Die Bibel: Warum Fortsetzungen selten so gut sind wie das Original
Das Alte Testament ist faszinierend. Ich weiß das, ich habe es gelesen. An der Uni verirrte ich mich in einen Kurs mit dem Titel „Einführung in die Bibelkunde“. Allmählich wurde mir klar, dass ich im falschen Hörsaal saß. Gerade als ich beschlossen hatte, mich nach Vorlesungsbeginn unauffällig durch die Hintertür zu verdrücken, lag auch schon ein Exemplar des Alten Testaments vor mir.
Bereits der erste Satz packte mich: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Ich las weiter. Als Nächstes stritten zwei Nackte mit einer Schlange über Äpfel. Kurz darauf erschlug Kain, der Sohn der Nudisten, aus Eifersucht seinen Bruder Abel – der erste Brudermord der Geschichte. Dann trat Noah auf: ein exzentrischer Querdenker, der aus Angst vor der Apokalypse ein riesiges Schiff baut. Wenige Absätze später liegt dieser Noah sturzbesoffen in seinem Zelt und wird von den eigenen Söhnen. Das alles passiert auf den ersten acht Seiten.
Und ähnlich fantastisch geht es weiter: Pharaonen verrecken an Geschwüren, ein Wal verschlingt einen Mann, und zwei Städte – Sodom und Gomorrha – sind so verkommen, dass Gott Feuerregen auf sie niedergehen lässt. Das Alte Testament ist keine Wohlfühllektüre. Aber lehrreich. Man erfährt, woher gängige Redewendungen stammen. Im dritten Buch, Levitikus, finden sich Regeln und Vorschriften – heute lesen wir jemandem die Leviten.
Onan wiederum wollte beim Sex mit der Witwe seines Bruders keine Kinder zeugen. Er ließ seinen „Samen zur Erde fallen und verderben“ – heute onanieren wir. Es überrascht nicht, dass das Alte Testament bis heute Gesprächsstoff bietet. Es hat alles, was eine gute Geschichte braucht: ein bisschen Sex, ein bisschen Gewalt, Tragik, Märchen, Tod, Liebe – eine Prise Perversion. Die perfekte Mischung.
Das Neue Testament: Eine Fortsetzung, die enttäuscht
Nachdem ich Teil eins regelrecht verschlungen hatte, war die Freude groß: Das Alte Testament hat eine Fortsetzung – das Neue Testament. Doch schon nach ein paar Seiten bestätigte sich, was man eigentlich hätte wissen müssen: Fortsetzungen sind selten so gut wie das Original. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie enttäuscht die zeitgenössischen Leser gewesen sein müssen.
Da pilgern sie tagelang auf Eseln durch die Wüste, nur um im nächstgelegenen Buchladen das neue Wort Gottes zu ergattern – in Erwartung weiterer Sintfluten, Plagen und apokalyptischer Schauspiele. Und was bekommen sie? Seinen Sohn. Einen sanftmütigen jungen Burschen, viel zu brav, zu einfühlsam, zu perfekt. Jesus – einer ohne Ecken und Kanten.
Zwar geschehen auch in Teil zwei wieder allerlei Wunder, aber sie wirken lahm im Vergleich zum bombastischen Erstling. Gott spaltete einen Ozean, um Moses den Weg zu ebnen. Jesus verwandelt Wasser in Wein. So einen möchte man auf einer Party sehen, nicht in der Hauptrolle eines Monumentalwerks. Irritierend wird es auch beim letzten Abendmahl. Da lädt Jesus seine engsten Freunde zum großen Abschiedsessen ein – und serviert Brot und Wein.
Das überschaubare Menü preist er als seinen „Leib und Blut“. Na, guten Appetit! Zum Abschluss besteht er darauf, allen Gästen die Füße zu waschen. Solchen Einladungen folgt man kein zweites Mal. Am Ende klappte ich den Wälzer enttäuscht zu und nahm mir vor, künftig die Finger von heiligen Schriften zu lassen. Beim Koran warte ich auf die Verfilmung.