"Zweifel hatte ich eigentlich nie"

Credit: Mercedes

Seit über zwölf Jahren prägt er den Look von Mercedes. Hier erklärt uns Chefdesigner GORDEN WAGENER die neue S-KLASSE, das Flaggschiff der Marke, ihren Sex-Appeal und seinen Bauhaus-Stil

Wer könnte uns den jüngsten Spross der automobilen Evolution besser nahebringen als sein Schöpfer? Erst müssen wir Monate warten, bis Gorden Wagener von seiner Familie in den USA zurückkehrt an seine deutsche Wirkungsstätte. Corona durchkreuzt seine Reisepläne. Dann wird unsere Geduld belohnt: Der 52-Jährige empfängt uns im Mercedes-Design-Zentrum in Sindelfingen.

Credit: Mercedes

Herr Wagener, was macht Ihrer Meinung nach ein Auto sexy?

Das ist wie auch bei den Bildern im Playboy eine Frage der Ästhetik und hängt stark mit dem menschlichen Schönheitsideal zusammen. Lange Beine zum Beispiel sorgen bei Menschen optisch für gute Proportionen, und gute Proportionen sind auch bei einem Auto das Wichtigste. Man muss darauf achten, dass alles an der richtigen Stelle sitzt. Ich sehe mich da auch als Ästhet im Sinne des menschlichen Schönheitsideals. Deswegen gebe ich auch gerne dem Playboy ein Interview.

Bei Mercedes spricht man in Zusammenhang mit der S-Klasse immer vom „besten Auto der Welt“. Wie schwer war es, das beste Auto der Welt noch besser zu machen?

Ich habe damit schon etwas Erfahrung, immerhin ist das meine dritte S-Klasse (lacht). Aber so eine große Limousine ist schon eine besonders herausfordernde Aufgabe für einen Designer. Ein flacher Sportwagen wie der GT ist definitiv leichter zu designen.

Macht es Ihnen also mehr Spaß, einen Sportwagen zu entwerfen?

Das Schöne bei Mercedes ist die Vielfalt. Und jedes Auto hat natürlich einen anderen ganz eigenen Charakter. Mercedes ist wie ein Schachbrett, da gibt es verschiedene Figuren: Die S-Klasse ist selbstverständlich der König, die Inkarnation der Marke, aber man braucht eben auch eine Dame, einen Springer oder einen Turm.

Was genau zeichnet den neuen König aus?

Das ist bestimmt die progressivste S-Klasse, die wir je gemacht haben. Sie ist ein gutes Stück sportlicher, effizienter und viel digitaler als der Vorgänger. Obwohl sie höher liegt, wirkt sie für den Betrachter trotzdem flacher und gestreckter. Die Front dagegen ist viel tiefer, die Scheinwerfer sind kleiner, der Grill ist etwas tiefer gezogen – aber alles ohne dieses plakative Draufnageln von Chrom, wie man es bei anderen Fahrzeugen kennt. Generell ist die S-Klasse immer ein Spiegelbild der Dekade, insofern ist die aktu- elle die der neuen 20er-Jahre, des digitalen Zeitalters und des intelligenten Fahrens.

Welches Detail gefällt Ihnen persönlich am besten?

Auf die Frage antworte ich immer: das Ganze natürlich (lacht). Das ist eine Gesamtkomposition aus Exterieur, Interieur und vielen anderen Komponenten.

Steigen Sie lieber links vorne oder rechts hinten ein?

Ich hasse es normalerweise, hinten zu sitzen. Ich bin jemand, der lieber selbst fährt, auch gerne etwas sportlicher, vorzugsweise in einem AMG. Aber in der S-Klasse finde ich es schön, chauffiert zu werden, man kann da wirklich entspannen, man macht die Tür zu und fühlt sich sofort zu Hause. Insofern lautet die Antwort: normalerweise links vorne, in der S-Klasse aber lieber rechts hinten.

Sie waren mit 39 der jüngste Chefdesigner einer großen deutschen Automarke. Hatten Sie nicht auch mal Angst, etwas falsch zu machen?

Sobald du Angst hast, bist du gelähmt. Du musst in dieser Position jede Aufgabe positiv angehen. Das ist wie beim Sport, die mentale Einstellung ist essenziell. Wenn ich als Trainer eines Fußballteams in der Kabine sage: „Jetzt seid vorsichtig und blamiert euch nicht“, dann kann das nichts werden. Man muss der Mannschaft sagen: „Jetzt geht da raus und blast die anderen weg.“ Dieses mentale Spiel hat man auch im Design. Man muss von sich selbst und dem, was man tut, überzeugt sein. Und man muss es in einer großen Konzernstruktur wie bei Mercedes auch gegen viele andere Meinungen verteidigen und durchboxen können. Von daher, um Ihre Frage zu beantworten: Zweifel hatte ich eigentlich nie.

Wenn Sie nicht Designer geworden wären, was dann?

Vielleicht Architekt oder auch Maler. Ich habe früher öfter gemalt, besonders gerne in Öl. Der Kunstaspekt meines Berufs war für mich immer sehr wichtig, deswegen bin ich dann auch Autodesigner geworden.

In Öl, das passt ja irgendwie. Was können wir in Zukunft noch von Ihnen und Mercedes erwarten?

Schöne Autos (lacht). Die kommenden fünf Jahre haben wir schon fertig entwickelt.

Dann erzählen Sie mal!

Das ist natürlich alles noch geheim, aber zwei Highlights kann ich Ihnen verraten: Zum einen kommt der EQS, unsere erste vollelektrische Limousine. Ähnlich wie beim Showcar, das wir bereits gezeigt haben, wird es richtig futuristisch und luxuriös. Mehr darf ich Ihnen aber leider nicht sagen. Und zum anderen präsentieren wir nächstes Jahr den neuen SL, eine ähnliche Ikone in der Geschichte von Mercedes wie die S-Klasse. Designtechnisch wollen wir uns hier wieder deutlich näher an seinem Urahn orientieren, dem legendären 300 SL.

Wenn Sie schon von der Zukunft sprechen, was halten Sie vom Thema autonomes Fahren?

Ich finde es gut, dass es um diesen Hype etwas ruhiger und die Diskussion wieder fachlicher geworden ist, weil alle Beteiligten langsam merken, dass es doch nicht so einfach und schnell realisierbar ist. In jedem Land gibt es bislang andere oder gar keine gesetzlichen Grundlagen. Dennoch, technisch sind wir hier längst auf einem sehr guten Weg, vor allem auch mit der neuen S-Klasse ...

Von allen Autos, die Sie bereits entworfen haben, gibt es da einen besonderen Liebling?

Man schaut als Designer in der Regel nicht zurück, sondern nach vorne. Insofern ist das Lieblingsauto immer das, an dem man gerade arbeitet. Ein Highlight war aber sicherlich der Mercedes-AMG GT, viele haben den Sex-Appeal dieses Autos sogar mit dem eines alten Jaguar E-Type verglichen.

Gibt es auch ein Auto, das Ihnen im Nachhinein peinlich ist?

Nein, eigentlich nicht. Es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste, zumindest aus meiner Sicht. Vielleicht sehen andere das anders, aber das ist mir egal. Solange auch die Kunden happy sind, bin ich es auch.

Wie würden Sie Ihren Stil als Designer bezeichnen?

Wir sprechen bei Mercedes von sinnlicher Klarheit. Ich sehe das als eine Erweiterung des Bauhaus-Gedankens. In Deutschland wurde immer alles rational gehalten, man brauchte für alles einen Grund. Ich sage: Nein, der Grund kann manchmal auch die Schönheit selbst sein. Wir setzen der Schlichtheit auf der einen Seite Sinnlichkeit auf der anderen entgegen. Damit heben wir diese urdeutsche Designidee auf ein neues Level. Wir vereinen Herz und Verstand.

Wäre das nicht letztendlich ein Bruch mit dem deutschen Bauhaus-Ideal „Form follows function“?

Ich war nie ein Befürworter dieses Ideals, das ist genau der Punkt. Ich sage: Die Form muss nicht der Funktion folgen. Die Form kann auch der Schönheit folgen oder ganz anderen Gesetzen. Wir müssen uns von diesem Diktat befreien. Unsere Produkte sollen nicht nur funktional sein, sondern auch sexy.

Credit: Mercedes

MERCEDES-BENZ S-KLASSE

S 500 4MATIC

Geschwindigkeit
250 KM/H

Leistung
435 PS

Drehmoment
520 NM
0–100 km/h
4,9 SEKUNDEN

Hubraum
2999 CCM

Gewicht
1915 KG

Preis (16 % MwSt.)
115.130 EURO