Ausnahme-Rennfahrerin Sophia Flörsch
Ausnahme-Rennfahrerin Sophia Flörsch
Di., 21.05.2024
Interviews

„Kein Typ will sich von mir überholen lassen. Aber daran wird sich der ein oder andere gewöhnen müssen“

Von Vorurteilen lässt sich Sophia Flörsch genauso wenig aufhalten wie von Crashs oder Benachteiligung. Die 23-Jährige gilt als riesiges Renntalent: Bisher ging sie unter anderem in der Formel 3, der DTM sowie beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans an den Start. Ihr großes Ziel: ganz klar die Formel 1. Wie sie die erobern will, erzählt sie uns im Interview

Sie ist auf dem besten Weg, die Machowelt des Motorsports zu revolutionieren: Die 23-jährige Sophia Flörsch aus München hat sich in den letzten zehn Jahren vom Kartsport in die Formel 3 hochgekämpft, in der sie zurzeit ihre dritte Saison absolviert und als erste Frau in der Geschichte Punkte einfuhr. Ihr Ziel: 2025 in der Formel 2 anzugreifen – und danach in der Formel 1. Wie sie das anstellen will? Wollen wir uns von ihr erklären lassen. Ganz standesgemäß bei Calamari und Salat im „Bella Italia“ in Grünwald, wo auch Spitzensportler wie die alten Champions-League-Helden des FC Bayern gern dinieren.

Frau Flörsch, kennen Sie Kristin Harila?

Hmm … nein, leider nicht. Was macht Kristin?

Die Norwegerin hat 2023 in Rekordzeit alle 14 Achttausender bestiegen. Die Männerwelt war erbost. Der Mann habe Gipfel bezwungen, schreibt die Schriftstellerin Florence Hervé. Den Frauen, so die Frauenrechtlerin, seien die Rollen „der Heidi, der Bäuerin, der Kuhhirtin und der Hexe“ geblieben. Wie ist das bei Ihnen?

Ich habe mit ähnlichen Vorbehalten im männlich dominierten Motorsport zu kämpfen. Motorsport ist immer noch Machosport. Und: ein Ausnahmesport. Denn in fast allen Sportarten treten Männer und Frauen getrennt an. 

Außer im Reiten. Reiten ist eine von 28 verschiedenen Sportarten der Olympischen Spiele, bei denen beide Geschlechter gemeinsam antreten. 

Reitsport ist aber eher nix für mich.

Wieso nicht?

Ich habe mächtig Respekt vor Pferden. Große Tiere mit viel Kraft und eigenem Kopf – nicht so mein Ding. 

Im Rennsport haben Sie mit großen männlichen Egos zu kämpfen.   

In Sachen Kraft, Koordination und Reaktionsschnelligkeit ist es nahezu egal, welches Geschlecht im Auto sitzt. Dazu gibt es mittlerweile sogar einige sehr gute sportmedizinische Untersuchungen. Mein Puls bewegt sich auf der Strecke zwischen 160 und 185 Herzschlägen, je nach Rennphase. Auf die gleichen Werte kommen auch Formel-1-Fahrer.

Halten Sie auch die brutalen Fliehkräfte von bis zu 5G gut aus?

Von einer austrainierten Frau wie mir ist das easy zu schaffen. Frauen fliegen schließlich auch Kampfjets, da treten noch mehr G-Kräfte auf als im Motorsport.

Könnte ich das auch schaffen?

(Lacht) No way! Die Formel 1 ist nur mit einer Top-Fitness zu schaffen. Ein-, zweimal joggen in der Woche reicht da nicht aus. Ich trainiere deswegen ja auch wie eine Verrückte. Nehmen Sie nur Yuki Tsunoda, den Rennfahrer von Red Bull. Yuki ist 1,59 Meter groß, 61 Kilo leicht. Mit ihm kann ich kräftemäßig locker mithalten. 

Auch mit den anderen?

Ehrlich gesagt, scheint mir ein Max Verstappen gerade nicht so austrainiert zu sein. Schnell ist er, aber so wirklich megafit? Mein Gefühl sagt, dass manchmal männliche Heldenstorys herbeigeschrieben werden und nicht immer die Realität abbilden. Vielleicht ist das aber nur mein weibliches Gefühl (grinst).

Ihre Werte in Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit sind krass. Nicht mal Tour-de-France-Sieger wie der zurzeit schwer verletzte Jonas Vingegaard oder Tadej Pogačar kommen da heran.

Die beiden sind Spitzensportler. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass die Ausdauer-Maschinen es sich nicht vorstellen können, welche Kräfte ich aufbringen muss, um zu bremsen, welche Fliehkräfte auf den Rennstrecken entstehen. Dann ist es noch so, dass wir in der Formel 3 keine Servolenkung haben. Alles geht über pure Muskelkraft aus dem Oberkörper heraus, aus den Schultern, aus den Armen. Wenn ich also aus meinem Auto aussteige, weiß ich, was ich gemacht habe. Reserven habe ich trotzdem noch genügend. 

Und was sagt die Psyche?

Die mentale Beanspruchung ist ungleich höher. Einen Fehler kann ich mir in dem Grenzbereich der Physik, in dem wir uns ständig bewegen, nicht leisten. Mit 30 Autos bei mehr als 300 Stundenkilometern in einen Zweikampf zu gehen fordert maximale Konzentration. Da bin ich schon am Limit mit der Psyche. 

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(Grinst) Zu wenig Testosteron ist bei uns meist auch nicht auf der Strecke. 29 Jungs. Plus eine Frau. Ich. Irgendwie fährt mir oft einer übermütig ins Auto. So auch beim ersten F3-Rennen in Bahrain. Auch im zweiten Rennen in Melbourne wurde ich unbeteiligt abgeräumt. Manche Jungs haben es einfach nicht im Griff. 

„Es ist immer noch eine Männerwelt, und in dieser Welt gibt es immer noch viele Männer, die glauben, dass Frauen da generell nichts zu suchen haben, jedenfalls nicht als Fahrerinnen“, haben Sie mal in einem Interview gesagt. 

Das denken auch viele Hobbyfahrer. Ich kann mich an eine freundschaftliche Battle mit einem Rapper erinnern. Ich habe ihm auf jeder einzelnen Runde im gleichen Auto 22 Sekunden mitgegeben. Klar war er der festen Überzeugung, dass er schnell Auto fahren kann. Hat nicht ganz geklappt (grinst). Im Ernst: Kein Typ will sich von einem Mädel wie mir überholen lassen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, das soll jetzt nicht nach Kampfansage klingen. Aber daran wird sich der eine oder andere Mann wohl gewöhnen müssen. Auch wenn ich gegenüber den allermeisten Rennfahrern einen entscheidenden Nachteil habe. 

Der da wäre?

Das Geld. Es ist ja nicht so, dass ich dafür bezahlt werde, dass ich Rennen fahre. Das Gegenteil ist der Fall. Ich muss meinem Team Geld dafür bezahlen, dass ich fahren darf. Jeder Fahrer unterhalb der Formel 1 bezahlt für sein Cockpit. Egal, ob du in der Formel 3 oder Formel 2 fährst, es ist mein Geld, das darüber bestimmt, wie schnell ich bin. Letztendlich ist das wie bei Sixt oder Hertz. Je mehr ich für mein Mietauto bereit bin zu bezahlen, desto besser das Auto.

Was heißt das konkret?

Konkret heißt das, dass ein Top-3-Team schon mal 50 bis 70 Prozent mehr kostet als ein Team, das nur im Mittelfeld landet. In meinem Fall ist es so, dass ich nicht über die Mittel verfüge, die ich brauche, um das ganze Jahr über zu testen, zu testen, zu testen oder mich bei einem Top-5-Team einzumieten. Deswegen bin ich – zusammen mit meinem Management – gezwungen, Sponsoren zu akquirieren. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Noch haben wir jeden Tag mit Vorurteilen gegenüber Frauen im Motorsport zu kämpfen. Ich höre oft Ausreden, warum es aus diesen und jenen Gründen nicht klappt. Hätte ich, das Start-up Sophia, sechs bis acht Millionen Euro zur Verfügung, wäre mein Weg bis zur Formel 1 durchfinanziert. So einfach wäre das.

Was sind das für Ausreden?

Einige zweifeln immer noch, dass ich die notwendigen körperlichen Voraussetzungen mitbringe, so ein Auto zu fahren. Hinzu haben sie Bedenken, dass ich schwanger werden könnte und somit sofort aussteigen müsste. Wissen Sie, wie alt ich war, als ich das erste Mal gefragt wurde, ob ich eine Familie gründen will?

Zwanzig?

Dreizehn! 

Nicht Ihr Ernst. 

Und wissen Sie, was sich geändert hat? Nicht wirklich viel. Unterm Strich bedeutet das, dass ich seit meiner Kindheit gegen Jungs antrete, die aus wohlhabenden Familien kommen und dadurch auf eine viel bessere Infrastruktur als ich zurückgreifen können: Sie haben ein besseres Auto, vor allem aber mehr Zeit zum Trainieren. Ein Tag Training in der Formel 3 kostet gut und gerne 20.000 bis 25.000 Euro, in der Formel 2 bis zu 45.000 Euro am Tag. Ein Satz Reifen? 2500 Euro. Und davon brauche ich drei, vier Sätze jeden Tag. Das Geld habe ich aber nicht. Ich will mich nicht beschweren, ich will Ihnen nur aufzeigen, dass ich nicht die gleichen Chancen wie ein Konkurrent aus einer reichen Familie habe. Medien schauen jedoch nur auf die Ergebnislisten und meckern, dass ich im Mittelfeld gelandet bin. Man sollte aber niemals vergessen: Budget beats Talent! Kein Fahrer kann schneller als sein Auto fahren. Das Auto setzt das Limit. Fürs Podium braucht es Top-Vorbereitung und Top-Material. Wie in der Formel 1. 

Wie viel Geld muss eine Familie ausgeben, um dem Kind eine Karriere im Rennsport-Zirkus zu spendieren?

Wenn ich alles reinrechne, also von der Karriere auf der Kartbahn bis in die Formel 1, dann werden es schon so 15 bis 20 Millionen Euro sein. 

Wie kommen Sie also nun in die Formel 1?

Am einfachsten wäre es, wenn mein Papi mir gleich ein ganzes Team kaufen würde. Das ist ja in der F3, F2 und F1 alles schon passiert. Nur nicht bei meinem Dad (lacht). Dennoch bin ich sehr zuversichtlich. Seit 2022 bin ich Förderpilotin des BWT Alpine F1-Teams, das ist ein Team, das Talente in die Formel 1 bringen will. Dann bin ich noch im „Rac(H)er“-Förderprogramm. Damit setzt Alpine einen Vorstandsbeschluss um, der besagt, bis 2030 eine Frau in die Formel 1 zu bringen. Diese Chance will ich nutzen, dafür gebe ich alles. 

Rennfahrerin Sophia Flörsch im Playboy-Interview: „Ich bin bereit, jeden Tag ans Limit zu gehen“

Was stimmt Sie zuversichtlich?

Für Alpine bin ich schon Langstrecken-Rennen gefahren. Sie kennen dort mein Talent und Potenzial sehr genau. Sie wissen, wie gut ich bremse, wie ich das Fahrzeug im Grenzbereich bewege und wie nahe ich den physikalischen Grenzen komme, ohne das Auto zu zerstören. Sie wissen alles über mich. Auch über meinen Trainingszustand, meine Einstellung und meinen Willen. Sie wissen also ganz genau, dass ich bereit bin, jeden Tag ans Limit zu gehen. 

Ihr Ziel?

2025 will ich in der Formel 2 sein.  

Und wann in der Formel 1?

Natürlich wünsche ich mir nichts sehnlicher als einen F1-Test. Immerhin war ich schon bei einem in Bahrain dabei, durfte Abläufe, Meetings und Briefings begleiten. 

Immerhin sind Sie schon die erste Frau, die in der Geschichte der Formel 3 punkten konnte. Dann sollte aber kein Horror-Crash wie 2018 dazukommen. Mit fast 280 Sachen kollidierten Sie mit einem Konkurrenten. Alle im Feld reduzierten vor einer Kurve das Tempo, nur Sie nicht. Sie flogen mit Full Speed rückwärts durch die Luft in ein Podest. Warum um alles in der Welt haben Sie nicht gebremst?

Das stimmt so nicht ganz. Kein Fahrer verzögerte, nur Jehan Daruvala. Und das auch nur, weil er ein gelbes Lichtsignal gesehen hatte. Später kam heraus, dass es ein falsches Signal war. Wie auch immer: Just in dem Moment, als Daruvala bremste, scherte ich gerade mit Höchstgeschwindigkeit aus, um ihn zu überholen. Dabei touchierte ich sein rechtes Hinterrad und verlor auf meiner linken Seite beide Räder. Die Folge war, dass mein Chassis unkontrollierbar auf dem Asphalt schlitterte. Das war aber nicht mein größtes Problem. 

Sondern? 

Ich hatte durch die fehlenden Reifen einfach nichts mehr, womit ich bremsen konnte. Mehr noch: Ich wurde sogar schneller anstatt langsamer. Eine Art Bordstein, ein Curb vor der Kurve, ließ mein Auto abheben. Dann flog ich durch die Luft.

Crash von Sophia Flörsch in Macau 2018
2018 ist Sophia Flörsch in Macau bei über 270 km/h mit einem anderen Fahrzeug kollidiert, von der Strecke geschleudert und schwer verletzt worden. Für ihr Comeback nach ihrem großen Crash erhielt sie 2020 den Laureus World Sports Award
Credit: Mauritius Images

Haben Sie danach ans Aufhören gedacht?

Nicht eine Sekunde. Da ich keinerlei Schuld hatte, sondern als Rookie um Platz zehn kämpfte, habe ich nie an mir gezweifelt. Ich habe noch einiges vor. 

Sie könnten nun in der F1-Academy mitmischen, einer Rennserie für Frauen. 

Mit der Frage wollen Sie mich provozieren, richtig? Denn wer diese Frage stellt, kennt sich im Motorsport nicht wirklich aus. 

Ich frage, weil mich Ihre Antwort interessiert. 

Warum sollte eine Frau wieder in die Grundschule gehen, wenn sie bereits an der Uni studiert hat? Die F1-Academy fährt mit Formel-4-Autos. Die Formel 4 ist als Beginner-Serie eingeführt worden für den Wechsel vom Kart ins Auto, also Fahrer und Fahrerinnen im Alter von 15 bis 16 Jahren. Es ist das Einstiegsfahrzeug, verglichen mit einem Formel-3-Auto sehr langsam und ohne Aerodynamik. Auch wenn ich nochmals 16 Jahre alt wäre, mein Weg wäre immer identisch wie der der Jungs. Niemals eine Gender-Serie. Es fehlt mir einfach der sportliche Wert. 

Sophia Flörsch im Playboy-Interview: „Ich will nur gegen die besten Fahrer der Welt antreten. Ob Männer oder Frauen, ist mir egal“

Was wollen Sie damit sagen?

Dass ich nur gegen die besten Fahrer der Welt antreten möchte. Ob es dann Männer oder Frauen sind, ist mir egal. 

Etwas anderer Meinung ist Formel-1-Boss Stefano Domenicali. Der Italiener sagte 2022, ein Meteorit sei wahrscheinlicher als Frauen in der Formel 1. 

Mir ist es bis heute ein Rätsel, wie ein Mann in so einer Verantwortung so etwas sagen kann. Ich würde gerne mit Herrn Domenicali darüber sprechen. Ihm meine Erfahrung schildern. Denn es kann schnell gehen. Die moderne Welt wünscht sich eine Frau in der Formel 1. Es wäre ein starkes Zeichen für die gesamte Sportwelt. 

Hat Domenicali die Macht und die Mittel, das zu beeinflussen?

Er kann in zwei, drei Jahren eine Frau ins Cockpit bringen. Oder es verhindern. Mir würde die richtige Unterstützung durch die F1 tatsächlich helfen. Mit den richtigen Partnern beweise ich es in der Formel 2 – im richtigen Team, mit der richtigen Vorbereitung – allen Kritikern. Mit dieser Meinung bin ich übrigens nicht allein. Auch Rennfahrer wie Sebastian Vettel waren mit Domenicalis Aussage alles andere als glücklich. Ich frage mich fast jeden Tag, warum wir immer und immer wieder das gleiche Thema durchkauen. Jeder Mensch auf dieser Welt will doch gleich behandelt werden. Wo ist das Problem? Letztendlich will ich nur die gleichen Chancen haben wie ein Mann. Ich will nicht bessergestellt werden, aber auch nicht schlechter. Soweit ich mich erinnern kann, ist niemals ein Formel-1-Fahrer gefragt worden, wie es ist, als Mann so einen Sport auszuüben. Warum werde ich immer gefragt?

Titelbild: James Gasperotti/ SOP Sports