Di., 06.02.2018
Sport

"Einfach rausgehen, loslaufen und funktionieren, das ist das Schönste am Laufen"

Ronald Reng ist einer der besten deutschen Fußball-Autoren. Jetzt hat er ein Buch über das Laufen geschrieben. Im Interview erzählt er, warum er als fast 50-Jähriger die Turnschuhe wieder auspackte, wie man sein eigenes Laufgefühl findet und mit welchen Tricks man schwierige Phasen überwindet.

Playboy: Herr Reng, Sie sind als Jugendlicher viel gelaufen und haben dann aufgehört. Für Ihr neues Buch haben Sie versucht, als knapp 50-Jähriger damit wieder anzufangen. Hat das funktioniert?

Reng: Ja, das hat sehr gut funktioniert. Auf der Suche nach der Schönheit des Laufens bin ich auf einen Doktor Holzinger gestoßen. Der war 800-Meter Jugendmeister. Und der hat es geschafft, mir zu verklickern, dass man nicht die ganze Zeit schnell laufen muss. Da habe ich meinen ganzen Stolz überwunden und habe angefangen, die Dauerläufe langsam zu laufen. Ich bin echt gekrochen, schrecklich, habe immer gehofft, dass mich keiner sieht. Aber seitdem bin ich tatsächlich wieder in ordentlicher Form.

Laufen Sie jetzt anders, als noch mit 17 oder 18?

Jede vierstündige Zugfahrt, nach der ich trotzdem laufen gehe, äußert sich in Achillessehnenschmerzen. Ich muss mehr denn je eine Art Trainingssteuerung betreiben. Schaffe ich es heute zu laufen, oder bin ich zu müde, weil ich fünf Stunden lang im Zug saß, oder weil ich nur sieben statt acht Stunden geschlafen habe, oder mich über die letzten Tage schlecht ernährt oder getrunken habe? Auf solche Punkte muss man jetzt bei der Trainingssteuerung achten.

Credit: Peter von Felbert

Das heißt, dass man das Laufen immer aufwendiger planen muss?

Leider ja. Zwischendrin hatte ich immer wieder die Illusion, ich könnte einfach rausgehen und laufen. Einfach rauszugehen, los zu laufen und zu funktionieren, das ist ja das eigentlich Schönste am Laufen. Aber das geht tatsächlich nicht mehr.

Man kennt Sie vor allem als Autor großartiger Fußballbücher, wie beispielsweise der Robert-Enke-Biographie „Ein allzu kurzes Leben“. Wieso haben Sie ein Buch übers Laufen geschrieben?

Ich hatte das Gefühl, dass es wirklich kein erzählerisches Laufbuch gibt, das es schafft, die Faszination des Laufens einzufangen. Es laufen mehr Leute denn je, vermutlich ist das der meistbetriebene Sport der Welt. Aber es gibt trotzdem nur Ratgeber, die, was das Lesen angeht, ja einen begrenzten Spaßfaktor haben. Deshalb war meine größenwahnsinnige Idee, das ultimative Laufbuch zu schreiben. Ein Buch, das den Leuten die Faszination des Laufens näherbringt. Nebenbei sollten die Leser aber auch einen Mehrwert haben, etwas erfahren über Trainingslehre, über Verletzungen und Strategien.

Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben?

Ich habe die Hoffnung, dass dieses Buch allen etwas gibt, die gerne anfangen würden zu laufen, aber es dann doch nicht schaffen, weil es kalt ist oder man einfach doch lieber auf dem Sofa sitzen bleibt und noch ein Stück Kuchen isst. Aber genauso hoffe ich, dass ein 25-jähriger Marathonläufer, der neun mal die Woche trainiert, das Buch mit Genuss ließt und den ein oder anderen Anstoß findet, oder sich sogar selber darin wiedererkennt.

Sie sind im Zuge ihrer Recherche zum Lauf-Experten geworden. Kann man denn überhaupt falsch laufen? Ist das etwas, das man lernen muss?

Man kann sich beim Laufen sehr schnell überlasten. Was man lernen muss, ist ein eigenes Laufgefühl zu entwickeln. Dazu gehört, langsam anzufangen, nicht nur vom Tempo, sondern auch, was die Kilometer angeht. In den Zeitungen und in zahlreichen Laufmagazinen lesen wir von Leuten, die, so scheint uns das, einfach nebenbei mal einen Ultramarathon laufen. Und so ist in der Gesellschaft das Gefühl entstanden, dass das jeder kann. Das kann aber nicht jeder und vor allem nicht sehr schnell.

Ab welchen Punkt wird Laufen ungesund?

Das ist ganz individuell. Deswegen sind diese Ratgeber auch mit Vorsicht zu genießen. Weil die versuchen, uns Läufer zu pauschalisieren. Es gibt aber 21-jährige, für die es wahnsinnig anstrengend ist, dreimal die Woche vier Kilometer zu laufen. Und die müssen viel langsamer anfangen als andere, die eine natürliche Begabung haben. Das habe ich auch versucht rüberzubringen. Diese Pauschalisierung ist die größte Gefahr.

Credit: Piper

Eines der Kapitel in Ihrem Buch heißt „Der Flow“. Was hat es mit dem Flow auf sich?

Das ist der Moment, wenn in der schwersten Anstrengung alles leicht erscheint. Es gibt wenige andere Erlebnisse im Leben, bei denen man das tatsächlich spüren kann. Dieses Gefühl des absoluten Glücklich-Seins. Man hat dann das Gefühl, tatsächlich zu schweben und das Gefühl man sei grenzenlos stark, einem falle alles leicht. Dieser Zustand ist aber leider auch sehr schnell wieder weg und sehr plötzlich vorbei.

Das klingt fast rauschhaft. Kann Laufen zur Sucht werden?

Zur Gewohnheit, würde ich sagen. Und von allen Gewohnheiten kommt man schwer weg. Mir geht das auch so. Man denkt viel daran, dass man es heute noch schaffen muss, laufen zu gehen. Aber das ist sicher immer noch besser, als viel daran zu denken, dass man heute noch eine Zigarette rauchen muss.

Wie kann man sich, wenn man anfängt zu laufen, dazu bringen, damit auch weiterzumachen?

Man muss den kritischen Punkt überwinden. Fängt man alle zwei Wochen neu an, ist es eigentlich logisch, dass es einem jedes mal wieder schwer fällt und man danach so erschöpft ist, dass man eigentlich nicht wieder loslaufen will. Das Wichtigste ist deswegen, sich bei diesen Einzelläufen nicht zu überfordern. Was da Sinn macht, ist Laufen und gehen abzuwechseln – für einen Läufer natürlich das Schlimmste. Aber da muss man durch. Dann wechselt man eben ab und nimmt am Anfang nur fünf Kilometer und hofft, dass der Nachbar einen nicht sieht, wenn man vorbeischleicht.

Sie schreiben einerseits von dem Spaß, gemeinsam zu laufen, andererseits davon, wie sich Läufer taxieren, wie wir uns schämen, wenn wir langsam sind und extra beschleunigen, wenn uns jemand sieht.

Ich glaube, dass in den meisten von uns ein gewisser Ehrgeiz steckt, der beim Laufen sehr schnell rauskommt. Beim Laufen können wir uns messen. Seien es die Kilometer oder die Zeit und dazu kommen jetzt auch diese ganzen blöden modernen Hilfsapps, Runtastic und so.

Davon sind Sie kein Fan?

Ich habe das einmal ausprobiert und es war schrecklich. Die ganze Zeit hatte ich diese blöde Runtastic-Frau im Kopf, die mir sagte, wie langsam mein letzter Kilometer war. Mit der laufe ich nie wieder, habe ich gedacht. Und natürlich bin ich zwei Tage danach erst recht mit dem Ding laufen gegangen, um dann zu gucken, ob ich nicht doch wieder ein bisschen schneller geworden bin. Sich diesem eigenen Ehrgeiz zu entziehen, ist vielleicht gerade für uns Männer sehr schwer.

Haben Sie es geschafft, sich davon frei zu machen?

In der Theorie habe ich das alles sowieso nicht nötig, denn ich habe ja mein tolles Laufgefühl, auf das ich mich verlasse. Aber natürlich kenne ich diese Sucht, alles tabellarisch festhalten zu wollen. Schon früher, als richtiger Läufer, habe ich so ein Buch geführt, in dem ich jeden Tag notiert habe, wie viel ich gelaufen bin. Dafür dient Runastic natürlich auch. Da stehen diese Zahlen dann auch so schön elektronisch-elegant vor einem und man verbringt mehr Zeit damit sie anzuschauen, als zu laufen.

Was ist das Wichtigste, das Sie während Ihrer Arbeit an Ihrem Buch gelernt haben?

Dass es ein Recht auf Langsamkeit gibt. Dass es sogar gut für einen ist, die Ausdauerläufe langsam zu laufen. Dass man so besonders gut die eigene Ausdauer steigert. Aber auch, dass man das schnell wieder vergisst. Vor allem, wenn man einen anderen Läufer sieht. Der darf nicht sehen, wie langsam ich bin. Dann beschleunige ich doch wieder, mein Rücken wird gerader und meine Arme pseudomäßig lockerer. Ich will ja nicht überholt werden.

Titelbild: iStock