Di., 30.01.2018
Interviews

"Musik ist keine SMS"

Er ist nicht nur erfolgreicher Musiker und Produzent, sondern auch politischer Denker und Netzwerker: Leslie Mandoki (65, "Dschingis Khan“), legendärer Ungarn-Deutscher mit Wohnsitz am Starnberger See. Anlässlich der Grammy-Verleihung gastierte der Weltklasse-Drummer jetzt mit seiner Jazzrock-Supergroup "Soulmates“ (u.a. mit Toto-Sänger Bobby Kimball, Supertramp-Saxophonist John Helliwell oder Jazz-Trompter Till Brönner) auf der Bühne des Beacon Theatre in New York. Wir trafen ihn in Manhattan zum Gespräch über künstlerische Freiheit, die Musikindustrie und #MeToo.

Zum Abschluss der preisgekrönten "Wings of Freedom"-Tournee gastierten die ManDoki Soulmates gerade im legendären Beacon Theatre in New York City. Was ist das besondere an Ihrer Musik?“

Leslie Mandoki: Man hört von früh bis spät, was uns als Gesellschaft trennt. Meine Lieder handeln davon, was uns eint. Universelle Werte wie Toleranz, Idealismus und die Sehnsucht nach Freiheit. Popmusik ist nicht wie eine SMS, sondern wie ein handgeschriebener Liebesbrief an das Publikum. Wir Künstler haben die Aufgabe, Stachel im Fleisch der Gesellschaft zu sein. Wir müssen unsere Stimme erheben und manchmal ungemütlich sein. Gerade jetzt, wo wir über Filterblasen, Echokammern und alternative Fakten reden.

Credit: Theo Wargo

Mit Facebook, Twitter und Instagram können Sie also nichts anfangen?

Ich bin ein streitbarer Zeitgenosse, was Social Media angeht. Beruflich nutze ich es natürlich, damit erreichen wir unser Publikum. Aber privat will ich es mir nicht anmaßen, aller Welt mitzuteilen, was ich gerade gegessen habe, in welcher Kneipe ich war oder was ich gerade trage. Ich nenne das kommunikative Inkontinenz oder Sozialpornografie. So wichtig finde ich mich nicht. Ich will mich über meine Lieder ausdrücken. Wir Songschreiber schreiben unsere Lieder nicht selbst, sondern das Leben schreibt sie für uns. Frei nach Ernest Hemingway: Ich bin kein Schriftsteller, ich habe wild gelebt und alles aufgeschrieben.

Sie sind als junger Mann vor dem kommunistischen Regime aus Ungarn geflohen. Was bedeutet der Kampf für die Freiheit für Sie heute, wo wir doch in demokratischen Rechtsstaaten leben?

Unsere Freiheit ist heute noch in mehrfacher Hinsicht bedroht. Wenn wir uns vor zehn Jahren unterhalten hätten und du hättest mir gesagt, dass der nordkoreanische kommunistische Diktator und der frei gewählte amerikanische Präsident über Twitter einen Streit darüber entfachen, wer den grösseren Atomknopf hat, hätte ich das für Stand-Up-Comedy gehalten. Aber das ist heute Realität. Auf der anderen Seite geben wir Stück für Stück unsere private Intimität auf, durch alles was wir online schreiben und posten. Ein intelligenter, offener Diskurs, bei dem Argumente ausgetauscht werden und andere Meinung respektiert werden, findet im Netz nicht statt. Das spaltet unsere Gesellschaft: Wir sehen es an Brexit, AfD oder Trump.


Haben Sie hier in die Heimatstadt des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump auch eine politische Botschaft mitgebracht?

Trump zeigt, dass ein Riss in unserer Gesellschaft entstanden ist zwischen der akademisch-intellektuellen Elite in Politik, Kunst und Medien und einem Teil der Gesellschaft, der sich abgehängt fühlt. Wir müssen aus unserem Elfenbeinturm heraus kommen und uns fragen, wie das passieren konnte.

Und was kann man gegen diese Spaltung tun?

Ich bin für die liberale, offene Gesellschaft, in der abweichende Meinungen offen diskutiert werden können. Ich als ehemaliger illegaler Einwanderer, der mit 22 aus Ungarn nach Deutschland gekommen ist und Asyl beantragt hat, habe mich gefragt, ob ich meiner Verantwortung gegenüber Deutschland anders hätte nachkommen müssen. Vielleicht hätte ich auf die erste Pegida-Demonstration in Dresden gehen müssen und sagen sollen: "Leute, habe ich euch irgendwas getan?" Wir müssen uns den Bedürfnissen der Menschen wirklich annehmen und zuhören. Einen Dialog führen, nicht Aussperren. Musik kann dabei helfen, Brücken bauen. Aber es geht mir nicht darum, gefällig zu sein. Das ist schön, aber harmlos. Ich will nicht alle Songs in Dur komponieren.

Credit: Playboy Deutschland


Sie sind ein ausgesprochen politisch denkender Mensch. Wird bei den Soulmates auch backstage politisch diskutiert?

Wir reden über Kunst, Leben, Liebe, gutes Essen, Politik und Philosophie. Ich würde es nicht politisches Diskutieren nennen, sondern radikal intensives Leben. Und wir sind seit jeher eine Wertegemeinschaft, da gibt es keine Reibereien.

Auf der diesjährigen Grammy-Veranstaltung wurde die #metoo-Debatte aufgegriffen. Ist der Umgang mit Frauen in der Musikbranche heute ein Problem?

Ich finde MeToo ist eine gute Debatte, weil es die Benachteiligung von Frauen und Machtmissbrauch offenlegt. Ich als Mann kann mir nicht vorstellen, dass ein anständiger Mann, der viel von seiner Maskulinität hält, denkt, er würde etwas Positives auslösen, wenn er einer Frau in den Schritt packt. Was ist das für ein Werteverfall wenn jemand damit angibt, jemand unsittlich berühren zu können? Das verstehe ich nicht. Ich würde es geschlechtsneutral sagen: Wenn Menschen ihre Machtposition missbrauchen, ist das eine Katastrophe - und in 99 Prozent der Fälle sind die Opfer Frauen. Die Debatte darüber ist mutig und überfällig.

In Deutschland wird gerade wieder über die Freiheit der Kunst diskutiert, zum Beispiel, wenn ein Gedicht von einer Berliner Hochschule entfernt werden soll. Was denken Sie darüber?

Kein normaler Mensch hat etwas gegen ein erfülltes erotisches Leben. Dazu führt natürlich das gegenseitige Begehren und auch dessen künstlerische Verbalisierung. Selbstverständlich muss die Großartigkeit einer Frau von einem Mann beschrieben werden dürfen, in Songs, in Gedichten und Gemälden. Und umgekehrt genauso. Es tut mir leid, aber es gibt glaube ich auf der Welt nichts Schöneres als eine Frau begehren zu dürfen und das erwidert wird. Lieben zu dürfen und geliebt zu werden. 80 Prozent der Pop Lieder sind Liebeslieder! Ich wünsche jedem Menschen, dass er ein erfülltes Liebesleben hat, das ihn zu Kunst inspiriert.

Sie sind seit Jahrzehnten im Musikgeschäft erfolgreich. Wie ist Ihre Einschätzung der Branche im Jahr 2018?

Der Zusammenbruch der klassischen Musikindustrie hat den Künstlern viel Autonomie zurückgegeben. Durch die Demokratisierung der Produktionsmittel und der Verbreitungswege gab es einen Paradigmenwechsel. Die Branche ist dadurch heute wieder in einem besseren Zustand. Sehr viel Überflüssiges ist weg, das klassische Erlösmodell funktioniert nicht mehr, was natürlich für junge Künstler ein Problem ist. Aber in den verbliebenen Plattenfirmen in Deutschland gibt es junge, frische Leute, die an echter Musik und Kreativität interessiert sind. Das war nicht immer so.

Wie hört Leslie Mandoki privat Musik?

Am aller liebsten höre ich Vinyl zu Hause. Ansonsten viel im Studio, mit Kopfhörern unterwegs und ich habe in meinem Auto eine extrem gute Musikanlage. Ich höre überall Musik. Auch ins Hotelzimmer schleppe ich meine Stereoanlage mit.

Welche Künstler stehen auf Ihrer Playlist?

Das reicht von Strawinski über Frank Zappa bis hin zu Miles Davis. Es gibt Musik, die mir nicht zusagt, die ich aber aus fachlichen Gründen analysiere, z.b. urbaner Hip Hop aus den USA. Wenn ich mich richtig aufladen möchte, höre ich einen Sting-Album aus seiner frühen Schaffensperiode. Sting ist einer der Jahrhundertkomponisten.

Stört es Sie angesichts Ihrer Social Media-Skepsis, wenn Sie auf der Bühne die vielen Smartphones im Publikum sehen?

Ich sage den Leuten bei den Auftritten immer: Hey, es gibt Kameras die das Konzert aufzeichnen, das könnt ihr später online gucken. Genießt jetzt einfach den Moment.

Titelbild: Playboy Deutschland