Online-Sex-Shops 2.0: So erfinden zwei Gründerinnen Online-Sex-Shops neu
Mi., 05.04.2023
Interviews

Sexualität ist nicht gleich Sex: Wie zwei Gründerinnen Online-Sex-Shops jetzt neu erfinden

Sie sind günstig, sie sind bunt, sie haben die irrwitzigsten Formen – und sie sind inzwischen vor allem eins: massig vorhanden. Gängige Online-Sex-Shops brachten Sexspielzeuge in die Schlafzimmer der Deutschen, brachen Tabus und brachten Toys ins Gespräch. „Studio569“ läutet nun die zweite Generation der Online-Sex-Shops ein: In ihrem kuratieren die Gründerinnen Anna Kössel und Katharina Trebitsch hochpreisige Toys, Pflege- und Lifestyle-Produkte – und feilen parallel am Verständnis von Sex. Warum das unbedingt nötig ist, verraten sie im Interview. 

Frau Kössel, Frau Trebitsch, in der Start-up-Szene sind Sie keine Unbekannten: Mit nevernot gründeten Sie eine Brand für Intimate Wellness, erst kürzlich starteten Sie nun ihren neuen Online-Sex-Shop Studio569. Wofür steht der Name?

Anna Kössel: Erinnert man sich an die alten Handys mit T9-Tastatur, würde man mit den Buchstaben das Wort „Joy“ tippen. Und genau darum geht es: Noch mehr Freude an unserer Sexualität zu haben. Und zwar, indem wir ein besseres Verhältnis zu unseren Körpern und unserer Sexualität entwickeln. 

Intimate Wellness ist bei Studio569 auch ein Schlüsselbegriff: Sie beschreiben den Online-Shop als „Premium Intimate Wellness Boutique“.

Anna Kössel: Intimate Wellness bedeutet, dass man an seinem intimen Wohlbefinden arbeitet. Dass man mit sich selbst ins Reine kommt und sich auch mit seiner sexuellen Gesundheit beschäftigt. 

Katharina Trebitsch: In den klassischen Online-Sex-Shops geht es immer um den Akt an sich, sprich um den Sex. Dabei ist Sexualität vielfältiger – und das spiegelt sich auch im Markt wider. Wir haben in den letzten drei Jahren viele neue, nischige Marken aus dem Premiumsegment entdeckt, die entweder nicht nach Deutschland bestellt werden können oder zu unbekannt bleiben, weil sie in keinen Shop aufgenommen werden konnten. Das bietet nun Studio569: Bei uns gibt’s nicht nur Produkte rund um Sex, sondern auch welche rund um Pflege und Gesundheit. 

Studio569-Gründerin Anna Kössel: „Intimate Wellness bedeutet, dass man mit sich selbst ins Reine kommt“

Wieso braucht es diesen Dreiklang für ein gesundes Verständnis von Sexualität? 

Katharina Trebitsch: Hier sind wir wieder beim Thema Wohlbefinden. Er zahlt darauf ein, dass man sich rundum gut fühlt, sich sicher ist in seiner Sexualität, seine Freiheiten leben kann. Beispielsweise braucht man einen Test, um sich auf Geschlechtskrankheiten zu testen und seine Sexualität losgelöst ausleben zu können. Wir vergleichen die Sex-Industrie immer ein bisschen mit der Beauty-Industrie. Man reinigt sein Gesicht, bevor man Cremes aufträgt. Oder wäscht sich nicht nur die Haare, sondern geht auch zum Friseur. Das ganze Thema Sexualität sollte genauso ganzheitlich bedacht und behandelt werden.

Wieso ist dafür jetzt der richtige Zeitpunkt? 

Anna Kössel: Online-Sex-Shops wie Amorelie und eis.de haben das Thema Sex komplett aufgebrochen und in die Mitte der Gesellschaft gebracht. Nur deswegen gibt es überhaupt so viele neue Marken und Produkte. Allerdings ist der Markt inzwischen riesig: Es gibt unheimlich viel Zeug und bislang niemanden, der das wirklich kuratiert. 

Katharina Trebitsch: Wir haben bei Studio569 nicht hundert verschiedene Toys, sondern eine kleine Auswahl. Wir wollen die Kunden, die dafür offen sind, an die Hand nehmen und ihnen das Neueste, das Beste und auch Trends, die sonst untergehen würden, zeigen. 

Gründeten den Online-Sex-Shop Studio569: Anna Kössel (l.) und Katharina Trebitsch
„Es gibt nichts, das nicht normal ist“: Anna Kössel (l.) und Katharina Trebtisch setzen sich mit ihrem Online-Sex-Shop Studio569 für ein neues Verständnis von Sex und Sexualität ein
Credit: nevernot/Studio569

Sie schreiben, dass Sie die Produkte in Ihrem Sortiment nach strengen Kriterien auswählen. Was muss ein Produkt haben, um im Shop euch zu landen?

Anna Kössel: Ganz wichtig ist uns, dass die Marke integer ist und die Gründer wirklich für das stehen, was sie verkaufen. Die Inhaltsstoffe müssen in Ordnung sein und die Qualität zuverlässig. Und dann wollen auch wir vor allem Newcomer und junge Brands fördern, weil wir unseren Kunden so die Vielfalt und Möglichkeiten viel besser zeigen können, als wenn wir nur auf Standard-Marken setzen würden, die es überall gibt.

Wie finden Sie die Produkte?

Anna Kössel: Einerseits klassisch durch Recherche. Andererseits sind wir in der Szene inzwischen auch sehr gut vernetzt. Viele Marken werden auch auf uns aufmerksam und kommen auf uns zu. 

Katharina Trebitsch: Wie viele Bewerbungen wir in den paar Wochen, seit wir live sind, schon bekommen haben, zeigt, dass wir aus Markensicht viel richtig gemacht haben und genau den Zahn der Zeit treffen.

Anna Kössel: Wir haben auch Produkte, die gibt es sonst auf dem deutschen Markt gar nicht zu kaufen. Sie hierher zu bestellen, wäre auch gar nicht so einfach. Auch dadurch ermöglichen wir einen breiteren Zugang zu Sexualität. Wir öffnen den Markt. 

Was zum Beispiel?

Anna Kössel: Den „Stellar“ Glasdildo. 

Katharina Trebitsch: Und in Kürze kommen noch Lesbian Toys von „Wet for her“. 

Sehr amüsant finden wir unsererseits die Penis-Seife. 

Katharina Trebitsch: Sie kommt zum Beispiel von der deutschen Marke „The Gay Creation“, die wahnsinnig klein ist und kein Marketingbudget hat. Wir machen sie sichtbar – und merken, dass die Produkte super ankommen. Vor allem steckt in Seife noch ein Plug, den man quasi freirubbeln muss (lacht).

Die Produkte in Ihrem Sortiment sind sehr hochwertig und entsprechend teuer. Sind Menschen wirklich bereit, so viel Geld für Intimate Wellness und Sex auszugeben? 

Anna Kössel: Durchaus. Auch hier kann man den Vergleich zur Beauty-Industrie ziehen: Bei ihrer Kosmetik gucken die Leute sehr genau darauf, was drinsteckt. Auf Qualität zu achten, ist auch in anderen Körperpflegebereichen wie der Intimate Wellness angekommen. Gleitgel berührt immerhin sehr sensible Stellen am Körper. Und auch bei Dildos, die man sich einführt, will man wissen: Wo kommt das Silikon her? Was sind da noch für Inhaltsstoffe drin?

Wie ist der sexuelle Status Quo unserer Gesellschaft? 

Anna Kössel: Die Leute werden immer neugieriger. Das merken wir auch stark an den Reaktionen unserer Kunden auf Blog-Posts und Newsletter. Beispielsweise haben wir auch ein Ingwer-Spray für Figging im Sortiment. Das ist ein Sex-Trend, den viele Leute noch nicht kennen, aber sehr spannend finden. 

Katharina Trebitsch: Auch der Austausch in Beziehungen wird immer größer. Leute sprechen deutlich mehr über Sex – mit ihren Sexualpartnern, aber auch mit ihren Freundinnen und Freunden. Wir haben auch ein Spiel gelistet, das die Kommunikation anregt. Das geht super weg.

Studio569-Gründerin Katharina Trebitsch: „Männer sollten sich in Sex-Shops genauso wohlfühlen wie im Fußballstadion“

An wen richtet sich Studio569: Einsteiger? Erfahrene?

Anna Kössel: An alle, die Wert auf Qualität legen. Wir haben für Einsteiger genauso viel da wie für Profis. 

Katharina Trebitsch: Unser Name weist auch schon auf die Zielgruppe hin: Viele unserer Kunden haben noch diese Telefone benutzt und schätzen ihre Qualität bis heute. Wenn ich ein Nokia auf den Boden haue, funktioniert es trotzdem noch und den Akku lade ich auch nur einmal die Woche. Diese Zielgruppe hat auf diesen Tastaturen schreiben gelernt und zu dieser Zeit angefangen, Sex zu haben. Zum Glück muss sie keine VHS-Pornos mehr gucken (lacht).

Intimate Wellness und auch Sextoys sind aktuell noch Bereiche, die vor allem Frauen ansprechen. Was müsste passieren, um sie auch für Männer weiter zu öffnen?

Katharina Trebitsch: Der Performance-Druck muss raus. Sie sollten sich in den Shops genauso wohlfühlen wie im Fußballstadion. Bei uns können sie Sachen entdecken und damit vielleicht auch geheime Wünsche, die schon länger in ihnen schlummern, ausprobieren. Männer finden bei uns auf jeden Fall Produkte, mit denen sie selbst Spaß haben – oder, mit denen sie ihre Frauen beglücken können. Da haben wir zwei verschiedene Zugänge. 

Anna Kössel: Wir möchten das Gefühl vermitteln, dass es nichts gibt, was nicht normal ist. 

Titelbild: PR