Autor Kneissler beim Schießtraining
Mi., 23.09.2020
Reportagen

Bang Bang

Fast zwei Millionen Deutsche haben scharfe Waffen. Und jedes Jahr werden es mehr. Was fasziniert so am Schießen? Playboy-Autor Michael Kneissler hat es ausprobiert.

 

1. Reise in die Welt der Waffen

An einem nasskalten Tag im Januar halte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Schusswaffe in der Hand. Es ist eine getunte Polizeipistole von Walther, 9 mm, schwarz glänzend, mit einem Leuchtpunktvisier. Mit ihr stehe ich in einem niedergerammelten Schießkeller irgendwo hinter Regensburg in Bayern und friere. Die Temperatur liegt nur knapp über null Grad.

Vor einer Stunde sind wir hier angekommen. Es ist der Beginn einer Reise in die Welt von Pistolen, Revolvern, Pumpguns und Sturmgewehren und den dazugehörigen Männern (Frauen an der Waffe habe ich bei meinen Recherchen nicht gesehen, aber ich weiß, dass es sie gibt). Ich möchte schießen lernen, um zu verstehen, welche Faszination Waffen auf viele Menschen ausüben.

Ich möchte wissen, wie es ist, mit einem dieser tödlichen Präzisionsgeräte ein Ziel ins Visier zu nehmen, den Finger zu krümmen, den Schuss auszulösen und zu sehen, wie er einschlägt. Ist das ein Gefühl von Macht? Macht über Leben und Tod? Macht es süchtig nach mehr? Oder ist das ein Freizeitsport wie jeder andere? Ist es vielleicht sogar peinlich und unangenehm? Ist Schießen böse?

Im Moment weiß ich nur eines: Es ist kein bisschen glamourös. Hier gibt es keine Protein-Shakes, keine coole Musik, keine schönen Menschen. Hier gibt es noch nicht einmal eine Heizung. Vor dem Schießkeller liegt ein sumpfiger Parkplatz. Wer ihn überquert, kommt mit nassen und lehmverschmierten Schuhen in das Vereinsheim über dem Keller. Dort sitzen übergewichtige Männer und weibliche Begleitpersonen in Funktionskleidung an Tischen mit schmuddeligen Decken und trinken Bier oder schale Cola-Getränke. Unter den Tischen stehen ihre Waffenkoffer. Der Wirt ist unfreundlich. Fremde werden hier nicht gern gesehen.

Mein Trainer ist Michael Paa. Er ist Waffenhändler und Schießausbilder und darf im Auftrag des Staates die Waffensachkundeprüfung abnehmen. Außerdem hat er als Sportschütze mal eine Weltmeisterschaft gewonnen. Paa hat für unser Training die Schießbahn im Keller angemietet, auf der ich jetzt stehe. Vor mir sind fünf Zielscheiben vor dem Kugelfang befestigt. Auf ihnen sind Kreise markiert. In Deutschland ist es Zivilisten verboten, auf Bilder von Menschen zu schießen. Neben mir hat Paa einen Tisch aufgebaut, auf dem liegt, was er im Angebot hat: eine Browning-Wettkampfpistole, ein Rhino-Revolver für Magnum-Munition, ein Sturmgewehr 44, eine Pumpgun und eine Maschinenpistole.

Der Autor beim Schießtraining
Einweisung: Schießtrainer Michael Paa zeigt unserem Autor, wie man eine Pistole hält

Die Walther-Pistole liegt nicht auf dem Tisch. Die habe ich in der Hand. Genauer gesagt: in beiden Händen. So läuft das nämlich mit dem Schießen. Man muss die Waffe gut festhalten. Nur Idioten, so lerne ich, schießen einhändig, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Der Rückstoß ist manchmal so groß, als schlage jemand mit dem Vorschlaghammer zu.

Bisher war ich der Typ, der Waffen grundsätzlich abgelehnt, Zivil- statt Militärdienst gemacht und nicht einmal auf dem Rummel an der Schießbude ein Gewehr in die Hand genommen hat. Aber dann haben immer mehr Freunde schießen gelernt (etwa genau so viele wie die, die neuerdings im Chor singen, ein anderer Trend in meinem Freundeskreis) und davon geschwärmt.

Und offenbar greifen nicht nur in meinem direkten Umfeld immer mehr Menschen zur Waffe. Rund 390.000 Personen haben in Deutschland heute einen Jagdschein – das sind 40.000 mehr als noch vor zehn Jahren. Die Zahl der Zivilpersonen, die sich einen sogenannten kleinen Waffenschein zugelegt haben, der zum Tragen von Gas- oder Schreckschusswaffen berechtigt, hat sich seit 2015 auf 670.000 Menschen verdoppelt. Der Grund dafür sei ein gestiegenes Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung, heißt es oft. Aber ob es das allein erklärt?

Es scheint eine neue Lust am Schießen zu geben, eine neue Faszination für Waffen. Worin besteht sie? Wird sie mich auch erfassen?

 

2. Der erste Schuss

Bevor die erste Kugel im Lauf steckt, mache ich Trockenübungen. Position, Handhaltung, Finger weg vom Abzug. Ich stehe leicht breitbeinig auf der Schießbahn, Knie etwas gebeugt, Gewicht mehr auf den Zehen als auf der Ferse. Der Oberkörper ist nach vorn verlagert, beide Hände umfassen den Griff der Pistole. „Körperspannung!“, ruft Paa. Ziemlich unbequem, diese Haltung, und kein bisschen lässig. Die Walther wiegt zwar nur wenig mehr als ein Kilo, aber ich halte sie jetzt schon eine halbe Stunde mit gestrecktem Arm. Und noch habe ich keinen einzigen Schuss abgefeuert.

Aber jetzt. Paa drückt mir ein Magazin in die Hand, ich schiebe es von un-ten in die Waffe, es rastet ein, ich spanne den Hahn mit der linken Hand – ratsch, zack, zurückziehen, schnalzen lassen – und ziele. Kimme und Korn gibt es hier nicht, sondern ein Leuchtpunktvisier. In ihm ist ein roter Lichtpunkt zu sehen, der auf dem Ziel liegen soll, wenn man treffen will. „Eigentlich ganz einfach“, sagt Paa, aber der hat gut reden.

Ich drücke ein Auge zu, visiere mit dem anderen die Zielscheibe an. Der rote Punkt liegt zitternd im inneren Kreis. Ich krümme den Zeigefinger am Abzug, bis ich den Druckpunkt fühle. 2500 Gramm Abzugsgewicht. Man braucht ein bisschen Kraft, um den Schuss zu lösen. Peng! Ein lauter Knall, der Rückstoß ist harmloser als erwartet, die Kugel genau im Ziel. Mein erster Schuss: ein Volltreffer. Aber ansonsten nicht besonders spektakulär. Das hatte ich mir aufregender vorgestellt. Kann ja noch kommen.

Es kommt tatsächlich. Als ich mit der Pumpgun auf das Ziel ballere. Das Gewehr ist schwer und wiegt über drei Kilo. Die Patronen sind groß. Der Rückstoß auch. Die Waffe bockt in meiner Hand wie ein scheuendes Pferd. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass mich langsam die Kraft verlässt. Ich habe mit Pistolen, Revolvern und Gewehren geschossen, mir sind die Patronen um die Ohren geflogen, meine Hände sind schwarz von den Schmauchspuren, meine Muskeln zittern vor Kälte und Anstrengung.

Im Schießkeller
Feuer frei: Unser Autor schießt und lernt, wie man trifft – aber auch, dass ein Schützenverein definitiv nichts für ihn ist

Am Anfang hatte ich noch „Bang Bang“ von Nancy Sinatra als Soundtrack zum Schießtraining im Ohr. Jetzt ist es plötzlich „I Shot The Sheriff“ von Eric Clapton, obwohl hier unten im Keller des bayerischen Schützenvereins nirgendwo Musik zu hören ist.

Draußen vor dem Vereinsheim ist es schon dunkel, als wir gehen, der Parkplatz ist immer noch nass und sumpfig. Ein leichter Regen hat eingesetzt, es ist kälter geworden. Auf der Rückfahrt in die Stadt sind kaum noch andere Autos zu sehen, so spät ist es mittlerweile. Ich frage mich, was das Schießen mit mir gemacht hat. Bin ich jetzt ein Ego-Shooter in real? Spüre ich die Macht? Bin ich geil drauf, irgendetwas oder irgendjemanden abzuknallen? Ich glaube: nein.

Die Waffen selbst sind faszinierende Geräte, hochpräzise und tödlich. Das Schießen ist körperlich und mental anstrengend. Es erfordert Kraft und Konzentration. Eigentlich gute Voraussetzungen für ein Hobby, das mir gefallen könnte. Aber die Atmosphäre in dem Schützenverein weit hinten in Bayern war so dumpf und unangenehm, dass Schießen auf diese Art definitiv nicht meine Freizeitbeschäftigung wird. Mit diesen Menschen will ich nichts zu tun haben.

 

3. Amok in Hanau

Ein paar Tage später läuft ein junger Sportschütze im hessischen Hanau Amok. Er tötet gezielt zehn Menschen mit Migrationshintergrund. Danach erschießt er seine Mutter und sich selbst. Das gibt mir zu denken. Sind Schützenvereine Brutstätten für Fremdenhass und gefährliche Gewaltfantasien? War es das, was mich in dem bayerischen Schützenheim so abgestoßen hat? Eine reaktionäre, aggressive Grundstimmung? Oder täusche ich mich? Ist das alles nur Zufall?

Es gibt ein paar Studien zu diesem Thema, die sagen, dass Sportschützen zwar Waffenfreaks sind und manche ihren Pistolen Namen geben, aber zum Killer werden sie dadurch noch lange nicht. Im Gegenteil: Wer regelmäßig schießen geht, ist weniger aggressiv. Das mag ja für die Mehrheit der Schützen gelten, aber für mich ist klar, dass man in Schießkellern nicht nur lupenreine Sportler findet, sondern auch Menschen, die so viel Angst und Paranoia haben, dass sie Waffen brauchen, um sich stark zu fühlen. Die sind gefährlich.

Rund 1,9 Millionen Deutsche verfügen laut Bundesinnenministerium derzeit über rund 5,4 Millionen Waffen und Waffenteile (wie beispielsweise Schalldämpfer), 100.000 mehr als noch vor fünf Jahren. Und das sind nur die legalen und offiziell genehmigten Waffen, die in diesem Land im Umlauf sind. Dazu kommt die Dunkelziffer der illegalen Waffen vom Balkan oder aus dem Darknet, wo Kriminelle und Attentäter sich gern bedienen.

Schätzungen gehen davon aus, dass auf diesem Weg bis zu 20 Millionen Pistolen und Revolver im Umlauf sind. Jedes Jahr werden etwa 40.000 Straftäter mit illegalen Waffen erwischt, manche erst nachdem sie damit geschossen haben. 8343 Straftaten unter Verwendung von Schusswaffen hat das Bundeskriminalamt 2018 registriert, und ähnlich sah es auch in den Jahren davor und danach aus. Über 100 Tote und 700 Verletzte gab es dabei. Eine blutige Bilanz.

 

4. Ab nach Polen

Ich will mehr über das Schießen wissen und höre mich in der Szene um. Einige Schießanlagen wollen auf keinen Fall einen Journalisten dabeihaben: Angst vor kritischen Berichten, nicht besonders souverän. Die Bundeswehr überlegt kurz, ob ich an einem Spezialtraining von Fallschirmjägern der Luftlandebrigade 1 im Saarland teilnehmen kann, dann heißt es von ganz oben: zuschauen ja, selber schießen nein. Ich besuche das nagelneue Schießkino Aim Center am Irschenberg in Bayern, hier werden Scharfschützen der Polizei und Bodyguards ausgebildet. Aber ihre Filme mit echten Bedrohungsszenarien sind für Zivilisten tabu, ich könnte auf Filme schießen, in denen Wildschweine durch den Wald rennen. Aber ich will keine Sauen jagen.

Das Zwischenfazit: Es ist gar nicht so einfach, in Deutschland schießen zu lernen, wenn man keinem Schützenverein beitritt oder sich als Jäger ausbilden lässt.

Schließlich entdecke ich Piotr Krzyminski und seine Firma Military Training in Hamburg. Er bildet Polizisten und Soldaten im Nahkampf aus und bietet Kurse für taktisches Schießen in Polen an. Voraussetzung: mindestens 18 Jahre alt und keine Vorstrafen. Passt.

Kurz darauf fahre ich hinter Görlitz über die Grenze. Auf der Autobahn 4 und Landstraßen geht es 60 Minuten lang immer weiter in die polnische Pampa, bis wir auf eine Sandpiste im Nirgendwo geraten. Sie führt zwischen Kiefernwäldern und halb verfallenen Bunkern auf einen ehemaligen russischen Militärflughafen aus der Zeit des Kalten Krieges. Am Ende des Geländes liegt eine namenlose Open-Air-Schießanlage versteckt im Wald.

Piotr ist schon da und hat ein paar Freunde aus Hamburg mitgebracht, martialisch aufgerüstete Männer in Tarnfleck-Anzügen, Kampfstiefeln und bis zu den Zähnen bewaffnet mit Pistolen, Sturmgewehren und langläufigen Büchsen. Sie nennen nicht gern ihre Namen, aber einer stellt sich als Waffenhändler vor, der nächste hat ein Security-Unternehmen, der dritte redet kein Wort und vermeidet Augenkontakt, der vierte verschwindet im Unterholz, bevor ich ihn fragen kann, was er so macht, wenn er nicht in Polen ballert.

Der Waffenhändler sagt, dass er nicht in die rechte Ecke gestellt werden will. Er sei weder Reichsbürger noch ein Prepper, der sich auf den nächsten Weltkrieg vorbereitet. Er schieße nur gern. Später darf ich sein Sturmgewehr für ein Foto vor der Brust halten und seine Kevlar-Weste anprobieren. Sie wiegt 17 Kilo.

Der Waffenhändler scheint ein netter Kerl zu sein. Er hat jede Menge Munition umgeschnallt und trägt eine Tourniquet-Blutsperre am Körper. „Falls sich jemand ins Bein schießt“, sagt er. „Kann schon mal passieren.“ In diesem Fall bände er das Bein oberhalb der Schusswunde mit der Presse ab, damit niemand verblutet.

Aber erst mal bleibt das Ding am Gürtel, und der Mann verschwindet auf einem Hügel: Long Distance Shooting, 400 Meter.

Er taucht erst wieder auf, als die süßlich schmeckenden polnischen Würstchen auf dem Grill fertig sind, mit einem Getränk in der Hand. Kein Bier, Alkohol ist beim Schießen ein absolutes Tabu. Auf dem Hügel hat er sich einen Satz für mich überlegt: „Eine Waffe ist immer nur so gefährlich wie der Typ, der dahinter steht.“ Das sei wie beim Autofahren: Wer mit 120 über den Ku’damm brettert, ist ein potenzieller Mörder. Wer mit Schusswaffen auf andere Menschen zielt, auch.

Auf dem Schießareal in Polen
Auf Baller-Exkursion in Polen: Head-Instructor Tomek präsentiert eine vorbildliche Schusshaltung

Ich bin unterdessen mit Tomek auf Schießbahn 2, einem Karree zwischen meterhohen Sandböschungen. Tomek ist 45 Jahre alt und war 20 Jahre lang beim „JW Komandosów“, einer 250 Mann starken Spezialeinheit des polnischen Militärs, ähnlich dem deutschen „Kommando Spezialkräfte“ (KSK). Tomek ist der Head-Instructor dieser Trainingseinheit, ein ruhiger Mann. Er trägt Bart, Sonnenbrille, Käppi und um die Hüften eine Koppel mit Waffenholster und Ersatzmagazinen.

Tomek weist mir eine österreichische Glock 17 zu, die Lieblingspistole der meisten Polizisten weltweit. Eine Profi-Waffe. Sie ist leicht (kaum 700 Gramm), liegt gut in der Hand und fasst Magazine mit bis zu 17 Schuss 9-mm-Munition. Tomek hat sein Training systematisch aufgebaut, das gefällt mir. Zuerst stellt er mir die Waffe vor. Wie hält man sie sicher, wie prüft man, ob eine Kugel im Lauf ist, wie lädt man sie, wie spannt man sie. Jeder Handgriff ist genau definiert und muss sitzen, bevor ich das erste Magazin einschieben darf.

Jetzt nehme ich die Position ein. Mit beiden Händen halte ich die Glock vor der Brust. Körperspannung, zielen über Kimme und Korn. „Versuche niemals, einen Punkt zu treffen“, sagt Tomek, „das geht nicht, niemand kann die Waffe vollkommen ruhig halten. Visiere eine kleine Fläche an, darin darf sich der Zielpunkt bewegen. Und dann drück ab.“

 

5. Töten und getötet werden

Die Zielscheibe ist etwa 20 Meter von mir entfernt, ein Papierbogen mit schwarzen Kreisen auf einem Holzgestell. Mein Zielpunkt zittert über eine Fläche von vielleicht drei Zentimetern Durchmesser. Gerade will ich abdrücken, da ruft Tomek: „Stopp!“ Was will er? „Haltung!“, ruft Tomek. Schon wieder war mein Oberkörper nicht nach vorn gebeugt, sondern nach hinten. Scheint bei mir ein Thema zu sein.

„Wenn du eine Salve schießt“, sagt Tomek, „drückt es dich immer weiter nach hinten. Nicht gut.“ Ich korrigiere meine Haltung. Ellbogen leicht angewinkelt, Körper nach vorn, Gewicht auf den Ballen. Mein rechter Zeigefinger liegt auf dem Abzug. Die linke Hand stützt die rechte. Die Glock liegt kühl in meiner Hand. Ich atme ruhig. Der Zielpunkt ist da, wo er sein soll. Ich krümme den Finger. Der Druckpunkt! Noch ein wenig mehr – und der Schuss löst sich. Der laute Knall, der Geruch der Ladung, die nach rechts fliegende Hülse, der Rückstoß. Extrem viel geschieht beim Schießen im Bruchteil einer Sekunde. In diesem kurzen Moment entscheidet sich, ob die Kugel trifft oder nicht. Ob der Angreifer neutralisiert wird oder weiter auf dich zustürmt. Ob du tötest oder getötet wirst.

So läuft das im Kino ab. Aber hier geht es glücklicherweise nicht um Leben oder Tod, sondern nur um die Frage, ob die Papierscheibe vor mir das Loch an der richtigen Stelle hat. Nichts Dramatisches, ein Loch in einem Stück Papier. Mehr wäre mir ehrlich gesagt auch zu viel.

Tomek erhöht den Druck. Zehn Schuss hintereinander auf dieselbe Scheibe. „Schneller, schneller!“, ruft Tomek links von mir. „Körperhaltung!“, ruft Piotr rechts von mir. „Finger!“, ruft Tomek. Lustig ist das nicht. Ich schwitze. Tomek legt noch einen Zahn zu. Fünf Zielscheiben sind vor mir aufgereiht. 15 Patronen im Magazin. Ich schieße erst auf Scheibe 1, dann auf die 2, dann 1 und 3, 1 und 4, 1 und 5 und zu-rück, bis das Magazin leer ist. Das erfordert höchste Konzentration. Körperhaltung, atmen, zielen, schießen. Augen zum nächsten Ziel, Pistole folgen lassen, zielen, schießen. Atmen nicht vergessen, nächstes Ziel ... Jetzt bin ich schweißnass.

 

6. I Shot The Sheriff

Der Mündungsknall dröhnt in meinen Ohren, der Boden ist mit Hülsen übersät, die Zielscheibe von den Kugeln zerfetzt. Mein Atem geht noch immer schnell. Tomek braut auf dem Gaskocher einen Espresso, auf dessen Packung ein Totenkopf zu sehen ist. Die Marke heißt Head Shot, Kopfschuss. Ziemlich makaber. 

Der Waffenhändler ist wieder da. Er hält ein halbautomatisches Sturmgewehr vom Typ AR 15 im Arm. Es ist das Gewehr, das Amokläufer am häufigsten verwenden. Leicht, schnell, tödlich. Der Kaffee ist so stark, dass mein Herz zu rasen beginnt.

Piotr fragt in die Runde: „Warum übt man Schießen in einem friedlichen Land?“ Eigentlich eine gute Frage aber die Antwort ist scheiße: „Lieber ein Krieger im Garten als ein Gärtner im Krieg.“ Da kann nicht mal der Waffenhändler lachen. „Solche Sprüche“, sagt er, „sind genau die, die niemand mehr hören kann.“

Gar nicht so blöd, der Waffenhändler. Überhaupt sind die Jungs aus Hamburg viel angenehmer, als sie aussehen in ihrer Militärkluft. Sie können reflektiert über das Schießen reden. Sie sind vielleicht Waffennarren, aber keine Narren. Im Alltagsleben sind sie Geschäftsleute, Dienstleister, Angestellte und verhalten sich angepasst. Aber am Wochenende in Polen lassen sie die Sau raus und ballern sich einen Wolf. Besser als umgekehrt.

Schießtraining Polen
Ein Mitglied der Ballergruppe zeigt sein Arsenal

Bevor wir zurückfahren nach Deutschland, fragt mich einer der Tarnfleck-Männer, wie es mir gefallen hat. Ich glaube, er macht sich Sorgen, dass ich ihn verurteile für sein Hobby. Aber da täuscht er sich.

Ich kann die Faszination für Pistolen und Revolver gut verstehen. Das sind hochpräzise und technisch großartige Geräte. Und trotzdem ist eine Schusswaffe etwas anderes als zum Beispiel eine hochpräzise und technisch großartige Armbanduhr oder ein hochpräziser und technisch großartiger Sportwagen. Das Auto fährt. Die Uhr zeigt die Zeit. Aber Waffen sind dafür gemacht zu töten.

Egal, ob man damit auf Zielscheiben, animierte Wildschweine oder Tontauben schießt. Das ist nicht das, worum es in Wahrheit geht. Das ist Augenwischerei. Waffen sind zum Töten da. Sie sind dafür erfunden worden, andere Lebewesen umzubringen.

Ich verachte es nicht. Menschen töten Menschen. Menschen führen Kriege. Menschen schießen aufeinander. Das scheint in unserer Natur zu liegen. Unter der Oberfläche des zivilisierten Homo sapiens liegen die Gene des Affen. Jeder ist dazu in der Lage, andere zu töten, die Welt muss nur ausreichend aus den Fugen geraten. Und mit einer Waffe in der Hand ist es ganz einfach. Entsichern, zielen, feuern.

Ich wollte wissen, wie sich das anfühlt. Es ist schrecklich faszinierend. Ja, es gibt ein Gefühl von Macht. Aber im Gegensatz zur Macht von Selbstverteidigungsmethoden wie Krav Maga, das ich in Südamerika gelernt habe, geht es beim Schießen nicht vorrangig darum, heil davonzukommen, sondern darum, den Gegner auszuschalten. Endgültig. Egal, ob es eine Wildsau im Wald oder ein Mensch an der Straßenecke ist. Es ist eine böse Macht.

BANG BANG. I Shot The Sheriff.

Kann man machen. Aber für mich ist das nichts.