Als Domina hat Manuela Freitag schon einiges erlebt. Geboren 1964 in Bremen, wurde sie kurz nach der Entbindung von ihrer Mutter im Krankenhaus zurückgelassen, wuchs bei Pflegeeltern und in Heimen auf. Bereits als Teenager ging sie in Hamburg auf den Straßenstrich. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet sie nun in der Herbertstraße 7 a – als mittlerweile dienstälteste Domina. Ein Interview über das Buch, das sie geschrieben hat, gab sie vor unserem Gespräch noch niemandem. Bei der Interview-Premiere in einem Hamburger Verlagsgebäude scheint sie tatsächlich etwas Lampenfieber zu haben. Kein Wunder, denn: „Das Buch bin ich“, sagt sie. Wir fühlen uns geehrt.
Frau Freitag, was macht eine perfekte Domina aus?
Eine perfekte Domina ist unberührbar. Sie hat niemals Sex mit dem Gast. Wenn ich gnädig bin, darf ein Mann mir mal über die Hose streicheln oder die Brust berühren – mehr aber auf keinen Fall, und angezogen bleibe ich dabei natürlich auch. Wichtig ist außerdem, dass eine Domina wirklich streng mit den Gästen ist. Schließlich ist es ihr Job zu erniedrigen.
Wie sind Sie zu diesem Job gekommen?
Eine dominante Ader hatte ich schon immer an mir. Als ich noch auf dem Straßenstrich arbeitete, haben mich viele Gäste immer wieder darauf aufmerksam gemacht und gefragt, warum ich nicht als Domina arbeiten würde. Das Handwerk wiederum habe ich mir selbst beigebracht und viel von den Gästen gelernt. Denn für viele Praktiken fehlte mir die Erfahrung. Ich habe immer aufmerksam zugehört und mir dann rasch alles angeeignet.
Apropos Gäste: Wer sind die Männer, die zu Ihnen kommen?
Alle! Sie sind jung oder alt, kommen aus allen Schichten, haben ganz verschiedene Berufe. Vom Sozialhilfeempfänger bis zum Firmenbesitzer ist alles dabei. Einmal ist sogar ein Pfarrer zu mir gekommen, nachdem er in der Spielothek ordentlich was gewonnen hatte. Das Klischee, dass vor allem der erfolgreiche Geschäftsmann mit zig Angestellten zur Domina geht, ist totaler Quatsch. Ich meine: Es essen ja auch viele Leute gern Eis, das ist ja auch nicht an einen Beruf oder eine Gesellschaftsschicht gebunden.
Wie sieht es mit den Wünschen aus? Sind die genauso vielfältig wie die Kunden?
Ja, auch die sind total unterschiedlich. Ein Standardprogramm, das ich abziehe, gibt es eigentlich nicht. Auch wenn es natürlich „Klassiker“ gibt. Also Fesselungen, Schläge, Wachsspiele. Viele möchten auch, dass ich ihnen die Eier abbinde und geile Sachen erzähle. Ansonsten ist vom Rollenspiel bis zur Rohrstockbehandlung alles mit dabei.
Kommt es nach all der Zeit noch vor, dass Wünsche komplett neu für Sie sind?
Klar. Keiner tickt gleich. Manchmal kommen mir schon richtig kuriose Sachen unter. Ich hatte zum Beispiel mal einen Gast, den es total geil machte, wenn er mit seinen Händen die Umrisse meines Körpers mit einem Abstand von ungefähr fünf Zentimetern entlangfuhr. Er geilte sich quasi an meiner Aura auf. Da musste ich echt immer aufpassen, dass ich ihm nicht ins Gesicht lache. Ich glaube, so einen Fetisch werde ich kein zweites Mal erleben ...
"Sessions, die 24 Stunden oder sogar mehrere Tage dauern, sind keine Seltenheit"
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie schon Tausende Gäste hatten. Was haben die gemeinsam?
Ich glaube, dass viele Männer keinen Zugang zu ihrer Frau bekommen und ihr nicht vermitteln können, worauf sie stehen. Glück für mich! Gleichzeitig ist es deren Glück, dass es mich gibt und sie ihre Fantasien bei mir ausleben können.
Sie schreiben aber auch: "Der Job einer Domina geht physisch und psychisch an die Grenzen." Was meinen Sie genau?
Es ist wirklich harte Arbeit mit den Gästen. Du musst Zeit investieren und meistens viel Energie aufbringen, um dem Gast den Service zu bieten, für den er auch bezahlt hat. Auch wenn der Gast sagt, was er mag – umsetzen muss ich es ja. Auch Sessions, die 24 Stunden oder sogar mehrere Tage dauern, sind keine Seltenheit. Irgendwann erlischt die Power einfach. Einige Frauen versuchen sich dann, mit Alkohol, Drogen oder Tabletten wieder fit zu machen. Davon halte ich aber nichts.
Es gibt Feministinnen, die berühmteste ist wahrscheinlich Alice Schwarzer, die sich für ein Prostitutionsverbot aussprechen, um die Frauen zu schützen. Was halten Sie davon?
Es wird die Prostitution immer geben. Wenn sie verboten wird, dann wird sie heimlich gemacht. Das macht die bestehenden Probleme nur schlimmer. In der Corona-Zeit war Prostitution verboten, da haben sich die Mädchen in St. Georg für zehn Euro angeboten, sich im Gebüsch durchvögeln lassen. Das ist doch widerlich! Unwürdig ist so was!
Was würde Ihrer Meinung nach wirklich helfen?
Man sollte mehr über uns berichten. Ich glaube, es wäre gut, wenn man mehr über unsere Arbeit wüsste. Auch wenn Prostitution mittlerweile ein anerkannter Beruf ist – so behandelt werden wir nicht, auf uns wird immer noch herabgeblickt. Ich finde es traurig, dass sich einige Frauen noch immer verstecken müssen.
Hatten Sie selbst oft mit Stigmatisierung zu kämpfen?
Ich war immer ziemlich freizügig im Erzählen. Oftmals auch sehr schnell. Die Leute waren dann immer fasziniert, haben mir zugehört und mich ausgefragt. Aber danach haben sie mir den Rücken zugekehrt. Das war natürlich für mich nicht schön. Nichtsdestotrotz habe ich es immer wieder so gemacht und öffentlich über alles geredet. Und ich mache es heute noch. Ich wollte nie lügen oder mich verstellen müssen.
"Ich wünsche mir einfach mehr Verständnis für uns Frauen im Milieu"
Haben Sie auch deshalb das Buch geschrieben?
Ja, ich wünsche mir einfach mehr Verständnis für uns Frauen im Milieu. Gleichzeitig erfülle ich mir mit dem Buch einen Traum. Es war schon immer ein Wunsch von mir, mein Leben niederzuschreiben. Das Buch bin ich. Ich habe zwar keine Diplome oder Doktortitel, aber in meiner Welt, in der Herbertstraße, habe ich mir was erarbeitet.
Würden Sie mit Ihren heutigen Erfahrungen den Beruf noch einmal ergreifen?
Also im Moment – situationsbedingt wegen Corona – kann ich das gar nicht so beantworten. Natürlich, wenn es so eine Flaute gibt, ist man unzufrieden und denkt sich: Mensch, hätte ich mal was anderes gemacht, was sicherer ist. Aber an sich denke ich, dass ich das noch einmal machen würde, ja. Ich habe es ja aus Überzeugung gemacht und nicht, weil mich jemand dazu gezwungen hat.
Nämlich aus welcher Überzeugung?
Aus freien Stücken beschreibt es besser. Ich brauchte damals Geld. Deshalb habe ich mit zwölf Jahren auf dem Autostrich angefangen. Und es war für mich klar, dass ich diesen Weg weitergehe. Ich wollte es.
Sicher eine der verstörendsten Passagen in Ihrem Buch. Sie sind ohne Eltern in verschiedenen Heimen aufgewachsen, haben früh auch sexuelle Gewalt erlebt. Ist es so, wie oft behauptet wird, dass solche Traumata und schlimme Notlagen Frauen in die Prostitution treiben?
Erst einmal kann man nicht alle Prostituierten über einen Kamm scheren. Ja, es gibt welche, die durch Not oder Gewalt in den Job gezwungen werden. Es gibt welche, die heimlich arbeiten. Aber es gibt auch viele, die das freiwillig machen. Ich habe als Jugendliche einfach gemerkt, dass es schnelles Geld ist und man davon gut leben kann. Man konnte sich ein bisschen was leisten, das fand ich damals toll, und damit hatte sich die Sache für mich erledigt. Ich habe auch keinen Abschluss,nichts. Ich verdiente als Teenager schon so viel, dass ich keinen Sinn darin sah, meine Zeit mit Lernen zu vergeuden. So jedenfalls empfand ich es zu diesem Zeitpunkt.
Mit 28 Jahren sind Sie selbst Mutter geworden. Was wollten Sie Ihrem Sohn unbedingt vermitteln?
Ich wollte, dass es ihm besser geht als mir und er nicht vom Sozialamt abhängig wird. Auch wenn ich die meiste Zeit alleinerziehend war und der Spagat zwischen Rotlichtviertel und Kind richtig anstrengend, habe ich immer versucht, viel mit ihm zu unternehmen, ihm was zu bieten. Wichtig war mir außerdem, dass aus ihm was wird. Mein Sohn hat dann tatsächlich Abitur gemacht, in London und Amsterdam studiert. Ich bin wahnsinnig stolz.
Wie geht er mit Ihrem Beruf um? Wird in der Familie offen darüber gesprochen?
Mittlerweile sprechen wir offen und oft darüber. Auch als Kind hat er mich natürlich gefragt, was ich beruflich mache. Ich habe dann immer „Gastronomie“ gesagt. Und er hat wohl „Astronomie“ verstanden und das dann auch überall rumerzählt. Im Nachhinein hat er mir gesagt, dass er das auch so verstehen wollte. Er wollte nicht wahrhaben, was ich beruflich mache, und die Gastronomie hatte er mir wohl nicht geglaubt. Er hat sich also eine Scheinwelt um meinen Beruf aufgebaut. Als mein Sohn zwölf Jahre alt war, habe ich es ihm dann erzählt. Er hat gesagt: „Solange du nicht küsst und andere Dinge machst, finde ich das okay.“
"Ich weiß nicht, ob ich den Job komplett an den Nagel hängen würde"
Wie lange möchten Sie denn noch als Domina arbeiten?
Schwer zu sagen, ich hoffe, dass viele das Buch kaufen (lacht).
Und wenn es sich gut verkauft, würden Sie aufhören?
Ich weiß nicht, ob ich den Job komplett an den Nagel hängen würde. Aber es gibt ein paar Wünsche, die ich mir gerne erfüllen würde. Ein bisschen reisen zum Beispiel, alles nachholen, was ich in der ganzen Zeit nicht gemacht habe. Ich merke ja auch, dass das Alter voranschreitet. 15 oder 16 Stunden kann ich nicht mehr im Fenster sitzen, meistens mache ich inzwischen nach neun, zehn Stunden Feierabend.