er redet einen solchen Unsinn, dass es fast schon frappierend ist, dass manche Leute ihm nicht nur zu- hören, sondern ihn ob seiner Weisheiten geradezu verehren.

... China – Freund oder Feind?

Das ist keine Frage von entweder oder. Insbesondere bei einem Land, das zum einen seine Währung künstlich niedrig hält, zum anderen aber den Löwenanteil unserer Staatsanleihen aufkauft. Das eine geht zu Lasten unserer eigenen verarbeitenden Industrie. Das andere trägt dazu bei, dass bei uns die Zinsen niedrig bleiben. Das wiederum bremst die Lebenshaltungskosten. Doch angesichts unserer aktuellen wirtschaftlichen Situation – Massenarbeitslosigkeit, gepaart mit politischer Ohnmacht – schadet China uns mehr, als dass es hilft. Da gibt es keine zwei Meinungen, wirtschaftspolitisch ist China derzeit unser Feind.

... die Krise in Europa

Alles steht auf Messers Schneide. Man muss nun zu wirklich drastischen Mitteln greifen und massiv die Notenpresse anwerfen. Es bleibt abzuwarten, ob das wirklich geschieht. Das Szenario, dass der Euro nicht überlebt und dass Griechenland die Euro-Zone verlassen muss, ist gegenwärtig so wahrscheinlich wie nie zuvor. Das Ende des Euro wäre aber nicht das Ende der Europäischen Union, die könnte, wenn auch einigermaßen geschwächt, überleben. Ein gescheitertes Europa würde aber auch die USA isolieren und schwächen.

. . . die Rettung

Ich sehe da keinen Helden, der sich in absehbarer Zeit unserer Probleme annimmt. Die Great Depression ging zu Ende mit Hilfe eines Typen namens Adolf Hitler. Er löste einen katastrophalen Krieg mit Millionen von Opfern aus. Der führte dazu, dass Regierungen ihre Ausgaben massiv er- höhten. Es muss schon etwas in diese Richtung passieren, das zu einem kollektiven Erwachen wie damals führt. Noch ist das soziale Netz eng genug gestrickt, sodass, wenn überhaupt, nur individuell gelitten wird. Aber je mehr Menschen endgültig das Geld ausgeht, desto mehr wird das individuelle Leiden zu einem kollektiven. Ob da am politischen Horizont jemand auftaucht, der dem Ganzen Einhalt gebietet, ich weiß es nicht. Eines aber weiß ich nach Jahren des Studierens ... die Geschichte geht endlos weiter. Wer weiß schon, was in vier oder fünf Jahren sein wird?

Titelbild: Playboy Deutschland