Fr., 26.10.2018
Reportagen

Reportage: Im Drogen-Delta von Guayas

Die Provinz am Pazifik gilt als größter Kokain-Umschlagplatz der Welt. Mächtige Syndikate, als Fischer getarnte Kuriere und tonnenweise falsche Fracht mit dem Ziel Europa: Ecuadors Küstenwache führt einen fast aussichtslosen Kampf um Kontrolle. Wir fuhren mit.

Puerto López, Ecuador

Wenn die Männer von der „Isla San Cristóbal“ eines hassen, dann ist es das: Dein Schiff wirft den Anker, du machst das Beiboot klar, um rüberzufahren an die Uferpromenade – und dann heult die Sirene. Alarm! Alle Mann in Gefechtsposition! Und du weißt, der Spaß ist vorbei, noch bevor er begonnen hat. Du hörst, wie der Anker aus dem Grund gerissen wird, wie die Motoren mit 2400 PS zu dröhnen beginnen und wie das Schiff Fahrt aufnimmt. Raus auf den Pazifik, raus in den Kampf gegen die Kokain-Syndikate.

Die „Isla San Cristóbal“ ist das modernste Schiff der ecuadorianischen Küstenwache. 50 Meter lang, 9 Meter breit, 22 Knoten schnell (etwa 40 km/h). Normalerweise sind 28 Mann an Bord, keine Frauen, darunter zwei Spezialkommandos für Zugriffe auf hoher See. Jetzt sind es 30: Seit ein paar Tagen begleiten Playboy-Fotograf Dani Tapia und ich die Männer der Guardacostas bei der Jagd auf die Drogenkuriere, die den Stoff zentnerweise aus Kolumbien und Peru nach Ecuador bringen.

Die See ist ruhig. Das Radarbild nicht. Überraschend viele Fischerboote sind hier unterwegs. Winzige Punkte in der Weite des Ozeans. Das Zodiac, ein hochseetüchtiges Schlauchboot mit verstärktem Rumpf und starkem Motor, wird ausgesetzt und mit sechs Elite-Soldaten besetzt. Sie tragen Sturmgewehre, ballistische Helme mit Action-Cams, Funkgeräte und Sicherheitswesten. Sie werden sich jedes einzelne Fischerboot anschauen. Haben die Männer Ausweisdokumente dabei, haben sie Netze, sind Fische an Bord? Oder haben sie ganz andere Interessen?

Credit: Playboy Germany
Die Besatzung der „Isla San Cristobal“ macht Jagd auf Kuriere, die Kokain aus Kolumbien und Peru importieren

An Backbord taucht die unbewohnte Insel Salango auf. Dahinter liegt die malerische Salango Bay mit ihrem weit geschwungenen hellen Sandstrand. Normalerweise ist hier nicht viel los: ein paar Fischer, ein paar Surfer, eine Handvoll Badegäste. Aber heute wühlen sich Armeefahrzeuge durch das Gelände. Ein Helikopter kreist über der Bucht. Es herrscht Ausnahmezustand.

Am Vormittag war ein Jeep mit Lautsprechern über den Strand gefahren: „Achtung, Achtung. Tsunami-Warnung. Verlassen Sie den Strand unverzüglich. Benutzen Sie die ausgewiesenen Evakuationswege.“ Solche Ansagen nehmen die Menschen hier ernst. Ecuador liegt auf dem pazifischen Feuerring, der gefährlichsten Erdbebenzone auf dem Globus. Innerhalb von fünf Minuten war der Strand leer. Nur ein älterer Hundebesitzer hatte die Warnung überhört und wunderte sich beim Gassigehen, wie menschenleer der Strand heute war. Dann fand er die Pakete.

Pakete am Strand in Ecuador sind eine klare Sache. Die bringt nicht die Post, die bringen die Drogenkuriere. Es ist vermutlich Ware für Europa und Amerika. Von hier aus soll sie auf dem Landweg nach Guayaquil gebracht werden. Der Hafen der Millionenstadt im Guayas-Delta, 100 km weiter südlich, ist der weltweit wichtigste Umschlagplatz für Kokain. 200 bis 500 der 1125 Tonnen, die nach Schätzungen der Vereinten Nationen jährlich auf den Markt kommen, gehen von Ecuador aus auf die Reise.

Der Hundebesitzer rief die Polizei, und die holte die Armee und verständigte die Küstenwache. Deshalb ist die „Isla San Cristóbal“ jetzt im Gefechtsmodus und soll Salango von der Seeseite aus absichern.

Kommandant Omar Llerena, ein drahtiger Mann mit feinem Profil, leitet den Einsatz von der Brücke aus. „Die Tsunami-Warnung war natürlich gefaked“, sagt er. „Die Syndikate wollten den Strand frei haben.“ Der Steuermann lenkt das Schiff mit dem Joystick. An Deck sind Männer mit Sturmgewehren positioniert. Llerena beobachtet mit einem Fernglas den Horizont: „Wir hatten Geheimdienstinformationen, dass eine Übergabe stattfindet. Aber wir wussten nicht genau, wann und wo.“

Jetzt wissen wir es: hier und jetzt. Aber wir ahnen noch nicht, welche Folgen diese Operation haben wird.

Quito, Ecuador

Dirección Nacional de Antinarcóticos, kurz: DNA. Das Hauptquartier der Drogenpolizei liegt am Rande der ecuadorianischen Hauptstadt in 2850 Meter Höhe, fast so hoch wie Deutschlands höchster Berg, die Zugspitze. Ein paar Kilometer entfernt verläuft der Äquator. Die Luft ist dünn, die Sonne brennt vom Himmel. Und Pablo Aguirre ist nicht da.

Der Polizeigeneral steht im Stau. Da helfen auch Kojak-Licht und Sirene auf der Dienstlimousine nichts. Quito ist immer verstopft. Kein Wunder in einer Millionenstadt, die sich zwischen aktiven Vulkanen in ein zerklüftetes Hochgebirgstal quetscht. Schließlich trifft der General doch noch ein. Schnell schlüpft er in den Dienstblouson seiner Truppe, dann lädt er sich die aktuellen Daten der Drogenszene hoch. Streng vertraulich. Hochbrisant.

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Ecuadorianische Sicherheitskräfte präsentieren beschlagnahmte Drogen

Ecuador ist das Logistikzentrum der Kokain-Syndikate. Sie produzieren in Kolumbien und Peru, den Nachbarländern im Norden und Süden. Dann wird der Stoff über die Grenzen im Urwald oder übers Meer nach Guayaquil im Süden Ecuadors gebracht. Von dort wird das Kokain im großen Maßstab verschifft. Die wichtigsten Ziele sind Antwerpen, Rotterdam, Barcelona und Hamburg.

"Wir sind die erfolgreichste Drogenpolizei der Welt"

Etwa 100 Tonnen pro Jahr fängt die DNA ab. „Wir sind die erfolgreichste Drogenpolizei der Welt“, sagt Aguirre, „niemand sonst vernichtet so viel Kokain wie wir.“ 8684 Einsätze gegen den Drogenhandel verzeichneten seine Truppen im letzten Jahr. 594 Drogenkriminelle wurden verhaftet.

Aber das Land bezahlt teuer dafür. An der Grenze nach Kolumbien führen die Kartelle mit Bomben, Attentaten und Entführungen Krieg gegen den kleinen Staat am Äquator. Im Januar sprengten sie ein Polizeirevier in die Luft, danach einen Militärkonvoi. Gerade wurden drei Journalisten der Tageszeitung „El Comercio“ entführt und getötet, die wie wir an der Grenze recherchiert hatten. Zahlreiche Soldaten verloren bereits ihr Leben in diesem Krieg, Hunderte Menschen wurden verletzt.

„Obwohl wir ganz vorn an der Front stehen“, sagt Aguirre, „bekommen wir kaum Unterstützung.“ Das Bundeskriminalamt BKA hat nicht einmal ein eigenes Büro in Ecuador. Die beiden zuständigen Beamten sitzen in Kolumbien. Wenn man mit ihnen telefoniert, sagen sie, dass sie über Ecuador nichts sagen können.

Ilsfeld, Deutschland

Der Fruchthof Nagel in Ilsfeld bei Heilbronn ist ein seriöses Unternehmen mit 200 Mitarbeitern und beliefert ganz Süddeutschland mit exotischen Früchten. Aber am 22. November 2017 fuhr die Polizei vor. Gerade war eine frische Ladung Bananen aus Ecuador eingetroffen, doch in einigen der Boxen steckten braune Päckchen statt grüner Bananen.

Die Mitarbeiter bei Nagel kennen das schon: Wieder mal eine Fehllieferung. Obwohl die Kokain-Kartelle ihr Versandgeschäft hochprofessionell betreiben, geht doch manchmal eine Sendung verloren. Dann landen die wertvollen Pakete statt bei kriminellen Syndikaten, die für den deutschen Markt zuständig sind, bei friedfertigen Bananen-Importeuren oder gleich im Supermarkt, so wie es neulich in Bayern passiert ist.

Koks statt Bananen im Supermarkt

Die braunen Päckchen sind fast immer ordentlich etikettiert. Die Etiketten sind verschlüsselte Botschaften für die Empfänger über den Hersteller und die Qualität des Stoffes. Die Mitarbeiter des Fruchthofs Nagel konnten damit nichts anfangen, auch die Heilbronner Polizei ist nicht richtig fit im Dechiffrieren dieser Botschaften.

Aber bei Europol und den südamerikanischen Behörden gibt es Kataloge mit den Logos. Das Syndikat Familia Michoacana aus Mexiko verwendet gern Auto-Logos (BMW, Toyota, Volvo). Das Urabeños-Kartell liebt Zahlen (800). Die Ex-Rebellen der Farc aus Kolumbien kleben Bilder von Pandabären auf ihre Lieferungen, die Los Rostrojos das Logo des amerikanischen Nachrichtensenders CNN. Andere Lieferanten mögen Cartoons (Hello Kitty) oder das Fifa-Symbol. Und einige Pakete waren mit Heiligenbildchen versehen.

Etwas über 20 Tonnen Koks werden zurzeit jedes Jahr in Deutschland konsumiert. Das sind 330 Millionen Lines. Eine Line kostet etwa fünf Euro. Der Handel wird von kriminellen Organisationen aus der Türkei, Osteuropa, Albanien, Russland und von der italienischen Mafia kontrolliert. Sobald die Bestellungen aus Europa in Südamerika eintreffen, läuft eine hocheffektive Maschinerie an. Die Koks-Pakete werden in Bananenkartons oder Reisetaschen verpackt und mit billigen Peilsendern versehen. Dann kommt alles in die Kühlcontainer mit Bananen für europäische Zielhäfen.

In Hamburg haben die Syndikate eigene Leute im Hafen

In Antwerpen beispielsweise ist es der Mafia gelungen, sich in die Computersysteme der Hafenbehörden einzuhacken. Sie geben die entsprechenden Container elektronisch frei, fahren mit Sattelschleppern vor und holen den Stoff ab. In Hamburg haben die Syndikate eigene Leute im Hafen, die mit GPS-Geräten nach den Peilsendern suchen, die Container öffnen, die Reisetaschen mit Koks schnappen und damit verschwinden. Die Polizei nennt das Rip-off. Diese Verfahren funktionieren so gut, dass nur noch selten wasserdichte Pakete mit Peilsendern im Ärmelkanal vom Schiff geworfen und von den Dealern im Meer eingesammelt werden. Viel zu viel Aufwand und starke Abhängigkeit vom Wetter. Das finden die Kokain-Barone altmodisch.

Guayaquil, Ecuador, Hafen

Der Job ist nicht gerade das, was sich Juan M. vorgestellt hat, als er vor zehn Jahren zur Polizei ging. Er wollte Verbrecher jagen, Action haben, die Welt retten. Und was macht er jetzt? Er bohrt Löcher in Bananen. „Die Jungs sind clever“, sagt Juan, „die haben ständig neue Ideen. Kürzlich haben sie damit angefangen, Plastikbananen mit Kokspaste zu füllen. Deshalb mache ich das.“ Juans Bohrer hat vier Wechsel-Akkus. Das reicht für die ganze Schicht. Die DNA-Leute haben ein paar Kühlcontainer für Europa vom Schiff geholt und Tausende von Bananenkisten ausgeräumt. Während Juan bohrt, montiert ein Kollege die Kühlung auseinander, auch die ist ein beliebtes Versteck, und vier Drogenhunde schnüffeln sich durch die Bananenberge. Alle paar Minuten verstecken die Beamten ein kleines Koks-Tütchen in den Kartons. „Belohnung“, sagt einer, „das motiviert die Tiere.“

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Ein Drogenfahnder bohrt im Hafen von Guayaquil Bananen auf: Diese mit Kokspaste zu füllen, ist eine neue Strategie der Syndikate

Guayaquil ist die größte Stadt Ecuadors. Hier ist es heiß, schwül, chaotisch und kriminell. Offiziell hat Guayaquil knapp drei Millionen Einwohner, in Wahrheit sind es wahrscheinlich über vier. Die Armen wohnen in den Slums im Sumpf des Flussdeltas. Der Stadtteil Guasmo galt bis vor Kurzem als eines der zehn schlimmsten Viertel der Welt. Heute sind die meisten Straßen asphaltiert, und es gibt Wasser und Strom. Aber nach Einbruch der Dunkelheit geht hier fast niemand mehr aus dem Haus, dann beherrschen die Gangs die Straßen, und die Drogensyndikate rekrutieren hier ihre Auftragsmörder.

Für tote Polizisten werden Kopfgelder gezahlt

Die Reichen leben auf der Halbinsel Samborondón. Eine Art Disney World für Millionäre mit Luxusrestaurants, Einkaufszentren und Country-Clubs. In Samborondón fällt eines auf: die große Anzahl von teuren amerikanischen und deutschen SUVs, die kein Nummernschild, aber komplett verdunkelte Scheiben haben. Sie gehören korrupten Politikern oder Drogenbaronen. Das weiß hier jeder, aber kaum einer scheint sich daran zu stören.

Nahezu alle großen Kokain-Syndikate unterhalten hier Filialen. Das Sinaloa-Kartell aus Mexiko ist der Platzhirsch, aber auch Los Urabeños aus Kolumbien hat hier eine Residenz. Sinaloa hat nach Informationen der Behörden zwei bewaffnete Einheiten mit jeweils 60 „Soldaten“ in Ecuador stationiert. Sie kontrollieren seit den späten 90er-Jahren die Transit-Routen von Tulcan in Kolumbien über Quito nach Guayaquil und von Peru über Loja an die Küste. Die Urabeños herrschen über 70 Prozent der Kokain-Produktion in Kolumbien. Ihr Chef Dario Antonio Usaga zahlt 700 US-Dollar für jeden getöteten Polizisten. Er gehört zu den meistgesuchten Verbrechern der Welt. Aus Angst vor Verfolgern wechselt er alle drei Stunden seinen Aufenthaltsort.

Puerto Lopez, Ecuador

Die Motoren der „Isla San Cristobal“ laufen mit halber Kraft. Ein verdächtiges Fischerboot dümpelt neben dem Kriegsschiff im Pazifik. Drei Männer sind an Bord. Sie sagen, sie seien Fischer. Aber sie haben keine Netze und keine Fische und auch keine Ausweise. Vermutlich sind sie die Kuriere, die gerade das Kokain am Strand abgeliefert haben. Zwei Soldaten der Küstenwache stehen an der Reling, das entsicherte Sturmgewehr im Anschlag. Ein Polizeiboot kommt aus Puerto López und nimmt die Männer mit.

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Sind das Fischer oder Drogenkuriere? Diese Frage müssen die Männer der Küstenwache täglich beantworten

Am Strand werden 38 Pakete beschlagnahmt. 38 Kilo reine Kokainpaste. Im Zielland wird sie mit Milchzucker oder Fruktose auf über 100 Kilo gestreckt. Das wären in Deutschland fast zwei Millionen Lines im Wert von etwa zehn Millionen Euro. Klingt nach viel. Für die Drogenbarone ist es aber nur ein ärgerlicher Betriebsunfall: drei Leute festgenommen, 38 Kilo Koks verloren – na und? Für beides gibt es billigen Nachschub. In den Preisen ist das einberechnet, wie Supermärkte Ladendiebstahl in ihrer Kalkulation berücksichtigen. Müssen die deutschen Kokser halt künftig ein paar Cent mehr bezahlen. Und zur Strafe wird bald irgendwo ein Polizist erschossen. Auf die 700 Dollar Kopfgeld kommt es auch nicht mehr an.

Kommandant Llerena befiehlt volle Kraft voraus. Kurs Süd-Süd-Ost. Es geht zurück nach Guayaquil. Das ist die andere Sache, die die Männer von der „Isla San Cristóbal“ hassen: Auftrag erledigt. Nichts verändert.

Titelbild: Playboy Germany