Di., 18.09.2018
Sex & Lust

Uschis Erben

Vor 50 Jahren trafen sich Rainer Langhans und Uschi Obermaier – die Stars der Kommune 1, Symbolfiguren einer Idee: Freie Liebe. Auch Autor Helge Timmerberg liebte damals eine Uschi. Aber frei? Gibt's das?

Sex und Politik gehörten für "das schönste Paar der Apo", Uschi Obermaier und Rainer Langhans, zusammen. Ihre gemeinsamen Fotos waren ein Statement im Sinne, dass auch das Private politisch sei. Auch Playboy Autor Helge Timmerberg liebte damals eine Uschi. 1968 war das. Im Playboy schreibt unser Autor über Revolution, LSD und freie Liebe und stellt sich die Frage, ob das mit der freien Liebe wirklich so toll ist wie es klingt.

1968 war das Jahr der Uschis. Rainer traf seine, ich meine. Nicht nur im selben Jahr, auch im selben Monat. Allerdings war Langhans zwei Jahre älter als ich. 18, also volljährig und wahrscheinlich auch schon erfahren. Ich dagegen hatte vorher noch nie mit einer Frau geschlafen. Meine Uschi machte mich zum Mann. Aber nicht zum Revolutionär. Tatort: Bielefeld. Studenten der Werkkunstschule hatten eine alte Villa am Rand des Teutoburger Waldes besetzt. Das war nicht die K1. Auch nicht inhaltlich. Wir machten aus der Liebe keine Politik. Obwohl Uschi das ganz recht gewesen wäre. 

Für Nymphomaninnen ist die freie Liebe eine ideale Kombination von Orgasmus und Revolution. Ich wusste das nicht, mehr noch, ich wusste nicht mal, wie es geht. Aber Uschi sagte, Hauptsache, er steht. Das erste Mal vergisst man nie. Auch nicht das Lied. „Look What They’ve Done To My Song, Ma“, gesungen von Melanie. Kennt das heute noch jemand? Damals war es ein Hit. Ich mag es nicht besonders, aber es dudelte zu meiner Entjungferung. Außerdem hoppelten die Häschen vor unserem Fenster, denn die Sonne war bereits aufgegangen, als ich aus Uschi wieder herauskam.

Nun war ich ein Mann. Aber nur ein halber. Die andere Hälfte war in ihr. So fühlte sich das an. Ich musste mit ihr schlafen, um wieder rund zu sein. Summer of love, drei Monate verliebt, dann kam Besuch aus Frankreich. Eine Urlaubsbekanntschaft von Uschi. Uschi hatte einen VW Käfer. Sie ließ den Franzosen auf dem Beifahrersitz Platz nehmen und verschwand mit ihm im Teutoburger Wald. Den ganzen Tag waren sie unterwegs. Mich machte das nervös. Und als wir am Abend, wie immer, in der großen Runde die Joints kreisen ließen, saß Uschi nicht neben mir, sondern bei dem gut aussehenden, braun gebrannten, schwarz gelockten jungen Franzosen mit dem D’Artagnan-Bart. Sie verstand sich prächtig mit ihm, so prächtig, wie sie sich mit mir verstanden hatte. Gestern. Yesterday, all my trouble seemed so far away.

Und es gab da noch ein Problem. Eifersucht war verboten. Nicht nur von Langhans und der K1, sondern vom Zeitgeist, diesem Schwein. Ob Hippie oder Revolutionär, die Eifersucht war unser aller Feind. Die 68er teilten sich bekanntlich in zwei Lager. Die einen veränderten das Sein, die anderen das Bewusstsein. Für die politische Fraktion war Eifersucht ein reaktionärer Besitzanspruch, bei uns Hippies galt sie als unerleuchtet. Heute würde man uncool sagen. Ich war also gerade die uncoolste Socke in unserer Kiffer-Runde. Ich wurde eifersüchtig, obwohl ich nicht eifersüchtig werden durfte. Zu seinen Gefühlen zu stehen ging genauso wenig wie sie zu zeigen, also, was nun? Man empfahl mir LSD.

Das kann gut gehen, muss es aber nicht. Der Franzose mutierte zu einem Monster, das sich an meiner Uschi vergriff. Und dann kam sie doch noch zu mir rüber und sagte mit hypnotischem Blick: „Du weißt, Helge, nach dem Tag kommt die Nacht.“ Ach, hätten sie wenigstens die Tür zugemacht. In dem Bett meiner ersten Liebesnacht hat der Franzose Uschi zum Stöhnen gebracht, und ich saß im Nachbarzimmer auf LSD. Ich kann diese Droge wirklich nicht verherrlichen. Es war die Hölle, ihre Lust tausendfach verstärkt zu hören. Und ihr Lied. Sie hatte es wieder gespielt und wieder und wieder. „Look What They’ve Done To My Song, Ma.“ Und am frühen Morgen sah man auch wieder die Häschen auf der Wiese hoppeln. Alles war wie bei unserem ersten Mal, aber jetzt ohne mich. Obwohl mir Uschi zwischendurch aus dem Bett zugerufen hatte, ob ich mich nicht zu ihnen gesellen wolle. Einen flotten Dreier als Einstieg in die freie Liebe, nein, das war nicht mein Ding. Stattdessen ging ich in die Küche, um den gesamten Abwasch der Wohngemeinschaft zu machen. Langhans hätte das anders geregelt. Der hätte sich dazugelegt, denn abwaschen war konterrevolutionär. 

Wovon ist eigentlich die freie Liebe befreit? Von der Liebe? Ich will das nicht verallgemeinern, aber bei mir ist es so. Wenn ich nicht liebe, bin ich auch nicht eifersüchtig. Freie Liebe im Puff ist kein Problem. Dasselbe gilt für freie Liebe im Pornofilm und die freie Liebe der Orgie. Die Liebe ist das Problem. Sie ist die Mutter der Eifersucht. Die freie Liebe ist nur die Mutter der Parasiten.
Der Franzose ging, die Filzläuse blieben. Ich schleppte sie nach Heidelberg. Dort war unsere Partner-WG, unsere Hippie-K1, das Hauptquartier der eher psychedelischen Revolution. Hier gab es keine Uschi. Aber Sharon. Was für eine Frau! Die Königin der Kommunarden und Muse der Hausband Guru Guru. Muse ist übrigens etwas anderes als Groupie, obwohl es oft ähnlich aussieht. Auch Sharon war wunderschön und an häufig wechselndem Geschlechtsverkehr mit Musikern interessiert, aber bei all dem blieb sie spirituell orientiert. Sharon hat gern missioniert. Bevor sie mich in ihr Bett ließ, gab sie mir einen psychedelischen Pilz zum Verzehr und legte ein Buch dazu. „Der Weg des Mescal“. Es war großzügig illustriert und zeigte, was während einer Initiation im Regenwald passiert, wenn der Einzuweihende heilige Schwammerl konsumiert. Aus einem Indianer-Buben wurde ein schwarzer Jaguar. Was wollte sie mir damit sagen? Finde dein Krafttier, bevor du mich fickst?

Sharon hat mir übrigens die Parasiten nicht übel genommen. Nicht ein böses Wort verlor sie darüber, sie hat sich klaglos desinfiziert und half mir, dasselbe zu tun, Filzläuse waren für sie nur ein Kollateralschaden der sexuellen Revolution. Und bei allem blieb sie königlich anzusehen. Ein weißer Bademantel floss an ihren Kurven herab, ein weißes Handtuch war zum Turban gebunden, auch das Bett war wieder frisch und strahlend weiß bezogen. 

Dass ich bei Sharon nicht eifersüchtig wurde, hatte zwei Gründe. 1. Ich hatte mich nicht in sie verliebt, sondern verehrte sie. 2. Ich war zu schnell wieder in Bielefeld. Ich sah und hörte nicht, was sie mit anderen trieb. So blieb Sharon in meiner Erinnerung ein ewig unbeflecktes Juwel. Freie Liebe war ein schöner Traum. Freie Liebe war ein böser Traum. Aber die Ketten der Realität hat die freie Liebe nachhaltig nicht gesprengt. Sie gilt mittlerweile als so uncool wie Mundgeruch. Ein albernes Konzept einer albernen Revolution des vergangenen Jahrhunderts. Die Menschen sind wieder treu. Allerdings nicht lang. Verliebt, verlobt, verheiratet und aus, dafür brauchen die meisten Paare nur noch zwei Jahre. Das ist schlau. Es vereint die Vorteile der Treue mit denen der Abwechslung. Es ist eine zeitversetzte freie Liebe. Zehn Partner in 20 Jahren oder, sagen wir in 30, denn zwischendurch ist man ja auch immer mal wieder alleinstehend.

Ein Single ist übrigens nicht dasselbe wie ein Mönch. Er unterliegt keinem Zölibat. Er kann machen, was er will, aber der moderne Single nennt auch das nicht mehr freie Liebe, sondern freien Sex. Wie Maria, die Wienerin. Schön, gescheit, erfolgreich, emanzipiert. Eine starke Frau, die Männer schwach machte. Ein echter Wiener geht bei der Liebe nicht unter? Für Maria war das Quatsch. Sie hat alle kleingekriegt. Es war ihr Duft, dem man verfiel. Nicht der ihres Parfüms, ihre Haut dampfte das aus. Sie war sich dessen bewusst und zeigte mir auch einmal die Quelle ihres betörenden Geruchs. In ihren Armbeugen duftete es nicht nach Schweiß, sondern nach Lust. Wir hatten genialen Sex. Vom Fleck weg. Bereits am ersten Abend landete ich in ihrem Bett, danach waren es die Nachmittage, denn als Führungskraft konnte sie Pausen machen, wann sie wollte. Sie nannte es „Happy Hour“, und so lautete auch der Standardtext ihrer täglichen SMS, plus die Uhrzeit. Alles, was ich für diese Beziehung brauchte, waren ein Handy und eine schnell regenerierbare Potenz. Und so schlecht war das nicht. Bis zu diesem Nachmittag, als sie mich mitten in der Happy Hour plötzlich Folgendes fragte: „Was wäre dir eigentlich lieber? Überhaupt nicht mehr mit mir zu schlafen oder zu akzeptieren, dass ich auch noch mit anderen Männern Sex habe?“ Ich rollte mich sofort aus dem Bett, zog mich an und sagte nichts. „Ach Helge, was hast du denn? Das ist doch ein idealer Rhythmus für dich. Sex am Nachmittag, schreiben am Abend und den Absacker-Rum in der Nacht. Besser geht’s nicht.“

Ich war schon in der Tür, drehte mich aber noch einmal um. „Ich habe einfach keinen Bock darauf, Mitglied einer Wohngemeinschaft in deiner Muschi zu werden“, sagte ich. Und ging.

Titelbild: Keystone/Getty Images