Mi., 21.10.2020
Playboy

Corona, der Wendler und der Masturbator – Facebook und die Meinungsfreiheit

Covid-19 fördert bei manchen unserer Mitmenschen erstaunliche Verhaltensweisen zutage. Während Deutschland sich in den letzten Monaten flächendeckend eine gemütliche Corona-Wampe angefuttert hat, speckte jetzt ausgerechnet Bayern-Schwergewicht Uli Hoeneß in der Quarantäne acht Kilo ab. Vegan-Küchenchef Attila Hildmann schwingt seit geraumer Zeit gar keine Kochlöffel mehr, sondern tischt einem interessierten Publikum im Internet bestenfalls halbgare Verschwörungsbotschaften auf.

Und der Wendler? Der kippt mit einem einzigen Instagram-Post seine komplette Karriere ins Klo. Sein Haussender RTL, vom Schlagerstar per Videobotschaft in Sippenhaft genommen („gleichgeschaltet und politisch gesteuert“), kündigt dem bärtigen Barden („Egal“) fristlos. Und auch ein anderer Sponsor des Schlagersängers, die Lebensmittel-Edelboutique „Kaufland“, verbannt einen nur tags zuvor veröffentlichten Wendler-Werbeclip („Regal“) in Sekundenschnelle aus dem Netz.

Credit: Screenshot

Den Vogel hat jetzt allerdings ein hoch angesehener Journalist (CNN, The New Yorker) abgeschossen. Der US-amerikanische Polit-Profi Jeffrey Toobin, ehemals erfolgreicher Staatsanwalt, der später als Buchautor Bestseller über den Fall O. J. Simpson oder auch die Affäre Monica Lewinsky & Bill Clinton veröffentlichte, nutzte eine kurze „Beratungspause“ während eines Zoom-Meetings mit seiner Redaktion zur Selbstbefriedigung. Richtig gelesen. Während einer Web-Schalte zur Vorbereitung auf die US-Präsidentschaftswahl begann der 60-jährige Star-Journalist sich plötzlich zu entkleiden – und zu masturbieren. Er hatte nach eigener Aussage angenommen, die Kamera sei deaktiviert und der Ton ausgeschaltet. Ein peinlicher Irrtum.

Ein Irrtum ist es auch zu glauben, dass Soziale Medien etwas mit emotionaler Intelligenz zu tun haben. Und ich meine an dieser Stell ausnahmsweise nicht die Vielzahl an rassistischen, idiotischen und sexistischen Kommentaren der Abermillionen Facebook-Hetzer.

Gestatten Sie mir aber einen kleinen Kommentar in eigener Sache: Gestern hat mich das größte Social Network mal wieder für 30 Tage ausgesperrt (Sie erinnern sich womöglich, ich hatte mich bereits vor Monaten hier unter dem Hashtag #freethenipple zum Thema Facebook-Zensur geäußert. Mir ist es nun einen Monat lang nicht mehr gestattet, eigene Beiträge auf Facebook zu veröffentlichen oder bestehende Posts zu kommentieren. Was ist passiert? Wenn ich die Seite aufrufe, erscheint folgende Frage: „Warum ist Dein Konto eingeschränkt?“ Darunter findet sich eine Übersicht mit meinem Sündenregister, überschrieben mit folgender Zeile: „Im letzten Jahr haben mehrere Beiträge gegen unsere Standards verstoßen.“ So habe ich laut Anklage einmal im Mai, Februar und Januar „gegen unsere Gemeinschaftsstandards zu Nacktheit oder sexueller Aktivität verstoßen“. Ich hatte jeweils die aktuelle PLAYBOY-Titelseite gepostet. Mal nur in Miniaturgröße. Immer aber: unszensiert.

Besonders skurril ist allerdings die Begründung der Facebook-Sittenwächter in Bezug auf meinen Beitrag vom 29. Januar 2020 (ich hatte einen Post von 2019 nochmals auf meiner Facebook-Seite geteilt): Mit meinem Beitrag würde ich „gegen unsere Gemeinschaftsstandards zu Hassrede verstoßen“. Ich möchte Ihnen den beanstandeten Beitrag nicht vorenthalten.

Ich hatte Facebook damals darum gebeten, den Vorgang – der Post wurde umgehend entfernt –  nochmals zu untersuchen. Aber die Algorithmen (oder sind es der deutschen Sprache kaum mächtige Aushilfszensoren?) kennen keine Satire.

Natürlich gibt es keinen Anlass, mich zu bemitleiden. Mir ist durchaus bewusst, dass ein Leben ohne Facebook möglich ist. Vermutlich sogar deutlich entspannter. Wir leben aber in einem Land, in dem Meinungs- und Pressefreiheit in der Verfassung verankert sind. Und es ist nicht zu tolerieren, dass (vor allem) US-amerikanische Medienmonopolisten unser Grundgesetz durch Willkür ersetzen – und kaufmännische Interessen über publizistische Freiheit stellen.  

Bleiben Sie standhaft,

Ihr

Florian Boitin

Chefredakteur PLAYBOY

Titelbild: Screenshot