Mi., 09.11.2016
Interviews

"Frauen waren immer mein großer Schwachpunkt"

Er macht ständig Filme, nur um nicht über das Leben nachdenken zu müssen. Wir hinderten Woody Allen mit einem Interview an der Realitätsflucht. Und er? Beklagt sich über öde Premierenpartys, sein Versagen als Verführer, verpasste Baseball-Spiele und die Grausamkeit des Universums. Eine reale Tragikomödie

Woody Allen sieht aus, als könnte er kein Wässerchen trüben – die Gestalt schmächtig, der Blick schüchtern, die Stimme dünn. Streng genommen ist der Eindruck bei unserer Begegnung im „Carlton“-Hotel von Cannes der gleiche, den der mittlerweile 80-Jährige auch in unzähligen Filmen hinterlassen hat. Nur sind seine Leinwandauftritte in letzter Zeit rar geworden. Auch in der Tragikomödie „Café Society“ (ab 10. November im Kino) führt er ausschließlich Regie. Aber seine wahren Qualitäten sind ohnehin keine Äußerlichkeiten. Werden wir sie im Gespräch gleich erleben – seinen abgründig tiefen, philosophischen und dabei mit eleganter Leichtigkeit servierten Witz? Seine Melancholie, seinen Idealismus und die kaum überbietbare Selbstironie? Am stärksten überrascht er damit ja meist bei oberflächlich klingendem Geplänkel. Probieren wir es aus...

Playboy: Mr. Allen, wie war’s auf Ihrer Premierenparty gestern Nacht?
Allen: Die habe ich nicht besucht. Ich bin auch bei der Premiere schon nach der Pause gegangen.

Playboy: Wieso lassen Sie sich nicht feiern?
Allen: Das macht mir keinen Spaß. Du wirst dann gefilmt, und weder meine Frau noch ich mögen es, solche Aufnahmen zu sehen. Es war viel angenehmer, ganz gemütlich im kleinen Kreis etwas zu essen. Aber selbst beim Dinner bin ich nicht lange geblieben. Ich werde viel zu schnell müde. Auch an Silvester gehe ich vor Mitternacht ins Bett.

Playboy: Werden Sie auch Ihres Berufs langsam müde? Sie klingen, als wären Sie reif für den Ruhestand.
Allen: Ich könnte mir vorstellen, mit dem Filmemachen aufzuhören. Aber warum sollte ich? Dafür habe ich noch Energie, und ich bin auch gesund.

Playboy: Wobei Sie immerhin schon die 80 erreicht haben.
Allen: Ja, aber meine Eltern wurden steinalt – mein Vater 100, meine Mutter 95. Und ich brauche die Ablenkung. Wenn ich einen Film mache, dann beschäftige ich mich mit Problemen, die ich lösen kann. Da kann keine Katastrophe passieren, außer dass ich einen schlechten Film mache, und das habe ich häufig genug erlebt. Wobei ich mir meine Filme sowieso nie ansehe. Jedenfalls ist Regie zu führen besser, als zu Hause herumzusitzen und mir den Kopf darüber zu zermartern, wie schlimm das Leben ist.


Playboy: Es gibt also keine Alternative für Sie?
Allen: Ich gebe zu, es hätte seinen Reiz, einfach nur Bücher zu schreiben. Ich bin ein geborener Hypochonder und habe an

unzähligen Wehwehchen gelitten, doch gegen eine Krankheit bin ich immun: die Schreibblockade. Schreiben ist die ideale Entspannungsmethode für mich. Ich liege im Bett, lebe in meiner Fantasiewelt, erfinde Geschichten und Charaktere und bewege mich so weit weg von der Realität wie nur möglich. Kompliziert wird es nur dann, wenn ich Drehbücher verfasse, denn dann muss ich ein Jahr lang mit dem Schreiben pausieren und einen Film draus machen. Ansonsten hätte das Ganze ja keinen Sinn.

Playboy: Was würden Sie also schreiben?
Allen: Vielleicht meine Autobiografie.

Playboy: Warum die? Sie beschäftigen sich doch nicht gern mit sich selbst – noch nicht mal mit Ihren eigenen Filmen.
Allen: Ja, aber ich könnte dann gemütlich über meine Kindheit und Jugend nachdenken und alles noch mal erleben, indem ich darüber schreibe – über meine ersten Begegnungen mit dem Kino, meine Freunde oder meine eltern. Das ist ähnlich, wie wenn ich mit meiner Schwester am Telefon spreche. Manchmal beginnen wir, spontan in Erinnerungen zu schwelgen. Das würde mir viel Vergnügen bereiten.

Playboy: Sie würden sich dann aber auch mit den Tiefpunkten auseinandersetzen müssen, zum Beispiel der Trennungsschlacht mit Mia Farrow, gefolgt von Vorwürfen sexuellen missbrauchs . . .
Allen: Natürlich. Ich wäre durchaus bereit, mich mit allen Turbulenzen meines Lebens zu beschäftigen. Und all dem, was ich bereue. Aber das ist okay. Solche Konflikte sorgen eben für die nötigen Spannungsmomente und Aufreger.

Playboy: In Ihren Filmen wie jetzt in „Café Society“ frönen Sie ja auch den Reminiszenzen an frühere zeiten. Sind Sie ein Nostalgiker?
Allen: Ich versuche, das zu vermeiden, denn das ist natürlich eine Falle. Wenn dir das passiert, driftest du weg, und plötzlich merkst du, wie du dich in der Vergangenheit suhlst. Aber sollte ich mal als Regisseur in den Ruhestand gehen, dann würde ich mir diese Schwäche leisten.

Playboy: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Ihre guten Frauenerfahrungen denken? Zum Beispiel mit Diane Keaton, Ihrer Partnerin im realen Leben und in Klassikern wie „Der Stadtneurotiker“.
Allen: Dass ich als Verführer ein totaler Versager war.

Playboy: Sie hatten doch ziemlichen Erfolg beim anderen Geschlecht.
Allen: Das war immer Zufall. Manche Leute fragen mich nach meinen Rezepten, wie man bei Frauen landen kann, doch ich habe keines. Bei mir waren Fehlschläge die Regel – schon in der Schulzeit und auch danach.

Playboy: Wie haben Sie’s dann doch geschafft?
Allen: Nur dank der Großzügigkeit der Frauen. Als ich Diane Keaton kennen lernte, kam sie irgendwie zu dem Schluss: Ich mag ihn. Aber wenn es andersrum gelaufen wäre und ich jede erdenkliche Strategie ausprobiert hätte, um sie rumzukriegen und eine Beziehung mit ihr anzufangen, wäre das Scheitern programmiert gewesen. Immer war es die andere Person, die mich ins Visier

nahm und haben wollte. Frauen und die Liebe waren immer der große Schwachpunkt in meinem Leben.

Playboy: Aber Sie haben doch unzählige Filme über solche Themen gemacht. Irgendwie müssen Sie kapiert haben, wie es zwischen Männern und Frauen läuft.
Allen: Irrtum. Ich weiß absolut gar nichts darüber. Wie jeder Mensch. Keiner hat eine Ahnung, so viel die Leute auch über dieses Thema sprechen. es ist einfach unvorhersehbar und verwirrend, denn alles läuft über das Herz, nicht über das Gehirn. Wenn es um die Liebe geht, dann sind die intelligentesten Köpfe auf Erden zum größten Unfug fähig und machen sich zum Narren.

Playboy: Andererseits hat es bei Ihnen funktioniert. Sie sind seit 1997 mit der 35 Jahre jüngeren Soon Yi-Previn verheiratet.
Allen: Das funktionierte nach dem gleichen Prinzip wie das beste Mittel gegen Krebs.

Playboy: Wie bitte?
Allen: Das beste Mittel gegen Krebs ist, ihn nicht zu bekommen. Und das ist pures Glück. Genau das brauchst du auch, um die ideale Partnerin zu finden. man muss zueinander passen. man könnte es auch mit einem Radio vergleichen. Das ist ein ziemlich kompliziertes Gerät voller Drähte. Wenn da nur zwei davon falsch eingesteckt sind, gibt es keine Musik. Aber darüber hast du absolut keine Kontrolle. Ich hätte nie erwartet, dass ich bei einer so viel jüngeren Frau mein Glück finde.

Playboy: Aber Sie sind ganz offensichtlich von diesem Thema besessen. Sonst würden Sie nicht so viele Filme darüber machen.
Allen: Worüber soll ich sonst schon Geschichten erzählen? Ich finde zwar auch Verbrechen faszinierend, deshalb handeln manche meiner Filme davon – auch „Café Society“. Aber letztlich gibt es in der menschlichen Geschichte kein anderes Thema als männer und Frauen. Und die Probleme sind immer die gleichen. Lesen Sie die griechischen Tragödien, lesen Sie Shakespeare – die sozialen Konflikte ändern sich, die persönlichen nie.

Playboy: man könnte auch glauben, dass Sie solche Filme drehen, um mit möglichst attraktiven Schauspielerinnen zu arbeiten – wie Kristen Stewart und Blake Lively in „Café Society“.
Allen: Oh ja. Das sind beide große Schönheiten, ich könnte jetzt lange erzählen, was ich alles an ihnen toll finde.

Playboy: Fühlen Sie sich ernsthaft zu ihnen hingezogen?

Allen: Ich fühle mich nicht von ihnen abgestoßen, sagen wir es so. Das ist auch wichtig. Wenn du eine Schauspielerin hast, die du widerwärtig findest, dann ist das ein Problem. Das habe ich auch selbst in einigen Fällen gemerkt, wo ich den Geliebten spielen musste. Nicht dass ich jetzt hier Namen nennen möchte. Aber das alles ist sowieso weniger romantisch, als es auf der Leinwand wirkt. Schließlich sind alle Profis, die nach jeder leidenschaftlichen Szene wieder ganz normal zur Tagesordnung zurückkehren. Und davon abgesehen bin ich für diese Damen sowieso längst nicht mehr interessant. Für mich selbst gilt die Devise: Du kannst sie anschauen, aber berühren kommt nicht in Frage. Das weiß auch meine Frau, deshalb hat sie auch keinerlei Probleme damit, wenn ich mit diesen attraktiven Schauspielerinnen drehe.

Playboy: Sie haben mit europäischen und amerikanischen Sexsymbolen gearbeitet – von Penélope Cruz bis Blake Lively. Gibt’s da irgendwelche Unterschiede?
Allen: Nein, denn für tolle Frauen gibt es keine Grenzen. Die gehören der ganzen Welt.

Playboy: Inzwischen gehört auch Miley Cyrus zu Ihrem filmischen Harem, mit der Sie die Amazon-Serie „Crisis in Six Scenes“ gedreht haben. Wussten Sie eigentlich vorher, wer das war?
Allen: Ich hatte von ihr gehört. meine Kinder sahen seinerzeit die Fernsehserie „Hannah Montana“, und so schaute ich da kurz rein. Die ist natürlich ziemlich dämlich, aber mir fiel Miley darin auf. Sie war sehr lustig und konnte witzige Dialoge wirklich gut rüberbringen. Für meine Serie war sie die ideale Besetzung.

Playboy: Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie plötzlich für so ein Internet-Unternehmen arbeiteten?
Allen: Das wollte ich erst auch gar nicht. Vor zwei Jahren kamen die auf mich zu, damit ich eine Serie für sie mache, und ich habe lange abgelehnt. Aber sie ließen nicht locker, boten mir immer höhere Summen. Und irgendwann sagte ich mir: „Ich kann es mir nicht mehr leisten, das abzulehnen. Das ist zu lukrativ. Abgesehen davon ist das nur Fernsehen, das ist leicht verdientes Geld.“ Leider war das ein Denkfehler.

Playboy: Warum?
Allen: Weil es viel mehr Zeit gekostet hat als gedacht. es war wirklich schwierig. Wobei ich zugeben muss, dass ich meine künstlerischen Freiheiten genossen habe. Meine Vorgaben waren: machen Sie, was Sie wollen, wir wollen nicht mal ein Drehbuch sehen. rufen Sie uns einfach an, wenn Sie fertig sind.

Playboy: eigentlich könnte es bei Ihnen nicht besser laufen. Sie umgeben sich mit schönen Frauen, verdienen ordentlich Geld. Warum meinten Sie vorher, dass das Leben schlimm sei?
Allen: Weil das Universum ein furchtbarer Ort des Chaos ist, in dem alles ausgelöscht wird – einschließlich unserer ganzen Zivilisation. Und in unserem Leben sind wir umgeben von Tod, Armut und Zerstörung, die ständig auf uns lauern.

Playboy: Sie sagten doch, Sie neigten zur Nostalgie...

Allen: Das heißt aber nicht, dass früher alles besser war. Im Gegenteil. Da starben die Kinder an Polio, es gab keine Heilung für alle möglichen Krankheiten. Das Leben war und ist eine harte, sinnlose, brutale Angelegenheit.

Playboy: Aber doch nicht für Sie?
Allen: Ich bestreite nicht, dass es Oasen des Vergnügens gibt. Und in so einer befinde ich mich. Aber das verhält sich ungefähr so, als wären wir in einem Konzentrationslager, und wir würden eine Zigarette finden, mit der wir uns für zwei Minuten in eine ecke verkriechen und ein bisschen Freude haben. An der Gesamtsituation ändert sich dadurch nichts. Ich habe mehr Glück gehabt als andere, aber am Ende lande ich genauso auf der Müllkippe wie der Obdachlose von der Straße.

Playboy: Treibt Sie dieser Pessimismus nicht in den Wahnsinn? Sie wirken ja eigentlich ziemlich gut gelaunt.
Allen: Weil ich mich ständig ablenke. Ich arbeite, mache Musik, schaue Sport und denke so wenig über das Leben nach wie möglich. Wenn ich den Kopf trotzdem nicht davon freikriege, dann treibe ich Sport. Aus diesem Grund kann ich auch keine schlimmen Tragödien sehen, zum Beispiel Filme über Todkranke. Davon kriege ich Depressionen.

Playboy: Sind Sie nicht ein großer Fan des Dramenkönigs Ingmar bergman?
Allen: Ich mag schon Filme mit ernsthaften Themen, solange sich die Probleme, die darin auftauchen, irgendwie lösen lassen. Aber nichts Hoffnungsloses. Seit meiner Jugend schaue ich am liebsten Komödien an.

Playboy: Und deshalb haben Sie auch selbst so viele davon gemacht?
Allen: Wenn die Dinge tragisch sind, dann musst du zurückschlagen. Wenn Sie sich die Stummfilmklassiker ansehen – immer landen die Helden in einer bedrohlichen Lage, und sie reagieren darauf mit Humor.

Playboy: Tun Sie das auch im Alltag?
Allen: Ich gebe zu, da nöle ich oft herum. zum Beispiel über das Wetter oder über die Tatsache, dass ich ein Baseball-Spiel verpasse. Ich finde da sehr viele Anlässe, aber ich versuche, mich zurückzuhalten, denn ich habe kein Talent, mich stilvoll und auf unterhaltsame Weise zu beklagen. Für meine mitmenschen wäre das auf die Dauer unerträglich. Deshalb verschone ich meine Kinder auch mit meinen pessimistischen Ausbrüchen.

Playboy: Sie sprechen von Ihren beiden Adoptivtöchtern aus der Beziehung mit Soon-Yi Previn – wissen die eigentlich, welchen Kultstatus ihr Vater hat?

Allen: Nein, denn ich habe ihnen keinen von meinen Filmen gezeigt. Andere Filme schon – die großen Klassiker wie „Der Schatz der Sierra madre“ oder etwas von Hitchcock, das war Teil ihrer Erziehung. Doch ich wollte, dass sie so unbehelligt wie möglich vom Showbusiness aufwachsen. Sie schauen vielleicht bei Dreharbeiten vorbei und plaudern mit den Schauspielern. Aber ansonsten haben sie ihr normales Leben, sind nie über den roten Teppich gelaufen, und meine Frau hat mit der Branche auch nichts zu tun. Ich bin die meiste Zeit zu Hause und schreibe. Mit der Filmerei bin ich nur wenige Monate im Jahr beschäftigt. Im Zweifelsfall muss ich mich sowieso um die Probleme meiner Kinder kümmern – die sind das wahre Leben.

Playboy: Warum haben Sie in diesem Leben eigentlich nie aufgegeben? Wo doch eigentlich alles sinnlos ist.
Allen: Weil ich wie jeder Mensch zum Überleben programmiert bin.

Playboy: Sie haben also auch nie an Selbstmord gedacht?
Allen: Nicht ernsthaft. Natürlich ist der Gedanke mal aufgetaucht – wie bei jedem. Doch er verbietet sich schon von selbst, wenn du Kinder hast. Und nehmen Sie mal eine Person, die einen schlechten Job hat und die gerade ihren Partner verloren hat, und fragen Sie sie: Wollen Sie sich nicht umbringen? Sie wird es trotzdem nicht tun, weil sie den Impuls zum Leben hat. Jeder sucht nach Vergnügen, nach der Erfahrung von Schönheit.

Playboy: Sie auch?
Allen: Natürlich. Ich habe immer etwas zu erreichen versucht, ob beruflich oder in romantischen beziehungen. Denn ich habe Ziele und Träume. Die brauchst du.

Playboy: Selbst wenn sich diese Träume oft nicht erfüllen – wie wir auch in Ihrem neuen Film sehen?
Allen: Egal. Was kann schon Schlimmes passieren? Ein Film floppt. Eine Frau weist dich ab. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, aber das bringt dich nicht um. Du musst immer weitermachen und bereit sein zu versagen, solange du davon nicht stirbst. Darum geht es im Leben. Gib deine Träume nicht auf.

Titelbild: Getty Images