Streitschrift: Ernüchterung nach 35 Jahren Wiedervereinigung


Ich gebe zu, am Tag der Deutschen Einheit ist mir nicht zum Feiern zumute. Ich bin ernüchtert und enttäuscht. Und wie mir geht es vielen. Ich bin in Leipzig aufgewachsen und lebe seit einigen Jahren in Hamburg. In Hamburg bin ich der Ossi, in meiner Heimat der Wessi. Ich kann beide Seiten gut verstehen. Und ich versuche, bei jeder Gelegenheit zu vermitteln. Wir müssen einander zuhören – deswegen diese Zeilen. Vor 35 Jahren hielt ich mein Abi-Zeugnis druckfrisch in der Hand und war voller Tatendrang.
Ich freute mich auf Reise-, Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie auf freie Wahlen. Dafür war ich in Leipzig im Oktober 1989 mit Zehntausenden auf die Straße gegangen. Trotz der Volkspolizisten. Vor der Stasi-Zentrale hatten wir Kerzen als Zeichen unserer Friedfertigkeit aufgestellt.