Der Eisenfranz - Zu Besuch bei einem Strongman

Ein kräftiger, tätowierter Strongman in blauem Sportshirt und schwarzen Shorts läuft grinsend auf die Kamera zu und reckt beide Arme zum Jubel. Hinter ihm steht ein grüner MAN-Lkw mit „RIEDMÜLL“ auf der Front, daneben Sand- bzw. Kieshügel und Förderbänder unter blauem Himmel mit weißen Wolken.
Zugmaschine: Der Strongman Franz Müllner bricht hauptberuflich Weltrekorde – und trainiert dafür gerne in dieser Kiesgrube nahe Wien
Credit: Ursula Röck
Ein kräftiger, tätowierter Strongman in blauem Sportshirt und schwarzen Shorts läuft grinsend auf die Kamera zu und reckt beide Arme zum Jubel. Hinter ihm steht ein grüner MAN-Lkw mit „RIEDMÜLL“ auf der Front, daneben Sand- bzw. Kieshügel und Förderbänder unter blauem Himmel mit weißen Wolken.
Zugmaschine: Der Strongman Franz Müllner bricht hauptberuflich Weltrekorde – und trainiert dafür gerne in dieser Kiesgrube nahe Wien
Credit: Ursula Röck

Er hat Hubschrauber getragen, Riesenräder angeschoben und Bungee-Jumper mit bloßen Händen festgehalten. Jetzt bereitet sich Kraftprotz Franz Müllner auf sein letztes Projekt vor: Er will ein Flugzeug über das Eis der Antarktis ziehen. Ein Trainingsbesuch beim Lkw-Schleppen.

Maximilian Reich
Von: Maximilian Reich
25.11.25
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Es macht ein fürchterliches Schnalzgeräusch, wenn eine Bizepssehne reißt. Als ob jemand eine Peitsche knallen lässt oder mit einem nassen Handtuch auf einen nackten Hintern schlägt. Der Arm läuft dunkelblau an, und dort, wo normalerweise die Bizepskugel sitzt, hängt das Fleisch nur noch schlaff vom Oberarm. Was man in so einem Fall lieber nicht machen sollte: den verletzten Arm bewegen. Und ganz bestimmt sollte man damit kein Auto umwerfen. Hat Franz Müllner damals aber trotzdem getan. 

Bei einem GTI-Treffen am Wörthersee hatte der Österreicher im Regen einen Fiat Uno umwerfen wollen. Er griff mit beiden Händen unter das Auto und wuchtete es nach oben. Dabei rutschte ihm blöderweise die linke Hand an der nassen Karosserie ab, und auf einmal lag das ganze Gewicht des Fahrzeugs nur noch auf seinem rechten Arm. Lauter Schnalzer, Sehne durch. Und Müllner? Der setzte kurz ab, griff nach – und drehte den Fiat noch 17-mal um die eigene Achse, bevor er sich von einem Sanitäter behandeln ließ. 

Ein Auto soll er heute nicht umwerfen - dafür steht schon ein LKW bereit

Gut 17 Jahre später steht der Austrian Rock, wie sich Franz Müllner, 55, selbst nennt, auf dem Parkplatz einer Kiesgrube in Gänserndorf, 30 Kilometer nordöstlich von Wien, und fährt mit dem Zeigefinger eine Narbe auf seinem rechten Arm entlang. Da hat ihn der Arzt damals aufgeschnitten, um die Sehne, die in die Schulter gesprungen war, wieder herauszufischen. 

Immerhin: Ein Auto soll Müllner heute nicht umwerfen. Dafür steht hinter ihm schon ein Lastwagen bereit. Den will er gleich mit reiner Muskelkraft ziehen. Gewicht: 7,5 Tonnen. Müllner stützt sich mit einer Hand am Dach seines Dodge-Pick-ups ab und schlüpft mit den Füßen in ein Paar halbhohe braune Bergschuhe. Das Profil der Sohle verleiht ihm den nötigen Grip. Außerdem ist die Ferse bei solchen Schuhen verstärkt. Nicht dass am Ende heute noch die Achillessehne reißt. 

Sixpack unnötig: Franz Müllner mag nicht aussehen wie ein Top-Athlet, strotzt aber vor Kraft. Und bringt 
Leidensfähigkeit mit. Die Narbe vom Bizepsriss befindet sich in der rechten Armbeuge
Credit: Ursula Röck

Müllner ist einer der bekanntesten Kraftsportler Europas und mehrfacher Strongman-Champion. Eine Sportart, bei der die Athleten schwere Gegenstände tragen oder ziehen. Drei- bis viermal im Jahr fährt er von seinem Heimatort Tamsweg im Salzburger Land hier hoch nach Gänserndorf, wo sein Kumpel Johannes ein Transportunternehmen hat, und zieht Lastwagen, um in Form zu bleiben. 

Im kommenden Jahr möchte er in der Antarktis ein Flugzeug über das Eis ziehen. Es soll der krönende Abschluss seiner Karriere werden. 

Der 186 Zentimeter große und 130 Kilo schwere Kraftprotz war schon immer ein bisschen extrem. Als Kind fuhr er mit Freunden auf dem Fahrrad die Skisprungschanze im Ort runter – nachts mit Stirnlampe auf dem Kopf. Später absolvierte er eine Ausbildung zum Steinmetz und Fliesenleger, bevor 1989 der Wehrdienst rief. Müllner verpflichtete sich für drei Jahre und ging freiwillig zum Jagdkommando, einer Elite-Einheit des österreichischen Bundesheers. 

Die Ausbildung zählt zu den härtesten der Welt. Die Herausforderung reizte ihn. Aufstehen um sechs Uhr, dann erst mal 300 Liegestütze, um in die Gänge zu kommen. Nach dem Frühstück folgen Fallschirmspringen, Nahkampf, Kampftauchen, Scharfschützentraining, das komplette Kampfmaschinen-Rundumpaket. 

Geht nicht, gibt's nicht, ist mein Motto

„Die wollen dich zerstören“, sagt Müllner. „Die schmeißen dich mit zusammengebundenen Händen in den See und ziehen dich unter einem Boot hindurch, um zu sehen, ob du das aushältst. Aber ich bin immer positiv geblieben. Geht nicht gibt’s nicht, ist mein Motto.“ 

Von den 286 Rekruten, die die Ausbildung mit ihm begannen, waren am Jahresende nur noch 24 übrig, die eine Medaille in Empfang nahmen. Müllner war einer davon. „Vieles, was ich dort gelernt habe, wie Willenskraft, Disziplin und Durchhaltevermögen, hat mir später in meiner sportlichen Karriere extrem geholfen. Ohne meine Zeit beim Militär wäre ich nicht so weit gekommen.“ 

Im Nahen Osten entschärft er Minen - nach fünf Jahren Armee reicht es ihm

Nach seiner Ausbildung meldete Müllner sich freiwillig für einen Einsatz im Libanon und in Kuwait. Sein Job: alte Kriegsminen aufspüren und entschärfen. „In der Gegend waren oft Schmuggler unterwegs, die nach Israel wollten. Da wurden wir dann auch mal gerufen, wenn einer von denen auf eine Mine getreten war. Da lag dann hier ein Fuß, dort ein Kopf und etwas weiter weg ein Arm, das war nicht schön. Aber generell war das schon eine tolle Zeit, weil wir der Bevölkerung sehr geholfen haben.“ 

Fünf Jahre diente Müllner bei der Armee. Dann reichte es ihm. Er trat aus und heuerte als Steinputzer an. Von 200 Meter hohen Felswänden klopfte er lockere Steine runter, bevor sie sich von selbst lösten und zur Gefahr für Passanten wurden. 

Fingerübung: Autos fahren kann jeder, Franz Müllner wirft sie lieber um. Dieses hier im Jahr 2009 gleich achtmal in fünf Minuten – Weltrekord
Credit: Getty Images

Die Fotografin, die mitgekommen ist, um Bilder von Müllner beim Training in der Kiesgrube zu machen, schaltet sich in unser Gespräch ein. Ob Müllner sein Hemd ausziehen könne für ein Foto seines tätowierten Oberkörpers? 

„Ja, sicher“, sagt er freundlich. Müllner ist so etwas wie ein sanfter Riese. Unter den kurz geschorenen grauen Haaren, den Muskeln und den Tätowierungen steckt ein lieber Kerl mit einem sanften Händedruck, der uns vom Wiener Hauptbahnhof abgeholt hat und versucht, uns jeden Wunsch zu erfüllen. 

Müllner knöpft sein Hemd auf und präsentiert seinen braun gebrannten Körper. Er hat keine scharf definierten Muskelpartien und auch kein Sixpack. Der Bauch hängt ein bisschen über den Bund seiner kurzen Hose. Die Muskeln, die Müllner jeden Morgen um sechs Uhr in der Früh in seinem Keller an den Geräten trainiert, liegen verborgen unter einer kleinen Fettschicht. 

Bodybuilder haben Muskeln, aber nicht die Kraft eines Strongman

Seine Liebe zum Ausdauersport hat Franz Müllner beim Militär entdeckt. Zehn Jahre lang lief er Marathons und Triathlons, bis ihm das irgendwann keinen Spaß mehr bereitete. Daraufhin machte er erst mal ein Jahr lang gar nichts mehr und nahm 25 Kilo zu. 

„Irgendwann hat meine Frau gesagt: ,Schatz, guck dir mal deinen Bauch an! Das geht so nicht. Sieh zu, dass du wieder irgendwas machst.‘“ 

Sie schlug ihm Bodybuilding vor, aber die strengen Diäten, die zu dem Sport gehören, sind nichts für den Lebemann, der in seiner Jugend gerne Konditor geworden wäre und heute noch jede Woche in der Küche steht und Torten backt. „Bodybuilder haben viele Muskeln, aber nicht so viel Kraft wie ein Strongman. Ein Bodybuilder könnte niemals einen Lkw ziehen. Dem würde es sämtliche Bänder und Sehnen zerreißen.“ 

Beim ersten Strongman-Wettbewerb belächeln ihn die Konkurrenten

In der Zeitung liest seine Frau Michaela, dass der ehemalige österreichische Wrestler und Kraftsportler Otto Wanz die stärksten Männer Österreichs sucht. Die Herausforderung reizt Müllner. 

Der Wettbewerb findet im Böhmischen Prater, einem Vergnügungspark in Wien, statt. Als er dort ankommt, wird er zunächst nicht ernst genommen. „Die anderen waren alle zwei Meter groß und 150 Kilo schwer und haben mich ein bisschen von oben herab ausgelacht, was ich Zwerg da zu suchen habe. Aber denen habe ich ganz schön die Luft rausgelassen.“ 

Die Teilnehmer müssen einen 100 Kilo schweren Baumstamm stemmen, mons­trö­se Lkw-Reifen umwerfen, Steinkugeln, die das Gewicht eines Mopeds haben, auf ein Podest hieven und Koffer aus Beton  30 Meter weit tragen, einen in jeder Hand, jeweils mit einem Gewicht von 120 Kilo. Am Ende landet Müllner auf dem fünften Platz. 

Für den ehrgeizigen Österreicher nicht gut genug. Vollmundig kündigt er an: In zwei Jahren bin ich der stärkste Mann Österreichs! 

Für den nächsten Strongman trainiert er, bis Blut von den Händen läuft

Er gießt sich aus Beton eine 180 Kilo schwere Kugel mit einem Bleikern und fällt einen Baumstamm, in den er mit der Motorsäge zwei Löcher fräst, um ihn greifen zu können. Damit trainiert er zu Hause im Garten jeden Tag vier, manchmal sogar sechs Stunden, bis die Hände so aufgeschürft sind, dass Blut runterläuft. „Da sind natürlich auch ein paar Freundschaften zerbrochen, weil die nicht verstanden haben, dass ich ein Ziel verfolge und keine Zeit habe, mit ihnen ein Bier saufen zu gehen“, erzählt er. 

Müllners Opfer zahlen sich aus. 2002 gewinnt er den „Austrian Summer Giant“, den bedeutendsten Strongman-Wettkampf Österreichs, und dominiert den Wettbewerb in den darauffolgenden fünf Jahren. Bei der Weltmeisterschaft 2004 landet er unter den Top Ten. 2006 wird er Europameister. Das einzige Ziel, das er danach noch hat: Er will ins Guinnessbuch der Rekorde. 

Im Jahr 2006 ist Müllner nicht nur im fernsehen beim Tragen eines Hubschraubers zu sehen. Auch im Wiener Prater schultert er 30 Sekunden lang einen 600-Kilo-Helikopter
Credit: Vladimir Kmet/Getty Images

Die kuriosen Jahrbücher hat Müllner bereits als Kind gesammelt. Jetzt will er selbst Geschichte schrei­ben. Der Plan: Ein Helikopter soll auf seinen Schultern landen. Dafür ruft er einen befreundeten Kampfpiloten aus alten Armee-Tagen an, der einen Hubschrauber hat, und baut sich aus Metall eine Art Plattform, die er auf seinen Schultern trägt. Darauf soll der Helikopter landen. Er schlägt die Idee RTL vor, das zu der Zeit die Sendung „Guinness World Records – Die größten Weltrekorde“ ausstrahlt. 

Der Sender schickt ein Kamerateam vorbei, um den Versuch zu filmen. Das Video soll anschließend den verantwortlichen Senderchefs vorgespielt werden, die entscheiden, ob Müllner in der Show auftreten darf. Er kann den Helikopter auch tatsächlich tragen. Aber beim Wegfliegen verhakt sich eine Kufe im Schulterbügel des Österreichers und trägt ihn 15 Meter fort. „Der Redakteur von RTL ist kreidebleich geworden“, sagt Müllner und lacht. Der Sender winkt daraufhin ab. Das Vorhaben sei zu gefährlich. 

Sponsoren klopfen an - und Müllner wird professioneller Weltrekord-Brecher

Aber Müllner bleibt hartnäckig. „Wenn einer denkt, etwas wäre nicht machbar, spornt mich das nur noch mehr an. Ich habe immer wieder bei denen angerufen. Ich war so eine richtig lästige Warze am Arsch.“ Die Taktik geht auf.  Irgendwann hat er Oliver Geissen, den Moderator der Sendung, persönlich am Telefon, und der sagt, in Ordnung, wir machen das. Vorm Bildschirm können die TV-Zuschauer bald darauf mitverfolgen, wie Franz Müllner 2006 einen 570 Kilo schweren Helikopter 30 Sekunden auf den Schultern trägt und damit seinen ersten Weltrekord bricht. 

Die Bilder vom Helikopter-Stunt gehen um die  Welt. Die ersten Sponsoren klopfen an und ermöglichen es Müllner, seinen Job an den Nagel zu hängen und hauptberuflich Weltrekorde zu brechen. In China zieht er 2007 einen 250 Tonnen schweren Zug, in München dreht er 2019 ein 750 Tonnen schweres Riesenrad, und 2021 rollt er in Las Vegas 20 Bratpfannen in einer Minute und 48 Sekunden zusammen, sodass sie aussehen wie leere Küchenrollen aus Edelstahl. 

Meine Willenskraft war so groß, dass ich den Schmerz einfach ausgeblendet habe

Franz Müllner

Franz Müllner

Sein aufregendstes Projekt fand allerdings im Heimatland statt – bei Innsbruck. Auf der Europabrücke an der Brennerautobahn will Müllner 2011 einen Bungee-Springer mit den bloßen Händen halten. Als Absicherung dient lediglich ein Sicherungsseil, wie es Bergsteiger benutzen, in das der Springer aus 190 Meter Höhe fallen würde, falls Müllner die Kraft verließe. Federung? Kaum.

„Das war gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der so verrückt ist, da runterzuspringen“, erzählt er. Am Ende erklärt sich ein befreundeter Polizist bereit, bei dem Stunt mitzumachen. Zahlreiche Fernsehsender haben sich angemeldet, um den Kraftakt zu dokumentieren. Bei der Probe am Vormittag wirft Müllner ein 100 Kilo schweres Bierfass von der Brücke. Durch das Gewicht des Fasses schnürt sich der Gurt so fest um seine Hand, dass er sich den rechten Mittelhandknochen bricht. 

Mit gebochener Hand hält Müllner einen Bungee-Jumper fest

„Der Arzt vor Ort hat sich das angeguckt und meinte, ich muss die Aktion absagen“, erzählt Müllner. „Aber das kam für mich nicht infrage. Es war ja die ganze Presse da. Also habe ich versucht, den Knochen wieder in die richtige Position zu schieben, und eine Bandage drumgewickelt. Der Polizist ist immer nervöser geworden, je näher der Stunt rückte. Der ist vorher bestimmt 15-mal aufs Klo gegangen.“

Zwei Stunden später hält Müllner mit der gebrochenen Hand das Seil, an dem der Polizist in die Tiefe gesprungen ist. „Die Hand war nicht mal mehr halb so breit, als der Gurt sie wieder zusammengedrückt hat. Aber in dem Moment war meine Willenskraft so groß, dass ich den Schmerz einfach ausgeblendet habe.“ 

Hercules-Aufgabe: Fünf Versuche braucht 
Müllner 2018 auf dem Militär-Flughafen in Hörsching, 
Österreich – dann schafft er es, die 30 Meter lange Militärmaschine Hercules C-130 zehn Meter weit zu ziehen. es ist nur einer seiner vielen Weltrekorde
Credit: Volker Weihbold

Heute hält Müllner 63 Weltrekorde. Auf Instagram folgen dem österreichischen Muskelberg zwei Millionen Menschen. So viel Ruhm verpflichtet natürlich. Einmal, erzählt er, habe er zufällig mitbekommen, wie eine junge Frau im Winter bei Glatteis mit dem Auto von der Straße abgekommen ist. „Da bin ich natürlich sofort hin, habe das Auto vorne hochgehoben und aus dem Graben gezogen, so wie man das als Gentleman eben macht. Man muss als Mann schon gucken, dass man ein bisschen Kraft hat, um in solchen Situationen helfen zu können.“ 

Beim Einwand, er hätte sie doch auch mit seinem eigenen Wagen rausziehen können, guckt Müllner kurz verdutzt und sagt dann: „Na! Stell dir mal vor, mich sieht irgendwer, wie ich ein Abschleppseil benutze. Der denkt sich doch: Ist der deppert, der Müllner? Hat so eine Kraft, und dann zieht er das Mädchen mit dem Auto raus!“ 

Showdown im Kies: Der Strongman macht sich bereit, um den LKW zu ziehen

In der Kiesgrube nahe Wien geht Müllner nun zur Laderampe seines Pick-ups und fischt aus einer Sporttasche
ein Abschleppseil und eine Weste, die er sich anlegt. Damit geht er rüber zum Lkw, legt das Seil auf dem Boden ab und wärmt Waden und Oberschenkel auf. Wenn man Müllner dabei zuguckt, wie er sich mit beiden Händen gegen die Fahrertür lehnt und die Fersen ein paarmal hebt und senkt, als stünde er auf einem Stepper, könnte man meinen, er bereite sich auf eine lockere Jogging­runde vor, aber nicht auf das Ziehen eines tonnenschweren Lastwagens. Besonders konzentriert wirkt er jedenfalls nicht. „Wenn du darüber nachdenkst, wie schwer das Ding ist, dann hast du schon verloren. Ich habe den kompletten Ablauf im Kopf. Ich sehe, wie ich auf das Ungetüm zugehe, mich anhänge und das Ding wegziehe“, sagt Müllner. 

Der Schließmuskel gibt vielleicht nach, aber nicht der Franz Müllner

Franz Müllner

Franz Müllner

Er hebt das Seil auf, bringt das eine Ende vorne am Lkw an und klinkt das andere mit einem Karabiner an seiner Weste ein. Dann bringt er sich gut einen Meter vor dem Fahrzeug in Position und lehnt den Oberkörper nach vorne, bis der Gurt auf Spannung ist. Kurzer Blick zur Fotografin, ist die Kamera bereit? 

Sie hebt den Daumen, und Müllner setzt einen Fuß nach vorne. Dabei gibt er einen dumpfen, lauten Schrei von sich. So lässt er den Druck raus, der durch die Anstrengung im Kopf entsteht. Nicht, dass sonst wieder die Adern in den Augen platzen. Das ist ihm 2014 mal passiert, als er eine 140 Tonnen schwere Boeing aus dem Hangar gezogen hat. Zwei Wochen lang musste er mit blutroten Augen herumlaufen. 

An Müllners Waden spannen sich die Muskeln an, und allmählich setzt sich der Lastwagen tatsächlich in Bewegung. Erst langsam, dann so schnell, dass die Fotografin, die rückwärts vor Müllner herläuft, aufpassen muss, nicht zu stolpern. 

„Wenn dieses Ungetüm anfängt, sich zu bewegen, musst du dranbleiben“, sagt Müllner, als er am Ende des Parkplatzes zum Halten gekommen ist und sich den Schweiß von der Stirn wischt. „Wenn es stehen bleibt, hast du keine Chance mehr, weil dann reicht die Kraft nicht mehr. Meinetwegen reißt irgendeine Sehne, oder du machst dir in die Hose vor Anstrengung. Aber du ziehst trotzdem weiter. Der Schließmuskel gibt vielleicht nach, aber nicht der Franz Müllner.“ 

In der Türkei zieht Müllner ein 1400 Tonnen schweres Segelschiff - es ist einer der sieben Weltrekorde auf sieben Kontinenten, die er aufstellen will
Credit: Getty Images

Müllner ist jetzt 55 Jahre alt. Irgendwann, das ist ihm klar, wird sein Körper keine neuen Rekorde mehr aufstellen können. Ein allerletztes Projekt hat er aber noch im Sinn: Er will auf allen sieben Kontinenten einen Weltrekord brechen. Im April 2023 hat Müllner damit angefangen, sechs hat er schon geschafft. 

In Peru hat er einen 81 Tonnen schweren Zug am Machu Picchu 10,60 Meter weit gezogen. In den Niederlanden waren es drei aneinandergekoppelte Lastwagen mit einem Gesamtgewicht von über 23 Tonnen, die er in 42,58 Sekunden 20 Meter weit gezogen hat. 

Vergleichen kann man die Gewichte nicht, erklärt er. Ein Lkw ist zum Beispiel viel schwieriger vom Fleck zu ziehen als ein Flugzeug oder ein Zug, weil der Reifen, wo er aufliegt, nicht komplett rund ist und erst über die Schwelle gerollt werden muss. 

In Brisbane zog Müllner einen 32,2 Tonnen schweren Tanklaster, auf dem ein Helikopter landete, exakt 4,85 Meter weit. In Kapstadt war es ein Doppeldeckerbus (14,5 Tonnen), den er in 57 Sekunden 20 Meter weit beförderte. In der Türkei zog er ein 1400 Tonnen schweres Piratenschiff über elf Meter durch den Hafen. Und in San Diego bewegte er ein Schiff mit 72,57 Tonnen. Zwar bloß 4,5 Meter weit, aber dafür mit der Armdrück-Technik, also allein durch das Umklappen seiner Faust, in der er das Seil hielt. 

Showman: 
Bei seinem Weltrekordversuch in der Antarktis will Müllner Shorts tragen – 
er versteht es, sich 
zu inszenieren
Credit: Ursula Röck

Behilflich sind Müllner bei seinen Weltrekordversuchen oft ehemalige Kollegen und Bekannte aus alten Tagen bei der Spezialeinheit. Viele sind heute auf der ganzen Welt verstreut und haben die notwendigen Kontakte vor Ort, um an die Fortbewegungsmittel und Genehmigungen zu kommen. 

Aktuell plant Müllner seinen letzten Weltrekord. Im Sommer 2026 will er ein Flugzeug über das Eis der Antarktis ziehen. Wobei das Hinkommen fast das Schwerste an dem Projekt ist. 

Lange saß Müllner in seinem Büro und telefonierte mit Piloten, Forschern und Reedereien, die ihn eventuell mitnehmen könnten. Mittlerweile zeichnet sich eine Lösung ab: Ein befreundeter Pilot fliegt im Mai oder Juni von Brisbane über Neuseeland zur Antarktis und möchte ihn mitnehmen. 

„Das wird gigantisch. Ich werde der erste Strongman sein, der einen Weltrekord in der Antarktis aufgestellt hat. Und du kannst dir sicher sein, ich werde das Ding auch bei minus 50 Grad in kurzer Hose ziehen. Die Leute werden denken, jetzt hat’s dem Müllner die Schädeldecke komplett durchgehauen. Aber das mag ich. Ich bin gerne verrückt.“