Mi., 29.03.2017
Reportagen

Zu Besuch bei Trapper Sepp Herrmann

Vor 150 Jahren verkaufte Russland Alaska an die USA. Eis, Einsamkeit, hungrige Bären: Alaska ist auch heute noch kein Land für Doku-Soap-Auswanderer. Sondern für echte Abenteurer. Sepp Herrmann lebt seit Jahrzehnten als Trapper in der Wildnis nördlich des Polarkreises. Unterwegs mit einem Mann, der die Freiheit suchte, dem Tod begegnete - und seine Bestimmung fand

Es riecht bestialisch, wenn dein großer Zeh abstirbt. Süßlich und faulig. Es sieht auch unschön aus. Das Fleisch wird schwarz und blau, während sich der Wundbrand in Richtung Fußballen durchfrisst. Und wenn du das Verrotten deines Fußes in einer eingeschneiten Blockhütte weit im Norden Alaskas mitansiehst, abgeschnitten vom Rest der Welt, ohne Satellitentelefon und ohne die Kraft für den 90-Kilometer-Fußmarsch zur nächsten Straße, dann sieht die Lage sogar richtig beschissen aus. Klar ist: Der Zeh muss weg, sonst droht eine Blutvergiftung. Die Frage ist nur: Wie kriegst du ihn weg? Sepp Herrmann sah zwei Möglichkeiten. Lösung eins: Ich schieße ihn ab. Lösung zwei: Ich baue eine Mini-Guillotine und amputiere ihn.

Erfroren hatte er sich den Zeh im November auf dem Weg zu seiner Holzhütte in der Brooks Range, einer Gebirgskette, 200 Kilometer nördlich des Polarkreises. Nun war es Februar. Herrmann, im Schwarzwald aufgewachsen und dann für immer abgehauen, ein Abenteurer alter Schule, einer der letzten großen Verrückten dieser Welt, machte sich Sorgen. Draußen hatte es unter -40 Grad Celsius, er hatte seit Wochen kaum Tageslicht gesehen - die Sonne geht dort oben im Winter fast gar nicht mehr auf - und seit Monaten kein Flugzeug. Wann würden sie anfangen nach ihm zu suchen? Würde er gleich seinen ersten Winter in der Wildnis mit dem Leben bezahlen? Und dann war da plötzlich dieses Knattern, und er konnte das Propellerflugzeug sehen. Er warf sich in den Schnee, spreizte Arme und Beine - der Busch-Code für "Hilfe" - und starrte in den Himmel.

Der Pilot war zufällig vorbeigekommen. Er brachte Herrmann in das drei Flugstunden entfernte Fairbanks, die einzige Stadt im Inneren Alaskas. Der Zeh musste amputiert werden. Aber Herrmann überlebte. Es war einer dieser typischen Vorfälle, die einem das Leben in der Wildnis schwermachen. Wenn auch einer der harmloseren. Sepp Herrmanns zweites Leben hatte ja gerade erst begonnen.

Gut drei Jahrzehnte später sitzt Herrmann, 57, auf der Treppe vor einer wohnwagengroßen Holzhütte und trinkt einen Schluck Rotwein aus einem alten Marmeladenglas. Er trägt Adiletten, seine neuneinhalb Zehen glänzen in der Sonne. Das Dutzend Moskitos um seinen Kopf herum ignoriert er. Die Hütte auf einer Lichtung in einem Wald aus Birken und Fichten ist sein Zuhause für den Sommer. Um hierher zu gelangen, muss man von Fairbanks aus etwa 20 Kilometer mit dem Auto fahren, dann etwa zehn Minuten auf einem schlammigen Pfad durch den Wald laufen und sich vor der Hütte an drei angeketteten Hunden vorbeitrauen.

Es gibt hier kein fließendes Wasser, keinen Strom, keine Nachbarn. Aber ein Plumpsklo, eine aus Holzplanken gezimmerte Sauna als Badezimmerersatz und hin und wieder Besuch von einem Elch. In der Ferne hämmert ein Specht in einen Baum. Auf einer Wäscheleine hängt ein weißes T-Shirt mit ausgewaschenen Blutflecken - Herrmann hat vor ein paar Tagen geschlachtet. Man könnte hier beides drehen: einen Heimat- oder einen Horrorfilm. Idylle oder Albtraum, alles eine Frage der Einstellung. Herrmann steht auf, schlappt hinter seine Hütte und holt aus einer Plastik-Kühltruhe gefrorene Heidelbeeren. Die gibt es gleich zum Karibu-Steak, das bereits in einer gusseisernen Pfanne auf dem Gasherd in der Hütte brutzelt. Dann macht er sich an die Lachsbrote, garniert jedes einzelne mit Kapern. Ganz behutsam, fast mütterlich. Schließlich fragt er: "Soll ich eine Gurke in den Salat schneiden?"

Ist das wirklich der Kerl, wegen dem ich hier bin? Ist dieser freundliche Mann mit den femininen Gesichtszügen, den langen Haaren und dem von den Rückenschmerzen verzogenen Oberkörper der Kerl, von dem sie sich in seiner badischen Heimat wahre Heldengeschichten erzählen? Von Ringkämpfen mit Bären und brutalen Hundeschlitten-Rennen? Ich bin 10.000 Kilometer geflogen, um einen Mann zu treffen, der den ewigen Männertraum vom freien Leben in der Wildnis wahrgemacht hat. Ich will wissen, wie er lebt, denkt, fühlt. Aber jetzt erlebe ich erst einmal, wie er kocht.

Josef Anton Herrmann war schon immer ein bisschen anders. Als Sohn eines Metzgers in einem Dorf im Schwarzwald geboren, schwänzte er schon als kleiner Junge den Kindergarten, um im Wald Ringelnattern zu fangen. Später, Anfang der 70er-Jahre, wurde er zum einzigen Hippie im Dorf und entfloh Kirmes, Kirchweih und Kirschtorten-Sonntagen, indem er durch Europa trampte. Die Lehre als Industriemechaniker schloss er auf Druck der Eltern noch ab. Danach schwor er sich, nie wieder einen Fuß in eine Fabrik zu setzen. Er fand es dort menschenunwürdig.

Jobben und Trampen - das war nun sein Leben. Skandinavien, Nordafrika, die USA. 1978 verschlug es ihn zum ersten Mal nach Alaska. Weit oben im Norden unternahm er allein eine Wanderung durch die Brooks Range. Elf Tage lang sah er keine menschliche Spur, danach schrieb er in sein Tagebuch: "Die letzten Tage bedeuteten mehr für mich als der Rest meines Lebens zuvor." Er war angekommen. Er hatte gefunden, wonach er immer gesucht hatte.

Regelmäßig kehrte er nun in sein Tal in der Brooks Range zurück. 1982 zimmerte er sich seine erste Holzhütte und begann, die Winter dort oben mit Jagen und Fallenstellen zu verbringen. Das macht er bis heute so.

Jetzt sitzen wir vor seinem Sommer-Domizil bei Fairbanks und kauen Karibu - festes, leicht faseriges, nahezu fettfreies Fleisch, natürlich selbst geschossen und neben selbst geangeltem Lachs Herrmanns Hauptnahrung. Dazu baut er Gemüse an auf dem Gelände, das er vor Jahren günstig gekauft hat, und sammelt Morcheln und Beeren, die er auf dem Markt verkauft. So verdient er genug, um die 2000 bis 3000 Dollar zu sparen, die er für Benzin, Hundefutter und Proviant braucht, wenn er im Dezember zur Brooks Range aufbricht. Er lebt im Winter dort oben wie im Mittelalter.

Zweimal in der Woche fährt er mit dem Hundeschlitten seine Fallenstellerlinie ab. Wenn ihm ein Wolf, Luchs oder Faultier in die Falle gegangen ist, zieht er ihm das Fell ab, um es später zu gerben und zu verkaufen. Und sonst? Kochen, Lesen, Schlafen. Es hat im Winter bis zu -60 Grad dort oben, es ist nur wenige Stunden am Tag hell, die nächste Straße liegt 90 Kilometer entfernt, und es gibt im Umkreis von 200 Kilometern keinen Menschen, mit dem man kommunizieren könnte. Herrmann kann sich nichts Schöneres vorstellen.

Unser gemeinsamer Trip in die Wildnis beginnt am nächsten Morgen in einem Labyrinth namens "Ed Fox", einem Supermarkt in Fairbanks, der die Größe eines Flugzeug-Hangars hat. Die Schultern hochgezogen, den Kopf geduckt, huscht Herrmann durch die Gänge und wirft hektisch Proviant in den Einkaufswagen. Er sieht niemanden an, er spricht mit niemandem, er nimmt die Kasse, bei der man die Produkte selbst scannt. Nach zehn Minuten ist alles vorbei. Und als wir wieder im Auto sitzen und Fairbanks verlassen - eine 30.000-Einwohner-Stadt, die nur aus Industriebaracken, Mietskasernen und Tankstellen zu bestehen scheint -, wirkt Hermann erleichtert.

Die Alaska-Range ist eine riesige Gebirgskette südlich von Fairbanks, zu der auch der Mount McKinley, der mit 6194 Metern höchste Berg Nordamerikas, gehört. Schneebedeckte Gipfel, blauer Himmel, weites, wildes Alaska. Nach etwa drei Stunden Fahrt lassen wir den Wald hinter uns, und je höher wir kommen, desto stärker dominieren Sträucher, Geröll und Schneefelder die Landschaft. Herrmann blickt aus dem Autofenster. "Das hier", sagt er, "ist Grizzly-Gebiet. In dieser Landschaft jagen sie am liebsten." Ein paar Kilometer weiter werden wir heute Nacht campieren.

Es ist so eine Sache mit den Bären in Alaska. Natürlich will man einen sehen, wenn man hier ist. Das Tier ist ja der Inbegriff der unbezähmbaren Natur der "Last Frontier", der Grenze des besiedelten Landes. Aber man will dem Bären begegnen, wenn man darauf vorbereitet ist. Mit einem Gewehr in der Hand. Und mit 20 Meter Abstand. Oder besser 30. Was man auf keinen Fall will: nachts von einem Grizzly aus dem Zelt geschleift werden, wie es einem Camper in der Nähe von Fairbanks vor anderthalb Jahren passiert ist. Statistisch gesehen, wird nur alle zwei Jahre ein Mensch in Alaska von einem Bären getötet. Das klingt nach wenig, wenn man zu Hause auf dem Sofa hockt. Aber es klingt nach verdammt viel, wenn man vor einem Zelt an einem Fluss im spärlich besiedelten Alaska sitzt und plötzlich vom anderen Ufer ein lautes Brummen hört.

"Was war das?", frage ich Herrmann, der gerade am Lagerfeuer drei Päckchen Asia-Nudeln und zwei Hand voll Karibufleisch in einen großen Topf rührt.

"Was?"

"Dieses 'Grrrr'. Solche Geräusche machen Bären nicht, oder?"

Herrmann nimmt sein Fernglas und scannt langsam das Gelände ab. "Ich sehe nur eine Elchkuh. Aber wenn die so ein Geräusch macht, dann fühlt sie sich bedroht. Kann schon sein, dass ein Grizzly in der Nähe ist."

"Nur mal theoretisch: Könnte so ein Grizzly heute Nacht durch den Fluss zu uns rüberschwimmen?"

Herrmann lacht laut. "Bären schwimmen über den Yukon, und der ist teilweise drei bis vier Kilometer breit." Dann rührt er wieder in der Suppe. Ich sehe ihm eine Weile zu.

"Kann es sein, dass du vor einem Verkäufer im Supermarkt mehr Angst hast als vor einem Bären im Busch?", frage ich.

Herrmann grinst. "Kommt darauf an, wie nah der Bär an mir dran ist."

Der Bär war schon verdammt nah an ihm dran. 1998 trainierte er in der Nähe der Brooks Range mit einem Hundeschlitten-Team für den "Yukon Quest", eines der härtesten Hundeschlitten-Rennen der Welt. Herrmann rechnete sich gute Chancen auf einen der vorderen Plätze aus. Seine Hunde waren durchtrainiert und gehorchten aufs Wort. Immer. Bis zu jenem Nachmittag im November.

An einer Anhöhe, sechs Kilometer vom nächsten Ort entfernt, blieben seine Hunde wie aus dem Nichts stehen. Er gab ihnen das Signal weiterzulaufen. Aber sie rührten sich nicht. Stattdessen blickten sie zu einer Hügelkuppe hinauf, wo sich eine dunkle Silhouette vor dem Himmel abzeichnete. Das kann kein Bär sein, dachte Herrmann, die halten jetzt Winterschlaf. Doch es war einer. Ein hungriger Grizzly, der sich zu wenig Fett angefressen hatte, um den Winterschlaf zu überleben.

Das Tier galoppierte den Berg herab, blieb kurz vor den bellenden, in ihrem Geschirr gefangenen Hunden stehen und begann, einen nach dem anderen zu töten. Leicht und spielerisch wie eine Katze, die mit der Pfote Mäuse zerfetzt. Zwei Schläge, ein Biss in den Nacken, dann ein heftiges Schütteln, bis das Genick bricht. So töten Bären. Auch Menschen.

Herrmann stand am Ende des Hundeschlittens und sah wie gelähmt zu. Dann tat er etwas sehr Dummes: Er beschloss, seine Hunde zu retten. Er nahm die einzige Waffe, die er dabeihatte, einen Eisenhaken, der als Anker für den Hundeschlitten dient, und ging auf den Bären zu. Der drehte sich plötzlich zu ihm und griff an, wie zwei Ringkämpfer standen sie sich gegenüber, Herrmann konnte den fauligen Atem des Bären riechen, während der ihn durch den Schnee Meter für Meter nach hinten schob. Plötzlich biss ein Hund den Grizzly in den Rücken, Herrmann riss sich los und rannte um sein Leben. In den Wald, dann zu einer Straße, nach einer halben Stunde kam das erste Auto und nahm ihn mit in den nächsten Ort. Noch am Abend kehrte er mit drei Mann zurück. Der Bär hatte die zerfetzten Hunde auf einen Haufen geschichtet und fraß. Über ihm leuchtete hell der Mond. Ein paar Schüsse. Dann war der Albtraum vorbei.

"Ich hatte nach diesem Erlebnis eine Art Trauma", sagt Herrmann. Er bekam Panikattacken, die Ärzte verschrieben ihm Medikamente gegen die Angst. Einige Sommer lang hatte Herrmann damals bereits Touristen durch die Wildnis geführt. Er musste damit aufhören. Es ging nicht mehr. "Wir waren die ganze Zeit in Grizzly-Gebiet unterwegs. Überall Bärenspuren. Ich konnte nachts kaum schlafen, weil ich ja die Verantwortung hatte für diese Leute. Und tagsüber musste ich Zuversicht ausstrahlen: Keine Angst, da kommt kein Bär, da passiert nichts!" Das Problem war, dass er nun wusste: Manchmal passiert eben doch etwas.

Der nächste Morgen auf unserem Trip beginnt mit einem Haufen Scheiße. Er liegt etwa 100 Meter von unserem Zeltplatz entfernt. "Bärenkot", sagt Herrmann und stochert mit einem Stock darin herum. "Ist aber schon ein paar Monate alt." Also: Gefahr gebannt. Herrmann drängt zum Aufbruch. Er möchte mir heute die Stelle zeigen, an der er, wenn man so will, sein Bären-Trauma besiegt hat: den Castner Creek, ein weites Gletschertal, durch das in einem reißenden Fluss Schmelzwasser rauscht. Rucksack und Gewehr auf dem Rücken, schreitet er aufrecht und scheinbar mühelos durch die Landschaft. Hinter ihm kämpfe ich mich durch, versinke im Schnee, rutsche auf dem Geröll aus, zerkratze mir Hände und Gesicht, während ich durch mannshohes Gestrüpp steige, und hole mir nasse Füße, weil überall tiefe, schlammige, eiskalte Pfützen lauern.

Ich bekomme eine Idee davon, was es heißt, oben in der Brooks Range 90 Kilometer durch die Wildnis zu laufen, und davon, wie Herrmann diese Landschaft wahrnimmt: Ihm fallen unzählige Details auf - Pfotenabdrücke, Kot, Bissspuren -, und er interpretiert jedes einzelne. An einem abgebissenen Ast erkennt er, welches Tier hier wann gefressen hat, wie hoch hier im vergangenen Winter der Schnee lag (Höhe der Bissspur) und wie hoch die Population einzelner Tierarten in der Gegend ist (Menge der Bissspuren). So entsteht in seinem Kopf eine Analyse des Gebiets, eine Art Rohstoffkarte, die mit jeder Beobachtung detaillierter wird.

Nach etwa einer Stunde sind wir am Ziel: ein Wäldchen aus mannshohem Dickicht am Fuß eines Berges. Hier traf Herrmann zum ersten Mal nach der Grizzly-Attacke wieder auf einen Bären. Er war mit einem Freund auf Elchjagd gewesen, erfolglos, tagelang. Als der Freund schon wieder in die Stadt zurückgekehrt war, jagte Herrmann allein weiter und traf in diesem Dickicht plötzlich auf das Tier. Es stürzte auf ihn zu - er hatte es beim Fressen gestört -, aber dieses Mal hatte Herrmann ein Gewehr dabei. Als er später seinen Freund anrief, sagte der: "Das hast du gebraucht. Du hast nach dem Bären gesucht." "Er hatte Recht", sagt Herrmann.

Als wir abends am Lagerfeuer sitzen, reden wir kaum. Der Einsiedler scheint der ständigen Begleitung langsam überdrüssig zu werden. Der gesellige Koch und Geschichtenerzähler der Anfangstage ist immer knurriger geworden. "Du bist am liebsten allein, oder?" frage ich.

"Ja, schon immer. Für Kontakt zu Menschen brauche ich unheimlich viel Energie. Das ist so anstrengend."

"Hast du eine Erklärung, warum?

"Hm, wenn ich allein in der Wildnis unterwegs bin, weiß ich danach noch genau, an welcher Stelle ein Fuchs über meinen Pfad gelaufen ist und wo die Wolfsspuren waren. Aber wenn ich mit Leuten zusammen bin, verliere ich wahnsinnig schnell den Überblick. Ich habe gern alles unter Kontrolle. Und wenn du dein Leben auf das Wesentliche reduzierst, wird es übersichtlicher."

Bald wird er sein Leben noch stärker reduzieren müssen. Die Winter in der Brooks Range werden immer härter. Die Rückenschmerzen auch. Ein paar Zähne wackeln. Und weil er immer öfter Stiche im Bauch spürt, hat er neulich seinen Arzt gefragt, ob man sich den Blinddarm notfalls selbst rausoperieren könne. "Das schaffst nicht mal du", war die Antwort. "Irgendwann wird es zu gefährlich, dort hochzugehen", sagt Herrmann, "aber so lange ich es noch irgendwie schaffe, will ich es machen."

Sein Grundstück bei Fairbanks möchte er eines Tages seinem 19-jährigen Sohn vererben, den er aus einer Beziehung mit einer Amerikanerin hat. Er selbst will irgendwann wieder weg aus Fairbanks. Es ist ihm zu urban. Er überlegt, in einen kleinen Ort am Rande der Brooks Range zu ziehen, sich dort eine neue Hütte zu bauen. Ein Arzt sollte in der Nähe sein, aber der nächste Nachbar nicht zu nah. Sein Rentenplan: Gartenarbeit, Fallenstellen, Jagen. Der Mann ist seit 40 Jahren Selbstversorger. Er wird es bleiben.

"Kannst du dir vorstellen, im Notfall nach Deutschland zurückzugehen?", frage ich am Lagerfeuer.

Er denkt kurz nach. "Nein. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt."

Am nächsten Morgen liegt Schnee. Herrmanns Zelt ist leer. Am Zelteingang liegt sein Rucksack und daneben sein Revolver. Er hatte ihn die ganze Nacht bei sich, er weiß ja, dass immer irgendetwas passieren kann. Durch den Schnee führen Fußspuren in Richtung der Berge. Winzig klein sehe ich Herrmann in der Ferne gehen. Vier Tage ununterbrochen mit mir, das war für ihn offenbar zu viel. Er musste jetzt einfach mal weg. Raus. Allein sein in der Wildnis Alaskas.

Titelbild: Florian Wagner und Sepp Herrmann