„Die Schauspielerei war meine Therapie“

Ein Schwarzweiß-Porträt von Ron Perlman in Nahaufnahme. Er hat dichtes, hellgrau/weißes, leicht zerzaustes Haar und einen kurzen grauen Bart. Der Blick ist direkt in die Kamera, ruhig und ernst, mit leicht zusammengezogenen Brauen. Seine linke Hand liegt an der Stirn/Schläfe, als würde er nachdenken; die rechte Hand ist vorne im Bild zu sehen, mit einem Ring am Finger.
Unverwechselbares Gesicht: Kaum ein zweiter amerikanischer Schauspieler prägte sich dem internationalen Publikum auch durch kleine Rollen so nachhaltig ein wie der heute 75-jährige Ron Perlman
Credit: Matt Kallish
Ein Schwarzweiß-Porträt von Ron Perlman in Nahaufnahme. Er hat dichtes, hellgrau/weißes, leicht zerzaustes Haar und einen kurzen grauen Bart. Der Blick ist direkt in die Kamera, ruhig und ernst, mit leicht zusammengezogenen Brauen. Seine linke Hand liegt an der Stirn/Schläfe, als würde er nachdenken; die rechte Hand ist vorne im Bild zu sehen, mit einem Ring am Finger.
Unverwechselbares Gesicht: Kaum ein zweiter amerikanischer Schauspieler prägte sich dem internationalen Publikum auch durch kleine Rollen so nachhaltig ein wie der heute 75-jährige Ron Perlman
Credit: Matt Kallish

In seinem neuen Film „The Gentleman“ erledigt Hollywoods Charakterkopf reihenweise Gangster. Ein Gespräch über Wut, Kunst als Ventil und wie er zum Frieden mit sich selbst fand

Rüdiger Sturm
Von: Rüdiger Sturm
02.12.25
Alle Artikel

Ron, in „The Gentleman” spielen Sie einen ehemaligen Elitesoldaten, der vom Leben und vom Älterwerden frustriert ist. Das trifft hoffentlich nicht auf Sie zu.

Sie haben zur Hälfte recht. Ich bin mit meinem Leben so zufrieden wie nie zuvor. Aber mit 75 habe ich leider nicht mehr volle Kontrolle über das, was mit meinem Körper geschieht. Da gibt es alle möglichen Schmerzen, die mich nicht das tun lassen, was mein Verstand möchte. Im Kopf bin ich zwar noch 30, aber sobald ich dann meine Schnürsenkel zu binden versuche, sendet mein Körper eine andere Botschaft. 

Folgen Sie uns auf

Vor ein paar Jahren haben Sie noch den republikanischen Senator Ted Cruz zu einem Ringkampf herausgefordert …

Nein, nein. Das lief andersrum. Ted Cruz hat mich herausgefordert, aber er wollte seinen Parteikollegen Jim Jordan vorschicken, der mal US-Studentenmeister im Ringen war. Dieser Typ, der seine Frau von Donald Trump beleidigen ließ, wollte nicht mal selbst seinen Mann stehen. Ich war bereit, das für einen Einsatz von 50.000 Dollar zu machen, und wenn ich gewonnen hätte, dann hätte ich das für Black Lives Matter gespendet.

Wie kam es überhaupt zu dieser Auseinandersetzung?

Es fing damit an, dass mich sein Parteikollege Matt Gaetz, ein völlig verdrehter Typ, angriff, weil ich Trump kritisiert hatte. Er meinte: „Du verdienst ein Vermögen damit, dass du Arschlöcher im Film spielst.“ Und ich schrieb zurück: „Und das ist sehr befriedigend. Aber wie ist es, wenn man in echt ein Arschloch ist?“ Das Ganze ging dann 16 Stunden hin und her. Und eine Stunde nachdem ich das beendet hatte, kam Ted Cruz mit seiner Herausforderung daher. Ein Mann, der nicht mal seine eigene Frau beschützen konnte!

Sie können ja Ihre Wut in Ihren Rollen abreagieren so wie in „The Gentleman“, wo Sie alle möglichen Gangster erledigen. Aber würden Sie das gerne auch im realen Leben tun?

Ja, und wie. Vor allem wenn man sich das anschaut, was wir von den Machthabern auf der ganzen Welt erdulden müssen. Ich bin von dem Gedanken besessener denn je. Ich lebe in einem Land, das 250 Jahre von seinem Selbstverständnis über Bord wirft – für einen autokratischen Möchtegern-Punk, für den seine Macht so was wie ein sexueller Fetisch ist.

Verglichen Sie sich selbst nicht mal in einem Interview mit Ihrer Figur Hellboy, der lieber zu Hause mit seinen Katzen spielen und die Marx-Brothers anschauen würde, statt die Welt zu retten? 

Ich sitze auch zu Hause und schaue mir die Marx Brothers an. Zwar habe ich keine Katzen, aber dafür vier Hunde, und von denen kriege ich meine ganze Freude. Aber das hält mich nicht davon ab, wütend zu werden. Und ich suche mir ein Ventil für meine Wut.

Aber nicht, indem Sie die bösen Jungs killen?

Nein. Ich habe ein Filmstudio gegründet. Die Filme, die ich da produzieren will, sind meine Antwort auf den Zynismus der amerikanischen Konzernwelt, die uns alle entmenschlichen will. Bei uns gibt es keine Vorstandsvorsitzenden. Die Leitung haben Künstler inne, die vom Geschichtenerzählen besessen sind – so wie die Gründerväter von Hollywood. Die schauen nicht durch die Brille von Geld und Gier auf die Welt, sondern mit ihrem Herzen. 

Eines von Perlmans Lieblingsworten: Besessen. 
Es passt zu seiner Obsession fürs
 Schauspielen. Und zu seiner Paraderolle: Als Hellboy in der gleichnamigen Filmreihe
Credit: Pro Imago

Sie sind aber schon mal mit einer eigenen Produktionsfirma auf die Nase gefallen und haben ein bisschen was von Ihren Ersparnissen verloren.

Meine ganzen Ersparnisse! Aber damals habe ich auch viel gelernt. Und jetzt kann ich alles, was ich gelernt habe, umsetzen. Ich werde schon nicht mehr die gleichen Fehler machen. 

Die Filmbranche von heute ist ja ganz anders als damals in den 1980ern, als Sie anfingen. Wenn Sie wieder jung wären – würden Sie nochmal den Beruf des Schauspielers ergreifen?

Ja, ich würde schon einen Weg finden. Denn ich wusste: Das ist mein Herzblut. Mir war sonst nichts wichtig. Auch damals lagen viele Hindernisse auf meinem Weg, aber ich ließ mich von nichts stoppen. So fühle ich mich auch heute noch. Du musst kämpfen, um deinen Weg zu machen. Jedes Mal, wenn man dich zu Boden schlägt, musst du wieder aufstehen. Dein ganzes Leben besteht darin, dass du herausfindest, wofür du kämpfen willst.

Kunst ist die unterschätzteste Sache auf der Welt

Aber ständiges Kämpfen kostet viel Energie. Woher nehmen Sie die?

Ich habe eben einen Weg gefunden, um meine Gefühle zu kanalisieren. Und zwar, indem ich Kunst mache. Egal, wie alt du als Künstler bist, innerlich bleibst du immer jung. Du schaust auf das Leben mit den Augen eines Kindes. Wir sind besessen von dem Gedanken, alles, was schlecht ist, ein bisschen zu korrigieren, indem wir etwas Schönes in die Welt setzen. 

Wann haben Sie besonders das Gefühl, dass Sie die Welt verbessern?

Jedes Mal, wenn mir jemand sagt, was ihm meine Leistung als Schauspieler bedeutet hat. Wenn jemand für einen Film dankbar ist, den ich gemacht habe. Wenn es heißt: „Diese Geschichte hat mir geholfen, meinen persönlichen Müll eine Zeit lang zu vergessen und mir ein schönes Leben vorzustellen.“ Das kannst du mit Kunst erreichen. Sie ist die unterschätzteste Sache auf der Welt. Und sie ist mir wichtiger denn je.

Auch die von anderen Künstlern?

Und ob! Frank Sinatra, Miles Davis, Tom Waits oder Bob Dylan – die haben ihre Kunst in Bereiche weiterentwickelt, von denen man vorher gar nicht wusste, dass es sie gab. Die ersten fünf Alben von Dylan zum Beispiel haben meine Welt verändert.

Sie sind aber in vielen Ihrer bekannten Rollen kaum als Sie selbst zu sehen gewesen, sondern mit schwerem Make-up. Das ist auch bei „Hellboy“ der Fall. Hat Sie das nicht gestört?

Im Gegenteil, ich hätte das so nicht geschafft. Speziell in jüngeren Jahren konnte ich mich nicht ertragen. In keinster Weise. Wenn ich Make-up aufgetragen bekam, konnte ich die Person, in deren Haut ich mich nicht wohlfühlte, von meiner Kunst trennen. Ich habe mich sicher gefühlt, denn die Figur, die ich spielte, war nicht mehr ich. Es war etwas Abstraktes. Ich war dankbar, als man mir für „Am Anfang war das Feuer“ vier Stunden lang täglich Gummischichten aufklebte. Und das Gleiche bei „Der Name der Rose“ und „Die Schöne und das Biest“. Bei „Hellboy“ waren es sechs Stunden. Ich bin so froh, dass ich diese phänomenalen Charaktere spielen konnte, ohne mich peinlich zu fühlen.

Aber jetzt – wie man an Filmen wie „The Gentleman“ sieht – ist das nicht mehr der Fall. Sind Sie heute zufriedener mit Ihrem Gesicht?

Wenn du älter wirst, bist du mehr im Frieden mit dir selbst. Diese Unsicherheit verschwindet. Ich brauche keine Maske mehr, um mich innerlich frei zu fühlen.

Warum fühlten Sie sich früher nicht wohl in Ihrer Haut?

Ich hielt mich für hässlich und unbeholfen. Und ich lebte in einer Welt, in der die Hässlichen und Unbeholfenen keine Mädchen abbekamen. War das rational? War ich wirklich so? Nein, aber ich kam mir so vor, und es dauerte eben eine lange Zeit, bevor ich dieses falsche Selbstbild ablegen konnte. 

In seinem neuen Film „The Gentleman“ (seit Ende November auf Blu-ray & DVD erhältlich) geht Perlman gnadenlos als Ex-Elitesoldat auf Gangsterjagd
Credit: Screenshot „The Gentleman“/plaionpictures

Aber warum wurden Sie dann Schauspieler, wenn Sie sich nicht ertragen konnten? Sie konnten ursprünglich nicht wissen, dass man Sie mit Make-up unkenntlich machen würde.

Egal, in welcher Rolle, sobald ich vor einem Publikum oder einer Kamera stand, war das nicht mehr ich. Ich bin aus einer Welt des Chaos in eine ohne Chaos eingetreten. Genau deshalb habe ich mich in die Schauspielerei verliebt. Sie war eine Therapie für mich. Anderen Kollegen geht es ähnlich. Für sie ist es einfacher, in die Haut einer anderen Person zu schlüpfen, als ihr eigenes Leben zu leben. Es ist eine regelrechte Erleichterung. In diesem gequälten Leben suchst du ständig nach einer anderen Rolle, damit du nicht du selbst sein musst. 

Das ist jetzt bei Ihnen aber nicht mehr der Fall?

Nein, in meinen 40ern fing ich an, mit meiner eigenen Identität Frieden zu schließen. Das Leben wurde einfacher für mich, und ich fand ein neues Ziel für meine Schauspielerei. Sie war keine Therapie mehr. Stattdessen begann ich zu verstehen, welche Rolle Kunst in unserer Welt spielt – nämlich schöne Dinge zu schaffen. Und weil diese Dinge aus unserem kollektiven Unbewussten stammen, können sich die Menschen aus allen Ländern und allen Schichten damit identifizieren. So erkannte ich, wie nobel der Beruf des Geschichtenerzählers ist. 

Sie sind in zweiter Ehe verheiratet (mit der Schaupielerin Alison Dunbar; d. Red.). Inwiefern haben Ihnen die Frauen in Ihrem Leben bei Ihrer Selbstfindung geholfen?

Zu diesem Prozess haben alle möglichen Faktoren beigetragen. Die Frauen waren einer davon. Ich habe und hatte tolle Freundschaften und Beziehungen. Mein ganzes System an Unterstützern hat mir enorm geholfen – Männer, Frauen, Kinder. Ich führe ein gesegnetes Leben, weil ich wunderbare Menschen um mich habe, die mir die Daumen drücken.

Ihr Sohn ist Musikproduzent, Ihre Tochter Schauspielerin. Haben Sie denen Ihre Erkenntnisse in Sachen Künstlertum weitergegeben?

Ich hoffe es. Ich habe schon versucht, für sie ein Anführer in diesem Sumpf zu sein, durch den wir uns alle durchkämpfen müssen. Aber ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob mir das gelungen ist. 

Irgendwann werden Ihre Kinder alleine sein, weil Sie von dieser Erde abtreten, was Sie in Ihren Filmen schon vielfach durchgespielt haben. Was wird von Ihnen bleiben?

Vor 15 Jahren habe ich Memoiren verfasst. Ich hatte keine Ahnung, dass ich überhaupt schreiben konnte, aber ein Verlag drückte mir einen Vertrag in die Hand. Und so setzte ich mich zum ersten Mal mit der Frage auseinander, was mein Vermächtnis sein wird. Es ist ungefähr so, als würdest du 10.000 Kilometer in die Luft steigen und nach unten auf deinen Planeten schauen. Da habe ich mir die Frage gestellt: Habe ich irgendeinen Beitrag geleistet? War diese Leistung ein Ergebnis harter Arbeit oder nur eine Frage glücklicher Fügung? Von diesen Fragen bin ich seither besessen. Jetzt noch mehr als damals. 

Und was ist die Antwort?

Ich möchte versuchen, die Welt in einem besseren Zustand zurückzulassen, als ich sie vorgefunden habe. Aber die Hindernisse sind schier unüberwindbar. Mit diesem verdammten Planeten läuft zu viel schief. Ich kann nur sagen: Ich habe viel mehr Tage hinter mir als noch vor mir. Vor dem Tod habe ich keinerlei Angst. Ich hoffe einfach, dass mir noch genügend Zeit bleibt, um die Dinge zu tun, die ich tun möchte. Und um meine Dankbarkeit für dieses wunderbare Leben zu zeigen, das ich führen durfte.