Bill Murray
Bill Murray
Di., 27.12.2022
Interviews

„Ich will die Leute in den Bauch treffen“

.. und zwar nicht mit Gewalt, sondern mit guten Gefühlen, sagt Filmstar Bill Murray, der sich als Botschafter der Liebe, tiefer Gedanken und witziger Unterhaltung versteht. Beispielhaft dafür: sein neuestes Kinoprojekt. Und dieses Gespräch über griechische Philosophen, französische Autofahrer und nervige Hollywood-Agenten.

Wird er kommen? Das ist die Frage, die sich vor jedem Interview mit Bill Murray stellt – wenn es denn stattfindet. Der 71-Jährige ist bekannt dafür, dass er immer spontan entscheidet, ob er so einen Termin wahrnehmen will. In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit hoch. Denn er hat nicht einfach einen Film zu promoten, sondern ein ganzes Kunstprojekt. Mit dem deutschen Cellisten Jan Vogler und weiteren Musikern ging Murray auf Tournee, um einen bewegen- den Mix aus poetischen Rezitationen und Stücken klassischer wie populärer Musik zu präsentieren. Das Resultat, der Konzertfilm „New Worlds: The Cradle of Civilization“, soll am 22. März ins Kino kommen. Und tatsächlich: Mit vergleichsweise harmlosen 40 Minuten Verspätung trifft der Star am Strand von Cannes ein. Es ist Sommer 2021, Filmfestspielzeit, den Abdruck dieses Interviews haben wir uns bis heute – kurz vor dem Kinostart des Films – aufgehoben. Murray wirkt leicht verträumt und in sich gekehrt. Er bewegt sich zwar gekonnt in den Gefilden des Showbiz, interessiert sich aber, wie wir gleich hören werden, viel mehr für die Kräfte seiner Innenwelt. Und für den Nachthimmel. Als wir uns begrüßen, dröhnt über uns gerade ein Helikopter, der ihn zu stören scheint.

Nervt ganz schön, das Ding, oder?

Ach, von so etwas lasse ich mich nicht beeindrucken. Natürlich ist das störend, aber es hat keinen tieferen Einfluss auf mich.

Was bringt Sie zum Ausflippen?

Es heißt: Wenn du lernst, deine negativen Emotionen nicht nach draußen zu lassen, dann entwickelst du deine Persönlichkeit. Logischerweise bin ich damit nicht immer erfolgreich. Die Art und Weise, wie die Leute hier in Cannes Auto fahren, macht mich zum Beispiel verrückt. Vielleicht liegt es daran, dass sie sich zu viele Croissants zum Frühstück hineingestopft oder gestern Abend zu viele Drinks hatten. Aber auch wenn solche äußeren Dinge auf mich einprasseln, sie dürfen mich nicht als Person ändern. Ja, ich habe negative Züge in mir, denn jeder hat seine dunkle Seite, aber ich will nicht diese Art Mensch sein.

Wie schaffen Sie es, meistens Ihre helle Seite zu zeigen?

Das ist eine Frage der Willenskraft und der Aufmerksamkeit. Du musst hart an dir arbeiten. Ich suche mir ruhige Momente, in denen ich mich zurückziehe. Ich meine nicht Phasen, in denen ich einfach nur auf dem Bett abhänge und fernsehe. Nein, ich meditiere zum Beispiel gelegentlich. Oder ich spiele Golf, was auch eine Art von Meditation ist. Und ich versuche, meinen Körper bewusst wahrzunehmen. Dazu reicht es, wenn ich mich auf einen Stuhl setze und darauf achte, wie schwer sich mein Körper anfühlt. Wenn du dein Gewicht spürst, dann verändert sich etwas. Die Zeit verlangsamt sich, und damit hast du auch mehr Zeit nachzudenken, deine Gedanken zu sammeln oder einfach nur zuzuhören.

Angeblich haben Sie keinen Agenten und sind nur über Nachrichten auf dem Anrufbeantworter zu erreichen. Hat das damit zu tun?

Das ist richtig. Diese Agenten wollen, dass ich ständig arbeite. Irgendwann hat es mir dann gereicht. Denn in der Regel lief das so ab, dass mein Agent zu seinem Assistenten meinte: „Hol mir Bill Murray ans Telefon.“ Dann rief diese Person bei mir an und ließ es 150-mal klingeln. Wenn du zu Hause bist, aber nicht abheben willst, und dein Telefon schrillt 150-mal, dann ist das ziemlich enervierend. Schließlich nimmst du dann doch den Anruf entgegen und sagst: „Wer ruft mich denn hier an und lässt es endlos klingeln?“ – „Oh, ich bin Anthony von Creative Artists Agency.“ – „Anthony, mach das ja nie wieder!“ Ende des Gesprächs. Aber am nächsten Tag ist dann nicht Anthony, sondern Jeremiah im Büro, und das ganze Spiel beginnt von vorne. 

Verpassen Sie dann nicht wichtige Angebote?

Bis jetzt habe ich keinen Film verpasst, in dem ich spielen wollte. Bis auf ein einziges Mal vielleicht, die Rolle ging dann an Mel Gibson. Aber ich konnte damals nicht wissen, dass das ein guter Film werden würde. (Murray meint hier „Ein Jahr in der Hölle“ von 1982, d. Red.)

Bill Murray im Playboy-Interview: „Es ist viel schwieriger, einen guten Menschen zu spielen“ 

Gibt es Filme, in denen Sie grundsätzlich nicht mitspielen?

Das hängt mit dem zusammen, was ich vorhin gesagt habe. Ich will mich nicht in negative Emotionen vertiefen. Deshalb spiele ich in keinen gewalttätigen Filmen. Wenn ich so einen sehe, dann denke ich mir: Bin ich froh, dass ich so etwas nicht mache! Ich will nicht diese ganze Wut herausbringen. Abgesehen davon ist so etwas für einen Schauspieler ziemlich einfach. Es ist viel schwieriger, einen guten Menschen zu spielen.

Der Konzertfilm „New Worlds: The Cradle of Civilization“ zeigt Sie ja als Sie selbst. Was für eine Wirkung wollten Sie mit den Auftritten dieser Tournee erzielen?

Ich will das Publikum vernichten, fertigmachen.

Das klingt nicht gerade friedfertig.

Was ich meine, ist: Meine Kollegen und ich wollen die Zuschauer auseinandernehmen, wir wollen ihr Innerstes nach außen kehren. Und wenn es dann vorbei ist, dann stehen sie alle auf und fuchteln begeistert mit den Armen. Bei den Konzerten dieser Reihe wissen die Leute oft gar nicht, was auf sie zukommt. Da sind Besucher mit Abonnements für ihr Opernhaus oder ihren Konzertsaal dabei, die bei den normalen Klassikaufführungen immer einschlafen. Und bevor ich mit unserer Gruppe auf die Bühne gehe, lachen wir uns immer einen ab: „Die haben keine Ahnung, was wir jetzt gleich mit ihnen anstellen werden!“

Aber was genau ist es?

Ich will die Leute mitten in den Bauch treffen – aber nicht mit einem Fausthieb, sondern mit einem Gefühl von Liebe. Sie sollen nicht einfach nur mitgerissen werden, sondern eine Ahnung von etwas größerem Ganzem bekommen, von dem sie Teil sind. Sie kriegen Entertainment, sogar sehr viel da­ von, aber eben auch etwas, was sie mit nach Hause nehmen können – ein Gefühl, eine Idee. Und die gleiche Wirkung soll natürlich auch der Film haben.

Bill Murray in  „Und täglich grüßt das Murmeltier“
„Und täglich grüßt das Murmeltier“ - 1993
Credit: IMAGO

Wer Sie nur als Komödiendarstel­ler aus Filmen wie „Ghostbusters“ kennt, hat offenbar kein vollstän­diges Bild von Ihnen, denn es sind noch ganz andere Themen, die Sie bewegen ...

Ich liebe „Ghostbusters“, er ist to­tal lustig, zumindest die ersten 45 Minuten. Und wie ich schon sag­te: Entertainment ist wichtig. Wir haben alle ein schwieriges Leben, und wenn ich das anderen Leuten leichter machen kann, dann tue ich das natürlich. Aber ich interessie­re mich eben auch für die großen Fragen des Lebens. Ich will wissen, warum wir hier sind, ich will mich selbst besser verstehen. Und ich will ein besserer Mensch werden.

Ihre Schwester ist Nonne.Waren Sie je versucht, ein Leben des Glaubens zu führen?

Das vielleicht nicht. Aber ich bin sehr stark katholisch geprägt, meine Vorfahren waren alle irisch. Ich bin nur auf katholische Schu­len gegangen, Universität inklusi­ve. Ich gehe in die Kirche, habe das auch meinen Söhnen näher­ gebracht, und das beeinflusst meine Wertvorstellungen. Es ist nicht so, dass ich mich im Alltag immer danach richte. Aber ich versuche es jedenfalls.

Gibt es für Sie nur den Katholi­zismus?

Ich denke, dass alle Religionen letztlich auf das Gleiche hi­nauslaufen. Sie nähern sich dieser Wahrheit und Wertvorstellungen aus unterschiedlichen Richtun­gen an. Und es ist gut, wenn du dir diese anderen Richtun­gen auch anschaust.

Was sind denn Ihre persönlichen morali­schen Werte?

Loyalität. Das wäre die Nummer eins. Und dann der Wunsch, andere zu beschützen. Ich glaube an Kame­radschaft und an Freundschaft, in der niemand über den anderen ur­teilt. Ich hoffe, ich habe das bereits gelernt und kann das.

Bill Murray im Playboy-Interview: „Wenn du stark genug bist, dann lässt du dich nicht herumdirigieren“

„The Cradle of Civilization“ ent­stand ja in Athen, der Wiege der griechischen Philosophie. Plato, einer ihrer berühmtesten Vertre­ter, ging von unsterblichen Prin­zipien wie dem „Schönen an sich“ oder dem „Gerechten an sich“ aus, die unserer Realität zugrunde liegen. Was halten Sie davon?

Für mich gibt es nur eine ech­te Realität, und die liegt in uns selbst. Wir müssen anerkennen, dass dieses innere Selbst auf der Erde ist, um zu leben. Aber alles Materielle, das uns umgibt, unser Körper, das ist nur wie die Blätter an einem Baum, die wieder herunterfallen, oder eine Blume, die verwelkt. Es gibt etwas viel Mächtigeres, das einem höheren Zweck dient, und das findet sich eben in deinem Innersten.

Wie können Sie das spüren? Wenn Sie sich auf Ihr Gewicht konzentrieren?

Ich nehme mich selbst sehr intensiv wahr, wenn ich im Kontakt mit dem Publikum bin. Der Vorhang geht auf, und da draußen sehe ich einen großen Spiegel vor mir, der mir zeigt, wie ich mich in diesem Moment fühle, wie gut ich darin bin, etwas zu kommunizieren, und ob das Instrument „Bill Murray“ richtig gestimmt ist.

Als Schauspieler müssen Sie allerdings die Anweisungen von Regisseuren befolgen. Können Sie da Sie selbst sein?

Wenn ich zu einem Dreh komme, dann bin ich das. Aber natürlich sagt mir dann jemand: „Wären Sie so freundlich, Ihre rechte Hand so und so zu bewegen?“ Und das versuchen sie jeden Tag zu wiederholen. Aber wenn du stark genug bist, dann lässt du dich nicht herumdirigieren. Du kannst dich dem verwehren, und dann hört das auch auf.

Auf welche Weise schaffen Sie es, Ihr „Instrument“ richtig zu stimmen, wenn Sie mal nicht gut drauf sind – wie war das zum Beispiel bei der „New Worlds“-Tour?

Grundsätzlich war das eine der härtesten Erfahrungen meiner Karriere. Das jeden Abend auf die Beine zu stellen hat viel Kraft gekostet. Aber ich war ja nicht allein. Ich stand mit meinen Kollegen auf der Bühne, wir haben unsere individuellen Energien miteinander verbunden, und auf diese Weise haben wir jeden Abend überstanden und alle Ideen, die wir kommunizieren wollten, dem Publikum vermittelt.

Sie greifen dafür auf Werke bekannter Künstler wie Walt Whitman, Johann Sebastian Bach oder Leonard Bernstein zurück. Haben Sie die Befürchtung, dass solche Klassiker sonst im Overkill unserer Multimedia-Weltuntergehen?

Man muss dabei eines verstehen: Alle diese großen Künstler und Denker, von denen wir gesprochen haben, ob ein Plato oder Whitman, empfanden es schon zu ihrer Zeit so, dass sich die Menschheit zurückentwickelt. Das heißt, sie hatten das Gefühl, dass viele Erkenntnisse verloren gehen. Jeder, der eine besondere Vision hat, hat diese Angst: Meine Ideen sind zwar jetzt präsent, aber morgen sind sie vergessen. Ich weiß, dass sich unsere Welt immer schneller bewegt, aber wir sollten uns trotz- dem nicht beeindrucken lassen. Denn das stresst uns nur, und in einem Zustand der Anspannung fällt es uns schwerer, diese Erkenntnisse aufzunehmen und sie weiterzugeben. Wir müssen erkennen: Wir sind unsere einzige Chance, und alles beginnt beim einzelnen Individuum. Das heißt, wenn jeder bei sich anfängt und sich bemüht, dann kann er solche Ideen anderen Menschen vermitteln. So wie wir das eben mit unseren Konzerten gemacht haben.

Braucht es dafür nur uns selbst, oder gibt es auch eine höhere Macht – beziehungsweise einen „unbewegten Beweger“, um Aristoteles, einen anderen berühmten Athener, zu zitieren?

Das alles ist eine große Wette. Wenn Sie auf Pferde wetten, dann überprüfen Sie erst mal die statistischen Wahrscheinlichkeiten, welches gewinnt. Eine Variante ist, dass nur Sie und ich existieren. Aber aus meiner Sicht ist diese Wahrscheinlichkeit sehr gering. Schauen Sie einfach in den Nachthimmel hoch, und dann werden Sie sich denken: „Vielleicht gibt es eben doch nicht nur Sie und mich.“

Titelbild: Imago