Franco Nero
Di., 27.12.2022
Interviews

„Wir Männer sind Sklaven der Frauen“

Mit seinem Debüt als DJANGO wurde er vor 55 Jahren selbst zur Legende: FRANCO NERO über sein Doppelleben als eiskalter Rächer und vielseitiger Künstler, den Vorteil blauer Augen, seine italienische Seele und weibliche Mächte, die ihn steuern.

Kann dieser Mann 80 Jahre alt sein? Der Blick der stahlblauen Augen ist durchdringend, der Körperbau muskulös, die Haare nur ein bisschen schütter, ohne erkennbare graue oder silberne Strähnen. Doch streng genommen ist das auch nicht einfach nur ein Mann, der da den Tennisclub des Hotels „Excelsior“ in Venedig betritt. Es ist Django auch bekannt unter dem Namen Franco Nero. der Italiener soll hier Interviews zu einer Dokumentation über Sergio Corbucci, den Regisseur seiner klassischen Italowestern, geben. Doch so sehr die Kultfigur Django sein Leben auch prägt, er will sich nicht auf diese eine Rolle festnageln lassen, wie wir gleich erfahren werden.

Signor Nero, Sie werden für immer mit dem Namen Django verbunden sein. Stört Sie das eigentlich?

Ich muss da an ein Gespräch mit meinem alten Freund Sean Connery denken. Der beschwerte sich: „Die Leute halten mich ständig für James Bond.“ Aber ich entgegnete: „Dieser James Bond hat es dir ermöglicht, dass du danach großartige Filme gedreht hast.“ Und so war es bei mir auch: Ich habe wunderbare Rollen gespielt. Ich habe mit den besten Regisseuren der Welt gearbeitet und selbst Regie geführt. Nur wegen Django.

Aber angeblich wollten Sie die Rolle gar nicht spielen. Stimmt das?

Das stimmt, da war ich 24 und hatte noch Flausen im Kopf. Als ich das Angebot bekam, saß ich mit Elio Petri, einem der besten italienischen Filmregisseure, im Auto, und er meinte: „Warum willst du das ausschlagen?“ Ich sagte: „Ich will ein richtiger Schauspieler sein. Ich habe doch schon am Piccolo Teatro in Mailand gespielt.“ Das ist eines der berühmtesten Theater Italiens. Und er meinte: „Bist du bekannt?“ – „Nein, bin ich nicht.“ – „Dann hast du nichts zu verlieren, mach es einfach.“

Also nervt es nicht, wenn man nur mit einer einzigen Rolle identifiziert wird?

Zugegeben, teilweise ging das schon ganz schön weit. Wenn in Deutschland ein Film von mir herauskam, dann fügte man im Titel immer ein „Django“ hinzu, auch wenn die Geschichte mit der Figur gar nichts zu tun hatte. Aber ich habe das auch genossen. Bei Hotelübernachtungen wurde ich nicht als Franco Nero, sondern eben als Django registriert. Andererseits bin ich dieser Rolle auch entkommen, indem ich auf einen Rat von Sir Laurence Olivier gehört habe.

Was hatte dieser legendäre britische Schauspieler dem Italowestern-Star zu sagen?

Er meinte zu mir: „Franco, du siehst blendend aus, du könntest in all deinen Filmen den Helden spielen und ein richtiger Star werden. Dreh einen pro Jahr, und dann musst du nur zusehen, dass das ein Erfolg wird. Aber das ist natürlich auf die Dauer langweilig und monoton. Oder du wirst eben ein richtiger Schauspieler und veränderst dich ständig. Dei- ne Karriere erlebt viele Höhen und Tiefen, aber auf lange Sicht wirst du die Früchte dieser Arbeit ernten.“ Und das habe ich befolgt. In den 70ern und 80ern bekam ich 400 bis 500 Angebote pro Jahr. Ich habe über 230 Filme gedreht. Ich denke, ich bin der einzige Schauspieler auf der ganzen Welt, der Charaktere in mehr als 30 verschiedenen Nationalitäten gespielt hat.

Franco Nero: „Wäre Django nur im Fernsehen gelaufen, würde man sich daran heute noch erinnern?“

Können Sie die noch aufzählen?

Ich war Russe, Deutscher, Israeli, Pole, Mexikaner, Amerikaner, Jugoslawe, Franzose – ich kann die Liste noch gerne weiterführen. Denn ich sehe eben nicht wie ein typischer Italiener aus, und ich spreche ein Englisch mit unbestimmbarem Akzent. Ich habe Musicals, Kinderfilme, Thriller und Western gedreht. Und ich war auch damit erfolgreich. Als ich einen ungarischen Nationalhelden spielte, hat man dort Aschenbecher, Flaschen und Trinkgläser mit meinem Konterfei versehen.

Momentan versuchen Sie ja, einem anderen Kollegen eine Chance zu geben, der in der Branche als Ausgestoßener gilt. Sie wollen einen Film mit Kevin Spacey inszenieren ...

Darüber möchte ich lieber nicht sprechen. Können wir das Thema wechseln? (Anm. der Red.: Franco Nero gab Kevin Spacey eine Rolle in seinem Regieprojekt „L’uomo Che Disegnò Dio“ und ermöglichte dem wegen sexueller Übergriffe angeklagten Schauspieler ein kleines Comeback. Zahlreiche kontroverse Reaktionen darauf machen es verständlich, dass er sich zu dem Thema nicht weiter äußern will.)

Wie waren Ihre persönlichen Erfahrungen mit Hollywood? Sie haben ja auch einige Filme dort gedreht.

Dort dreht sich alles ums Geld. Wenn man dir eine Rolle anbietet, musst du die Produzenten hinhalten und so tun, als wärst du nicht überzeugt, dann erhöhen sie die Gage, zumindest nach meiner Erfahrung. Und ein Handschlag gilt dort leider nicht unbedingt etwas. Ich sollte einmal ein großes Film-Musical drehen, man hatte mir die männliche Hauptrolle fest zugesichert. Und dann gab man sie mir doch nicht.

Inzwischen sind Sie ja aufs Kino nicht mehr angewiesen. Im Fernsehen und Streaming spielt jetzt die Musik.

o sehe ich das nicht. Mir ist das Kino wesentlich lieber. Das ist wie ein Ritual. Du sitzt im Dunkeln, du konzentrierst dich auf den Film. Und am Schluss kannst du dich mit anderen darüber austauschen. Aber wenn du fernsiehst, dann machst du das zu Hause. Oft isst du dabei was, die Gläser klirren auf dem Tisch, das Telefon klingelt. Dabei kannst du doch nicht ernsthaft einen Film anschauen. Wäre „Django“ nur im Fernsehen gelaufen, würde man sich daran heute noch erinnern? Fraglich. In meiner Jugend ging ich ständig ins Kino. Es gab Filme wie „West Side Story“, die ich über 30-mal gesehen habe. Nur aus dem Grund wollte ich Schauspieler werden.

Der Alterslose

Der Legende nach habe Franco Nero, 1941 in der Nähe von Modena geboren, als Schauspieler jahrzehntelang versucht, seiner Parade- rolle des Django und dem Italowestern zu entfliehen. In Wahrheit genießt er seinen Beruf, wie er selbst sagt, auch mit 80 Jahren noch „wie am ersten Tag“ – in nahezu sämtlichen Genres: für ihn eines der Geheimnisse seiner bleibenden Vitalität.

Aber nicht um jeden Kinohelden entwickelt sich so ein Kult wie um Django. Wie erklären Sie das?

Mit meinen blauen Augen. Sergio Corbucci gab dem Beleuchter die Anweisung: „Leuchte diese blauen Seen so richtig schön aus. Denn damit werde ich viel Geld verdienen.“ Aber im Ernst, das lag ein- fach daran, dass die Italowestern alle Regeln auf den Kopf stellten. Da gab es keine eindeutigen Helden mehr. Früher war das der gute John Wayne gegen die bösen Indianer. Aber bei uns haben sich die Helden auch amoralisch verhalten. Und gleichzeitig waren das politische Western. Corbucci wurde von den Faschisten drangsaliert, und so ging es in seinen Filmen immer um Unterdrückte, die ausgebeuteten Mexikaner zum Beispiel. Wenn sich dann ein Arbeiter einen „Django“ oder „Für eine Handvoll Dollar“ anschaute, dann konnte er davon träumen, wie er danach ins Büro seines Chefs marschierte und sagte: „Wir müssen ein paar Dinge grundlegend ändern.“

Aber die Filme sehen auch ziemlich düster und schmutzig aus. Die Dreharbeiten müssen unangenehm gewesen sein.

Sie waren chaotisch! Bei „Django“ mussten wir nach ein paar Tagen unterbrechen, weil uns das Geld ausgegangen war. Teilweise drehten wir nicht, weil Corbucci keine Ideen hatte. Doch wir hatten auch viel Spaß. Einmal meinte er: „Du bewegst dich jetzt wie John Wayne und ich wie Henry Fonda, und die Crew soll abstimmen, wer Sieger ist. Er war einfach ein großes Kind. So wie übrigens auch Quentin Tarantino.

Der Sie dann für eine kleine Rolle in „Django Unchained“ vor die Kamera holte, in dem Ihre Figur dem von Jamie Foxx gespielten Django begegnet. Hatten Sie ihn darum gebeten?

Ich drehte gerade in den USA die Folge einer Fernsehserie, und einer der Autoren sagte mir: „Ich habe gerade das Drehbuch eines Films mit dem Titel ‚Django Unchained‘ gelesen. Das stammt von Quentin Tarantino.“ Ich ließ es mir natürlich geben, aber bei der Lektüre dachte ich mir: Das ist aber schade, da gibt’s keine Rolle für mich.

Sie sagten doch, Sie seien so ungeheuer vielseitig. Warum gab’s da nichts für Sie?

Streng genommen hätte eine der Rollen schon für mich gepasst. Und zwar die des deutschen Kopfgeldjägers. Aber mir war klar, dass die für Christoph Waltz bestimmt war. Der hatte ja schon für Tarantinos „Inglourious Basterds“ einen Oscar gewonnen. So fand ich mich damit ab. Es war okay. Doch ein paar Wochen später rief mich Tarantino an und meinte: „Franco, ich mache diesen Western, und ich würde mich freuen, wenn du dabei wärst.“

Franco Nero im Playboy-Interview: „Ich habe kein Alter. Ich habe in meinen 70ern noch 40-jährige gespielt“

Hatte er also doch eine Rolle?

Nein, aber ich hatte plötzlich eine Idee, die ich ihm erzählte: „Django hat im Film ein paar Flashbacks. Da sieht er einen Reiter mit schwarzem Hut und schwarzem Mantel, der sich in Slow Motion der Kamera nähert. Nur für ein paar Sekunden. Ganz am Schluss des Films stoppt er. Vor ihm steht eine afroamerikanische Frau mit ihrem afroamerikanischen Sohn. Und die Frau sagt zu ihrem Sohn: ,Das ist dein Vater.‘ – Das wäre also ich.“

Und dann?

Nichts als Schweigen auf der anderen Seite der Leitung. Locker eine Minute. „Quentin, bist du noch da?“ – „Ich denke nach.“ Am Schluss sagte er: „Ich melde mich bei dir.“ Dann hörte ich zwei Monate lang nichts. Ich dachte mir, dass er meine Idee nicht mochte, war bereit, das Ganze zu vergessen. Doch er rief mich wieder an: „Ich habe über deine Idee nachgedacht. Im realen Leben könnte es so funktionieren, dass du der Vater eines afroamerikanischen Jungen bist. Im Film wird uns das niemand abnehmen. Aber du musst trotzdem dabei sein.“ Wir trafen uns zwei Wochen später in Los Angeles, hatten ein Frühstück, das drei Stunden dauerte, und dabei hat er mich überzeugt. Er meinte nur: „Vertrau mir.“ Und seine Lösung war genial. Ich hatte nur einen kleinen Auftritt, aber der hat auch zum Erfolg des Films beigetragen.

Warum glauben Sie, dass Ihre kur­ze Szene so wichtig war?

Als er und ein paar der Hauptdarsteller einen großen Pressetermin absolvierten, fragten alle Journalisten nach mir. Es gab so viele Interviewanfragen für mich. Und das Foto von den beiden Djangos, also Jamie Foxx und mir, war eine Zeit lang eines der meistgesehenen Fotos der Welt. Sie können sich kaum ausmalen, welchen Erfolg „Django“ immer noch auf DVD hat. Ständig bekomme ich Briefe. Und auch die junge Generation von heute erkennt mich noch. Ich bin total stolz darauf.

Franco Nero als Django mit einem Revolver
Credit: IMAGO

Wie sieht es denn in Ihrem Alter mit dem Erfolg bei den Frauen aus? Sie hatten ja Beziehungen mit legendären Kolleginnen wie Ursula Andress, Catherine De­ neuve oder Vanessa Redgrave, mit der Sie einen Sohn haben.

Für die Liebe bist du nie zu alt. Mit Vanessa bin ich immer noch zusammen. Wir haben auch für uns privat den Bund fürs Leben geschlossen, in einer ganz speziellen privaten Zeremonie

Das heißt, Ihre Beziehung dauert schon Jahrzehnte?

Richtig. Und in der ganzen Zeit ging es hin und her. Teil- weise waren wir getrennt und dann wieder nicht. Wir haben jeder sein eigenes Leben geführt, und da flogen auch schon mal die Fetzen. Aber inzwischen versuchen wir, uns so oft zu sehen, wie es nur geht. Wenn du älter wirst, weißt du eben, worauf es ankommt. Und da spielt Freundschaft eine wichtige Rolle. Wahre Liebe geht nie wirklich weg.

Sind Frauen aus Ihrer Sicht stärker als Männer?

Eindeutig.

Inwiefern?

Sie sind uns in allem überlegen, denn sie treffen die Entscheidungen. Wir Männer sind Sklaven der Frauen. Männer glauben gerne, dass sie die Zügel in der Hand halten. Das ist ein Irrtum. Die Frau ist immer der Boss.

Dass zwischen Vanessa Redgrave und Ihnen manchmal die Fetzen flogen, hatte also nichts damit zu tun, dass Sie den italienischen Macho herauskehrten?

Im Gegenteil! Vanessa wollte für unsere Beziehung sogar ihren Beruf aufgeben und nur Babys bekommen. Aber da habe ich mich geweigert. Denn sie ist eine großartige Schauspielerin, sie hätte ihr Talent vergeudet. Und davon abgesehen ist sie auch eine wunderbare Lady. Es ist nur ein bisschen schwer mit den Engländern.

Inwiefern?

Sie sind einfach so anders als wir Italiener. Sie können emotional distanziert sein, und wir sind voller Leben. Wir sind wie die Sonne, während es in England ständig regnet. Und so ist es ab und zu kompliziert, wenn du Teil dieser großen Redgrave-Familie bist.

Franco Nero als Django mit einer Waffe

Wie war es mit Ihren englischen Verwandten, als Italien im Som­ mer das EM-Finale gewann?

Für mich und meine italienische Familie war das ein Riesenspaß. Ich habe meine englischen Verwandten schön hänseln können.

Aber Sie selbst gehen mit 80 nicht mehr aufs Spielfeld, richtig?

Nein, aber bis in meine 70er hinein habe ich noch selbst gespielt.

Dabei merkt man Ihnen Ihr Alter gar nicht an.

Es kommt auch nicht auf die Zahl an, sondern auf deine Seele. Es gibt Leute mit 40, 50, die schon alt sind. Sean Connery galt mit 70 noch als eines der größten Sexsymbole der Welt. Er meinte zu mir: „Wenn du das gleiche Alter hast, wird man dich genauso anbeten.“ Ich selbst habe kein Alter. Ich habe in meinen 70ern noch 40-Jährige gespielt.

Was tun Sie, damit sich die Jahre nicht zeigen?

Ich bin ein von Grund auf glücklicher Mensch. Ich habe einen Beruf, den ich schon immer haben wollte und für den ich mich noch genauso begeistere wie am ersten Tag. Ich bewege mich viel, bin auch oft geritten. Ich habe einen Bauernhof bei Rom, den ich bewirtschafte. Mein ganzes Leben lang habe ich Sport getrieben. Auch heute spiele ich noch Tennis. Und das Allerwichtigste: Ich habe immer gut gegessen – und zwar kein Junk Food.

Titelbild: Imago