Mi., 11.11.2020
Reportagen

Im Zeichen des Q

Anhänger der VERSCHWÖRUNGSBEWEGUNG QANON glauben, dass Politiker Kinderblut trinken, Corona eine Erfindung ist und dass bald die Weltordnung fällt. In Donald Trump sehen viele von ihnen einen Helden. Und sie werden immer mehr. In den USA sind es Millionen von Menschen. In Deutschland bereits Zehntausende. Wer sind sie? Unser Reporter tauchte ein in ihre Welt.

Text: Michael Kneissler

Wenn deutschsprachige Nachrichtenmedien in letzter Zeit auf QAnon zu sprechen kamen, wurde klar: Manche halten die Gefolgsleute dieser Bewegung für rechtsradikal, einige für gefährlich, die meisten für verrückt – viele für alles gleichzeitig. Die Belege häufen sich. Doch wer oder was sind diese Leute wirklich? Ich habe versucht, es herauszufinden, und war wochenlang in Deutschland und Österreich unterwegs, um mich unter sie zu mischen.

1. In einem abgelegenen Tal

Jetzt sitze ich im Konferenzraum eines leicht heruntergekommenen 4-Sterne-Hotels im Waldviertel, einem dünn besiedelten Gebiet in Niederösterreich knapp vor der Grenze nach Tschechien. Um mich herum sitzen zwei Männer und eine Frau. Die Frau ist Sam Jolig, ein ehemaliges Model, frühere Popsängerin und Reitstallbesitzerin aus Niedersachsen. Ich kenne sie schon sehr lange, sie hat mich nach vielen Gesprächen, Mails und Treffen mitbringen dürfen. Hier, in der „Liebnitzmühle“, erfahre ich, treffen sich neuerdings beinahe monatlich bis zu 150 QAnon-Sympathisanten für eine ganze Woche. Sie hören Vorträge, diskutieren und bestärken sich gegenseitig in ihrem Hang zu einer Verschwörungstheorie, die so absurd klingt, als entstamme sie einem drittklassigen Agenten-Thriller.

Der wahnsinnige Plot: Eine Gruppe von pädophilen Bankern, Politikern, Popstars und Milliardären hat die Macht unter sich aufgeteilt. In Tunneln unter dem Central Park in New York halten sie Tausende von Kindern gefangen und zapfen ihnen Blut ab, um daraus ein Verjüngungsserum herzustellen, das ihren Mitgliedern ewiges Leben schenkt. Ein anonymer Angehöriger dieser Elite nennt sich Q. Er hat sich abgewandt von seinen satanistischen Kumpanen und will die Welt retten. Deshalb veröffentlicht er seit einigen Jahren geheimnisvolle Hinweise im Internet. Sie werden Q-Drops genannt und von seinen Anhängern, den QAnons (von Q Anonymous) analysiert und interpretiert, als seien sie Versatzstücke einer heiligen Schrift. 

Im Moment allerdings ist von heiliger Andacht nichts zu spüren. Der Konferenzraum in der „Liebnitzmühle“ hat die besten Jahre hinter sich. Beiges Mobiliar, ein Beamer, der beim ersten Einsatz den Geist aufgibt, Essensgeruch hängt in der Luft. Und einer der beiden Männer hat gerade einen Wutanfall. Es sind Daniel M. aus Dresden, ein ehemaliger Sportmoderator, und Jörn A., ein Köhler aus den Wäldern rund um Leipzig (die Namen sind der Redaktion bekannt). Sie gehören, wenn man das bei einem so losen Gebilde wie der QAnon-Gefolgschaft überhaupt sagen kann, zu den führenden Köpfen der Bewegung in Deutschland. Sam ist ihre Vertraute. Der mit dem Wutanfall ist Jörn A., er brüllt: „Wenn ich so eine blöde Fotze erwische, dann gibt es genügend TÜV-geprüfte Laternenmasten …“

Seine Drohung richtet sich gegen Kindergärtnerinnen, die mithilfe sogenannter Pullerpuppen Sexualerziehung machen. Es gibt Babypuppen, die Vaginen haben, und es gibt Puppen mit kleinem Penis. Schon der Gedanke daran macht A. ganz wild. Mit diesem Thema scheint der Mann ein wirklich schwerwiegendes Problem zu haben. Doch statt in einer Therapie ist er jetzt hier in der „Liebnitzmühle“ und redet sich immer weiter in Rage: Schutzimpfungen für Kinder, Schule, Behörden und überhaupt die ganze Bundesrepublik – alles Mist. 80 Prozent der Leute, die bei ihm Holzkohle kaufen, finden, Deutschland sei durch, fertig, vorbei, hat der Köhler Jörn A. festgestellt. Ein Land am Ende. Und er mittendrin als Retter. Denn er selbst ist aufgewacht.

So wie seine Mitstreiter auch: aufgewacht und Weltenretter. Weil sie gecheckt haben, was läuft. Die anderen schlafen noch, haben sich einlullen lassen von den Massenmedien. Fernsehen, Zeitungen, Magazinen, dem Playboy. Alles MSM. Mainstreammedia. Böse. Ich bin hier vorgestellt worden als „der Feind“.

WIR SIND Q In den USA, dem Ursprungsland von QAnon, gelten die Anhänger nicht mehr als ungewöhnlich. Schon gar nicht bei Donald Trumps Wahlkampfauftritten. Viele glauben, Trump kämpfe gegen einen bösen „deep state“, eine geheime Schattenregierung
Credit: reuters

2. Der Feind

Es war nicht ganz einfach, überhaupt zu dem Treffen zugelassen zu werden. Dutzende von Gesprächen waren notwendig. Und ein fast konspiratives Treffen, das auf dem Marktplatz in Wittenberg stattfand, wo Martin Luther vor 500 Jahren seine 95 Thesen an eine Kirchentür genagelt hat, was zur Spaltung des Christentums und jeder Menge Religionskriegen führte. Die QAnon-Leute lieben symbolträchtige Orte.

Daniel M. tauchte damals in Outdoor-Kleidung mit Baseball-Cap und verspiegelter Brille auf. Er komme gerade aus dem Wald, sagte er. Woher genau? Geheim! Warum? Kein Kommentar! Später stellte sich heraus, dass eine ganze Gruppe in der Köhlerei von Jörn A. Quartier bezogen hatte. Sam trug ein Geflecht von Pflasterstreifen auf der rechten Wange und sah aus wie ein Alien. „Lymphdrainage“, sagte sie. Ein Polizeiauto fuhr auffällig oft an uns vorbei. Falls es eine Observation war, war sie eindeutig nicht geheim. Vielleicht war es eine Warnung.

Daniel M. erzählte damals ausschweifend von einer Anfrage beim Ordnungsamt der Stadt Leipzig, die nicht ordnungsgemäß beantwortet wurde. Die Frage war: Welche Staatsangehörigkeit hat man, wenn man einen deutschen Personalausweis hat? Eine typische Reichsbürgerfrage. Wahrscheinlich war es den Leuten vom Ordnungsamt einfach zu blöd, darauf zu antworten. Kann ich verstehen. Solche Fragen nerven.

Trotzdem bin ich jetzt hier in der „Liebnitzmühle“ an der Thaya. M. war dagegen. Sam war dafür. Ich musste von WhatsApp auf Telegram wechseln, den bevorzugten Messengerdienst der Verschwörungs-gläubigen. Ich wurde mit Propagandavideos bombardiert, mit Zahlen zu Corona versorgt, hingehalten. Ich fragte: „Trauen sich die Jungs nicht?“ Sam antwortete: „Ich arbeite daran.“ Dann kam das Go – aber ohne Fotograf. Anscheinend war die Hoffnung, mich überzeugen zu können, größer als die Angst vor Kritik.

„Der ist von der anderen Seite“, warnt Sam ihre Mitstreiter, die mehr und mehr werden in der „Liebnitzmühle“, wenn sie mich vorstellt. Aber die meisten stört das nicht besonders. „Auf der anderen Seite war ich auch lange“, sagt eine Kosmetikerin aus der Lüneburger Heide, die ich im Hof des Hotels treffe. Sie hat das Gefühl, dass nichts mehr richtig stimmt in unserer Welt. Alle rackern sich ab, aber nichts geht mehr vorwärts. Und jetzt auch noch Corona. Eine weltweite Panik, deren Ausmaß durch die Gefährlichkeit des Virus in den Augen vieler nicht ausreichend gerechtfertigt ist.

Überhaupt sind alle hier Corona-Skeptiker. Niemand trägt Maske, es wird geherzt und umarmt. Seit dem ersten Lockdown im vergangenen März steigt die Zahl der QAnon-Anhänger deutlich rasanter an als zuvor. Offenbar glauben viele nicht, dass die massiven Einschränkungen von Freiheitsrechten wirklich mit dem Virus zu tun haben. Sie vermuten, dass eine Verschwörung dahintersteckt.

Nur, wer sie steuert, das ist bei QAnon umstritten. Die einen glauben, dass die bösen Eliten die Finger im Spiel haben, um die Menschheit besser manipulieren zu können. Womöglich stecke Microsoft-Gründer Bill Gates dahinter, weil er mit dem Impfstoff gegen Covid-19 noch reicher werden will, als er ohnehin schon ist. Die anderen sind sich sicher, dass QAnon selbst die Corona-Panik erzeugt habe, um in aller Ruhe die Macht zu übernehmen. Klar: Wenn die Menschen Angst haben und sich nicht mehr treffen dürfen, ist Widerstand nicht so einfach.

Provokante Symbolik: QAnon-Anhänger mit Flaggen in Reichsfarben und abgewandeltem Trump-Slogan in Berlin.
Credit: dpa Alliance

3. John F. Kennedy jr.

Dass der QAnon-Glaube, der in den USA längst zur Massenbewegung geworden ist, auch in Deutschland immer mehr um sich greift, liegt auch an Menschen wie Veikko S. (Name der Redaktion bekannt). Der magere und hyperaktiv wirkende Ostdeutsche sitzt in der „Liebnitzmühle“ schon morgens um sechs am Laptop und verlässt ihn bis zum Abend kaum. Er gilt als die Internet-Wühlmaus der Bewegung und hat bereits 2000 Stunden Video-„Beweismaterial“ für seine Thesen hochgeladen.

Ein paar Beispiele:

Q ist in Wirklichkeit John F. Kennedy, Jr.. Seit seinem vorgetäuschten Tod vor 20 Jah-ren bereitet er mit zwölf Admirälen der US Navy und zwölf Generälen der US Army den Kampf gegen die bösen Mächte vor. Trump ist eine Marionette Kennedys. Bei Fernsehauftritten sieht man gelegentlich einen winkenden Mann hinter Trump. Das ist Kennedy. S. zeigt verpixelte Filmsequenzen, die das belegen sollen.

Meine Recherche dazu: Unsinn. Kennedy ist tot. Flugzeugabsturz, Leiche eindeutig identifiziert. Er sah im Übrigen blendend aus, als er noch lebte, war aber nicht gerade das hellste Licht am Weihnachtsbaum. Drei Anläufe brauchte er, bis er als Anwalt in New York zugelassen war. Und der Flugzeugabsturz war nach Ansicht der Experten Folge einer Überforderung des Piloten beim Landeanflug. Der Pilot war Kennedy. Ausgerechnet den hat sich QAnon als Galionsfigur ausgesucht: einen toten Bruchpiloten? Hm.

QAnon ist keine Religion, sondern eine militärische Operation der höchsten Sicherheitsstufe, die von Quantencomputern unterstützt und verschlüsselt wird (deshalb das Q).

Meine Recherche dazu: Kann sein. Oder auch nicht. Klingt aber gut.

Corona wurde erfunden, um die Menschen per Lockdown-Anordnung von der Straße zu holen, damit ihnen nichts passiert, wenn QAnon die Macht übernimmt und das US-Militär Swat-Teams schickt, um die Bösen zu verhaften.

Meine Recherche dazu: Unsinn. Niemand hat Corona erfunden. Aber viele versuchen, mithilfe von Corona mehr Einfluss zu gewinnen. Auch QAnon.

Die Bösen,  die das Verjüngungsserum Adrenochrome aus Kinderblut einnehmen, reichern dadurch Eisen in ihrem Körper an und werden deshalb eher vom Blitz getroffen. Das haben sie davon! Sharon Stone wurde nach einem Blitzeinschlag durch ihre Wohnung geschleudert.

Meine Recherche dazu: Ja, Sharon Stone wurde vom Blitz getroffen. Als Kind. Jetzt ist sie 62 und sieht auch so aus. Adrenochrome ist zudem kein Verjüngungsserum, sondern ein Mittel zur Blutgerinnung. Man kann es chemisch herstellen und gewinnt es nicht aus Kinderblut – das hat der Autor Hunter S. Thompson 1971 in seinem Roman „Fear and Loathing in Las Vegas“ frei erfunden (und es ausdrücklich zugegeben).

Den Weg in die QAnon-Welt fand Veikko S., als er arbeitslos wurde und schließlich von Hartz IV lebte. „Da lag ich so lange auf dem Sofa rum, bis ich mich gelangweilt habe und mit dem Recherchieren begann“, sagt er. Mittlerweile lebt er in einer Welt voller Symbole. Q ist der 17. Buchstabe des Alphabets, und Gelb ist die Farbe der Bewegung. „Das Grabmal der Kennedys sieht aus wie ein Q“, sagt Veikko S. „Alle 17 Minuten stirbt jemand an Corona. 17 Schlachtschiffe haben die Russen nach Syrien geschickt. Die ,Bild-‘Zeitung druckt Corona-Schlagzeilen meistens gelb. Neulich habe ich ein Foto von einem Blitz gesehen, der aussah wie ein hebräisches Q. Fällt dir was auf?“

Mir fällt auf, dass Sams wöchentliche YouTube-Talkshow auf ihrem Kanal „Sam Soul and Mind“ genau 17 Minuten und 17 Sekunden dauert und dass vor dem Hotel ein schwarzer Audi Q7 mit dem Kennzeichen MQ-Q17 steht. Außerdem fällt mir auf, dass ich Kopfschmerzen bekomme, weil Veikko S. so schnell redet, ständig unscharfe Fotos zeigt und irrwitzige Beziehungen zwischen Dingen herstellt.

Wie komplex und abenteuerlich die Verschwörungserzählung ist, zeigt die Skizze eines der vielen Q-Gefolgsleute.
Credit: Michael Kneissler

4. Die Wissenden  

Das heißt aber nicht, dass alle hier in der „Liebnitzmühle“ komplett verrückt oder gar gefährlich sind. Dazu sind sie viel zu unterschiedlich: Ein Polizeibeamter aus dem Burgenland ist da, eine Outdoor-Pädagogin aus den Alpen, Handwerksmeister, Schauspieler, eine Adlige, ein Architekt aus Deutschland, ein leicht prolliges Paar mit pupsenden französischen Bulldoggen. Manche sind eher spirituell interessiert, einige sind meiner Meinung nach Hardcore-Reichsbürger mit rechtsradikaler, fremdenfeindlicher Gesinnung. Aber alle glauben, dass es in unserer Welt ungerecht zugeht. Dass irgendetwas hinter Corona steckt, aber nicht Covid-19. Sie sind auf der Suche.

Die meisten sind friedlich, aber verbittert, weil sie nicht ernst genommen und in die rechte Ecke gestellt werden. Einige sind wegen ihrer Meinung in der eigenen Familie isoliert. Die Reichsbürger dagegen halte ich für gefährlich. Bei ihnen spüre ich Wut und Aggression. Liegt vielleicht daran, dass sie fast alle im Leben gescheitert sind: Karriere-Stopp, Beziehungskrisen, Insolvenz. Da sucht man einen Schuldigen. Wenn man außer sich selbst keinen findet, ist es offenbar eine optimale Lösung, gleich eine ganze Weltverschwörung für das eigene Elend verantwortlich machen zu können. Und dann auch noch als QAnon-Anhänger dagegen zu kämpfen. Da wird der Loser zum Helden. Das Leben hat wieder Sinn.

Matthias Pöhlmann, der Weltanschauungsbeauftragte der evangelischen Kirche in Bayern, sagte mir am Telefon: „Die halten sich für die Wissenden, die neue Elite. Das ist gefährlich, denn dann sind die anderen nichts wert.“ Pöhlmann glaubt, dass diesen Leuten die komplexe globalisierte Welt Angst mache. Sie empfänden einen Kontrollverlust. Verschwörungstheorien erklären dagegen die Welt mit simplen Schwarz-Weiß-Bildern. „Gut und Böse sind klar zu unterscheiden.“ Laut einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung haben mittlerweile 30 Prozent der Deutschen einen Hang zu Verschwörungstheorien. „Besorgniserregend“, sagt Pöhlmann.

Die QAnon-Expertin und Netzaktivistin Katharina Nocun hält QAnon für eine besonders effektive sektenähnliche Organisation, weil sie „durch die Analyse der Q-Drops einen interaktiven Charakter hat. Da kann man niedrigschwellig mitmachen und Detektiv spielen.“ Was meint Q wohl, wenn er fragt: „Wann singt ein Vogel?“ Oder sagt: „Sei Wasser, verbreite Feuer.“ Verschwörungstheorie als Ratespiel und Beschäftigungstherapie. Da ist für jeden was dabei.

Sam Jolig kam zu QAnon, als ihr Pferdehof vor der Pleite stand. Überschuldet. Sie hatte schon zuvor ein paar Wandlungen durchgemacht: Die Bäckerstochter aus Niedersachsen war Model und Sängerin, heiratete den ersten Big Brother, Alex Jolig, und adoptierte zwei Kinder mit ihm, bevor sie sich wieder trennten. Sie schrieb Bücher über Adoption, Mütter und Mut und wurde schließlich Reiterin. Als Corona kam, geriet die Mittvierzigerin in Panik. „Ich hatte schon alles voll mit Klopapier, bevor die anderen überhaupt zum Supermarkt kamen.“ Nudeln für sechs Wochen, Konserven, Stirnlampen. Sie war vorbereitet auf die Katastrophe. Aber dann hörte sie im Podcast eines QAnon-Sympathisanten den Satz, der ihr Leben veränderte: „Sei der Adler und nicht die Ameise.“ Sie heulte ein bisschen, und dann kam sie hervor hinter ihrem Schutzwall aus Klopapier und veränderte ihr Leben.

Mittlerweile ist sie eine der prominenten Figuren im deutschsprachigen QAnon-Kosmos. Ihr YouTube-Kanal hat fast 9000 Abonnenten, der auf Telegram rund 6400. In der deutschen QAnon-Bewegung ist sie als Wessi und Frau allerdings eher die Ausnahme. Die meisten hier in der „Liebnitzmühle“ sind Ossis, männlich. Sächsisch ist die Amtssprache bei QAnon. Daniel M. erklärt die Ost-Dominanz so: „Wir im Osten haben das schon mal durchgemacht, das pervertierte System. Im Fernsehen war alles gut, aber draußen fiel die DDR zusammen. Die Leute im Westen kennen das noch nicht.“ Darum hilft er den Wessis gern auf die Sprünge. Jeden Abend kommentiert er mit Hajo, 73, einem der Stars der Szene, die Nachrichtenlage auf YouTube. Um die 60.000 Leute schauen zu, wenn Hajo mal wieder zu einem seiner ausufernden historischen Rückblicke ausholt, in denen der Vatikan an fast allem schuld ist. 

 5. DAS ENDE DER WELT 

Es ist der zweite Tag des Treffens in der „Liebnitzmühle“. Vor der Tür des Seminarraums fängt mich Johannes ab. Er ist 55 Jahre alt und war mal Formel-1-Ingenieur. Seit zwölf Jahren macht er was mit E-Mobility. „Ich kann dir nicht die ganze Wahrheit erzählen“, sagt er leise, seine Augen zucken nervös, er scannt die Umgebung. „Nur so viel: Der Showdown kommt in den nächsten zwei Wochen.“ Genauer gesagt: am 22. September. Trump und Putin würden dann vor die Presse treten und das Ende der Welt verkünden, wie wir sie kennen. Hunderttausende würden verhaftet: Politiker, Banker, Zionisten. Auch Merkel werde bald endgültig weggeschafft. Sie stehe nämlich schon längst unter Kontrolle von QAnon. „Jeden Abend“, sagt Johannes, „wird Merkel von einem Gefangenentransporter aus dem Bundeskanzleramt abgeholt.“ Da gebe es Beweisfotos. Leider sehr unscharf. Aber mit der Fake-Show sei nun Schluss. Wir brauchten Merkel nicht mehr. Prinz Georg Friedrich von Preußen werde das Kommando in Berlin übernehmen, der Urenkel des letzten deutschen Kaisers. Und dann herrschten paradiesische Zustände. Ein Lächeln erleuchtet das Gesicht von Johannes. Er möchte dann ganz vorn mit dabei sein in der schönen neuen Welt.

Blöd nur, dass der Prinz null Bock auf Politik hat, dass der 22. September verstrichen und Merkel noch immer da ist. Und auch die Welt, wie wir sie kennen, hat sich kaum verändert. Überall Corona, überall Sorgen, Armut, Krieg. Und überall QAnon.

Nach drei Tagen verlasse ich das abgelegene Tal in Österreich. Auf dem Rückweg nach München explodiert der Kühler meines Autos, 34 Minuten nachdem ich die deutsche Grenze überquert habe. 34 ist 17 plus 17. Merken Sie was? Der Motor qualmt. Ein Wort mit Q. Und der Abschleppwagen vom ADAC ist – gelb.

Das ist der Beweis. Für alles.