Do., 07.03.2019
Interviews

„Es geht nicht nur um Sex!“ Im Interview mit einem polyamor lebenden Mann

Polyamorie, die freie Liebe zwischen mehreren Menschen, gibt es, seit der Mensch existiert. Nicht zu verwechseln mit der Promiskuität: Während Zweiteres das Öffnen der Beziehung in sexueller Hinsicht bedeutet, geht es bei Polyamorie um mehrfach geführte Lebenspartnerschaften. Warum hier nicht nur der Sex im Mittelpunkt steht, wie das mit dem Kinderwunsch ist und ob man auch mal Namen verwechseln kann, erfahren Sie im Interview.

Sie leben polyamor. Definieren Sie das für sich als Möglichkeit, mehrere Frauen gleichzeitig lieben zu können?

Mir geht es vor allem um Commitment, also Beziehungen zu führen mit dem Streben nach Langfristigkeit, nicht ums Herumvögeln. Andere wichtige Aspekte sind Ehrlichkeit und Offenheit zu den jeweiligen Partnern. Es gibt kaum den „einen“ Weg, wie man poly zu sein hat oder generell festgelegte Regeln - es gibt nur das, was zwischen den Liebespartnern passiert. Deshalb die große Bedeutung von Ehrlichkeit und offener Kommunikation. Ich verheimliche vor meinen Partnerinnen nichts.

Also geht es Ihnen gar nicht primär um Sex?

Im Gegenteil, Polyamorie stimmt sogar damit überein, asexuell zu leben. Mir geht es darum, mehr als eine Person lieben und auch mit mehreren Menschen zusammen sein zu können.

Wann haben Sie den Entschluss gefasst, mehrere Liebespartner haben zu wollen?

Ich war acht Jahre lang in einer Beziehung. Nach vier Jahren fragte ich mich zum ersten Mal, ob ich erwarten kann, dass die andere Person alle meine Bedürfnisse erfüllt, und ob ich im Gegenzug alle Bedürfnisse meiner Partnerin erfüllen kann.
Anfangs traut man sich nicht wirklich, über das Öffnen einer Beziehung nachzudenken, man wird in unseren Kulturkreisen einfach sehr starr und monogam aufgezogen. Dann hab‘ ich meiner Freundin aber doch vorgeschlagen, gemeinsam zu experimentieren. Obwohl sie meine große, völlig unantastbare Liebe war, wollte ich das Sexualleben erweitern. Anfangs ging es nicht um Polyamorie.

Wie hat Ihre Partnerin darauf reagiert?

Wir haben uns gemeinsam informiert. Nach einiger Zeit haben wir das durchgezogen und es kamen die ersten, sexuellen Erfahrungen außerhalb unserer Beziehung. Leider hat das dann nicht mehr ewig gehalten. Wenn eine Beziehung bereits entkräftet ist, kann man sie durch so etwas auch nicht mehr retten.

Und wie kam es schließlich zum polyamoren Lebensweg?

Nachdem ich mich mit mehreren Personen getroffen und mich über Polyamorie informiert hatte, erkannte ich relativ schnell, dass es mir nicht nur um Sex geht. Ich konnte mir plötzlich vorstellen, Beziehungen zu mehreren Menschen zu führen. Ich stecke sowieso bis obenhin voller Liebe. Ich fand dann heraus, dass es zahlreiche andere Menschen gibt, die mehrere Personen lieben und in Beziehungen leben, und habe für mich festgestellt, dass das die Richtung ist, in die ich wollte. Jetzt ist Polyamorie meine Lebenseinstellung!

Mittlerweile haben Sie mehrere Partnerschaften, Ihre Partnerinnen haben auch Partner …

… ja, teilweise führen auch sie noch weitere Beziehungen zu anderen Männern. Die Partner der Partner nennt man fachlich „Metamor“.

Was macht das mit der Eifersucht?

Ich hab‘ tatsächlich erst einmal in meinem Leben Eifersucht empfunden. Man muss da sehr ins Detail gehen, achtsam sein und viel darüber reden, denn es gibt auch noch Verlustängste, fehlenden Selbstwert, Besitzansprüche. Bei mir ist das so, dass ich in meinen Beziehungen vollstes Vertrauen habe und nicht davon ausgehe, dass meine Beziehung darunter leidet, wenn meine Partnerin Sex mit einem anderen hat. Im Gegenteil: Das ist der Weg von der Eifersucht zur Mitfreude.

Fällt es Menschen schwer nachzuvollziehen, wie man mehrere Personen gleichzeitig lieben kann?

Wir wachsen in einer sehr monogamen Welt auf – die Polyamorie ist eine ganz andere Philosophie. Viele Menschen fühlen sich allein dadurch, dass ich erzähle, was ich mache, direkt angegriffen – obwohl ich nie sage, dass mein Weg besser oder schöner ist als das klassische monogame Beziehungsmodell. Ich bin anfangs sogar im Freundeskreis sehr angeeckt. Das Ganze war ein riesiger Schritt für mich.

Eines vieler Vorurteile ist…

… dass viele immer noch glauben, dass es dabei um möglichst viel Sex mit wechselnden Partnerinnen geht und dass monogame Liebesbeziehungen das einzig Seriöse sind, während Sex halt „nur“ Sex ist. Mitunter führt diese fälschliche "Hypersexualisierung" dazu, dass Polyamore weniger respektiert werden.

Haben Sie denn die Vorlieben Ihrer Partnerinnen schon mal verwechselt – oder gar den Namen vertauscht?

Bisher noch nicht. Klar gibt es die eine, die lieber Morgensex hat und die andere mag das gar nicht. Darauf versucht man zu achten. Mit der Person, mit der ich gerne Morgensex habe, ist beispielsweise das Aufwachen schon ganz anders, das kann man nicht verwechseln. Achtsamkeit gehört in der Polyamorie zu den Grundwerten. Aber falls es doch mal passieren sollte, lachen wir da einfach drüber.

Und wie läuft das, wenn man einen Kinderwunsch hat?

Mit einer meiner Partnerinnen habe ich eine ganz klare Abmachung: Mit ihrem anderen Partner möchte sie Kinder bekommen, und wünscht sich diese auch, aber wir werden keines zusammen haben. Ich selbst möchte eines Tages auf jeden Fall Kinder - aber ob das jetzt meine eigenen sind, wir gemeinsam eines kriegen oder es das Kind meiner Partnerin ist, macht für mich erstmal keinen Unterschied. Ich liebe Kinder, ich kann mir vorstellen, sie großzuziehen und eine Vorbildrolle einzunehmen.

Angenommen, alle drei Partnerinnen sind gemeinsam in der Stadt. Spazieren Sie dann zu viert zum Einkauf und leben zusammen?

Das wäre für mich die Traumwelt. Aber das ist so nicht immer möglich. Es gibt da ja noch die Metamors, und es gibt das jeweils eigene Leben und den jeweils sehr vollen Terminkalender. Wir frühstücken aber gelegentlich alle zusammen, treffen uns auf Partys. Am schönsten ist es, wenn wir ein großer, sich liebender Haufen sind.

Titelbild: Playboy Germany