So., 30.10.2016
Interviews

„Junge Spieler machen weniger Blödsinn als wir früher“

Kaum ein zweiter Stürmer sammelte so viele Titel im deutschen Fußball. „Lebemann“ ist einer davon. „Schlawiner“ hieß Claudio Pizarro bei den Bayern. Weil ihm Leichtigkeit über Disziplin geht und Spielfreude seinen Erfolg ausmacht. Kein Wunder, dass der Mann mit dem Lächeln als Stilikone der Bundesliga gilt. Ein Gespräch über Merengue-Abende mit Ailton, Modesünden in der Umkleidekabine und die die Kunst, sich seine Leichtigkeit zu bewahren

PLAYBOY: Herr Pizarro, was zeichnet einen Schlawiner aus?

PIZARRO: Also, was ich gehört habe: In Deutschland ist das gut, ein Schlawiner zu sein. Weil: Der Schlawiner hat gute Augen. Der schaut, was möglich ist, und er sieht das vor den anderen.

PLAYBOY: Reden wir jetzt von Situationen im Fußball oder im Leben?

PIZARRO: Von beidem. Und in beiden Fällen ist es eine Auszeichnung.

PLAYBOY: Sie haben das Kompliment einst von Uli Hoeneß bekommen.

PIZARRO: Er kennt mich schon so lange, er weiß, wie ich mit den Dingen umgehe - also wird er schon wissen, was er da gesagt hat. Es stimmt ja auch: Im Fußball und im Leben beobachte ich viel, und so bekomme ich einen Eindruck von den Leuten und von dem Geschäft. Und dann weiß ich, was ich tun kann.

PLAYBOY: Ein Schlawiner ist zudem einer, der das Leben nicht allzu ernst nimmt.

PIZARRO: Moment, ich nehme das Leben sehr ernst! Als ich jung war, habe ich vielleicht etwas mehr auf den Spaß geachtet. Aber im Beruf habe ich immer alles ernst genommen.

PLAYBOY: Würden Sie als Experte zustimmen, dass Sie der letzte Schlawiner der Bundesliga sind?

PIZARRO: Ich hoffe: nein!

PLAYBOY: Wer könnte noch ein Schlawiner sein?

PIZARRO: Mal überlegen. Okay, keine Ahnung. Ich fürchte, ich muss Ihnen doch zustimmen (lacht).

PLAYBOY: Als Sie 1999 in die Bundesliga kamen, gab es noch Typen wie Mario Basler, Giovane Elber, Ailton . . .

PIZARRO: Eine tolle Zeit. Wir waren immer die Ersten, die zur Arbeit gekommen sind. Wir waren aber auch die Ersten, die Spaß hatten. Wir wussten genau, wann der Moment für das eine oder das andere war. Und natürlich ging die Richtung oft häufiger zum Spaß. Wir wollten das Leben genießen!

PLAYBOY: Welche Erinnerung haben Sie an diese Zeit?

PIZARRO: Eine? Ich habe viele! Ailton zum Beispiel, ein Lateinamerikaner wie ich, hat auch diese Liebe zur Musik. Wir waren auf Konzerten, in Bars, und manchmal gab es dazu dann auch Bier und Pizza.

PLAYBOY: Das erste Konzert mit Ailton?

PIZARRO: Das werde ich nie vergessen. Ein Merengue-Abend in Bremen mit Juan Luis Guerra. Wir kamen beide aus Südamerika, wir waren jung, und wir waren es gewohnt, das Leben leicht zu nehmen. Ich habe auch in Deutschland versucht, die Sachen so zu machen, wie ich sie in Peru gemacht habe. Aber dann haben alle gesagt, dass das so falsch ist. Das hat ein bisschen gedauert, bis ich das gelernt hatte.

PLAYBOY: Dann sind Sie das erste Mal nach München gewechselt.

PIZARRO: Aber auch da habe ich sofort einen anderen Schlawiner getroffen, einen deutschen Schlawiner: Mehmet Scholl. Wahnsinn, wie viel Spaß er beim Fußball haben konnte. Er ist vielleicht der lockerste Deutsche, den ich kennen gelernt habe. Klingt wie ein Widerspruch, oder? Mehmet aber hatte das drauf.

PLAYBOY: Heute wirkt die Bundesliga gelegentlich etwas spaßbefreit - mit all den Internatszöglingen, die genau wissen, wie sie sich als perfekter Profi präsentieren müssen. Vermissen Sie etwas?

PIZARRO: Überhaupt nicht. Ich sehe das auch anders. Früher, als ich jung war und die Dinge lockerer gesehen habe, hat mich oft gestört, wie verbissen die Alten waren. Jetzt, als einer der Älteren, fällt mir auf, dass ich immer noch einen kindlichen Spaß habe. Die jungen Spieler haben also keine Ausrede!

PLAYBOY: Dennoch: Dass ein Spieler einfach mal ein Bier trinken geht, kommt heute kaum noch vor.

PIZARRO: Ja, aber nur weil ihr Journalisten so streng seid!

PLAYBOY: Entschuldigung.

PIZARRO: Nee, ist schon okay. Ein Bierchen, das geht ja auch weiterhin.

PLAYBOY: Nehmen die jungen Profis heute den Fußball manchmal zu ernst?

PIZARRO: Es ist für sie anders als früher. Es gibt deutlich weniger Privatleben. Wir konnten noch viel mehr Sachen machen, die nicht an die Öffentlichkeit kamen. Jetzt muss man mehr aufpassen. Entsprechend müssen die Jungen das alles vielleicht auch ernster nehmen. Aber klar, das fällt mir auf, dass die weniger Blödsinn machen als wir früher.

PLAYBOY: Sie haben alle großen Titel im Vereinsfußball gewonnen. Wie wichtig war für den Erfolg, dass Sie sich auch neben dem Platz die Leichtigkeit bewahrt haben?

PIZARRO: Das war mir extrem wichtig, dass ich immer positiv bleibe. Und dieses Positive habe ich nie verloren. Das ist nicht immer einfach gewesen, manchmal kommen im Leben dann doch die negativen Sachen an. Aber gerade dann musst du für das Positive kämpfen. Einmal zum Beispiel, in Peru, hatte ich einen Schädelbruch, da hatte mir ein Gegenspieler den Ellenbogen ins Gesicht geschlagen. Das war wirklich schlimm, meine Familie dachte, dass ich sterbe. Ich lag im Krankenhaus, habe einen Tag lang nur geschlafen. Dann aber bin ich aufgewacht, und ich habe mir sofort gesagt: „Ein Ellenbogen kann dich nicht stoppen.“ Ich habe mir bei jeder kleinen Bewegung gesagt, dass es schon klappen wird - nach zwei Monaten stand ich wieder auf dem Platz.

PLAYBOY: Haben Sie einen Trick, um immer positiv zu bleiben?

PIZARRO: Im Fußball hilft es, immer professionell zu bleiben. Als ich das erste Mal bei Bayern war, habe ich um einen neuen Vertrag gekämpft, konnte mich aber nicht einigen. Ich saß wochenlang auf der Bank, fühlte mich hilflos. Da habe ich mir gesagt: „Ihr könnt mir nicht die Freude nehmen.“ Also habe ich hart trainiert, aber immer mit einem Lächeln im Gesicht.

PLAYBOY: Das beste Mittel gegen negative Gedanken bleibt vermutlich ein Merengue-Abend mit Ailton?

PIZARRO: Absolut, nichts säubert den Kopf besser.

PLAYBOY: Wie beobachten Sie es als Vater, wenn Ihr Sohn ausgeht?

PIZARRO: Da bleibe ich ganz entspannt. Neulich, in den Ferien, wollte er das erste Mal an einem Montagabend weg. Da habe ich ihn gefragt: „Warum? Es ist Montag!“ Und er sagte: „Aber es ist Sommer.“ Da musste ich ihn natürlich losziehen lassen.

PLAYBOY: Sie sind der erfolgreichste ausländische Torschütze der Bundesliga, dazu der erfolgreichste in der Bremer Vereinsgeschichte - Sie gelten in der Liga aber auch als Stilikone. Wie haben Sie auch das noch geschafft?

PIZARRO: Mir gefallen gute Klamotten, und es gefällt mir, gut angezogen zu sein. Auch das gehört für mich dazu, um das Leben zu genießen. Und da verdanke ich meiner Karriere wirklich viel. In Lima zum Beispiel hatte ich noch nicht die Möglichkeiten, diesem Interesse nachzugehen. Begonnen hat das erst in Europa. Und dann ganz besonders in München. Das ist ja eine der attraktivsten Städte überhaupt für modeinteressierte Menschen.

PLAYBOY: Ihr Ex-Bayern-Kollege Dante hat uns einmal gesagt, die bestangezogenen Spieler seien Bastian Schweinsteiger, Mario Gomez und Claudio Pizarro.

PIZARRO: Hat er? Das ist echt ein Kompliment. Mit Schweinsteiger haben wir immer über Mode gesprochen, und am Ende hat er stets gesagt: „So gut angezogen wie ich ist keiner.“

PLAYBOY: Stimmt das auch?

PIZARRO: Er hat seinen Stil, definitiv. Inzwischen ist er ein bisschen klassischer geworden. Ich kann das beurteilen, ich telefoniere ja noch häufig mit ihm, und jedes Mal reden wir auch über Mode.

PLAYBOY: Wie würden Sie Ihren eigenen Stil beschreiben?

PIZARRO: Ich bin auch ein Klassiker. Das ändert sich je nach Situation, nach Mode, nach Jahreszeit. Aber generell bin ich schon eher ein Gentleman als ein HipHopper.

PLAYBOY: Fragen Mitspieler Sie manchmal nach einem Tipp für das beste Outfit?

PIZARRO: Bisher nicht. Bei manchen muss ich sagen: leider nicht (lacht).

PLAYBOY: Was hätten Sie verbessert?

PIZARRO: Es gibt einfach Typen, darunter auch mein Sohn, denen ist es egal, was sie anziehen. Da ist nix kombiniert, die nehmen, was gerade daliegt.

PLAYBOY: Bei Ihrem Sohn sieht es dennoch gut aus.

PIZARRO: Manchmal eben auch nicht. Und dann sage ich ihm, dass er so nicht aus dem Haus gehen kann. Dass er so unmöglich aussieht. Aber er zuckt nur mit den Schultern, und schon ist er weg.

PLAYBOY: Welche Stilregeln befolgen Sie?

PIZARRO: Keine. Die Farben müssen passen, das war’s.

PLAYBOY: Haben Sie ein Lieblingskleidungsstück?

PIZARRO: Nee, eigentlich nicht. Moment, was mir gerade einfällt: Ich hatte mal eine Hose, die habe ich oft getragen - die war richtig hässlich. Die war furchtbar breit unten. Aber bevor Sie lachen: Das war damals Mode. Die 90er eben.

PLAYBOY: Was würde Sie mehr verletzen: wenn Ihnen einer sagt, dass Sie im vergangenen Spiel schlecht waren, oder wenn Ihnen einer sagt, dass Sie ein stilloses Outfit anhaben?

PIZARRO: Beides. Wenn Sie aber sagen: die ganze Saison, dann würde mich das mehr treffen. Im Fußball kennen sich mehr Leute aus. Mode ist eine Frage des Geschmacks.

PLAYBOY: Trifft der Swag-Style junger Profis Ihren Geschmack?

PIZARRO: Sie meinen das mit den langen T-Shirts, komischen Hosen und bunten Schuhen? Das ist Mode, bei einigen passt es, bei anderen nicht. Bei JØrûme Boateng zum Beispiel sieht es super aus. Bei vielen anderen muss ich sagen: Geht gar nicht. Aber auch das ist eben eine Frage des Geschmacks, und ich sehe vor allem mich selbst nicht so.

PLAYBOY: Sagen Sie einem Kollegen, wenn Sie finden, dass er nicht gut gekleidet ist?

PIZARRO: Hier in Bremen reden wir in der Kabine nicht so viel über Mode. Das war bei Bayern noch ganz anders. Da hätte ich es dem einen oder anderen vielleicht auch mal so deutlich sagen sollen . . .

PLAYBOY: Wenn wir ehrlich sind, geht es uns beim Anziehen ja auch darum, von den Frauen Komplimente zu bekommen. Wie wichtig ist Ihnen das?

PIZARRO: Oh je, eine gefährliche Frage. Natürlich fühlt man sich dabei gut.

PLAYBOY: Aber es darf nur Ihre Frau sagen?

PIZARRO: Nee, das darf schon jede sagen. Es ist ja nur ein Kompliment. Trotzdem: letzte Frage, bitte!

PLAYBOY: Was kommt bei den Frauen am besten an: gute Kleidung, schöne Augen, nettes Lächeln?

PIZARRO: Diese Frage kann wirklich nur ein Mann stellen! Nur wir Männer nehmen zuerst mit den Augen wahr. Frauen hingegen achten auf das, was in den Ohren ankommt. Am wichtigsten sind also immer schöne Worte.

VIdeo: Frauen ansprechen beim Sport – so wird's nicht peinlich

Titelbild: PSR_LWC_Plus